Pillars of Eternity II: Deadfire - Test
Neu: Jetzt mit Piraten! Und immer noch fantastisch.
Lust auf ein Abenteuer? Ein wirklich großes, mit riesigen, alles totstampfenden Monstern, Piraten, Echsenmenschen, menschlicher Zwietracht, Drama, Tod, Krankheit und Verderben? Könnt ihr haben! Kauft einfach Pillars of Eternity II und ihr braucht den Rest eures Lebens vielleicht kein anderes Rollenspiel mehr. Sofern ihr denn Party-Rollenspiele mögt, die es sich ganz eindeutig und freimütig in den Fußstapfen von Baldur's Gate und Konsorten bequem machen. Seid ihr so ein Typ, habt ihr vermutlich auch den ersten Teil gespielt und das ist gut, denn euren Spielstand könnt ihr direkt in den zweiten Teil importieren.
Wollt oder könnt ihr das nicht: Auch kein Problem. Stattdessen dürft ihr relativ einfach wählen, in welche Richtung eure Entscheidungen gegangen sind oder wären und das Spiel verhält sich dann entsprechend. Der Einstieg ist einfach - selbst für solche Spieler, die den ersten Teil noch nie gespielt haben. Und das ist ein Vorteil, betrachtet man beispielsweise Divinity: Original Sin. Das und sein Nachfolger waren zweifellos herausragende Spiele, aber wer neu im Genre war, fühlte sich mutmaßlich erschlagen. Hier nicht.
Pillars of Eternity II setzt die Geschichte da fort, wo der Vorgänger aufgehört hat, wobei ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten möchte. Ihr seid ein Mensch, der auf der Suche nach seiner Seele ist, aber auch noch andere Probleme hat. Hauptproblem ist in diesem Fall der alte Gott Eothas. Der stapft durch das Deadfire-Archipel als gäbe es kein Morgen und zerstört jeden Hort der Zivilisation, der ihm unter die Füße kommt. Wie Godzilla durch Tokio. Er hinterlässt sogar Fußspuren und die verwirrten Gestalten, die in dieser Welt leben, haben auch nichts Besseres zu tun, als sich entweder ihrem religiösen Wahn hinzugeben oder in diesen Fußspuren zu graben.
Manchmal finden sie da was, manchmal nicht - aber egal, denn Religion ist ein bestimmender Faktor in der Welt von Pillars of Eternity II. Die Menschen glauben nicht, dass ihre Götter existieren, sie wissen es. Insofern ist es von Vorteil, wenn ihr oder einer eurer Kollegen ein gewisses Grundwissen in der Theologie des vorliegenden Universums mitbringt.
Das bringt mich allerdings schon zu einem Hauptmerkmal der Welt, in der Pillars of Eternity II spielt. Sie ist absolut herausragend geschrieben. Jede Figur scheint irgendwie zu glauben, was sie sagt. Gar nicht so sehr, weil die Sprachausgabe so überzeugend wäre oder der deutsche Text - das ist auch der Fall. Aber viel mehr, weil alles, was die Figuren sagen, so gut in diese Welt passt. Und eben deshalb ist das Universum des Spiels eine Welt, in der es sich lohnt, sich zu verlieren - und in der ihr euch auch verlieren wollt. Das namensgebende Deadfire-Archipel ist eine karibisch anmutende Inselwelt. Das grundsätzliche Spielprinzip hat sich seit dem ersten Teil nicht allzu sehr geändert. Ihr steuert eine Gruppe von maximal fünf (nicht mehr sechs) Helden aus isometrischer Perspektive über die Welt. Trefft ihr auf Gegner, hält das Spielprinzip automatisch an und ihr könnt in Ruhe überlegen, welche eurer Figuren welche Fähigkeit einsetzen soll. Ein erneuter Druck auf die Leertaste setzt das Spielgeschehen fort. Dieses Prinzip hat schon in Baldur's Gate und natürlich auch im ersten Teil von Pillars gut funktioniert - und es funktioniert noch immer.
Überarbeitet hat Obsidian die Begleiter-KI. Während einzelne Figuren im Vorgänger gern mal nicht gerade den direktesten Weg zum Gegner genommen haben und ihr dagegen eigentlich nichts tun konntet, könnt ihr jetzt die KI eurer Kollegen manuell anpassen, also ziemlich genau einstellen, welche Rolle sie im Kampf übernehmen sollen. Der Zeitlupenmodus lässt die Kämpfe zusätzlich langsamer ablaufen und sorgt so dafür, dass ihr auch im laufenden Kampf mal korrigierend in das Geschehen eingreifen könnt ohne immer gleich auf die Leertaste hämmern zu müssen. Das sorgt für Entspannung und mindert deutlich das Frustpotenzial, das Kämpfe im ersten Teil teilweise noch hatten.
