Deathloop Test - Arkane macht das, was sie am besten können
Deathloop will beweisen, dass es mehr ist, als Dishonored-Resteverwertung. Alex hat der Zeitschleifen-Action auf den Zahn gefühlt
Arkane baut einfach wunderbare Welten. Deathloop macht da keine Ausnahme. Die vier Bezirke des Städtchens Blackreef stecken voller auffälliger Sehenswürdigkeiten, aber auch kleiner und größerer Geschichten für Leute, die genauer hinsehen oder -hören. Abseits des großen Ganzen ziehen versteckte Wege, geheime Räume und getarnte Herausforderungen tief hinein in diesen seltsamen Ort.
Der ist nicht nur deshalb besonders, weil er in seinem notdürftigen Retro-Futurismus einfach apart aussieht, sondern weil sich seine Bewohner darauf geeinigt haben, denselben Tag bis in alle Ewigkeit immer und immer wieder zu erleben. Schlimm ist das nicht, denn sie erinnern sich ja nicht daran, was im letzten Loop geschah - und im Gegenzug leben sie jeden einzelnen davon, als wäre es ihr letzter Tag auf Erden.
Das Skript vermittelt das auch prächtig, wenn sich einzelne Bewohner zum Beispiel von Kopf bis Fuß mit goldener Farbe einsprayen lassen (Nachahmung nicht empfohlen!), einfach mal schwer besoffen torkelnd auf den Schindeln eines schrägen Daches tanzen oder gleich in Kolonne einen Sprung in die Tiefe wagen, den eigentlich niemand überleben kann. Alles egal - denn Konsequenzen dauern in Blackreef maximal 12 Stunden an, bevor alles wieder auf null zurückgesetzt wird. Und alle so "YOLO!" - was Arkanes neuester Schöpfung einen himmelschreiend derangierten Anstrich gibt.
Man lebt nur einmal. Und dann nochmal. Und nochmal...
Kurzum: Man versteht, weshalb Protagonist Colt Vahn den Loop kollabieren lassen will, indem er die vier offenen Level mithilfe seiner diversen Skills erkundet, um letztendlich alle acht Visionäre an einem Tag zu töten. Wenn man ein bisschen in seinen eigenen Abgründen buddelt, kann man sogar nachvollziehen, warum so mancher das verhindern möchte. Eine gewisse Julianna das zum Beispiel, die Colt in den Levels immer dann auflauern und überfallen kann, wenn sich einer der acht Visionäre in einem Bezirk befindet. Spielerisch bedeutet das, dass ein deutlich giftigerer NPC proaktiv gegen euch vorgeht. Sicher, die KI hat jetzt nicht die wahnsinnigen Winkelzüge drauf, die einen Spieler mit der richtigen Waffe - der Desert-Eagle-Verschnitt mit Giftgaspatronen ist mein Favorit - in allzu große Bedrängnis bringen würden. Aber das eine oder andere Leben kostet Julianna euch schon.
Hat sie (oder jeder andere Gegner in einem Bereich) die Oberhand, werdet ihr - und nur ihr - bis zu zweimal ein paar Meter im Level "zurückgespult". Sterbt ihr ein drittes Mal, endet der Loop und ihr erwacht wieder am Strand, an dem der Tag für euch beginnt. Der meiste Fortschritt, den ihr an diesem Tag gemacht habt - erfolgreiche Attentate, Manipulation des Tagesablaufs der Visionäre, Waffen, Slabs (Fähigkeiten) sowie Trinkets (Perks für Waffen und Spielfigur) - sind verloren. Das Wichtigste aber behaltet ihr: Gesammelte Hinweise auf Verstecke, Safe-Codes und die Machenschaften der zentralen Charaktere bleiben im Menü vermerkt und sind eigentlich noch wichtiger als alles andere.
Das erinnert an Outer Wilds, in dem Wissen im Grunde alles war. Ihr bekommt verdächtige Hinweise aufgelistet, denen ihr nachgehen könnt oder konkretere Daten, was wann passiert und wer sich zu welchem Zeitpunkt wo aufhält. Diese Informationen sind so wichtig, weil es im Normalfall an einem Tag nicht möglich wäre, alle acht Visionäre auszuschalten. Schließlich könnt ihr pro Tageszeit (morgens, mittags, nachmittags und abends) nur einen Bezirk besuchen, eure Ziele aber sind über die ganze Stadt verteilt. Und weil der Loop nur zusammenbricht, wenn alle tot sind, bevor der nächste Tag beginnt, müsst ihr mit reichlich Detektivarbeit in Vorleistung gehen.
