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Fallout 76 - Test: Das Ende dieser Welt, wie wir sie kennen?

Aber mir geht's gut.

Nur fast ein Fallout, dafür aber mit sehenswerter Welt: Insgesamt zu mühselig, technisch unfertig und als Survival-Spiel erschreckend zahm

"Die Welt fühlt sich ohne NPCs einfach leer an", ist dieser Tage ein vielgehörter Kritikpunkt an Fallout 76. Das Ding ist, ich bin nicht sicher, ob das dem Erlebnis wirklich abträglich ist, denn im Grunde ist es Teil des Deals. Vault 76 ist die erste, die Jahre nach dem Nuklearkrieg, der unsere Zivilisation beendete, wieder aufgeht, damit ihre Bewohner Stück um Stück die Erde zurückerobern. Die Welt fühlt sich leer an, weil sie das nach der totalen Auslöschung und vorübergehenden, kompletten Unbewohnbarkeit einfach sein musste und das prägt auch ein gutes Stück der Atmosphäre.

Ihr seid die ersten hier. Versuchskaninchen und Pioniere, die dafür sorgen, dass in Fallout 3, 4 und vermutlich irgendwann 5 sich wieder erste Gesellschaften herausgebildet haben werden. Die Einsamkeit gehört ergo dazu, wenn man neben vielen anderen Vault-Bewohnern durch den verstrahlten Unrat einer Gesellschaft stapft, der ihre Liebe zur Bombe zum Verhängnis wurde. Sie ist sogar einer der wenigen wirklich neuen Impulse, die dieses Spiel zu setzen in der Lage ist, denn ansonsten fühlt sich nach Fallout 4 alles wahnsinnig vertraut an.

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Ghoule, Maulwurfsratten, Rad-Skorpione. Waffen-Modding, Power-Armor, Basenbau. Quests, in deren Richtung man läuft, nur um nach einer halben Stunde komplett woanders zu landen, weil man entlang des Weges immer noch etwas anderes entdeckte. Kein Container, den man nicht aufmacht, um darin nach Kronkorken, Klebstoff, Metallresten und der selbstverständlich allgegenwärtigen Munition zu suchen. Aber was heißt "suchen"? Man macht einfach alles auf und nimmt im Grunde blind mit, was drin ist. Kommt einem bekannt vor, oder? Nicht weniger vertraut als das Joch, das schon in Fallout 4 buchstäblich schwer auf dem Spieler wog: Keinen Kilometer läuft man, ohne sich über sein überladenes Inventar Gedanken zu machen. Nachdem jeder die Gewichtsbegrenzung in Fallout 4 so sehr hasste, dass es gefühlt mehr Leute mit der Mod spielten, die dieses Feature abstellte, als ohne, wundert es schon, dass Bethesda daran festhielt.

Ich hätte gut darauf verzichten können, stets zu überlegen, ob ich mal wieder meine Basis gegen ein paar Cola-Deckel verlege, um dort meine Taschen zu leeren oder jetzt einfach entgegen meiner Spielgewohnheiten mal ein paar Perk-Punkte in die Stärke investiere, nur damit ich endlich Ruhe habe. Aber die Entwickler dachten sich wohl, so etwas gehört zum Survival-Genre dazu. Im Grunde ist das auch akzeptierter Konsens, genauso wie essen und trinken vor diesem Kontext noch mehr Sinn macht als in der Basis-Reihe. Wenn man ehrlich ist, war Fallout ja schon immer irgendwo Survival. Aber in dieser Serie hat die "Überladen"-Mechanik einfach eine dermaßen ungute Geschichte, dass es wundert, wie sehr sie in Fallout 76 noch Thema ist.

Für diese Momente liebt man Fallout. Ja, auch dieses hier.

