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SEED - wie Klang Games in Kreuzberg das MMO für alle sucht

"Es gibt nicht viele Leute, die sich mit Raumschiffen identifizieren."

Es sind ein paar Sekunden Ruhm, die sich seltsam anfühlen müssen. Aber da taucht ein kleines Kreuzberger Spielestudio, das mit einer großen Idee an den Start gegangen ist, plötzlich neben einigen anderen irre berühmten Kreativen in Apples neuem "Hinter dem Mac" Werbespot auf. Chief Creative Officer, Ívar Emilsson, dessen Antlitz zusammen mit dem von Klang-Games-Mitgründer Oddur Magnússon über sein Apple-Arbeitsgerät hinweg auch von endlos vielen Plakaten auf die deutsche Hauptstadt runterschaut, nimmt es mit einer sympathischen Mischung aus Amüsement und Schüchternheit. Man versteht sofort, er will am liebsten direkt über sein Spiel reden.

Und das ist gut so, denn SEED ist alles andere als einfach zu beschreiben. Im Rahmen meiner Recherche war mir lange nicht klar, wohin die mittlerweile gut 55 Personen starke Klang-Mannschaft ihre Spieler damit zu schippern gedenkt. Ein wilder Mix aus Aufbau-Simulation und Gesellschaftsexperiment würde es wohl werden, wenn wir in SEED irgendwann - jeder für sich - eine Gruppe virtueller und halbwegs autonomer Menschlein auf einen fremden Planeten aussetzen, nachdem wir den unseren zu Ende gebeutelt haben. Ein Reboot für die Spezies also. Aber der Vibe war diffus, so freundlich und einladend die Optik auch rüberkam. Im Dialog reicht ein Griff in Emilssons berufliche Vergangenheit, um mir auf einen Schlag die Tür zur Gedankenwelt dieser MMO-Simulation sperrangelweit aufzustoßen.

Wie ich fand, ein spannendes Gespräch über ein visionäres Konzept, das mit großem Schwung auf der Suche nach dem Dreh ist, mit dem man MMOs einer breiten Masse zugänglich macht. Und vielleicht lernen wir auf der Reise noch ein paar Lektionen über unsere seltsame Spezies.

Ivar Emilsson, Mitgründer und CCO bei Klang Games

Ívar Emilsson: Die Idee zu SEED ist vermutlich um die 15 Jahre alt. Mir kam der Einfall dazu, als ich noch bei CCP an Eve Online arbeitete. Das Spiel hat mich sehr inspiriert, dieser persistente Single-Shard-Ansatz [also nur einen Server für alle User des Spiels Anm. Alex] macht alles, was man tut, sehr bedeutsam. So kann man zum Beispiel einen Ruf im Spiel erlangen, gewissermaßen ein Star in einer virtuellen Welt werden. Ich finde das einen wahnsinnig mächtigen Gedanken.

Auch der spielergetriebene Ansatz, sowohl in Sachen Markt und dem PvP, der Anreiz für die Spieler und Spielerinnen sowohl zusammenzuarbeiten als auch gegeneinander in Wettbewerb zu treten - das erschafft aus sich heraus gewissermaßen endlosen Content. Für mich ist das aufregender und tiefgreifender als jedes vorgefertigtes Erlebnis, jede vorab verfasste Geschichte, die man nachspielt.

Eurogamer: Bei meiner Recherche dachte ich mehrmals, dass SEED sehr schwierig zu greifen sei, aber sobald du Eve Online gesagt hast, fiel es mir deutlich einfacher zu erfassen. Auch der Ansatz, eine virtuelle Gesellschaft zu bilden. Das war gerade wirklich ein gedanklicher Dosenöffner für mich gerade.

