Far Cry New Dawn - Test: Nuklearer Frühling
Selten war die Postapokalypse so farbenfroh.
Ich habe eine neue Lieblingswaffe in Videospielen gefunden. Sie ist kraftvoll und von roher Eleganz. In ihrer Upgrade-Version schaffe ich es mühelos, drei Bösewichte auf einmal damit ins Jenseits zu befördern, begleitet nur von einem leichten Klacken und Zischen: Es ist der Sägeblattwerfer aus Far Cry New Dawn! Obwohl es mir das Spiel nicht gerade schwer macht, an Raketenwerfer oder sogar ziemlich amüsante Flammenwerfer heranzkukommen, ich bin doch immer wieder gern zu meinem Sägeblattwerfer zurückgekehrt. Das liegt einerseits daran, dass er so wunderbar effektiv ist und gleichzeitig nicht allzu viel Lärm macht, sicher hat es aber auch damit zu tun, dass er ganz toll in die Welt von Far Cry New Dawn passt.
Jedes Far Cry erzählt eine neue Geschichte - so war es zumindest bisher immer. Mit Far Cry New Dawn geht Ubisoft erstmals einen neuen Weg, weshalb ich leider nicht umhinkomme, euch zu spoilern, falls ihr das Ende von Far Cry 5 noch nicht erlebt habt. Ohnehin dürftet ihr aber schon mitbekommen haben, worum es im neuesten Ableger des Open-World-Shooters geht, wenn ihr es nicht geschafft habt, in eurem Kopf erfolgreich einen Spoiler-Blocker zu installieren: Hope County im wunderschönen Montana wurde von Atomwaffen verwüstet. Staatsgewalt, Recht und Gesetz existieren nicht mehr, wodurch sich im Vergleich zum Vorgänger eigentlich gar nicht mal so viel geändert hat. Ihr schlüpft in die Rolle eines namenlosen Charakters, dessen Klamotten und Geschlecht ihr zu Beginn des Spiels festlegen könnt, von dem ihr später aber nicht mehr allzu viel seht, weil das Spiel sich serientypisch auf die Ego-Perspektive verlässt.
17 Jahre sind seit dem ersten Teil vergangen und das hat offenbar gereicht, die Natur wieder zum Blühen zu bringen. Die Spielwelt ist bunt, überwuchert von hübschen, lilafarbenen und Kolibri-umschwirrten Blumen, die jeden Wedding Planer vor Freude jauchzen lassen würden. Auch sonst dominiert eine eindrucksvolle Vegetation. Das hebt New Dawn doch wohltuend vom Graubraun anderer Titel ab, die vor dem Hintergrund der Postapokalypse spielen. Wenngleich diese Interpretation des Weltuntergangs keine ganz neue ist - man denke da beispielsweise an das bereits im Jahr 2010 erschienene Enslaved: Odyssey to the West. Trotzdem: Ich mag dieses hübsche Gefühl von "Die Natur holt sich zurück, was der Mensch ihr genommen hat" prinzipiell deutlich lieber als die Einöde eines Fallout. Ubisoft hat es sich mit der Gestaltung der Welt aber ein bisschen einfach gemacht, denn die Spielwelt wurde zu weiten Teilen aus dem Vorgänger wiederverwertet. Landmarken wie die Kapelle von Joseph Seed erkennt ihr sofort wieder, nur dass sie diesmal eben von sattem Grün überwuchert ist.
