GRID: Test - Der Feind, den ich mir selbst schaffe
Nemesis und Arcade-Feeling - zurück zu GRIDs Wurzeln.
GRID 2008 war eine große Sache für die Engländer von Codemasters: Ein Vorstoß in die Gefilde von Forza und Gran Turismo. Arcadiges Feel mit einem guten Schuss Realismus. Autos, die ihre speziellen Eigenheiten haben, nicht nur im Rahmen der Klassen, sondern ganz spezifisch, wie auch Gran Turismo. Dann aber das unbeschwerte Brettern über HDR-Pisten, bevor HDR erfunden war, ganz wie man es bei Forza schätzte. Und es war ein solider Erfolg in Sachen Qualität. Und nun, nach zahlreichen Eskapaden mit dem Namen, zuletzt mit dem deutlich mehr in Richtung Realismus getrimmten GRID Motorsport, kehrt das verwirrend nur "GRID" betitelte neue Spiel zu genau diesen 2008er Wurzeln zurück. Womit eigentlich fast alles Relevante beschrieben wäre, was es zu sagen gibt. Hier ist der alte Test. Das, nur in hübscher, weil halt 2019. Okay, so einfach war ein Test selten.
Na schön, weil ihr es seid. Aber es ist halt wirklich interessant, wie weit Codemasters die Zeit zurückdrehte und vor allem wie viel Spaß das macht. Motorsport war schon ziemlich auf der Sim-Seite des virtuellen Asphalts, F1 und Rally sowieso. Nur Grid lässt es im Vergleich wirklich ziemlich lässig angehen und hat auch nur ein paar Tuning-Regler. Die tun zwar schon was, aber im Rahmen des sonstigen Feineinstellungs-Overkills fühlt sich das schon fast ein wenig pro forma an. Aber es reicht hier auch, denn dieses Spiel will euch so schnell wie möglich auf der Piste sehen, wo ihr dann genauso sehr gegen die KI wie mit den Tücken der Strecke kämpft. "Versucht das nicht im richtigen Leben" ist schon ein wenig das Motto, wenn ihr mit Wucht einen Konkurrenten in die Bande schiebt und aus dem, was effektiv ein sonst Rennen-beendender Crash ist, sauber wieder heraus beschleunigt. Wäre da nicht das glaubhafte Fahrverhalten, das Codemasters wie immer tadellos im Griff hat und mit dem die Masse und Wucht der Beschleunigung ausgezeichnet vermittelt werden, das hier wäre nah an den SEGA-Automaten der späten 90er.
Es sieht sogar ein wenig so aus. Insbesondere der Sonnenuntergang taucht die Strecken in goldenes Licht, das man so selbst in Kalifornien vielleicht nur zwei Mal im Jahr hat, die Lichter bei Nacht scheinen etwas heller und die Sonne am Tag etwas kräftiger. Selbst der Regen scheint auf gewisse Art darauf aus zu sein, besonders fotogen zu fallen. Die neuen Stadtkurse San Francisco und Havanna sind ein Traum und lassen vor allem mit den Muscle-Cars echtes Steve-McQueen-Feeling aufkommen. Auch wenn ich das Konzept der Muscles nie ganz verstehen werde. "Ich hätte gerne ein Auto mit der Leistung eines echten Sportwagens, aber mit einer Tonne Zement als Zuladung, damit der Motor besser röhrt." So oder ähnlich stelle ich mir die Origin-Story dieser Klasse vor.