Das liegt vor allem daran, dass es von dem abhält, weshalb man eigentlich hier ist: Dem Erkunden. Versprengte Siedlungen malen auch ohne NPCs mal sarkastische, mal bestechend traurige Bilder von all den Enden, die die Menschen hier fanden. Auf einem Grab liegt ein Fußball, was mich als Vater eines Eineinhalbjährigen immer häufiger auf dem falschen Fuß erwischt, und signalisiert, dass am Untergang dieser Welt nicht alles so lustig war, wie die allgegenwärtige, süffisante Verballhornung des heute albernen Duck-and-Cover-tums des Kalten Krieges. Vielleicht war er auch nur zufällig dahingerollt, die Spielphysik macht's immerhin denkbar. Diese Welt erzählt immer noch eine Menge. In Audio-Logs und Tagebucheinträgen. Gute Geschichten sogar, von der Heilung oder dem Versuch einer Heilung einer neuen Seuche zum Beispiel.

Diese Welt zu erkunden, hat mir tatsächlich viel Spaß gemacht: In Gegner zu stolpern, die plötzlich deutlich höher im Level waren, als der Rest, den ich kannte. Und dann, ganz in Fallout-Manier, den Teufel tun und wegrennen. Selbstverständlich versucht man eine Weile, das Monster so zu cheesen, dass man es auch so legt, selbst wenn es alle Heilgegenstände und die letzte Patrone Munition kostet. Oder es zumindest von dem Safe weglockt, den es zweifellos bewacht und an den man sich dann anschließend anschleicht, um ihn zu plündern.

Ich liebe die vielen von Hand platzierten Details: Ausgetrocknete Flussbetten, die Autowracks samt Passagieren preisgeben, die im Blitz der Katastrophe in sie hineingestürzt sein müssen. Ringsum die bunten Koffer einer vor dem Krieg flüchtenden Familie. Ein Skelett an der Bar einer Kneipe, das so schief auf seinem Hocker sitzt, dass man meint, noch den Promillestand abschätzen zu können, den der Kerl gehabt haben muss, als er zum Pfeifen der runterkommenden Bomben den letzten Schwung Drinks in sich hineinschüttete.

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Allein, oft schleicht sich das Gefühl ein, dass das, was ihr in Logs und Tonaufnahmen so mitbekommt, deutlich spannender war, als das, woran ihr euch jetzt so macht, während ihr im Rahmen der gut geschriebenen Hauptquest dem Weg der Vault-Leiterin nachfolgt. Immer und immer wieder legt ihr lange Wege zurück, um glorifizierte Botengänge zu erledigen. Manchmal lohnen sie sich, oft genug wiederum hat man noch vor dem Ende vergessen, was man da gerade gemacht hat und warum. Ich folgte den Haupt- und Nebenquests trotzdem gerne, weil sie mir mehr von der Welt zeigten und davon erzählten, was hier passierte, bevor ich vorbeikam.

Auch die Interaktion mit anderen Spielern fühlt sich aktuell nicht wirklich bedeutsam an. Natürlich macht es mehr Spaß mit Freunden, aber was macht das nicht? Man hilft sich dabei, Ressourcen zu sammeln und besonders schwere Kämpfe zu bestehen oder bestreitet zusammen eins der regelmäßig aufpoppenden, kampfbasierten Events. Die Nukes wären das, was man in anderen Games Endgame-Content nennen würde, und wenn diverse Spieler ihre Teile eines Abschuss-Codes zusammenlegen, erzeugt der Einschlag der Rakete am Zielort eine verstrahlte High-Level-Zone rings um den Krater, in dem man besonders potente Rezepte und Gear finden kann - wenn man den besonders biestigen Monstern dort trotzen kann. Aber meistens tauscht man ein bisschen und bastelt zusammen. Wer hier ein "echtes" MMO erwartet, liegt fast genauso falsch wie diejenigen, die das nächste Kapitel der Fallout-Saga erwarteten. Das hier ist Survival für Mehrere, mit dem gelungeneren Conan Exiles als zentraler Bezugspunkt. Dass das aber spürbar vorne liegt in meiner Gunst, liegt daran, dass Fallout 76 im Vergleich zu Funcoms Barbarenabenteuer einfach nicht hartherzig genug wirkt. Gerade PvP ist aktuell noch ein Witz, den sich so gut wie keiner zu erzählen traut.