Das ist ziemlich elegant gemacht, auch wenn ich nie so recht das Gefühl für den Loop bekam, das zum Beispiel Tom Cruise zu Beginn von Edge of Tomorrow vermutlich hatte. Das liegt vermutlich daran, dass die Viertel alle separate Level mit Lade- und Menüzeit dazwischen sind und man den Verlauf der Tageszeiten notgedrungen nicht erlebt. Aber man gewinnt auf seinen wiederholten Besuchen in Karl's Bay, Fristad, Updaam und Complex ein tieferes Verständnis für die Welt und kann auch anhand ein paar Veränderungen Hergänge und Konsequenzen vorangegangener Ereignisse nachverfolgen. In der Praxis heißt das, ihr markiert einen Hinweis im Menü, folgt dann er Brotkrumenspur im Level und entdeckt schließlich eine Notiz oder ein Audiolog mit einer Information, die euch einen weiteren Tipp gibt.
Dishonored 3 im Geiste
Am Schluss einer solchen Quasi-Questline steht fast immer die Erkenntnis, wie man den Tagesablauf eines Visionärs so beeinflusst, dass er sich an einen Ort begibt, der euch entgegenkommt. Ihr baut also nach und nach Colts perfekten Tag - und wenn ihr den durchzieht, sind alle acht Visionäre tot und die Kampagne ist vorbei. Klingt eigentlich nicht so kompliziert, was man in Deathloop eigentlich macht, oder? (ODER?!).
Letzten Endes ist ohnehin das "Wie" entscheidend und das ist Arkane mal wieder bestens gelungen. Colts Bewegungen machen einfach Spaß: Doppelsprung, Teleport, Schlittern - das alles sitzt auf den Punkt und wird vom Design der Umgebungen optimal gestützt. Platforming in der Egosicht ist selten so gut und griffig umgesetzt, es macht Spaß, hinter jede erdenkliche Ecke zu schauen, und dort oft genug eine neue Route durch den Level zu finden, wenn man nur die richtigen Skills dabeihat.
Klaro, viele der Kräfte kennt man schon von Dishonored. Dass nun Sachen wie der Blinzel-Teleport oder Domino, mit dem man mehrere Gegner auf einmal ausschalten kann, auch hier zugegen sind, fühlt sich aber nicht nach Resteverwertung an. Es sind einfach tolle Fähigkeiten, die in einem Spiel, das Action, Schleichen und Erkundung vereint, einfach Sinn ergeben. Zumal man sie hier auch ein wenig anpassen kann: Tötet ihr den Träger eines Slabs, wie die Fähigkeiten genannt werden, ein zweites Mal in einem anderen Loop, erhaltet ihr statt der Basisversion ein Upgrade, das oft nicht einfach nur die Effizienz steigert, sondern auch den Effekt an sich verändert. Bei einem Teleport-Upgrade könnt ihr zum Beispiel mit Gegnern die Plätze tauschen, was schon ziemlich lustige Möglichkeiten eröffnet, wenn man bedenkt, wie viel Airtime man in diesem Spiel hat und wie tief man bisweilen stürzen kann.
Ich gebe allerdings zu, dass ich die Handhabung des Telekinese-Skills Karnesis, mit dem man Feinde in jede erdenkliche Richtung schleudert, bis zum Schluss nicht gemeistert habe. Und wenn ich zwischen Teleport und irgendeinem anderen Skill entscheiden muss - was ich muss, denn ich kann immer nur zwei ausrüsten -, dann tut mir das einfach leid für Unsichtbarkeit oder den Hulk-Modus. Aber ja, hier findet man viele mögliche Kombinationen, die zum Beispiel auch die Trinkets für Colt gut ergänzen. Wenn Giftgas heilend wirkt, ist das einfach cool, wenn ich die entsprechende Waffe dabeihabe, oder Schlitterpartien, die ewig andauern in Kombination mit höherem Sprinttempo sind ebenfalls lustig.