Aber so schön die Strecken auch sind - und das sind sie, ich LIEBE den Japan-Kurs entlang bergiger Landschaften -, so übersichtlich ist ihre Zahl. Gerade mal ein Dutzend sind es, weit weniger als noch in Motorsport. Es gibt zwar für jeden der Rundkurse Variationen und für die Strecken von A nach B mehrere Abschnitte, aber keinen Streckengenerator wie bei Dirt 4. Angesichts der offensichtlichen Liebe mit der das Dutzend hier umgesetzt wurde, kann ich damit Leben. Aber wer seine Rennspiele gerne über Monate spielt, wird sich relativ schnell mit jeder Kurve einzeln und per Handschlag angefreundet haben. Zumindest gibt es genug Aufgaben, um sich auszutoben, mit einer soliden, wenn auch etwas sterilen Karriere - das übliche an Team-Management und zig Einzel-Herausforderungen für alle Klassen. Nehmt dazu noch die üblichen RaceNet-Herausforderungen und bis zu 16 Spieler in Multiplayer-Events und ihr habt genug, um euch für ein Weilchen zu beschäftigen.
Was die angeht, sind die Open Wheel F1000 Racer hier die Exoten, vor allem, wenn man ihr recht gutmütiges Verhalten mit dem der Boliden aus der jüngsten F1-Simulation aus gleichem Hause vergleicht. Die eleganten F1000-er sind dann schon fast ein Kontrapunkt zu dem brachialen Röhren der Muscles oder den obligatorischen Retro-Tourern. Schön ist, dass Ferrari und Porsche wieder ihre Aufwartung machen und insgesamt habt ihr ein weit gefächertes Feld, in dem es nur wenige Lücken gibt. Sicher, es ist kein Forza oder gar ein GT, aber was da ist, ist gut, hat seine authentischen Cockpits und zeigt, dass die Entwickler ihre Vorlagen kannten, wenn die extreme Downforce in einem der schnellen Racer euch schon bei einem Hubbel mit spürbarer Wucht zurück auf die Straße donnert. Alles fühlt sich gut und richtig an, viel mehr kann man bei dieser Art von angelehntem Realismus nicht verlangen.
Das aktuelle Gimmick - jedes Codemasters-Spiel scheint eines haben zu müssen, das dann meistens wieder vergessen wird, siehe Dirt 4s magischer Pisten-Erschaffer - sind die Nemesis-Gegner. Wenn ihr einen anderen Fahrer zu oft als Lenkhilfe in der Kurve missbraucht oder eine ganze Runde über immer wieder ein wenig schubst, dann wird er irgendwann fast schon menschlich sauer. Er will immer noch gewinnen und verwandelt sich nicht in einen suizidalen Chaoten, aber er will vor allem sehen, dass ihr nicht gewinnt. Wenn er die Chance hat, wird er euch in einer Schikane oder engen Kurve zur Seite schieben. Er bekommt direkt hinter euch einen kleinen Boost und wird etwas mehr riskieren. Das kann realistischerweise auch schon mal dazu führen, dass er einen Fehler macht, der ihn dann weit nach hinten wirft und darüber wird er dann noch mehr brüten. Aber das kann euch weit vorn dann egal sein.
Im Rahmen realer Geschehnisse ist es sogar möglich, dass ihr euren Rennteam-Verbündeten zu einer Nemesis machen könnt. Das dauert zwar ein paar Schubser extra, aber irgendwann ist auch da gut und Schluss mit lustig. Schade an dem eigentlich guten und auch gut funktionierenden Nemesis-System ist nur, dass es immer nur für das aktuelle Rennen gilt. Bei Meisterschaften und Serien werden die Feindschaften nicht mal ins nächste Rennen mitgenommen. Schade, denn so verpasst das Spiel eine gute Gelegenheit, allein mit seinen Systemen ein paar schön Geschichten abseits der eigentlichen Fahr-Action zu schreiben.
Die KI an sich ist aber auch, wenn sie euch nicht extra hasst, nicht zimperlich und durchaus siegeswillig. Viel geschenkt wird euch nicht, wenn ihr direkt gegen sie fahrt. Nur bei den Qualifizierungsrennen scheint sie immer noch mal extra auf die Bremse zu treten und liegt oft ein paar Sekunden hinter ihren eigenen Zeiten im Rennen. Was etwas frustig ist, weil ich jedes Qualifying eigentlich mit der Pole Position abschließen würde, aber dann zu faul bin zwei Runden extra zu fahren. So starte ich dann also von Platz 12 oder 14. Können wir nicht irgendwann einfach sagen, dass die Pole meins ist und es dabei belassen?