Ihr selbst werdet schon zu Beginn in den dominierenden Konflikt des Spiels geworfen, denn ihr gehört einer Wachmannschaft an, die es sich zum Ziel gemacht hat, überall in den USA neue Siedlungen aufzubauen und sie zu sichern: vor allem gegen die sogenannten Highwaymen, eine Bande von Outlaws, die von den Zwillingen Mickey und Lou angeführt wird. Diese Zwillinge sind in Personalunion der Antagonist des Spiels und in den Szenen, in denen sie vorkommen, funktioniert das herrlich. Gar nicht mal, weil die beiden so bedrohlich wirken, sondern weil sie so arrogant und gleichzeitig charismatisch daherkommen, dass zumindest ich nicht anders konnte, als sie insgeheim irgendwie zu bewundern. Das Problem ist nur, dass es solche Szenen nicht allzu häufig gibt, denn Far Cry New Dawn enthält lediglich 22 Story-Missionen. Was nicht heißen soll, dass der Rest keinen Spaß macht.
Zu tun gibt es wieder einiges: So müsst ihr beispielsweise eure Siedlung Prosperity wiederaufbauen. Damit schaltet ihr dann wiederum neue, letzten Endes aber aus der Serie wohlbekannte Möglichkeiten frei - investiert ihr beispielsweise in den Waffenschmied, könnt ihr euch bessere Gewehre (und Sägeblattwerfer, nicht zu vergessen!) bauen, macht ihr das gleiche mit der Krankenstation, erhöhen sich eure Health-Punkte. Für den Ausbau eurer Siedlung braucht ihr Ethanol und um das zu bekommen, gibt es eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten: Manchmal wird es einfach per Fallschirm abgeworfen, ihr könnt aber auch einen Konvoi der Highwaymen überfallen und ihnen den begehrten Brennstoff abnehmen. Wie das für Far Cry üblich ist, dürft ihr natürlich auch wieder feindliche Stützpunkte übernehmen, was euch ebenfalls mehr Brennstoff einbringt. Neu an New Dawn ist, dass ihr das nun drei Mal könnt. Nach dem ersten Überfall dürft ihr den Stützpunkt plündern, woraufhin er von den Highwaymen zurückerobert und verstärkt wird, indem sie zum Beispiel mehr Alarme aufstellen. Die zweite Eroberung ist dann schon schwieriger als die erste, die dritte nochmal härter als die zweite.
Das wirkt ein bisschen, als hätte sich Ubisoft die Einbindung weiterer Stützpunkte in die Spielwelt sparen wollen und ganz logisch ist es im Kontext der Handlung auch nicht, wirklich gestört hat es mich aber auch nicht. Im Gegenteil, ich empfand es sogar als recht komfortabel, einen Stützpunkt einfach ein zweites oder drittes Mal überfallen zu können, wenn ich gerade Bedarf an Ethanol hatte. Ausbauen könnt ihr übrigens auch eure Spielfigur: Indem ihr bestimmte Herausforderungen meistert, beispielsweise eine Reihe von Gegnern mit der Schrotflinte umlegt, bekommt ihr Vorteilspunkte, die ihr dann wiederum investieren könnt, um Werkzeuge wie den Kletterhaken oder die Wingsuit freizuschalten.
Gerade für Waffen der vierten Ausbaustufe werden zudem Rohstoffe relevant, die ihr hauptsächlich über die Expeditionen bekommt. Das sind abgeschlossene Missionen, die sich außerhalb der eigentlichen offenen Welt befinden und zu denen ihr, rein optional, per Knopfdruck reisen könnt. Dann müsst ihr etwa von einem Flugzeugträger ein Paket Rohstoffe bergen - die euch dann zur Verfügung stehen, um beispielsweise mächtige Elite-Waffen zu basteln. Die Missionen sind relativ anspruchsvoll, gleichzeitig könnt ihr sie aber auch ignorieren, wenn ihr nicht wirklich den mächtigsten aller Sägeblattwerfer haben wollt. Teilweise, weil ihr es wohl kaum schaffen dürftet, mit den Anfangswaffen wirklich mächtige Gegner umzulegen. Deren Lebensbalken nimmt dann nämlich schlichtweg kaum ab. Man kennt das aus Spielen wie The Division. Bis zuletzt hochrüsten müsst ihr sie aber nicht, für die notwendige Waffenstärke genügen also in der Regel auch die Rohstoffe, die ihr nebenbei findet.
