State of Decay 2 - Test
Von Ambitionen und Prioritäten.
Lustig, wie das mit Ambitionen so ist. Vor etwa fünf Jahren konnte man Undead Labs höchstens vorwerfen, sich bei der Umsetzung des ersten State of Decay ein wenig verhoben zu haben. Es war streng genommen kein schönes Spiel, voller Glitches und vor allem schlüsselte es dem Spieler nicht gut genug auf, was die simulierten Lagerverhältnisse der Überlebenden dieser Survival-Simulation untereinander beeinflusste. Aber Herrschaftszeiten, es traute sich was, machte ein paar Sachen, auf die andere bis dahin (und seither) nicht kamen, oder vereinte zumindest welche, die so noch nicht zusammengekommen waren. Das Resultat war die unfassbar spannende Version davon, was man sich unter einem spielbaren Walking Dead vorstellt.
Teil zwei nimmt sich ein deutlich bescheideneres Ziel vor die Brust: nämlich das Konzept des Debüts zu einem Ende auszuformulieren, das vor fünf Jahren einfach noch nicht in Reichweite war. Nicht wenige werden dem Sequel Bequemlichkeit und Stagnation attestieren oder es zumindest als etwas zu vertraut empfinden. Alles bleibt beim Alten, auch wenn ihr diesmal einen von drei verschiedenen Landstrichen wählt, um euch einer grassierenden Zombie-Epidemie ein Stückchen Leben abzutrotzen. Tatsächlich spielen sich gerade die frühen Stunden kaum anders. Ihr sucht euch ein Camp aus, entscheidet, welche Anlagen im knapp bemessenen Platz errichtet werden sollen, und zieht aus, um diverse Ressourcen zu sichern.
Die lassen sich grob in drei Bereiche einteilen. Am wichtigsten sind Ressourcen für die Managementebene: Nahrung, Medizin, Munition, Benzin und Baustoffe, die allesamt in großen, schweren Säcken zu finden sind, von denen man immer nur einen gleichzeitig tragen kann. Sie alle werden bei der Aufrechterhaltung der Basis täglich oder beim Crafting verbraucht und je nachdem, wie ihr euer Camp ausstattet, müsst ihr andere Dinge von externen Quellen besorgen. Ein großer Garten sorgt zum Beispiel dafür, dass ihr seltener nach Nahrung suchen müsst, während ein Wachturm zwar den Bereich um das Lager besser sichert, aber auch Munition verbraucht.
Die nächste Kategorie wären Ge- und Verbrauchsgegenstände: Neben Waffen von ziviler bis hinauf zu militärischer Güte findet ihr Ausdauer und Gesundheit wiederherstellende Verbrauchsgegenstände, Explosiva und Brandsätze sowie diverse Items, die die Aufmerksamkeit der Zombies auf sich lenken, sowie größere Rucksäcke für bis zu acht Gegenstände. Bei Fahrzeugen, die euch durch die drei separaten Open-World-Maps tragen, entscheidet ihr unterdessen zwischen Stauraum und Geschwindigkeit - fast immer zugunsten von ersterem, denn größere Kofferräume bedeuten längere Erkundungstrips. Modifikationen für eure Einrichtungen versorgen sie unter anderem mit Strom (Generator) oder Wasser (Wasserkühler) und öffnen so neue Upgrade-Pfade.
Zu guter Letzt gibt es Luxusgüter von Zahnpasta bis hin zu Büchern, die man beim Handel mit anderen Überlebenden-Enklaven zu Einfluss - die Währung von State of Decay - oder Waren machen kann. Und so kommt eins zum anderen: Neue Überlebende gesellen sich durch eure Heldentaten hinzu, vielleicht weil ihr auf der Suche nach Medikamenten einen Notruf erhieltet und die gute Tat ohnehin entlang eures Weges lockte. Es bleibt euch überlassen, ob ihr ein weiteres Maul aufnehmt, das es zu stopfen gilt. Aber wenn ihr auf die Richtigen trefft, ist der Deal alles andere als ein Nullsummenspiel.