Neu ist ein einfaches Kudos-System, das zu unterstreichen scheint, dass es hier nicht um ernsthafte Simulation geht. So großzügig legten die Gothams das damals nicht aus und selbst Forza Horizon würde euch hier und da die Punkte versagen, wenn ihr so ruppig mit den anderen Fahrern umgeht. Da sind die schon längst zur Nemesis geworden, da bekommt ihr noch Punkte für "Annäherung". Diesen Punkt haben wir wohl schon hinter uns, wenn wir uns wie Billardkugeln über die Piste schubsen. Trotzdem, jedes Kudos-System ist ein Bonus, Drafting und Überholmanöver will man belohnt sehen und diese Aufgabe erfüllt es.
Was Peripherie angeht, wird so ziemlich alles unterstützt, was es an namhaften Lenkrädern von Fanatec und Thrustmaster gibt. Auf dem PC sind auch "Klassiker" wie das 360-Lenkrad nicht außen vor, die Konsolen unterstützen das Logitech G29 - auf dem PC auch die anderen Gs. Schlecht sieht es mit VR-Support aus: Aktuell wird keines der Sets unterstützt, es lässt sich kein Hinweis für die Zukunft finden und auch wenn eine Anfrage bei Codemasters noch läuft, selbst wenn es noch nachgepatcht werden sollte, dann passiert das wohl kaum so schnell. Sollte sich das ändern, werdet ihr es zu lesen bekommen.
Schön ist, dass die Strecken nicht nur gut aussehen, der Wunsch nach 60 Frames wurde auch auf den Konsolen nicht aufgegeben. Sowohl Pro wie auch X bieten hohe Auflösungen - 1728p auf der X, 1440p auf der Pro, 1080p auf den "kleinen" Konsolenversionen - und geben sich alle Mühe die 60 zu halten, allermeistens erfolgreich. Die Pro schafft das besser als die X, aber die Unterschiede sind am Ende nicht so dramatisch. Am PC ist das natürlich alles kein Thema - wenn ihr die richtige Hardware habt, wobei eine 1080 oder vergleichbare Grafikkarte ausreichen sollte, um zum Beispiel WQHD in 60+ zu erreichen.
GRID will doch nur spielen, das ist wohl die Aussage nach all den harten Sims von Codemasters. Das hier ist ein Rennspiel, das so gut aussieht, wie ein Beinahe-Arcade-Racer es sollte. Es hat leider die recht kleine Anzahl an Tracks, die das Genre so oft auszeichnet, aber was da ist, zeigt sich auf der Piste von seiner so schönen wie ruppigen Seite. Ihr dürft rempeln, auch mal schneiden und all das tun, wofür euch selbst ein Dirt bestrafen würde, von den härteren Kalibern mal ganz zu schweigen. Ganz ehrlich: Super! Das ist die Richtung, die ich mir für diese Rückkehr zu den Wurzeln von GRID erhofft hatte, denn ehrlich gesagt gibt es nicht so viele Spiele dieser Art. Auf ein neues Drive Club kann ich wohl genauso lange warten wie ein neues Gotham Racing. Da kommt GRID gerade recht, bringt mit seinen Nemesis-Fahrern ordentlich Schwung mit und darf sich dieser Formel gerne weiter bedienen, bevor ich mich für das nächsten Sim-Monster von Codemasters wieder aufrecht und konzentriert hinsetzen muss.
Entwickler/Publisher: Codemasters / Codemasters - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 60 Euro - Erscheint am: 11. Oktober - Sprache: Deutsch, Englisch und mehr - Mikrotransaktionen: ja (kommende DLCs, XP-Boni, neue Autos) - Getestete Version: Xbox One, PC
PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2019 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming.