Celeste - Test
Der Berg ruft! Also hüpft man.
Bergsteigen ist kein Zuckerschlecken. In Anbetracht der zahlreichen Toten, die in den Hochgebirgen dieser Welt zurückgelassen werden mussten wird klar: Das hat einiges mit Selbstaufgabe zu tun, es hat etwas Meditatives, es ist viel weniger Sportsgeist als Selbstschinderei, die die großen Bergsteiger immer wieder dazu getrieben hat, sich auf den Weg zum Gipfel zu machen. Madeline ist eine solche Bergsteigerin und sie hat ein Ziel. Madeline will rauf auf den Berg Celeste - und das nicht, weil sie Skifahren will, sondern einfach so oder vielleicht weil sie sich auf einem Selbstfindungstrip befindet. Und Madeline ist eine deutlich erkennbare Pixelfigur in einer deutlich erkennbaren Pixelwelt mit einfach zählbaren, großen Pixeln. Celeste ist der nächste Pixelplatformer, auf den kaum jemand gewartet hat, der sich aber als außerordentlich potentes Spiel erweist. Und trotz simpler Mechaniken, es steckt jede Menge Tiefgang in diesem Aufstieg.
Chefentwickler von Celeste ist Matt Thorson, der sich vor einigen Jahren für TowerFall Ascension verantwortlich zeigte, ebenfalls ein pixeliger Hüpfer, damals zuerst für die Ouya - wer erinnert sich an den Würfel - und später für die PS4 erschien. Den Geist dieses Titels merkt man Celeste durchaus noch an, die Pixelgrafik ist zwar farbenfroh, Sprites sind in der Regel aber relativ klein, im hautfarbenen Gesicht von Madeline ist daher noch nicht einmal Platz für Augen, Nase oder Mund. Macht aber nichts, denn die Entwickler schaffen es trotzdem, ihrer Protagonistin von der ersten Sekunde an Charakter zu verleihen. Madeline wirkt verunsichert als sie den Berg besteigt, aber irgendwie hat sie das Gefühl, es einfach tun zu müssen. Und in Windeseile fühlt ihr euch so, als seid ihr dazu berufen, sie in ihrem Vorhaben zu unterstützen. Eine der Stärken von Celeste ist nämlich seine "Handlung", Madelines Kampf mit sich selbst und dem Berg. Eine kleine Geschichte über Depressionen, Angstzustände und den Berg, den es dabei zu überwinden gilt. Das, oder man ignoriert diesen sehr starken Teil des Spiels und kümmert sich nur um den Hüpfer, das geht auch.
Celeste spielt sich wie eine Mischung aus Super Meat Boy und Ori and the Blind Forest. Soll heißen: Ihr bewegt euch in Spielabschnitten, die oft nur einen Bildschirm groß sind und fallt dabei unendlich oft in irgendwelche Fallen, zerplatzt in Stacheln oder stürzt in bodenlose Abgründe. Aber einer dieser Bildschirme reiht sich an den anderen und gemeinsamen ergeben alle ein zusammenhängendes Kapitel, das allzu oft mit einem Höhepunkt endet - Höhepunkt im negativen Sinne manchmal. So wird Madeline bisweilen von einem bösen Alter Ego ihrer selbst verfolgt und stirbt bei Kontakt. Was fies ist, weil dieses Alter Ego im Grunde nur genau jene Bewegungen nachmacht, die ihr selbst vormacht, allerdings in der gleichen Geschwindigkeit. Ihr lauft vor euch selbst weg, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn ihr euch selbst trefft, seid ihr tot und dürft den Abschnitt von vorn beginnen.
Wie in Super Meat Boy werdet ihr relativ schnell wieder am Anfang abgesetzt - mit relativ schnell meine ich: in ein bis zwei Sekunden. Der Fleischjunge war hier ein bisschen schneller, der war wirklich unmittelbar wieder da. In Anbetracht der vielen Tode, die ich in Celeste gestorben bin, hätte ich mir das auch hier gewünscht, aber das ist ein Luxusproblem. Aber ihr sterbt eben wirklich oft, was euch auch vorgehalten wird, wenn ihr eines der acht Kapitel beendet. Im Zweiten hat meine arme Madeline beispielsweise 132-mal ins Gras gebissen. War das anstrengend? Ja. So sehr, dass auf dem Weg in Kapitel 3 sogar meine Daumen angeschwollen sind, weil ich sie so hart auf die Analog-Sticks gepresst habe, wie mein Oberkiefer ohnehin wie von selbst auf meinen Unterkiefer gedrückt hat. Aber: An jedem dieser 132 Tode war ich selbst schuld und ebendas ist das Qualitätsmerkmal eines schwierigen, aber guten Platformers. Ihr sterbt oft, seid aber immer selbst schuld.