Jede Figur bringt nach Art eines übersichtlich vereinfachten Rollenspiels neue Talente mit. Die sind nicht nur zum Zerlegen der Zombies da - Schwertkampf, Schusswaffenexpertise, Handgemenge -, sondern ermöglichen unter Umständen auch den Bau fortschrittlicher Basiseinrichtungen. Eine Brennerei (Chemie), ein Garten (Gartenbau) und oder bestimmte Werkstatt-Upgrades zum Beispiel. Die Liste ist angenehm lang und je nach gewählter Basis sind andere Dinge möglich (was es durchaus attraktiv macht, bei Bedarf eine andere Heimstatt zu sichern und umzuziehen). Ist die Nahrung eh knapp und habt ihr keine Verwendung für den Überlebenden, könnt ihr aber auch ablehnen, ihn aufzunehmen. Es brach mir jedes Mal das Herz, war aber in meinem Fall nicht selten nötig.
Viele Überlebende sind ebenfalls mit eigenen Basen in Enklaven organisiert. Sie werden euch regelmäßig anfunken und euch um einen Gefallen bitten. Diese Enklaven können diverse Spezialisierungen haben und je mehr ihr ihnen unter die Arme greift, desto mehr könnt ihr auf ihre Talente zugreifen. Eine Mechanikersippe etwa bot irgendwann an, mir gegen Einflusspunkte auf einen Funkspruch hin Fahrzeuge zu bringen, oder versorgte mich mit Sprit. Das Verhältnis kann aber auch ins Gegenteil umschlagen und selbst befreundete Enklaven können irgendwann ihre Sachen packen und gehen, was eine schmerzliche Erfahrung ist und in meinem Fall auch spürbare Auswirkungen hinterließ.
Feindliche Enklaven haben leider weniger Auswirkungen, ein echtes Wechselspiel ist hier nicht zu verzeichnen, außer, dass euch ihre Missionen und eventuelle Spezialisierungen abhandenkommen und ihr im Fall einer tödlichen Auseinandersetzung mit ihnen je nach Gemüt eurer Schützlinge Moralboni einfahrt - während ihr euch über teils extrem gutes Loot freut.
Wie schon im Vorgänger jongliert ihr haarsträubend viele Bälle gleichzeitig und das Spiel zählt darauf, dass ihr hier und da einen oder mehrere fallen lasst. Nur so generiert es seine Geschichten von Heldentaten und Tragödien. Es lebt davon, euch in alle erdenklichen Richtungen zu zerren, und riskiert gerne, euch dabei zu vierteilen. Undead Labs nimmt wissentlich in Kauf, dass manche Spieler in eine Unglücksspirale geraten, die das Überleben manchmal ganz schön eintönig machen kann. Wenn man mal wieder Moralkrisen wegen mangelnder Nahrung mit ewigen Besorgungsfahrten bekämpft oder ressourcenfressende Metzeltouren unternimmt, um Infektionsherde oder die neuen Seuchenherzen auszuschalten, weil zu Hause deshalb alle den Kopf hängen lassen, wird es manchmal alles etwas viel.
Oft genug ist man allerdings nicht ohne Grund in dieser Situation, setzte vermutlich seine Prioritäten falsch und beging entscheidende Fehler. Dass State of Decay diese Fehler zulässt, war schon im ersten Teil sein größter Verdienst. Mein Tipp, wenn ihr das Gefühl habt, eure Enklave ist nicht mehr zu retten: Zieht auf eine der beiden anderen Karten um. Der Plattenputz, den eine neue Basis darstellt, tut gut und nicht selten bieten neue Camps schon von Beginn an die Einrichtungen, die euch bisher fehlten. Dazu kommen neue, prozedural generierte NPCs und Enklaven, die wieder neue Wege offenbaren.
Sich unentwegt am Limit zu fühlen, das ist Teil der DNS dieses Spiels. Die Frage ist, ob ihr Loot Loot sein lasst und die Weisheit an den Tag legt, eurer Enklave den Weg zu weisen, der sie vorwärts bringt. Ich habe diesen Balanceakt auch im zweiten Teil sehr genossen und sehe mich das Spiel das ganze Jahr hindurch immer mal wieder für einen neuen Durchlauf starten. Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, ist die neue Richtung, die euch das frische Anführer-Feature durch das Abenteuer gibt. Sobald eine Figur zum Helden aufsteigt, befördert ihr sie zum Anführer. Je nach deren Klasse - unter anderem Sheriff, Händler oder Warlord - gibt es ein anderes Ziel, das ihr erfüllen müsst. SOD 2 nennt das "Vermächtnis" und meint eine Reihe von Voraussetzungen und Missionen, um schließlich das Spiel zu "gewinnen". Danach stehen eure Überlebenden für einen frischen Durchlauf - vielleicht auf einer neuen Karte - erneut zur Verfügung. Klar, irgendwann wiederholt sich alles, aber das ist ein nettes Element und bringt das Spiel voran.
Bis hierhin klingt State of Decay 2 nach der bestmöglichen Version seiner selbst. Allerdings hat es wie schon der erste Teil eine Menge Probleme. Ich spielte auf dem PC und wurde von den schlimmsten Bugs und schlechter Performance weitestgehend verschont, was man von unseren englischen Kollegen, die auf der Xbox spielten, nicht sagen kann. Klar, Begleiter verschwanden vorübergehend einfach oder waren nicht ansprech- und damit spielbar. Aber das legte sich immer irgendwann von selbst. Ein andermal war eine sichtbar offene Tür noch geschlossen und musste pantomimisch erst wieder geöffnet werden. Und ein NPC legte mir zur Belohnung einen Ressourcensack an eine Stelle, die ich nicht erreichte. Andernorts spawnt schon mal ein Zombie in der Luft und eine Figur drohte trotz stabiler Moral noch zu verschwinden. Aber nichts davon konnte mir den Spaß an dieser Tortur von einem Survival-Spiel vergrätzen.
Beschwerlichkeit: Wann immer sich SOD2 nach Arbeit anfühlt, ist meistens die Benutzerführung oder die KI schuld. Zum einen kann es an Orten mit vielen interaktiven Punkten schwierig sein, die Aktion auszulösen, die man gerade wollte. Wie oft ich beim Betanken meines Wagens aus Versehen in ihn einstieg oder meinen KI-Begleiter ansprach, obwohl ich etwas aufheben wollte, habe ich irgendwann aufgehört zu zählen. Das ist die Sorte Problem, auf die selbst manch weniger komplexe Spiele keine bessere Antwort haben, als "Gewöhn' dich dran" - was man dann auch tut. Es sei trotzdem gesagt.
Wirklich doof ist auf jeden Fall, dass KI-Begleiter auf Beutezügen nie dabei helfen, die gefundenen Rohstoffe aufzuheben und zu tragen. Ein einfaches Menü, in dem man Gegenstände zwischen den Inventaren der beiden auf Beutezug befindlichen Figuren hin und her schieben darf, existiert ebenfalls nicht. Und weil man Sachen aus einem Container auch nicht gegen Items im Inventar tauschen kann, wird es teilweise unfassbar fummelig, weil man erst was Unwichtiges weglegen muss, bevor man wieder etwas an sich nimmt.
Dazu passt, dass man zwar mit einem Truck voller dringend benötigter Medikamenten- und Nahrungssäcke vor der Basis vorfahren kann, aber niemand kommt, um die Sachen ins Lager zu tragen. Auch euer Begleiter schaut weiterhin lieber zu. Ihr könnt zwar zu ihm wechseln und ihn manuell beladen, euer Ding machen und dann immer zwischen Lager und Gefährt hin und her. Aber hier hätte ich mir mehr Automatisierung gewünscht und weniger Zeit und Nerven kostendes Mikromanagement.