Ich kann den Gedanken verstehen, dass die Spieler erst eine Art Abmachung eingehen sollen, ob jetzt gekämpft wird oder nicht (so lange nur eine Seite schießt, richtet sie nur vernachlässigbaren Schaden an). Aber es nimmt dem Spiel viel von der Gefahr, die ein Survival-Erlebnis eigentlich prägen sollte. Es steht einfach weniger auf dem Spiel. Aber gut, dafür fällt es leichter, die Welt auf sich wirken zu lassen und das Erlebnis ist ein insgesamt freundlicheres, was sicher auch dem einen oder anderen gefallen wird. Optionale Hardcore-Server, auf denen es richtig zur Sache gehen kann, wären dennoch wünschenswert.

Der Weg in die Zukunft ist für dieses Spiel ungewiss. Zu Ende ist er aber noch lange nicht.

So sehr sich 76 auch dem letzten Teil ähnelt: Der Basenbau wurde grundlegend verbessert und macht jetzt tatsächlich Laune. Vor allem das Abspeichern als Blaupause ist ein tolles Feature und macht es leicht, seine Bleibe als vorgelagerte Einsatzbasis und mobilen Schnellreisepunkt nach Osten zu verlegen, wo ein rauerer Wind weht als im zahmeren Westen, in dem die Reise beginnt. Ganz so glorreich wie in - noch einmal - Conan, in dem man jeden einzelnen Baum selbst fällt, um ihn in eine Wand für seine unfassbar männliche Blockhütte zu verwandeln, ist es in Fallout 76 nicht, wo man sich eher als Müllmann dieser Welt fühlt, während man die Hinterlassenschaften der Menschheit durchwühlt, aber es funktioniert tadellos.

Gleiches lässt sich auch von den Kämpfen sagen. Die 3D-Fallouts waren nie besonders gute Shooter, trotzdem fühlen sich Kopfschüsse aus dem Hinterhalt (zweifacher Schaden) sehr befriedigend an. Und ich hätte erwartet, dass ich das V.A.T.S.-System in Echtzeit hassen müsste. Die Zeitlupe hatte mehr Ekelfaktor und Spektakel auf ihrer Seite. Aber auch die überarbeitete Mechanik tut, was sie immer sollte - auch ohne, wie damals, die Zeit zu pausieren oder zu verlangsamen: Euch das aktive Zielen in Situationen abnehmen, in denen es euch zum Nachteil gereichen würde. Ich schlug mit der Zeit den Spagat, in Distanzkämpfen selbst zu zielen und den schnelleren oder besonders nahen Gegnern mit V.A.T.S. einzuheizen.

Für ausdrücklich gelungen halte ich das neue Perk-System, bei dem man Skills in Kartenform erhält. Die haben jeweils einen Punktewert, und ihr könnt so viele von ihnen der dazugehörigen Eigenschaft von Stärke bis Glück zuordnen, bis ihr die Stufe des entsprechenden Skills übersteigen würdet. Ein Charakter mit Stärke 5 kann also drei Karten vom Wert 1 und eine vom Wert 2 platzieren und so weiter. Bekommt ihr Duplikate, könnt ihr sie zusammenführen und so verstärken. Es ist ein schönes System, mit dem man sich seine Figur nach eigenem Gutdünken zusammenpuzzelt. Ich bedaure nur das Zugeständnis an das leidige Gewichtlimit, einige Skills genau darauf zuzuschneiden. Wenn die Aussicht, dass der mitgeführte Müll (den man zu Crafting-Zutaten verarbeitet), 30 Prozent weniger wiegt, dann mag das bei krankhaften Messis die richtigen Synapsen zum Glühen bringen. Mich bremst es aber in meiner freien Charakterentwicklung, weil ich mich mit meinem Inventar nur so wenig wie möglich auseinandersetzen will. Aber ja, es würde mich ansonsten nicht wundern, wenn wir ein vergleichbares System im sicherlich kommenden fünften Teil sähen.