Ívar Emilsson: Ja. Und ich meine, wir begannen diese Reise ursprünglich, um MMOs der breiten Masse näherzubringen. Seitdem haben sich unsere Ideen und Ansätze zwar ein wenig verändert. Der ursprüngliche Gedanke war der eines zugänglichen, nachempfindbaren Erlebnisses, sodass ein größeres Publikum als je zuvor die von Tiefe und Bedeutsamkeit genießen könnte, zu der Massively Multiplayer-Spiele im Stande sind.

In SEED macht sich die Menschheit nach Avesta auf, nachdem die Erde unbewohnbar wurde.

Aber über die Jahre... ich glaube, wir entfernen uns ein wenig vom MMO-Begriff. Der ist an sich ja schon ein wenig 'hardcore'. Wenn man Leute fragt, sich ein MMO vorzustellen, kommt denen etwas sehr Gamer-fokussiertes in den Sinn ...

Eurogamer: 'Alles für die XP, Mann!'

Ívar Emilsson: Ja, 'alles für die XP'. Jetzt geht es eher in Richtung virtuelle Welt. Ich glaube, die Linie, was in dem Zusammenhang ein Spiel ist, verschwimmt bei uns ein wenig. Ich möchte, dass man diesen Ort, den wir erschaffen, Avesta, als tatsächlichen Ort wahrnimmt. Ich glaube, Eve ist wirklich das beste Beispiel dafür. Die Leute, die sich dort aufhalten, nehmen dieses Universum als Ort wahr.

Eurogamer: Du hast vorhin gesagt, dass du möglichst viele Leute diese Art von Spiel näherbringen willst. Eve hatte allerdings immer den Ruf weg, den Charme einer Tabellenkalkulation zu versprühen. Trocken und mit vielen Zahlen in Richtung des Spielers.

Ívar Emilsson: Die Zugänglichkeit ist natürlich sehr niedrig bei vielen dieser Spiele und sie richten sich an ein Nischenpublikum. Eves Farbpalette bewegt sich zwischen Dunkelblau und Grau, es spielt im Weltraum, es ist sehr kalt, sehr Sci-Fi. Auch WoW ist mit Orks und Magie sehr auf bestimmte Gruppen von Spielern ausgerichtet. Wir dagegen wollen ein Erlebnis erschaffen, das seine Inspiration aus dem echten Leben zieht und tief nachvollziehbar ist. Es geht um das tägliche Leben, die Erhaltung dieser virtuellen Leute in einer virtuellen Welt. SEED soll auf dieser Ebene ansprechen.

Bis Avesta derart bevölkert sein wird, wird es eine Weile dauern.

Eine Sache, die mir bei meiner Arbeit an Eve aufgefallen ist: Es war sehr schwierig, die Leute ins Spiel zu bekommen. Nicht, weil die Bedienung so schlecht war, sondern weil das komplette Konzept schwer zu begreifen war. In SEED bist Du der Beschützer von verschiedenen Menschen, die hungrig werden, schlafen müssen, Beziehungen knüpfen, altern und sich weiterentwickeln. Aber im Kontext von Eve oder WoW ist das nicht so intuitiv - man findet sich in dieser Welt wieder und muss dann alles herausfinden, in Eve ist man im Grunde zu Beginn nur ein Raumschiff. Es gibt nicht viele Leute, die sich mit Raumschiffen identifizieren.

Eurogamer: Auf jeden Fall. Das sieht man schon an der Art, wie die Presse Eve in der Vergangenheit gecovert hat. Wann immer etwas Großes passiert, stehen Zahlen im Vordergrund. 'so und so viele Tausend Schiffe zerstört', 'So viel Wert wurde in der letzten Schlacht vernichtet.' Eve hat das gutgetan, aber wenn man versucht, spielerischen Systemen eine gewisse Menschlichkeit zu verleihen, ist es vermutlich hilfreich, von diesen Zahlen wegzukommen.