Ubisoft stellt euch wie beim Vorgänger auch wieder eine Reihe Begleiter mit jeweils unterschiedlichen Spezialfähigkeiten zur Verfügung. Scharfschützen-Oma Nana beispielsweise oder den mit einer Eishockey-Maske getarnten Jäger Judge, der besonders gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann. Einige dieser Begleiter könnt ihr in optionalen Nebenmissionen freischalten. Empfehlung des Hauses: Verzichtet auf keinen Fall darauf, euch Horatio freizuspielen. Horatio ist ein mächtiges, möglicherweise mutiertes Wildschwein, das eure Gegner mit seinen Hauern nur so durch die Gegend schleudert und sich nach erfolgreichem Stufenaufstieg auch noch selbst wiederbeleben und in einen wahnwitzigen Blutrausch verfallen kann. Ich mochte ihn wirklich gern. Außerdem wirkt das ständige Grunzen an eurer Seite irgendwie beruhigend. Natürlich könnt ihr auch in diesem Far Cry Tiere jagen, um ihre Pelze entweder einzutauschen oder etwas mehr oder weniger Sinnvolles aus ihnen zu bauen, zudem gibt es Schatzsuche-Missionen, in denen ihr ein kleines Rätsel lösen müsst, um an besonders viele Rohstoffe zu kommen.
Und ja, ihr könnt für Echtgeld im Shop auch eine Währung kaufen, die ihr wiederum gegen vorgefertigte Rohstoffpakete tauschen könnt. Aber ehrlich: Erstens erhaltet ihr die gleiche Währung in geringer Menge auch über die Schatzsuche-Missionen und zweitens fühlt sich das irgendwie wie unnötiges Cheaten an. Unnötig deshalb, weil das Spiel auch ohne diesen künstlichen Boost problemlos zu bewältigen ist. Mikrotransaktionen sind also da - aber kein Mensch dürfte wirklich auf sie angewiesen sein.
Worauf man schon eher angewiesen ist, ist eine funktionierende KI und die hat sich in der mir vorliegenden PS4-Testversion nicht immer so gut geschlagen. Nicht nur haben mich Gegner teilweise nicht erkannt, obwohl ich schon fast dabei war, ihre Schädeldecke anzusägen, auch folgten NPCs manchmal nicht dem Weg, der für sie vorgesehen war. Das hat mindestens zweimal dazu geführt, dass ich eine Mission neustarten musste, wirklich dramatisch war der Verlust an Spielzeit aber nicht. Zu hoffen bleibt außerdem, dass solche Aussetzer durch den üblichen Day-One-Patch behoben werden.
Natürlich wäre Far Cry ohne seine Fahrzeuge nicht komplett, deswegen gibt's die auch in New Dawn und ihr dürft euch sogar selbst welche bauen. Besagte Rohstoffe natürlich vorausgesetzt. Das Repertoire reicht vom kleinen Buggy bis hin zum Privathelikopter. Kann man mögen, muss man aber nicht - ich habe es nämlich ehrlich gesagt sehr genossen, die Spielwelt auf dem Fußweg zu erforschen. Immer wieder stößt man an irgendwelchen entlegenen Orten auf Kleinigkeiten, mal kann man einen Highwayman von einem Wachturm herunter ... sägen, mal einen kleinen Waldbrand auslösen. Oder ihr findet einfach ein paar Rohstoffe. So oder so hat mir die Erkundung zu Fuß die Zeit gegeben, die Schönheit der Spielwelt aufzusaugen. Die macht nämlich wirklich irgendwo gute Laune, nuklearer Weltuntergang hin oder her.