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Haarig wird's wie immer bei der Technik. Push-to-talk halten die Entwickler offenbar für ein tibetanisches Bergdorf, jeder rennt mit offenem Mikro durch die Gegend, was dafür sorgt, dass man entweder gar nicht wörtlich kommuniziert - weil die Spieler ihre Mikros abstöpseln oder ihren Mute-Knopf nutzen - oder man hört, wie das Level-38-Kind, das neben mir gerade Farmroboter zu Klump prügelt, bevor ich nur auf sie anlegen kann, seine Mutter geschlagene 20 Minuten mit dem Abendessen warten lässt. Es passt ins Bild, dass die Tastaturkürzel offenbar wie Konfetti auf dem Keyboard verteilt wurden - Tab ist oft genug zurück, bis es das nicht mehr ist und man erst noch die Leertaste bestätigen muss, bevor es einen Schritt zurückgeht und - hey - manchmal geht es auch mit Escape. Perks liegen auf "T", wo sonst. Ich habe am PC selten ein stärkeres Argument dafür gesehen, zum Controller zu greifen, wie hier, denn das funktioniert in den Tiefen der Menüs zwar etwas langsamer, aber immerhin intuitiv.

Und dann sind da die Bugs, wer sonst. In der ersten Stufe einer Quest das Erscheinen des zu tötenden Gegners nicht triggern zu können, um in der nächsten Stufe an einem festhängenden Marker zu stranden, das führt schon mal zu Frust und hier und kostet mich Minuten meiner kostbaren Freizeit. Ab und an flackerte die Vegetation so seltsam, dass mir kurz Bange um meine Grafikkarte wurde. Aber Lustiges passiert auch ab und an, wenn erledigte Gegner der Physik trotzen und wild zappelnd durch die Gegend fliegen. Abgesehen von oben erwähnten Blockern in einer bestimmten Quest ereilten mich nicht allzu viele gravierende Probleme und ein recht großer Patch gestern sollte schon das eine oder andere behoben haben. Aber zur Stunde ist die Performance an meinem recht mächtigen PC immer noch nicht stabil. Hier hat Bethesda, wie immer bei Fallout und/oder Skyrim, noch einiges an Arbeit vor sich. Manche Arten von Spielen durchlaufen eben doch nicht ohne Grund monate-, manchmal sogar jahrelange Early-Access-Phasen.

Da geht er hin. Ja, wo geht er denn hin?

Dennoch habe ich schon weit schlechtere Survival-Spiele gespielt als Fallout 76 und habe das gemütliche Erkunden des durchaus atmosphärischen Appalachen-Landstrichs fast durchweg genossen. Die Frage ist, ob es der Anspruch dieser Reihe sein kann, irgendwann, wenn sich die Gemüter beruhigt und weitere Updates den nötigen Feinschliff nachgereicht haben, als passabler Vertreter in Sachen Multiplayer-Survival mit schöner Welt in die Geschichte einzugehen? Wenn man sich überlegt, was für ein Traumspiel man mit den Talenten Bethesdas und den Werkzeugen der Genres "Survival" und "MMO" vor dem Hintergrund dieser Welt hätte bauen können, muss man gestehen, dass Fallout 76 vergleichsweise banal mit Wasser kocht.

Das ist kein Verbrechen, schon gar nicht in einem Spiel, in dem man viel Zeit damit zubringt, Wasser abzukochen. Das sollten sich Leute, die darüber Spieleläden demolieren, genauso bewusst machen, wie die Hundertschaft Experten, die das Spiel auf Metacritic mit 0 Punkten bewerteten. Gleichzeitig ist es ganz sicher auch nicht das Material, aus dem das nächste virale Multiplayer-Phänomen gemacht ist, das sich die Entwickler irgendwann erhofften, als sie mit der Entwicklung begannen. Ich habe trotzdem das Gefühl, irgendwo zwischen den Ruinen dieser beachtlichen Welt und den nicht unattraktiven Grundlagen steckt ein wirklich gutes Spiel. Wir werden sehen, wie viel Mittel und Mühen Bethesda aufzuwenden bereit ist, es zu Tage zu fördern.


Entwickler/Publisher: Bethesda - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: 60 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: Ja, Kosmetisches - Getestete Version: PC


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