Ívar Emilsson: Ja! Eine Sache, die Eve aber absolut toll gemacht hat, war es, Leute zusammenzubringen. Wir haben extrem starke Bande zwischen Spielergruppen entstehen sehen, Menschen, die Freunde wurden. Ich habe in meiner Zeit bei CCP auf den Fan-Fests eine Menge Hochzeiten erlebt. Es kann definitiv starke Beziehungen knüpfen. Das ist es, worauf wir letzten Endes aus sind. Starke Bindungen, aber für ein größeres Publikum. Wir konzentrieren uns also auf Zusammenarbeit und die soziale Ebene.

Klang wird vornehmlich durch private Investoren finanziert. 'Wir haben noch genug Runway, um das Projekt zu beenden', sagt Emilsson.

Eurogamer: Der Spieler selbst ist aber nicht in der Spielwelt von Avesta präsent...

Ívar Emilsson: Nein, der Spieler ist der Fürsorger über ein paar Seedlings, wie wir sie nennen. Virtuelle Menschen, die 24/7 in der Simulation leben, komplett persistent. Wenn du dich ausloggst, leben sie in der Spielwelt weiter, interagieren mit ihr. Und dann passieren ihnen natürlich Dinge.

Eurogamer: Es wird sicher eine Beschränkung geben, für wie viele Seedlings die Spieler und Spielerinnen sorgen?

Ívar Emilsson: Das ist eine Sache, die wir noch sondieren. Eine Sache, die ich wichtig finde, wenn man macht, was wir machen, ist, zu begreifen, das unterschiedliche Leute sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Ein Spieler, der eher auf Casual aus ist, will sich vielleicht nur um ein oder zwei Charaktere kümmern. Aber jemand, der vielleicht ein industrielles Imperium aufbauen möchte, hat vielleicht 20 Seedlings oder so. Und ernsthaft: Eine Sache, die ich auch gesehen habe, als ich bei CCP arbeitete, war, dass die Leute einfach Limits umgingen, indem sie weitere Accounts anlegten. Wir versuchen, uns dem anzunehmen und eine große Bandbreite an Spielarten zu erlauben.

Eurogamer: Ich stelle mir vor, das zu sondieren und justieren ist vermutlich das Schwerste für euch aktuell, oder? Du willst ja, dass die Menschen auf bedeutsame Bande mit den Seedlings knüpfen. Mit einem Dutzend von ihnen oder so ist es einfach. Aber je mehr man unter seiner Kontrolle hat, desto schwieriger wird es, diesen Bezug zu ihnen zu haben. Wie handhabt ihr dieses Tauziehen?

Ívar Emilsson: Im Moment geht das viel über Tests. Aber wir haben da eine Hypothese. Der Grund dafür, dass wir nur eine Handvoll Charaktere haben wollten, war ja eben dieser emotionale Bezug. Gleichzeitig musste es auf jeden Fall mehr als einer sein. Unsere Inspiration ist das echte Leben und da können eine Menge schlimme Dinge passieren. Hat man nur einen Charakter und der hat ein gebrochenes Bein, ist das lästig. Hat man zwei, wird es plötzlich ein interessantes Gameplay-Problem. Dann muss man auf einmal seine Spielweise darauf umstellen, sich um den bewegungslosen Seedling kümmern, der im Wohnzimmer rumliegt.

Es ist definitiv ein Balanceakt. Bislang haben wir mehr darüber nachgedacht, wie wir ins Spiel starten wollen, mit einem, zweien oder vier Seedlings. Das sind die Optionen, mit denen wir gerade herumspielen. Es ist definitiv ein Tauziehen und ich glaube nicht, dass wir genug Daten haben werden, bevor wir nicht tatsächliche Spieler über einen längeren Zeitraum mit den Seedlings spielen sehen.

Macht euren Seedlings das Leben schön!

Und das ist auch eine der Sache, die wir richtig hinbekommen wollen. SEED soll man über einen langen Zeitraum spielen. Es geht nicht um eine massive, lange Session und dann nicht wieder. Es ist eher wie ein Tamagotchi, wo man immer mal wieder nachschaut, wenn sich etwas in der Welt verändert.

