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As Dusk Falls Test - Nichts ist erfrischender, als ein unerwarteter Multiplayer in einem Storygame

Der Wunsch nach Freiheit und Kooperation

As Dusk Falls ist ein perfektes Beispiel für eine gelungene emotionale, spannende Erzählung und eine gute Umsetzung des kooperativen Erlebens.

Route 66. Arizona. 1998. Ein Gefühl von Freiheit liegt in der Luft - Freiheit und der Wunsch nach der Flucht vor den eigenen Problemen, vor der eigenen Geschichte und irgendwie auch vor der eigenen Familie. Das ist die Emotion, mit der As Dusk Falls sechs Stunden lang ihre Spieler fesselt. Das Spiel ist das Erstlingswerk von Interior/Night, einem Studio, das im Herzen von London liegt, aber ihrer Story lieber einen amerikanischen Flair gibt und von zwei Frauen geleitet wird, die hinter einigen namenhaften Spielen stecken.

CEO und Creative Director Caroline Marchal, die bereits für Heavy Rain oder Beyond: Two Souls verantwortlich war und Production Director Charu Desodt, die als Programmiererin bei Sony für SingStar anfing und sich dann durch VR- und Mobile-Games gearbeitet hat, wollen nun endlich ihre eigenen Geschichten erzählen und in eigenen Spielen verwirklichen. Einen Blick ins Studio und was As Dusk Falls mit Twitch Plays Pokémon zu tun hat, erfahrt ihr im folgenden Video. Ich durfte nämlich nach London reisen, um zu sehen, was hinter den Kulissen passiert:

Das Gewicht der eigenen Entscheidung

Wie bereits in der Vorschau ausgeführt, steht bei As Dusk Falls zweifelsohne die Geschichte im Fokus. Diese ist mitreißend geschrieben. "Breaking Bad"-gut. Dass hier Profis am Werk sind, spürt man vom ersten bis ins sechste Kapitel. Es gibt keine Passage, die Langeweile aufkommen lässt, im Gegenteil: gleich zu Anfang wird ein Konflikt erzeugt, der eine Spannung aufbaut, die bis in die letzte Szene anhält. Trotzdem wirkt diese Spannung nicht auslaugend, denn ein wenig Atempausen und Raum zur Verarbeitung lässt das Spiel einem auch - aber eben nie zu viel.

Im Grunde handelt es sich bei der Geschichte um zwei Familien und ihre inneren Konflikte. Einerseits haben wir die Holts, eine berüchtigte Familie, die sich aus Verzweiflung dazu entscheiden, beim Sheriff einzubrechen und die Familie Walker, die notgedrungen einen Umzug durch halb Amerika vornehmen muss. Die Familien treffen im Motel "Desert Dream" aufeinander, in dem es zu einer Geiselnahme kommt. Wie stark dieser Überfall eskaliert, hängt von den Entscheidungen der Spielerinnen und Spieler ab, aber am Ende hinterlässt das Ereignis bei allen Charakteren traumatisierende Spuren.

Am Ende jedes Kapitels eine Zusammenfassung des Geschichtsverlaufs aufgelistet. Hier sehr ihr ausführlich, wie der Geschichtsverlauf zustande gekommen ist. Ihr könnt nach jedem Kapitel an dem Punkt ansetzen, an dem ihr wollt, um den Handlungsverlauf zu verändern. Es gibt tote Charaktere, Verletzungen und Schicksalsschläge, die man verhindern oder eben bewirken kann. Ein Game Over gibt es allerdings nicht, denn ihr sollt lernen, mit Konsequenzen zu leben. Auch wenn ihr nach jedem Kapitel den Verlauf beliebig verändern könntet, animiert das Spiel gut dazu, mit den getroffenen Entscheidungen erst einmal die komplette Geschichte durchzuspielen.

Der Klang der Freiheit

Das rund sechsstündige Drama wird aber nicht nur durch das ungewöhnlich Community-orientierte Gameplay untermalt - zu dem ich im nächsten Abschnitt komme - sondern vor allem von einer hervorragend umgesetzten deutschen Synchronisation. Egal, ob der böse Polizist Dante Romero, die süße Tochter Zoe Walker oder der liebevolle Vater Vince Walker, die Sprecher klingen genau richtig besetzt. As Dusk Falls zeigt deutlich, warum Lokalisierungen das Spielgefühl nachhaltig bereichern können, wenn sie vernünftig umgesetzt werden.

In As Dusk Falls werden auch unangenehme Themen angesprochen. Das Spiel gibt euch aber die Option, sie zu umgehen, wenn ihr euch gerade nicht danach fühlt.

Natürlich trägt die Musik ebenfalls ihren Teil zur Stimmung bei: In diesem Fall handelt es sich um eine Mischung aus Sound-Sequenzen, die das richtige Ambiente zur emotionalen Stimmung setzen und lizenzierten Tracks, die als ganze Songs abgespielt werden.

Xbox stellte dem Interior/Night Team außerdem Psychologen zur Seite, die bei der Ausarbeitung der Charaktere helfen sollten. Meiner Meinung nach ist ihnen das fantastisch gelungen, denn fast alle Figuren im Spiel werden durch Schicksalsschläge begleitet. Egal, ob durch Familienmitglieder, die über Generationen hinweg ihre Gewalttätigkeit ausüben, Vertrauensbrüche in der Ehe oder die Verarbeitung der Geiselnahme selbst, die Charaktere bleiben immer dreidimensional. Die Wahlmöglichkeiten sind nachvollziehbar, auch wenn die Impulse für die Handlungen der Figuren am Ende von den Spielerinnen und Spielern geleitet werden.

