Kleiner Horror und kleiner Frust: Little Nightmares 2 - Test
Wenn hohe Kunst auf die harte Realität des Gameplays trifft
Horrorspiele sollen sich sperrig spielen, das ist normal. Ein guter Teil des Grusels eines Resident Evil, Silent Hill oder all der anderen Klassiker kommt auch daher, dass die eigene Spielfigur eine gewisse Impotenz gegenüber den Gefahren mitbringt, die euch das Spiel entgegenwirft. Das an sich will ich Little Nightmares 2 nicht ankreiden und in den Teilen des Spiels, wo diese wie gewünscht funktioniert, hält sich der kleine Psycho-Grusler auch an diese Formel. Ihr müsst viel Schleichen, euch verstecken und bewegt euch als kleines Kind eben nicht wie ein Marine durch feindliches Gebiet. Alles richtig. Und dann sind da all die anderen Stellen, an denen ungewollt mäßige Spielbarkeit der gewollten Sperrigkeit die Hand schüttelt und freudestrahlend ablöst.
Hüpfen und Kämpfen sollte man Prinzen überlassen.
Ihr habt in Little Nightmares 2 Sprungsequenzen, die mehr an frühe 3D-Platformer erinnern. Ein Genre, das immer noch nicht frei von Ausfällen ist, aber viele Wege fand, den Frust der auf einem 2D-TV nun mal schwierigen Tiefenwahrnehmung in Zaum zu halten. Hier wird vieles davon ignoriert und ich bin mir nicht sicher, was es mit Horror zu tun hat, wenn ich drei Mal auf irgendwelchen Regalen herumturne, nur, um den letzten Sprung an einen Haken zu verpassen, weil ich nicht den einen exakten Punkt sehen kann, an dem das Spiel mich sehen will. Dass man sich des Problems mehr als bewusst war, davon zeugen die Rücksetzpunkte. Sobald auch nur vage die Gefahr besteht, dass man sterben kann, wird alle zwei Minuten ein solcher gesetzt - fast schon eine Überkompensation im Vergleich zum Vorgänger. Sicher, das hält den Frust in engen Grenzen, aber solche Passagen wären in einem Prince of Persia sicher besser aufgehoben gewesen.
Klettern und Hüpfen ist ein guter Teil des Gameplays, wenn ihr gerade nicht schleicht. Ein anderer, zum Glück weit kleinerer, ist der Kampf. Als wollte Little Nightmares 2 unterstreichen, dass es eigentliche ein Spiel ohne Kampf sein sollte, zeigt es sich besonders lustlos in diesen Momenten und macht nur die Hälfte richtig. Dass ihr mit eurer gerade gefundenen Waffe, die immer fast so groß ist wie ihr, nur zögerlich und mit langer Vorlaufzeit zuschlagen könnt, passt. Eleganz im Kampf wäre fehl am Platz und auch die Gefährlichkeit der Gegner, die euch sofort überrumpeln, gehört hierher. Das willkürliche Element ungeschickt umgesetzte Physik und mäßiger Kollisionsabfrage nicht unbedingt.
Mal prallt eure Waffe auf einem vorstehenden Pixel ab, dann scheint sie optisch zu treffen, aber die Abfrage sagt was anderes. Dann wieder scheint das Timing exakt zu passen, aber irgendwas war halt doch minimal anders und so kann sich der Gegner auf euch stürzen. Die Gefährlichkeit der Feinde aufrechtzuerhalten und gleichzeitig durch ständiges Zurücksetzen nicht die Immersion und den Spannungsbogen zu zerstören, ist eine Kunst. Little Nightmares 2 beherrscht sie nicht, denn der achte Anlauf, drei Porzellankinder zu plätten, artete durchaus in Horror aus, aber mit etwas zu viel Frustration und Resignation angereichert. Die zuvor so geschickt aufgebaute Stimmung jedenfalls war längst schon wieder auf Ruhelinie.
Der Horror in Kleinen
Aber wenn diese Stimmungskurve ein Hoch erreicht hat, dann zeigt sich, wie gute Little Nightmare 2 als Grusel-Titel funktionieren kann. Spielerisch mag es sich in praktisch allem, was kein Rätsel oder keine Stimmungspassage ist - von denen es zum Glück mehr als genug gibt - wie ein Anfänger aufführen, aber die künstlerische Vision hinter der Spielwelt ist mitunter atemraubend gruselig. Jeder Level führt als Thema eine Mischung aus kindlichen Grundängsten und generell existenziellem Horror an und lebt darin regelrecht auf. Kleine, verstörende Details wechseln sich mit Horror-Dioramen abenteuerlicher Größe ab und bauen eine Welt, in der man sich vor jedem nächsten Raum gleichermaßen, fürchtet wie sich auf ihn freut. Diese Entdeckungsreise ist das, was Little Nightmares 2 auszeichnet und trotz allem, was nicht so richtig funktioniert, lohnend machen kann.
Es ist ja auch nicht so, dass jeder spielerische Abschnitt die oben genannten Grundsünden begeht. Oft schleicht ihr euch durch grauenvolle Szenarien, duckt euch in dunkle Ecken weg und hofft, dass das Monster des Levels euch nicht findet. Diese Wesen sind ein weiteres Highlight und ein brillantes Zerrbild aller negativen Eigenschaften seines sonst so harmlosen Selbst und diese Fratzen sind genau das, was ich von einem guten Psycho-Horror erwarte. Sich unter ihren hungrigen Augen durch Kabinette des Grusels zu schlängeln und mehr als einmal in letzter Sekunde den rettenden Ausgang zum nächsten Raum zu erreichen, zerrt dann auf die genau richtige Art an den Nerven.
Little Nightmares 2 KI puzzelt gern mit euch
Wie schon angedeutet, gibt es auch eine Reihe von Puzzles, von denen euch keines zu lange ausbremsen sollte - sofern ihr nicht wie ich auf einen Bug stoßt (ihr könnt wirklich alle drei Schachfigurenköpfe aufheben, wenn das nicht geht, dann das Spiel neu starten). Von diesem Schluckauf mal abgesehen, war es aber praktisch immer das Idealmaß: Es hielt einen lange genug an einem Ort, um ihn würdigen zu können und ein wenig den Kopf anzustrengen, aber nie so lange, dass Frust aufkäme. Genau, wie es sein sollte.
Ein wichtiger Bestandteil dabei ist der KI-Koop. Immer wieder seid ihr zu zweit unterwegs. Um höhere Griffe zu erreichen oder einen Abgrund zu überwinden ist Teamwork gefragt. Da es in jeder Situation nur eine Lösung gibt, weiß die KI natürlich sehr genau, wo sie stehen muss, damit das klappt und insoweit wird hier auch der übliche "Die KI macht nicht, was ich will"-Frust vermieden. Wenn ich richtig stand, dann stand die KI auch richtig. Wenn sie nichts tat, dann wusste ich zumindest, dass ich noch etwas falsch mache.
Ein gefühltes Problem war für viele auch die kurze Laufzeit des Vorgängers und so streckte man. Leider. Oft fühlt sich Little Nightmares 2 so an, als hätte man wieder genug Material für die Spielzeit des ersten Teils gehabt. Das musste dann mit vielen Wiederholungen im Ablauf und ein paar zu vielen Krabbelgängen auf acht bis neun gestreckt werden. Das Ergebnis ist keine Katastrophe, nicht mal ein echtes Ärgernis, aber zu oft im Spiel denkt man sich doch, dass eine dritte Wiederholung eines Raums mit nur leichter Variation jetzt nicht unbedingt das war, was die Spannungskurve brauchte.
Worum es geht? Müssen wir mal ausdiskutieren...
Was diese Spannungskurve angeht, nun, sie funktioniert wunderbar von Raum zu Raum. Das hat Little Nightmares 2 seinem brillanten Art-Design und seinem Gespür für die Inszenierung einer Szene zu verdanken und weniger der Story hinter alledem. Was das Ende angeht, da will ich natürlich nichts spoilern, aber es ist schon eher die offene Sorte, die wenige Fragen beantwortet und viele neue aufwirft. Was völlig okay für guten Horror sein kann und hier auch passt. Irgendwie. Nehme ich an. Man muss halt mal drüber reden. Das Problem ist die Hinführung, denn ehrlich gesagt hatte ich nicht den Eindruck, dass es eine gab. Man geht von Level zu Level und Raum zu Raum, weil... Nun, was soll man sonst machen. Der Verzicht auf jede Art von Sprache scheint hier zu verhindern, dass man auch nur die Chance hat zu verstehen. Mir gelegentlich einen Gang mit einem Auge zu zeigen oder das Auge hier und da mal auftauchen zu lassen, das ist zwar irgendwie gruselig, aber auch nur bedingt hilfreich. Die Reise von Six im Vorgänger war auch eine Flucht um des Überlebens Willens, aber sie fühlte sich strukturierter an, denn in ihrer Kürze lag offenbar auch viel Würze.
Als Abschluss noch ein paar Worte zur Steuerung, was uns wieder zur oft bewussten Sperrigkeit des Horror-Genres zurückbringt. Wenn euer kleiner Protagonist eine Waffe greift, dann müsst ihr die Taste gedrückt halten, um sie zu halten. Wenn er dabei schleichen soll, haltet ihr noch eine Taste gedrückt. Zum Zuschlagen eine weiter Taste, dann die Richtung. Sprünge verhalten sich ähnliche, denn an jeder Kante müsst ihr euch aktiv mit Taste-Halten hochziehen. Vermittelt dieser Akt mitunter das halbe Pad zu drücken anfangs noch die Hilflosigkeit eines zu kleinen Helden in einer zu großen Welt, fühlt es sich später leider nie natürlich, sondern umständlich und forciert an. Wie gesagt, es ist in dem Genre immer eine Gratwanderung, aber Little Nightmares 2 rutscht hier oft ein wenig ab.
Little Nightmares 2 Test Fazit
Am Ende kann ich mich nicht des Gedankens erwehren, dass es vielleicht besser gewesen wäre, den charmanten ersten Teil mit einem 70-minütigen, bestimmt sehr coolen Animationsfilm fortzusetzen. So schickte man mich durch acht Stunden in sich spannende und visuell immer wieder kreative wie gruselige Szenen, aber leider auch durch Aussetzer in Sachen Steuerung und Gameplay. In Little Nightmares 2 steckt viel, was man lieben kann, seien es die grotesken Bewohner einer unwirklichen Welt wie auch die Gesten und Aktionen der oft hilflosen kleinen Helden. Aber alle paar Minuten stellt sich das Spiel selbst ein Bein, wenn es euch durch eine bestenfalls belanglose, schlimmstenfalls unnötig frustrierende Sprung- oder Kampfsequenz schickt, die klarmacht, dass das Handwerk zwar gelernt, aber noch nicht gemeistert wurde.
Wie gesagt, der Vorgänger konnte das in seiner kurzen Laufzeit etwas besser kaschieren und vor allem war sein Stil naturgemäß frischer und aufregender. So interessant Little Nightmares 2 visuell und erzählerisch immer noch ist, es macht hier nichts grundlegend anders als sein Vorgänger und es ist bei aller Quantität nicht der qualitative Sprung, den andere Horror-Klassiker in ihren Fortsetzungen hinlegen konnten. Wenn ihr mehr vom ersten Teil haben möchtet und die gleichen Fehler in Sachen Gameplay euch nicht so stören, dann ist das hier eine sichere Bank. Ich hoffe aber, dass sich das Team für den dritten Teil der Grundlagen annimmt und nicht nur ein schönes, sondern rund herum gelungenes Spiel anstrebt. Verdient hätte es die bizarr-hinreißende Welt von Little Nightmares allemal.
- Entwickler / Publisher: Tarsier Studios / Bandai Namco
- Plattformen: PS4 / PS5 / Xbox / PC / Switch (Next-Gen-Updates für PS5 und Series X folgen) (getestet auf Xbox)
- Release-Datum: 11.2.2021
- Sprache: Deutsch, Englisch und mehr
- Preis: ca. 30 Euro, keine Mikrotransaktionen im Spiel, DLCs sollen folgen - Collector's Edition ca. 50 Euro