Eurogamer: Aber die Seedlings werden Bündnisse eingehen, Familien gründen?

Ívar Emilsson: Das ist die Idee. Wenn du also mit zwei Seedlings startest, gehen die nicht zwangsläufig eine Beziehung miteinander ein, aber sie werden eine soziale Bindung mit anderen Seedlings eingehen, die sich in ihrer Nähe befinden. So können für verschiedene Spieler und Spielerinnen gemeinsame Ziele entstehen. Die Simulation fungiert also als Eisbrecher, um Konversationen zwischen echten Menschen einzuläuten. Sagen wir, mein Seedling verliebt sich in deinen - plötzlich haben wir ein gemeinsames Ziel, ihnen ein glückliches Leben zu bescheren. Das kann sich über Wochen und Monate hinziehen.

Die Seedlings sollen ein bewegtes Eigenleben führen - ihr bittet sie, Dinge zu tun, anstatt sie ihnen zu befehlen.

Eurogamer: Da kommt mir natürlich der Gedanke, wer von uns wie Einfluss auf den Nachwuchs ausübt?

Ívar Emilsson: Ja, das ist eine der schwierigen Fragen, über die wir gerade nachdenken...

Eurogamer: Ein Familiengericht vielleicht!

Ívar Emilsson: ... [lacht] Ich meine, wir wollen, dass es wirklich spielergetrieben ist. Das ist eine unserer Designphilosophien: Zu versuchen, ob wir es hinbekommen, dass die Spieler diese Systeme selbst einbauen. Das ist immer besser. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass wir es so machen, dass alle Charaktere schwanger werden können und wenn unsere Seedlings in einer Beziehung wären, könnte man dann einen Schwangerschaftsmodus aktivieren, der würde dann bedeuten, dass ich das Sorgerecht bekomme. Aber wie gesagt: Diese Kleinigkeiten haben wir noch nicht ausgearbeitet.

Eurogamer: Ich habe so langsam das Gefühl, wir hätten mit den Kleinigkeiten anfangen sollen! Wie kontrolliert man die Seedlings eigentlich: Direkt oder setzt man ihnen Ziele.

Ívar Emilsson: Im Grunde macht man beides! Es gibt einen Tagesablauf, den man festlegen kann und der vorgibt, was die Seedlings wo und wann machen sollen. Zum Beispiel könnte dein Charakter irgendwo eine Arbeit annehmen. Die Zeit, die darauf entfällt, wäre dann in dem Tagesablauf geblockt. Der Spieler arrangiert weitere Tätigkeitsblöcke darum herum.

Aber die Seedlings sind auch sehr autonom. Sie werden dir häufig Fragen stellen, etwa ob sie mit einer anderen Person zu Abend essen sollten und dergleichen.

So utopisch die Welt auch anmuten mag: Was die Spieler daraus machen, liegt bei ihnen. Auch Konflikte kann es geben.

Eurogamer: Von den Spielern zu ihren Seedlings ist es also keine Einbahnstraße...

Ívar Emilsson: Ich würde mir das als inneren Monolog des Seedlings vorstellen, wie er darüber nachdenkt, was zu tun ist - und ihr trefft dann eine Entscheidung für ihn.

Wir haben aber auch Formen direkterer Kontrolle, aber dabei handelt es sich eher um Suggestionen, die man macht. Denn wir wollen, dass diese Charaktere autonom sind. Unser Ziel ist, dass sie zu intelligenten, charismatischen Wesen werden und Persönlichkeiten haben, die man wiedererkennt. Man kommandiert sie also nicht direkt herum, man bittet sie nur darum. Und dann tun sie es vielleicht oder nicht. Vielleicht antworten sie auch auf andere Weise darauf.