Besonders angetan war ich auch vom Waffen-Handling, denn die Lyoner haben ein paar böse Kaliber designt, die in Sound und sonstigem Feedback allesamt so viel Spaß machen, dass ich mit jedem Loadout sehr effizient spielte. Cool ist an den Waffen vor allem, dass sie ab einer bestimmten Qualitätsstufe auch coole Sondereigenschaften haben. Explosivgeschosse, Giftgaskugeln, Feuern während des Nachladens, Blutungseffekte oder eingebaute Schalldämpfung sind Boni, nach denen man sich gerne sein Arsenal zurechtlegt. Giftgaspatronen waren wie erwähnt mein Favorit. Nicht zuletzt, weil konventioneller Beschuss der Giftwolken eine Explosion auslöst - entweder die Feinde jagen sich also selbst in die Luft oder ihr nehmt im Dual Wield eine normale Pistole in die andere Hand und löst den Knall selbst aus.
Und auch, wenn die Zahl an Perks natürlich beschränkt ist, war ich lange Zeit immer wieder neugierig, in welcher Ausführung eine Waffe droppte, nachdem ich ihren Träger erlegt hatte. Damit sind wir bei den Individualisierungsmöglichkeiten ja noch nicht einmal am Ende: Ihr findet auch Trinkets (ebenfalls Perks) in unterschiedlichen Stufen, von denen ihr bis zu drei auf einer Waffe ausrüsten könnt. Da sind schon coole Sachen dabei: Mehr effektive Reichweite für jedwedes Geschoss, Gegner in der Umgebung des Projektileinschlags werden automatisch markiert, mehr Schaden für markierte Feinde, weniger Streuuung für Schrot, schnelleres Nachladen, flinkeres Zielen, penetrierende Geschosse und und und erlauben es, die Stärken der Waffen noch weiter zu betonen - oder sie eurer Spielweise ein Stück weit zu beugen.
Spiel', wie du willst!
Ich hatte nicht erwartet, so lange im Menü an meinem perfekten Colt zu feilen - und diese Grundausstattung immer wieder zu überdenken. Ich bin da eigentlich sehr Gewohnheitstier, aber Arkane hat es hinbekommen, dass ich experimentieren wollte. Fast immer wurde ich dafür belohnt. Cool ist auch das System, mit dem ihr entscheiden könnt, welche Gegenstände ihr in den nächsten Loop retten wollt. Gegen die Ressource Residuum, die an den Überresten getöteter Visionäre oder einigen Umgebungsgegenständen klebt, könnt ihr einige Dinge permanent eurem Waffenschrank hinzufügen.
Die dritte Möglichkeit, an die Substanz zu kommen, ist das opfern gefundener Waffen, Slabs und Trinkets zwischen den Missionen. Das führt zu einem netten Meta-Spiel, bei dem man priorisiert, welche Dinge man wirklich braucht und bis zum Schluss eines Tages ein wenig kopfrechnet, was man sich alles leisten kann - und was man abgeben muss. Das war mindestens drei Viertel durchs Spiel hindurch sehr packend. Irgendwann hatte ich dann "meinen" Colt und schenkte diesem Aspekt weniger Beachtung. Aber es ist ein sehr cooles Progressionssystem und fühlt sich sehr belohnend an.
Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, das ist der Multiplayer. Wer mag, darf in entsprechend vom Colt-Spieler geöffnete Partien als Julianna einsteigen und sein eigenes gesammeltes Wissen über die Missionen gegen den Protagonisten des Spiels wenden. Ich bin nicht sicher, wie lange mich das motiviert, aber bisher habe ich großen Spaß daran, anderen Spielern in die Suppe zu spucken und an den ungünstigsten Stellen gemeine Fallen mit Minen oder Gaswolken zu stellen. Es ist extrem cool, den Spieler zu pingen und ihn so trotz eigentlich tadellosen Schleicheinsatzes an die Computergegner zu "verpetzen". Oder sich in Gestalt eines normalen KI-Gegners irgendwo unters Level-Inventar zu mischen und beim Rumstehen so zu tun, als könne man ihn - ganz NPC - noch nicht sehen. Ich habe mich mehrfach einfach nur unverdächtig wie eine KI verhalten, einen schleichenden Colt passieren lassen und mich dann erst im letzten Moment zu erkennen gegeben, als es für meinen Gegner schon zu spät war.