Die vielleicht größte Neuerung im Vergleich zum Vorgänger ist jedoch die Schifffahrt. Diese ersetzt als eine Art mobile Basis die Burg aus dem ersten Teil. Euer Kahn dient also nicht nur dazu, dass ihr von Insel A zu Insel B kommt, ihr könnt auch bestimmen, welche Figur auf welchem Posten arbeitet. Einige Figuren sind besser als Steuermann geeignet, andere als Kanoniere. Euer Schiff könnt ihr mit neuen Waffen ausstatten und auch sonst immer wieder aufrüsten. Zusätzlich müsst ihr dafür sorgen, dass ihr immer genug Proviant an Bord habt - und dass es der richtige Proviant ist.
Bekommen die Matrosen nämlich nur Zwieback zu futtern, wirkt sich das auf die Moral aus und eine niedrige Moral kann im Fall einer Auseinandersetzung mit einem Feind ein entscheidender Nachteil sein. Bei den Seeschlachten dürft ihr nun allerdings keine gänzlich neuen Spielmechaniken erwarten, die spielen sich im Grunde als interaktiver Dialog, in dessen Verlauf ihr die feindliche Schaluppe allerdings auch entern könnt. Der Kampf Mann gegen Mann spielt sich dann wieder wie jedes andere Gefecht in Pillars II. Die Seefahrt macht insgesamt durchaus Spaß und hat mich hin und wieder sogar dazu verführt, einfach ziellos über das Meer zu schippern und neue Inseln und Gebiete aufzudecken - ganz ohne irgendeiner Questlinie zu folgen. Zusätzliche Anreize bieten Kopfgeldjagden sowie Handelsmissionen und Kartografieaufträge.
Bei aller Erkundungsfreude ist Pillars of Eternity II in seinem Kern aber immer noch ein ziemlich traditionelles Rollenspiel. Eure Figuren haben einen Mix an verschiedenen Fertigkeiten und noch viel mehr Talente für den Kampf. Die könnt ihr bei jedem Stufenaufstieg steigern, wobei die Talentbäume hier von Klasse zu Klasse sehr unterschiedlich ausfallen. Schließt sich eine neue Figur der Gruppe an, habt ihr die Wahl zwischen mehreren Klassen und Mischklassen und natürlich gibt's für all diese Charaktertypen auch jede Menge unterschiedliche Ausrüstungsgegenstände - vom Zauberstab bis zur Plattenrüstung ist alles dabei, was sich der Fantasy-Freund wünschen kann. Im Gefecht kommt es darauf an, dass ihr eure gelernten Fähigkeiten gezielt nutzt, wobei das Spiel optional auch viele Zugeständnisse macht, die im Sinne von Genre-Neulingen sein dürften.
Damit meine ich vor allem die verschiedenen Schwierigkeitsgrade. Ihr habt nicht nur die Wahl zwischen leicht, mittel, schwer und extrem schwer, ihr könnt auch die sogenannte Märchenstunde wählen, eine Art Story-Modus, bei der es wirklich hauptsächlich um das Erleben der Geschichte geht. Besonders löblich sind die Optionen, die euch das Spiel bei der Stufenskalierung der Gegner bietet. Ihr könnt selbst entscheiden, ob deren Level an das eure angepasst werden soll, ob ebendas nur nach oben hin geschehen soll, ob es nur bei Kämpfen geschehen soll, die relevant für die Geschichte sind oder ob die Gegner eben gar nicht mitleveln.
Auf den einfacheren Schwierigkeitsgraden ist eine Feinjustierung der Fähigkeiten eurer Party im Kampf was gar nicht mehr nötig, dann spielt sich Pillars of Eternity II fast wie ein simplifiziertes Diablo. Auf höheren Schwierigkeitsgraden werdet ihr dagegen nicht umhin kommen, eure Kämpfe wirklich genau zu planen. Vielleicht wollt ihr ja sogar vor dem Kampf ein paar Fallen auslegen und eure Gegner hineinlocken?
So ein Rollenspiel ist aber natürlich nichts ohne eine gute Geschichte - und auch hier glänzt Pillars of Eternity II. Vor allem, weil ihr immer wieder wichtige Entscheidungen treffen müsst, das Spiel aber nicht wirkt, als hätte es euch alle möglichen Pfade in Gut-Böse-Manier vorgegeben. Wie ihr vorgeht, ist allein eure Sache - wenn ihr ein gestohlenes Artefakt wiederbeschafft, könnt ihr also selbst überlegen, ob ihr den, der es hat, lieber erschlagen wollt oder ob ihr ihm einen Gefallen tut, damit er es von selbst herausgibt. Was aber, wenn dieser Gefallen eigentlich gar nicht eurer Agenda entspricht? Vielleicht macht ihr es dann wie ich und wartet einfach bis derjenige schläft. Dann klaut ihr den gesuchten Gegenstand schlichtweg. Hättet ihr die Figur nun erschlagen, hätte das weitreichende Folgen haben können, denn sie hätte euch dann später im Spiel unter Umständen eine bestimmte Quest nicht mehr geben können.
Die Entscheidungen in Pillars of Eternity II fühlen sich ein bisschen an, wie die im echten Leben. Kleinigkeiten können gravierende Folgen haben. Möglicherweise wäre ich gar nicht mehr in der Lage, diesen Artikel zu schreiben, wenn ich heute morgen fünf Minuten später das Haus verlassen hätte. Vielleicht hätte mich dann ja der Bus überfahren? Es ist nicht ganz einfach, die Zahnräder zu durchblicken, die im Hintergrund von Pillars of Eternity II rattern, aber es wirkt, als seien viele Missionen irgendwie miteinander verzahnt. Ihr lebt nicht nur in dieser faszinierenden Welt, ihr nehmt auch direkten Einfluss auf sie.
Die Geschichte entwickelt sich teilweise übrigens auch unterschiedlich, je nachdem wie ihr eure Skill-Punkte verteilt habt. Nicht nur, weil ihr je nach Fähigkeit eben in bestimmten Situationen lügen könnt oder nicht, auch weil eure Party-Mitglieder sich gern mal ins Gespräch einmischen. Dabei wirkt es bisweilen so, als verfolgten sie eine eigene Agenda. Das kann von Vorteil sein, beispielsweise wenn ein religiös sehr bewanderter Charakter euch im Gespräch mit einer ebenfalls religiösen Figur weiterhilft, es kann sich aber auch negativ auswirken, wenn euer undiplomatischer Kollege euch mit einer allzu flapsigen Bemerkung die Tour versaut. Trefft ihr eine in den Augen eurer Begleiter falsche Entscheidung, kann es sogar passieren, dass sie die Party ganz verlassen. Als wichtig erweisen sich im Spielverlauf auch die vier verschiedenen Fraktionen Huana, Vailanische Handelsgesellschaft, königliche Deadfire-Gesellschaft und Príncipi. Je nachdem, wie ihr euch mit ihnen stellt, helfen euch einzelne NPCs vielleicht eher weiter als andere. Erfüllt ihr bestimmte Quests, könnt ihr bei ihnen an Einfluss gewinnen.
Die Spielwelt selbst wirkt deutlich lebendiger als die des Vorgängers. Sanfte Brisen wehen durch die reichhaltige Pflanzenwelt einiger Inseln, auf anderen fliegt euch der Sand um die Ohren. NPCs stehen in den meisten Fällen nicht mehr einfach nur an einem Fleck, sie gehen einem Tagwerk nach und befinden sich zu unterschiedlichen Tageszeiten an verschiedenen Orten. Lichteffekte machen diese Umgebung noch lebendiger, ebenso wie die Sound-Untermalung. In Hafenkneipen hört ihr genau die Art von Piraten-Musik, die ihr dort erwarten würdet, in dunklen Höhlen und uralten Gräbern tropft es nur ab und zu mal oder ihr hört ein unheimliches Geräusch aus dem Dunkeln. Eine Spielwelt, in der man wirklich gern die 50 bis 60 Stunden verbringt, die es braucht, um Pillars of Eternity II durchzuspielen.
Pillars of Eternity II ist fantastisch. Punkt. Ich habe noch nie ein klassisches, isometrisches Rollenspiel erlebt, dass es schafft, ein wirklich komplexes Skill-System mit spannenden Kämpfen und einer tollen Geschichte zu verbinden und gleichzeitig so einsteigerfreundlich zu sein. Die Spielwelt ist ideenreich und liebevoll ausgestaltet, die Figuren sind allesamt glaubwürdig und jede eurer Entscheidungen fühlt sich relevant und schwierig an. Ihr seid euch nie sicher, ob ihr gerade das Richtige getan habt. Das Piraten- Szenario fühlt sich überraschenderweise überhaupt nicht aufgesetzt an, euer Schiff funktioniert als mobile Basis hervorragend. Das ohnehin schon bewährte Kampfsystem wurde gegenüber dem Vorgänger nochmal verbessert. Wer in seinem Herzen auch nur ein kleines Plätzchen für Rollenspiele übrig hat, kommt an Pillars of Eternity II nicht vorbei.
Entwickler/Publisher: Obsidian Entertainment/Versus Evil, Obsidian Entertainment - Erscheint für:PC, PS4, Xbox One, Switch - Preis: etwa 50 Euro - Erscheint am: PC: erhältlich, Konsolen: Ende 2018 - Getestete Version: PC - Sprache: deutsche Bildschirmtexte, englische Sprachausgabe - Mikrotransaktionen: Nein