Klang Games begann zu dritt und wuchs dann allmählich. In den letzten beiden Jahren hat sich die Teamgröße verdoppelt. 55 Leute arbeiten jetzt hier.

Eurogamer: Aber alle Seedlings aller Spieler befinden sich auf demselben Planeten, auf ein und demselben Server.

Ívar Emilsson: Das ist die Idee. Darauf arbeiten wir hin. Vermutlich starten wir in der Alpha mit nur ein paar Gebieten, die wir untereinander verbinden. Aber der Gedanke ist, dass es eine einzige Welt für alle ist. Selbst wenn wir zu Beginn Sharding machen würden, würden wir definitiv alles über ein Meta-System verbinden und den Markt alle Sektoren überspannen lassen.

Eurogamer: Ich habe ein Interview mit einem eurer Entwickler gesehen und er sprach darüber, dass es schwierig war, den zentralen Gameplay-Zyklus zu erarbeiten. Was verrückt ist, denn viele Spiele werden um einen zentralen Gameplay-Zyklus herum designt, oder?

Ívar Emilsson: Ja, aber ich würde sagen, dass es etwas anders ist, wenn man eine Life-Simulation wie diese erschafft, in der es viele miteinander verzahnte Systeme gibt, die zusammen das Erlebnis darstellen. Es gibt im Grunde keinen singulären Spiel-Loop, sondern ein paar verschiedene, an denen die Leute teilhaben können, wenn ihnen der Sinn danach steht. Natürlich gibt es auch eine Art Progression, die gewissermaßen dafür einsteht - man versucht, immer in irgendetwas voranzukommen...

Eurogamer: Sowohl der Spieler als auch die Seedlings?

Ívar Emilsson: Ja, wir sehen das als geteilte Spieler- und Seedling-Progression. Wir versuchen, es nicht XP und Level zu nennen, sie sammeln eher Wissen an. Und der Spieler häuft natürlich Reichtum und Einfluss an.

Eurogamer: Einfluss wird vermutlich wichtig, wenn man als Spieler vom Mikro zum Makro des Spiels übergeht? Irgendwann treffen ja Spieler, die ihrerseits mit ihren Seedlings ihr Ding machen, ja aufeinander. Kann man dann zum Beispiel mit Einfluss mehr Territorium einkaufen? Oder wie stellt ihr euch das bisher vor? Ihr möchtet ja offensichtlich, dass die Spieler irgendwann zusammen große Kolonien errichten.

KI, Skalierung und Persistenz sind die größten Herausforderungen für die Entwicklung laut Emilsson.

Ívar Emilsson: Ja, da geht es definitiv um Einfluss. Wir sind außerdem fest von Tools überzeugt, die es ermöglichen, dass die Spieler sich selbst regieren. Eve hat ja bereits Corporation Management-Tools. Da ist zum Beispiel eine Zwei-Wege-Sache, mit der man sich bei diversen Firmen bewerben kann und jemand anderes nimmt diese Bewerbung dann an. Und diverse Regeln bestimmen, was man tun kann. Das mag zwar gut sein, um eine Gruppe von Spielern zu managen. Aber es ist auch sehr statisch und läuft oft gewissermaßen auf Diktaturen in diesen Gruppen hinaus. Es gibt immer jemanden, der sie gründet und die größte Macht hat. Unser Ziel ist dagegen, flexible Tools zu erschaffen, damit große Communities sich selbst verwalten und mit der Zeit und entsprechend dem Willen der Gruppe verändern können.

Eurogamer: Ein richtiges politisches System.

