The Dark Pictures: Man of Medan - Test: Tot oder lebendig, das ist hier die Frage
Gelingt Supermassive ein zweites Until Dawn?
Tja, wie das so ist, mit Spielen, die sich in erster Linie auf ihre Geschichte stützen: Je kleiner der spielerische Möglichkeitenraum wird, desto wichtiger wird es, dass die Handlung packend erzählt ist, die Entscheidungen, die man in ihrem Rahmen trifft, spannend sind und dass sie zu interessanten Konsequenzen führen. Alles andere gerät da zur Nebensache, die am Erlebnis nur wenig ändert.
Supermassive hat in The Dark Pictures Anthology: Man of Medan sein Medium fest im Griff, inszeniert virtuelle Schauspieler glaubwürdiger als jedes andere Spiel dieser Sorte, schafft das eine oder andere stimmungsvolle Szenenbild und beherrscht auch die Kunst des effektiven (wenngleich oft bemüht wirkenden) Jumpscares. Aber letzten Endes scheitert es auf hohem Niveau. Denn was euch hier erzählt wird, ist die Sorte durchsichtige Spukgeschichte, mit der man eine Lagerfeuergemeinschaft zuverlässig in den Schlaf wiegt, anstatt ihr eine kollektive Gänsehaut zu verpassen.
Passend zur Einleitung könnte man es hiermit vielleicht schon bewenden lassen, täte dem Spiel an sich aber ein wenig Unrecht, denn die Art, wie es konstruiert ist, ist schon irgendwie bewundernswert. All diesen Story-Ausschnitten, Abweichungen aufgrund von Spielerentscheidungen, Szenenverläufen und Charakterkonstellationen - wenngleich es nicht unendlich viele sind - in eine konsistente Form zu bringen, das imponiert ebenso sehr wie die wunderbare technische Umsetzung der Charaktere und der schummrigen Ausleuchtung des Geisterschiffs, durch das es hier gute fünf Stunden lang geht.
Auch, dass man sich gleich zwei Mehrspielervarianten ausdachte, ist löblich: Einmal den Movie-Night-Modus, bei dem bis zu fünf Spieler sich auf die Rollen der fünf Charaktere verteilen (oder, bei weniger Mitspielern, einige mehr als nur eine Figur steuern) und abwechselnd nach einer Aufforderung des Spiels an den Controller dürfen. Dieser Modus ist Supermassives Reaktion auf die Art, auf die viele Spieler Until Dawn zusammen erlebten. Ganz nett ist vor allem, wie das Spiel nach bestimmten Szenen resümiert und Spielern auch den Tod eines Charakters unter die Nase reibt.
Der andere Modus wird kooperativ online gespielt und inszeniert das Spiel aus verschiedenen Blickwinkeln. Allerdings kommt hier meines Wissens nach nichts vor, das man im Single-Durchlauf nicht auch sehen würde, dann eben nacheinander anstatt parallel und oft ohne direkten Einfluss des Solisten auf den jeweils anderen Charakter. Dennoch ein interessantes Erlebnis, wenn zum Beispiel in einem Moment, in dem Zusammenarbeit gefragt wäre, ein Spieler doch lieber die jeweils andere Option ergreift. Es ist kein transformativer Unterschied, aber eine nette (wenngleich kürzere) Art, Man of Medan zu erleben.
Der Rest ist filmreifes, aber auch sehr stark durch enge Gänge mit wenigen, kurzen Abzweigungen geführtes Herumlaufen in einem modrigen Kahn voller Leichen, unterbrochen von ein wenig zu regelmäßigen Jumpscares, mit etwas Item- beziehungsweise Schriftstückaufheben und inspizieren. Alle paar Bildschirme gibt es klare binäre Entscheidungsmöglichkeiten - wobei Nichtstun oder -sagen auch nicht selten eine valide Option ist - und QTE-getriebenen Verfolgungs- oder Kampfsequenzen. Schade ist dabei, dass es dieser Geschichte um wenig mehr geht als wer überlebt und wer stirbt - und wie das geschieht. Ansonsten hat sie an sich keinen individuellen Dreh (außer natürlich der aktiven Spielerbeteiligung), schlägt keine faszinierenden oder irgendwie seltsam-schaurigen Haken, überrascht so gut wie nie.