Natürlich könnt ihr aber verhindern, dass ihr sterbt. Beispielsweise indem ihr euch mit der Schultertaste an Wänden festkrallt. Das geht aber nur für eine gewisse Zeit, danach fallt ihr herunter. Damit ihr das nicht müsst, haben die Entwickler den Dash erfunden, damit könnt ihr euch praktisch mitten in der Luft in eine beliebige Richtung teleportieren. Allerdings klappt das nur einmal, danach nicht mehr. Es sei denn, ihr schafft es, im Flug einen bestimmten Kristall zu berühren, dann habt ihr den Dash erneut zur Verfügung. Das gleiche passiert, wenn ihr den Boden berührt. Erstaunlich ist, dass Celeste bis zum Ende mit diesen Grundmechaniken auskommt. Ihr bekommt keine neuen Fähigkeiten. Und trotzdem verändert sich Celeste - über das Leveldesign. So gibt es beispielsweise im zweiten Level spezielle Plattformen, durch die ihr in gerader Linie dashen könnt, im dritten dafür solche, die sich nach einem Kontakt langsam in Lava verwandeln. Jedes Kapitel spielt sich dadurch ein bisschen anders und ebendas führt dazu, dass ihr immer neue Möglichkeiten finden müsst, euren Dash anzuwenden.
Und natürlich trefft ihr auch auf Räume, von denen ihr gar nicht glaubt, dass sie irgendwie bezwingbar sind. Aber sie sind es, alle von ihnen. Das lernt ihr halt nur oft auf die harte Tour. Manchmal hatte ich beim Spielen das Gefühl, ich komme nach jedem Tod etwa fünf Pixel weiter, aber der Fortschritt war dennoch spürbar und eben das Gefühl hat mich stets bei der Sache gehalten und dazu geführt, dass ich nie aufgeben wollte. Der Grund ist schlichtweg brillantes Leveldesign. Celeste reizt und belohnt euch an den exakt richtigen Punkten, es regt euch auf, wenn ihr gerade gelangweilt seid und es beruhigt euch, wenn der Blutdruck schon wieder viel zu hoch ist. Was ihr lernt, müsst ihr auch einsetzen, denn je weiter ihr den Berg Celeste besteigt desto schwerer wird's naturgemäß. Und vielleicht werdet ihr irgendwann auch mal frustriert den Controller weglegen. Aber nie für lange Zeit.
Celeste eignet sich übrigens absolut hervorragend für die Switch. Darauf habe ich es gespielt und insbesondere im Handheld-Modus sehr genossen. Auf dem großen Bildschirm wirkten die Pixel dann im Vergleich schon ein wenig gigantisch. Das ist aber vermutlich Gewöhnungssache. Unabhängig von der Plattform braucht ihr für das einmalige Durchspielen etwa acht bis neun Stunden. Danach könnt ihr euch noch aufmachen, versteckte Erdbeeren zu sammeln. Die sind noch schwerer zu finden als die Level im normalen Fall zu schaffen sind. Was vermutlich der Grund ist, warum euch Celeste im Ladebildschirm sagt, dass ihr sie wirklich nicht unbedingt sammeln müsst, wenn ihr nicht wollt. Sie bewirken nämlich spielerisch nichts. In gerade erwähntem Speicherbildschirm raten die Entwickler übrigens auch: Sei stolz auf deine Tode! Naja, euch bleibt ja auch nichts anderes übrig ... Speichern bleibt euch übrig! Das könnt ihr nämlich in jedem einzelnen Bildschirm und setzt euer Spiel dann genau dort fort. Allzu lange Rücksetzpunkte gibt es also nie, was Celeste selbst für jene empfehlenswert macht, die vielleicht nur ab und zu mal Lust auf einen kleinen Hardcore-Platformer haben, aber nicht, sich immer durch ein komplettes Kapitel zu quälen.
Celeste ist ein hervorragendes Jump'n'Run, das es nicht so sehr durch die Hüpf- und Springmechaniken seiner Hauptfigur, sondern durch sein Leveldesign schafft, wirklich herausragend zu sein. Celeste ist mechanisch keinen Deut schlechter als ein Super Meat Boy. Seine simple und doch so vielschichtige "Handlung" erzählt es herausragend und nur grafisch nicht so detailliert wie Ori. Dazu hat es seinen ganz eigenen Charme und das, obwohl die Protagonistin nur in Dialogsequenzen überhaupt ein Gesicht bekommt. Das Gameplay selbst ist so eingängig, dass ihr euch irgendwann so fühlt als sei der Controller ein Teil eures Arms. Spielt, Celeste. Das ist was Gutes.
Entwickler/Publisher: Matt Makes Games Inc./Matt Makes Games Inc. - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One, Switch - Preis: 19,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: Switch - Sprache: deutsche Bildschirmtexte - Mikrotransaktionen: Nein