Ívar Emilsson: Ja, ihr könnt eine Demokratie errichten oder eine Diktatur. Oder was immer ihr wollt. Der Gedanke dahinter ist, dass wir letzten Endes eine Sandbox machen wollen, in der wir den Spielern die Werkzeuge in die Hand geben, die menschliche Gesellschaft von neuem aufzubauen. Auf dem Weg dahin gilt es natürlich viele Hürden auszuräumen. [lacht]

Eurogamer: Dir ist schon klar, dass es an irgendeinem Punkt wahnsinnig schiefgehen muss, dass sich die Gesellschaft spaltet, Kriege geführt werden. Und von dem, was ich gesehen habe, was natürlich nicht viel ist, sieht das Spiel so angenehm und freundlich aus, dass ich denke 'Oh Mann, die Spieler werden den Entwicklern das Herz brechen, die sehen so optimistisch und umgänglich aus und wir Spieler werden in dieser Welt Kriege führen!' Derartige Systeme für Kampf und Konflikt sind ja im Spiel, oder?

Ívar Emilsson: Nur um das sehr klar zu sagen: SEED ist kein Kampfspiel, aber es wird später auch Kämpfe geben. Genau, wie es kein Farming-Simulator ist, obwohl ein Aspekt Landwirtschaft ist. Aber Kampf und Konflikt ist Teil des Lebens. Wir glauben daran, dass es nicht viel zu lernen gäbe, wenn wir den Leuten eine Utopie hinstellen. Das würde sehr schnell langweilig werden, meiner Überzeugung nach. Die Leute brauchen inhärent eine Art Konflikt. Ich bin nicht ganz sicher, wo, aber ich meine mal gelesen zu haben, dass die Sims-Community irgendwann mal sehr toxisch war, weil es keine Konflikte gab. Alle fingen mit Cyber-Bullying an, weil das die einzige Art war, Schaden anzurichten.

Verschiedene Sicherheitsbereiche bestimmen, wie wahrscheinlich Konflikte sind.

Eurogamer: Es gab kein 'Ventil'?

Ívar Emilsson: Ja. Wir bauen den Leuten also zwar keine Utopie ohne Konflikte. Aber wir geben ihnen die Systeme in der Sandbox, diese Utopie selbst zu errichten - und auf dem Weg dorthin hoffentlich etwas zu lernen.

Wir haben in der Vergangenheit darüber gesprochen, Bereiche einzurichten, in denen man sicherer ist als in anderen. Eve hat ja zum Beispiel ein High-Sec-, Low-Sec-, Null-Sec-System. Aber auch wenn man an Stardew Valley denkt - das ist eines der populärsten Cozy-Games, aber es hat auch ein Kampfsystem. Aber das Tolle ist, dass der Kampf ist optional ist, man sich dafür entscheiden muss. Bis man sich entscheidet, sich in Gefahr zu begeben, lebt man in einer ziemlich sicheren Welt. Ich könnte mir vorstellen, dass wir einem ähnlichem Modell folgen werden.

Eurogamer: Aber sobald man sich einer größeren Gesellschaft anschließt, gibt man ja auch die Freiheit auf, sich aus Konflikten herauszuhalten. Ok, ich schätze, man kann sich auch wieder ausgliedern, seine Seedlings nehmen und umziehen gewissermaßen...

Ívar Emilsson: ... ich meine, fast wie im richtigen Leben oder? [lacht] Aber sich in der Masse zu bewegen, bedeutet auch wiederum Sicherheit. Der Ton, den wir anschlagen ist, dass wir als Menschheit eine zweite Chance bekommen, wir also versuchen sollten, uns zu bessern.

Eurogamer: Ihr könntet euren Seedlings ja auch eine gewisse grundlegende Aversion gegen Konflikte einimpfen. Sodass sie unglücklich werden, wenn sie ständig kämpfen müssen.

Ívar Emilsson: ... oder Angst haben. Absolut! Außerdem ist es in einer so großen Welt mit so vielen Bewohnern wie diese ein riesiges logistisches Unterfangen, sich für einen Krieg auf eine Reise zu begeben. Du musst sie alle glücklich, satt und warm halten. Das ist nicht einfach - und die Seedling und ihre Gefühlswelt stehen immer noch im Vordergrund. Ich finde allerdings auch ökonomische Konflikte sehr interessant. Das ist auch ein großer Teil spielergetriebener virtueller Welten, die Konkurrenz um die besten Preise und effizientesten Produktionsanlagen und so weiter?