Erst dauert es ewig, bis die Handlung in Fahrt kommt, ohne dass man in dieser Zeit eine maßgebliche Verbindung zu den allesamt nicht zwangsläufig sympathischen Figuren aufbaut. Selbst, was auf diesem Schiff eigentlich los ist, weiß man lange, bevor der erste Charakter es schwarz auf weiß in einem Dokument liest - und anschließend nicht einmal seine Begleitung darüber informiert oder sonst irgendwie auf die Erkenntnis reagiert (auf die 23. vertrocknete Leiche des kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verlorengegangenen Kahns äußert derselbe Typ aber immer noch ein "what the fuck!?"). Überhaupt gibt es den einen oder anderen Anschlussfehler oder unstimmige Reaktionen auf Vorangegangenes.
Beispiel gefällig? An einer Stelle sieht jemand den Leichnam einer ihm nahen Person und steckt das emotional direkt in der nächsten Kameraeinstellung offenbar restlos weg. Das liegt natürlich daran, dass die Folgeszene nur in einer Variante vorliegt und der oder die Tote nur optional tot ist - in diesem Fall, weil ich mich beim letzten Knopf eines QTE verdrückte. Aber es schafft schon eine Distanz zu den Figuren, weil man ihre Reaktionen oft nicht nachvollzieht. Ab und an weiß man auch nicht, worauf die Figuren reagieren und an einer Stelle begriff ich aufgrund etwas hektischer Regie erst gar nicht, was hier los war. Das alles gipfelt in einer kraftlosen Climax, mit einem, man kann es nicht anders sagen, unbefriedigendem Ende.
In Until Dawn hielt das zugrundeliegende Mysterium lange die Faszination hoch, was hier wohl los sei. Hier ahnt man schnell, was los ist und für den Rest der Zeit verbringt man damit, sich zu fragen, welche Aktion wohl zum Tod eines Charakters führen könnte und spielt entsprechend, ertappt sich dabei, die Geschichte zu "gamen", anstatt sich zu fragen "wie würdest Du entscheiden". Überhaupt tut das Zeitlimit auf vielen Entscheidungen dem Spiel keinen Gefallen: Es gibt ein Zuneigungssystem, das einen Beziehungsbalken zwischen zwei Personen von schlecht nach gut (und zurück verschiebt) und so beeinflusst, welche Antworten man in gewissen Situationen geben kann. Es klingt allerdings interessanter, als ich es in der Praxis empfunden habe. Am Ende waren alle Balken mehr oder weniger ausgeglichen.
In Until Dawn hatte ich letztlich ein deutlich stärkeres Gefühl dafür, das Schicksal dieser Figuren in der Hand zu haben und ihre Beziehungen zueinander waren spannender, weshalb man sich stets fragte: "Wie würde dieser Charakter in der Situation diesem Bekannten gegenüber reagieren?" - und nicht, "was führt an dieser Stelle wohl zu einem Fail-State?" Und als ich den oben erwähnten Leichnam produzierte, nur weil ich in an der entscheidenden Stelle Dreieck statt Quadrat drückte, war ebenfalls ein herber Downer und nicht einmal der Geschichte als Ganzes dienlich.
Dazu kommen Sequenzen, in denen man sich versteckt und deshalb seinen Puls regulieren muss, um nicht entdeckt zu werden. Die Nerven behalten in Spielform gewissermaßen. Die Idee fand ich interessant, im Takt des Herzschlags einen Knopf zu drücken. Die Umsetzung aber sorgte dafür, dass ich mehr auf die Tasteneinblendungen schaute, als auf das, was der Figur in dieser Szene Angst machte.
Nun denn, insgesamt war Man of Medan trotz der Längen der Geschichte und der fehlenden Spannung doch ganz launig. Einige gute Momente mit gelungenen Erschreckern, eine brillante Technik und nicht zuletzt der durchaus reizende Gedanke, dass er Tod immer mitspielt, deuten zumindest an, warum die Dark Chronicles Anthology mit mehreren als Serie konzipierten Spukgeschichten eine gute Idee ist. Ich mag hiervon ein wenig enttäuscht gewesen sein, das ändert aber nichts daran, dass ich keine Sekunde lang ausschließen würde, dass Supermassive mit dem nächsten Kapitel wieder eine Grusel-Mär gelingt, die mich mit perfide-gemeinen Ideen und kniffligen Zwickmühlen richtig zu packen bekommt. Ein stabiles und mit 30 Euro nicht zu teures Grundgerüst haben sie Fans interaktiver Filmeabende mit Man of Medan auf jeden Fall hingestellt.
Entwickler/Publisher: Supermassive Games/Bandai Namco Entertainment - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 30 Euro - Erscheint am: 30. August - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein - Getestete Version: PC
PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2019 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming. '