Eine im ersten Teil noch nicht verfügbare Vereinfachung ist offenbar dem Mehrspielermodus zum Opfer gefallen. Ich kann nur raten, aber dass man Ressourcen, die man selbst nicht mehr schleppen konnte oder wollte, nicht mehr von einem gerade unbeschäftigten Mitglied seines Camps holen lassen kann, um - so glaube ich - Kooperation unter menschlichen Spielern anzuregen, ist unfassbar schade. Es war ein schöner Risk-Reward-Poker: So verlockend es auch war, die Sachen nicht selbst zurückzukarren, so mulmig stimmte es einen doch immer, weil man befürchtete, einer wertvollen Figur könne dabei Schlimmes zustoßen. Dass man oftmals auf der Map über seine Freunde stolperte, wie sie gerade den zugeteilten Auftrag erledigten, war einfach nur cool. Jetzt sind sie allesamt Stubenhocker. Vielleicht liegt es auch daran, dass Undead Labs die natürlich sehr wertvollen Charaktere diesmal ohne euer Zutun nicht in Lebensgefahr bringen wollte.
Da man im Spiel laufend neue Funksprüche freischaltet, die eure Fähigkeiten erweitern, sofern man den richtigen Leuten hilft, kann ich nicht ausschließen, dass man unter Umständen doch an dieses Feature gelangt. Mir blieb es in dreißig Stunden verwehrt, obwohl es bereits von Anfang an eine sinnige und auch nicht übermächtige Bereicherung gewesen wäre. State of Decay würde es guttun, zumindest die Option zu bieten, viel von den grundlegenderen Tätigkeiten an seine Untergebenen auszulagern, etwa Infektionsherde zu bereinigen, die auf die Moral drücken. Hier greift die Management-Ebene des Camps zu kurz und sorgt für die Mühsal, die dann dafür verantwortlich ist, dass man bei allem Spaß und aller Spannung öfter mal eine Pause einlegen muss.
Eher nebensächlich, aber immer noch etwas schade war für mich, dass die Äußerungen von Überlebenden oft nicht den Umständen angemessen sind. Man erwartet zum Beispiel, dass Figuren, die zu Beginn als Pärchen vorgestellt wurden, etwas darüber zu sagen hätten, wenn die bessere Hälfte den Löffel abgibt. Stattdessen gibt's die Standardmonologe und Ausrufe, dem jeweils greifenden Gemütszustand entsprechend. Man sieht überdeutlich, es ist ein Spiel, dem es genügt, im Hintergrund diverse Werte miteinander zu verrechnen. Emotional unterkühlt wirkt es trotzdem nie, man muss sich diese Geschichten nur eben selbst dazudenken.
State of Decay 2 macht ein paar Schritte nach vorne (Ziele, Lesbarkeit, Umfang, Basenbau), einen zurück (Eigenleben der Mitbewohner) und viele, ohne sich großartig von der Stelle zu bewegen (Glitches, Technik, Interface). So sehr es ab und an wie eine große Erweiterung von Teil eins aussieht, so sehr ist es doch immer noch das Zombie-Spiel, das man sich wünschte, seit man das erste Mal einen Walking-Dead-Comic las. Und das man trotz der Steilvorlage, die der erste Teil vor fünf Jahren für größere und finanziell besser aufgestellte Studios eigentlich darstellte, seither nie bekam.
Womit wir wieder bei Ambitionen wären. Wie der Anführer eines florierenden Überlebenden-Camps analysierte Undead Labs zumindest die Stärken seines Erstlingswerk sehr treffend und wusste, wo man sich schon weit genug gestreckt hatte. Hätten sie in den Jahren seither ein vergleichbares Auge für die Schwächen entwickelt, spräche ich heute von State of Decay 2 als modernem Klassiker. Wie es ist, bleibt es bei einem waghalsig-verspielten, windschiefen Mix aus Sims-Management, Basenbau und Action für Tüftler, der zu immenser Spannung und beklemmenden Sisyphos-Übungen gleichermaßen fähig ist. Ich habe meine Zeit damit genossen.
Entwickler/Publisher: Undead Labs / Microsoft - Erscheint für: PC / Xbox One - Preis: 29,99 Euro - Erscheint am: 22.05. - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein - Getestete Version: PC