Die Frage ist, ob die KI überzeugt, um die Illusion von virtuellem, bedeutsamem Leben zu erzeugen.

Eurogamer: Hast Du dieses neue Spiel Going Medieval gesehen? Das scheint einige Parallelen zu euch zu haben.

Ívar Emilsson: Das habe ich. Definitiv Parallelen. Und ich glaube, Dwarf Fortress ist eine der ursprünglichen Inspirationen. Als Rimworld herauskam, bekam ich es mit der Angst zu tun, 'Oh nein, die machen Seed', aber dann wurde es doch deutlich anders. Und jetzt halt Going Medieval - aber ich glaube auf jeden Fall, dass sich die Leute langsam daran gewöhnen, Entitäten auf diese [indirekte] Art zu kontrollieren und daran, sich um eine limitierte Zahl an Figuren zu konzentrieren, die Bindungen eingehen. Jede Veröffentlichung in diesem Sektor ist gut für uns und eine große Inspiration.

Eurogamer: So wie ich das sehe könnte man die Anfänge auch mit einer Art Die Siedler vergleichen, nur eben mit mehr Freiheiten darüber, wie die Gebäude aussehen sollen. Gerade hier in Deutschland ist das ein guter, einladender Weg, die Aufmerksamkeit der Spieler zu erlangen: 'Komm und bau diesen Leuten ein schönes Zuhause, auf dass sie überleben mögen!'

Ívar Emilsson: Ja, ein fairer Vergleich. Das ultimative Ziel für den durchschnittlichen Spieler ist, diesen virtuellen Menschen das bestmögliche Leben zu ermöglichen, und sich auf lange Sicht um sie zu kümmern. Und deine Seedlings haben auch Einfluss auf die Welt, die man ihnen erschafft, haben bestimmte Verlangen und Wünsche. Wir sprechen auch über Generationen, darüber, dass die Seedlings irgendwann alt werden, sterben und Nachkommen hinterlassen.

Man bekommt mit der Zeit viel historischen Kontext innerhalb der Umgebung, die man erschafft. Deine Schützlinge leben vielleicht mit ihrer Familie im Haus ihres Großvaters, vielleicht steht auf dem Marktplatz der Stadt eine Statue eines wichtigen Seedlings, der vor einer Weile gestorben ist.

Wir tunen das alle immer noch, wie viel Aufmerksamkeit die Seedlings brauchen und über wie viele davon die Spieler die Verantwortung haben sollten. Es ist komplett anders als jedes andere MMO, weil die Charaktere persistent sind und rund um die Uhr auf Avesta leben. Damit hängen natürlich Kosten für uns zusammen, egal, ob die Spieler online oder offline sind. Das versetzt uns natürlich wirtschaftlich in eine einzigartige Position. Hätten Spieler Tausende Seedlings, könnte das für uns zu teuer werden.

Eurogamer: Was glaubst du, wie lange ihr SEED noch entwickeln werdet?

Ívar Emilsson: Später dieses Jahr werden wir eine Prä-Alpha haben, vermutlich auf PC und Apple. Der Gedanke ist, erstmal Feedback zu sammeln und weiter zu iterieren. Natürlich haben wir eine sehr lange Entwicklungs-Timeline. Ich glaube das hier ist eines der Projekte, die wir immer weiter ausbauen werden, während es sich weiterentwickelt. Eve Online ist bald 20 Jahre alt. Auch wir wollen definitiv diese fortwährende Entwicklung und den fortwährenden Aufbau der Community.

Wir wollen den Leuten einfach die Werkzeuge geben sich eine schöne Welt zum Leben zu bauen.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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