Was auch bei Far Cry New Dawn wie bei vielen Vorgängern wieder auffällt, ist der Gegensatz zwischen den teilweise toll geschriebenen Story-Missionen einerseits und denn dann doch sehr schematisch ablaufenden Open-World-Herausforderungen auf der anderen Seite. Ich will nicht sagen, dass letztere nicht auch einen gewissen Suchtfaktor entfalten können: Meist konnte ich es nach der Eroberung eines Stützpunktes gar nicht erwarten, mir auch den nächsten zu holen. Aber letztlich ist es eben doch irgendwie immer wieder das Gleiche. Jene Teile des Spiels, die die Geschichte vorantreiben, sind dagegen teilweise herrlich atmosphärisch: Da laufe ich etwa in einer Mischung aus Drogenrausch und Fiebertraum einer Vision von Joseph Seed hinterher, während im Hintergrund lilafarbene Atompilze die Wolkendecke durchstoßen, da werde ich von den Zwillingen Mickey und Lou trotz enormer Kraftanstrengungen durch ein offenes Fenster getreten und kann mich nur mit Mühe überhaupt noch verteidigen. Das sind eben die Momente, in denen ich in New Dawn wirklich nasse Hände bekommen habe und auch die, die mir wahrscheinlich noch eine Weile im Gedächtnis bleiben werden. Trotz all der Albernheiten, die New Dawn durch Waffen wie den Sägeblattwerfer oder das Kampfschwein Horatio versprüht, ist es in diesen Momenten herrlich atmosphärisch und ernst. Ob euch diese Mischung zusagt, müsst ihr selbst entscheiden.
Für mich ist es aber möglicherweise dieser Gegensatz zwischen Story und Open World, der New Dawn so gut funktionieren lässt - ich hätte mir letzten Endes dann allerdings doch eine etwas höhere Gewichtung der Geschichte gewünscht. In dieser Hinsicht erinnert mich New Dawn vielleicht ein bisschen zu sehr an Far Cry Primal, wenngleich es immerhin nicht so prätentiös daherkommt wie der fünfte Teil. Für die bloße Kampagne könnt ihr etwa 13 bis 15 Stunden Spielzeit einplanen, nochmal so viel braucht ihr, wenn ihr wirklich den ganzen Rest machen wollt. Als zusätzliche Motivation könnt ihr euch wie schon in Far Cry 5 einen menschlichen Spieler in eure Partie einladen. Ein nettes Gimmick, falls ihr euch mal schwer damit tun solltet, einen Stützpunkt zu erobern. Wie schon im fünften Teil nimmt der Gast aber lediglich die gewonnenen Rohstoffe und Ausrüstung mit zurück in sein eigenes Spiel. Kampagnen- und Kartenfortschritt sind dem Host vorbehalten.
Far Cry New Dawn ist nicht die Neuerfindung der Reihe, es verhält sich zu Far Cry 5 eher wie ein großer Standalone-DLC. Es lohnt sich für alle, die nicht genug vom landschaftlich reizvollen Hope County kriegen können und es jetzt mal zu einer anderen Jahreszeit erleben wollen - der, die nach dem nuklearen Winter kommt eben. Im Vergleich zum Vorgänger gibt es wenige Neuerungen, und obschon Ubisoft seinen üblichen Skill-Tree ein wenig anders verpackte, so gleichen sich letzten Endes doch viele Abläufe. Trotzdem unterhält die vertraute Formel auch hier wieder, zumal diesmal eine Geschichte weitererzählt wird, bekannte Schauplätze und teilweise auch Figuren inklusive. Mehr Story wäre dennoch toll gewesen, vor allem mehr von Mickey und Lou.
Wer den Vorgänger mochte, den holen Sägeblattwerfer und Monstersau Horatio voll ab, der Rest wartet lieber auf den echten nächsten Schritt für den traditionsreichen Shooter.
Entwickler/Publisher: Ubisoft Montreal/Ubisoft - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: etwa 45 Euro (PC), etwa 60 Euro (PS4, Xbox One) - Erscheint am: 15. Februar 2019 - Getestete Version: PS4 - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Ja
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