Die Time to kill ist nicht allzu lang und ich hatte einige extrem spannende Katz- und Maus-Spiele. Natürlich war auch die eine oder andere Partie dabei, in der ein sehr beschlagener Leisetreter mir sehr lange entging - heißt: viel von dem, was man technisch gesehen Downtime nennen könnte - aber die Jagd ist hier Teil des Spiels und dass man als Julianna einfach gegen Erfahrungspunkte mit Trinkets, Outfits und besonderen Waffen zugeworfen wird, hat mich das Spiel noch einmal buchstäblich von einer anderen Seite sehen lassen - schließlich musste ich hier nehmen, was ich kriegen konnte, und durfte Anfangs noch nicht aus dem vollen Colt-Arsenal schöpfen. Die Balance ist auch in Ordnung bisher, denn immerhin hat Colt drei "Leben" und Julianna nur eines. Wie gesagt: andere zu ärgern macht Spaß und hier stimmt das besonders.
Schade um das Ende!
Kommen wir nun zu den Sachen, die mich ein wenig gestört haben. Ab und an machte das Terrain beim Drüberlaufen Probleme, wenn kleine Absätze für Colt zu großen Hindernissen wurden. Einmal wurde ich während einer Dialogsequenz von Gegnern entdeckt und es kann durchaus an meiner persönlichen Spielweise liegen, eine Questlinie immer ganz bis zum Ende abzuwickeln, dass sich die Struktur meiner Reise durch die Kampagne ein wenig seltsam anfühlte. So wie ich es anging, sah ich einige Bezirke sehr häufig hintereinander, sodass ich leichte, aber zum Glück nur kurze Ermüdungserscheinungen bezüglich einiger Spielbereiche empfand. Das legte sich dann mit der nächsten Hinweisreihe, aber ich habe das Gefühl, man hat mehr von Deathloop wenn man die Hinweise der unterschiedlichen Visionäre ein bisschen mehr kreuz und quer angeht.
Der einzige wirklich herbe Dämpfer, den ich verspürte, hatte aber mit der Handlung zu tun. Colt und Julianna haben eine tolle Chemie, die Visionäre versprühen in Logbüchern, Tagebucheinträgen und Radiodurchsagen wahnsinnig viel Charisma und die Welt an sich ist einfach schön gemacht und angemessen mysteriös. Aber beide Enden, die ich sah, haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Das fand ich extrem unbefriedigend. Da man Deathloop nach dem Ende theoretisch einfach weiterspielen kann - was ich vorhabe, weil noch so viele Hinweise, verschlossene Türen und Geheimnisse drinstecken - ist es nicht ausgeschlossen, dass sich hier irgendwo noch ein "echtes Ende" verbirgt. Aber ein großer neuer Hinweis zur Haupthandlung ist im Menü nicht aufgeploppt.
Nach einer nicht gerade kurzen Kampagne wäre hier Konkreteres dringend angesagt gewesen, anstatt den Spieler nach einem kurzen Abschlussfilmchen in die (zugegebenermaßen genialen) Credits zu entlassen. Ich rieche einen DLC kommen - und wenn der erst ein richtiges Ende nachreichen muss, ist das schade und wird dem Spiel nicht gerecht.
Deathloop Test - Fazit: Arkane hat einen Hit verdient
Schade, wenn ausgerechnet die Geschichte am Ende schlappmacht, vor allem, nachdem man die Charaktere durchaus ins Herz geschlossen hat und Verständnis für beide Seiten gewinnen konnte. Aber irgendwie passt es auch zu einem Spiel so vieler Möglichkeiten, an dieser Stelle vage zu bleiben, anstatt durch allzu genaue Antworten den Möglichkeitsraum dessen, was als nächstes passiert, auf nur einen konkreten Ausgang zu reduzieren. Für mich war es jedenfalls ein Genuss, Deathloop zu spielen, eins mit seiner seltsamen Atmosphäre zu werden und mit seinen wunderbar biegsamen Systemen zu experimentieren. Anderen Colt-Spielern im Multiplayer das Leben schwer zu machen, ist ein Spaß, der mich auch über die Kampagne hinaus noch ein wenig beschäftigen wird. Ich hoffe, möglichst viele Spieler das sehen genauso - dieses Studio hätte einen Chart-Hit so langsam mal wirklich verdient.