Eine gemeinsame Erfahrung, eine individuelle Statistik

Hier kommt eine ungewöhnliche Komponente ins Spiel, die As Dusk Falls ganz besonders macht: Man kann die interaktive Geschichte auch als Multiplayer erleben. Es gibt einen lokalen Modus, einen online Modus, eine Mischform ist ebenfalls möglich und zusätzlich Crossplay und eine Twitch-Integrierung, damit der Chat bei Entscheidungen mitmischen kann. Nur eine Person muss dabei das Spiel besitzen, der Rest kann durch eine kostenlose App am Spiel teilnehmen - oder eben durch einen Controller im lokalen Modus.

As Dusk Falls bringt einen einfallsreichen Multiplayer ins Spiel: Am Ende jedes Kapitels werden eure Aktionen aber auch im Singleplayer ausgewertet.

Der Multiplayer zielt ganz klar auf Zusammenarbeit ab: Ihr könnt mit bis zu acht Leuten teilnehmen. Jeder bekommt eine Farbe zugewiesen und dann kann es auch schon losgehen. Bei QuickTime-Events müssen alle die richtige Aktion ausführen, bei Entscheidungen gewinnt die Mehrheit, alles vergleichbar mit Until Dawn und ähnlichen Titeln. Aber man kann auch Einspruch einlegen und die anderen Mitspielerinnen oder Mitspieler trotz Mehrheit überrumpeln. Das geht im gesamten Koop nur drei Mal, wäre ja ätzend, wenn einer ständig im Alleingang entscheidet. Diese Optionen sollen die Diskussionen um moralische Entscheidungen anregen und das tun sie auch. Oft sorgen sie zudem für lustige Momente im Spiel. Die Herangehensweise, eine Geschichte gezielt als gemeinsame Erfahrung zu erleben, finde ich spannend und in diesem Spiel gekonnt umgesetzt. Der Multiplayer ist nicht nur vom Schwierigkeitsgrad, sondern auch durch die kostenlose App für alle Interessenten zugänglich. Außerdem läuft er technisch fehlerfrei.

Extrem toll ist hier auch, dass am Ende von jedem Kapitel ein Profil von jedem einzelnen Spieler erstellt wird: Waren eure Entscheidungen eher familienorientiert oder charaktergetrieben? Seid ihr impulsiv oder denkt ihr auch mal länger über eure Wahlmöglichkeiten nach? Diese Profile werden dann für alle sichtbar gezeigt. Das passiert im Einzel- sowie im Mehrspielermodus. Beim Multiplayer gibt es obendrein "Nemeses" und "Soulmates" in denen die Beziehung des Spielverhaltens zwischen zwei Spielern dargestellt wird. Ein kreativer Einfall, der die Spieler noch mehr zusammenbringt und zum Austausch anregt! Zudem regt der Mehrspieler dazu an, das Spiel öfter, mit unterschiedlichen Personen und nicht nur allein mehrmals durchzuspielen. Smart!

Ein echter Dorn im Auge

Die Darsteller wurden für As Dusk Falls in einer Art Graphic-Novel in Szene gesetzt. Während es sich um richtige Schauspielerinnen und Schauspieler handelt, wurden ihre Aufnahmen nachträglich bearbeitet, um nach dem Motto des Teams "Every Frame A Picture" (Jedes Szene ein Kunstwerk) im Spiel zu landen. Der Aufwand für diesen Stil war höher, als man vielleicht denken könnte, wie ihr im Video oben sieht. Jede Aufnahme wurde händisch nachbearbeitet, Farbspielereien und nachträgliche Konturen in den Gesichtern sollen die Emotionen der Protagonisten unterstützen. Trotzdem ist genau dieser Stil leider mein größter Kritikpunkt. Aber an den Reaktionen der Kommentare zur Vorschau musste bereits feststellen, das ist reine Geschmackssache. Trotzdem bleibe ich bei der Meinung, dass eine andere Darstellungsform dem ganzen Spiel noch einen enormen Schubs nach oben gegeben hätte.

Ob ihr den Figuren in As Dusk Falls vertraut oder nicht, ist einzig und allein euch überlassen.

Generell gibt es nur Kleinigkeiten zu bemängeln. Um diesen Abschnitt ordentlich zu füllen, musste ich schon ganz schön tief in die Meckerkiste greifen. Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass im Singleplayer die Reaktionszeiten, die ein Zeitlimit hatten, ein sehr langes Zeitlimit bekamen. Dadurch kommt keinerlei Schwierigkeit auf, Stress wird damit bei erfahrenen Spielerinnen oder Spieler im gesamten Spiel nicht wirklich erzeugt. Die Zeit soll ja lediglich Druck simulieren, wobei der im Multiplayer auch erzeugt wird, damit alle aufpassen. Schade ist, dass dieser Stress nach dem dritten Kapitel bei keinem mehr richtig erzeugt wird, weil man merkt, dass man sich viel Zeit lassen kann. Will man dagegen lieber mit euphorischen Freunden über jede Entscheidung diskutieren, so kann man den Timer komplett ausschalten, was das Problem wohl nichtig macht.

Weitere Kleinigkeiten, die mir negativ auffielen, sind merkwürdige Veränderungen in der Lautstärke des O-Tons. Einige Sätze waren ohne ersichtlichen Grund zu leise oder zu laut. Etwas komisch waren zudem die Szenen, die sich in Autos abspielten. Die Charaktere wurden durchgehend in 2D dargestellt, während die Autos eine Räumlichkeit hatten, was in einigen Passagen dazu führte, dass ganz im Paper-Mario-Stil plötzlich eine Papierfigur im Auto sitzt. Das hat nicht so gut zum ernsten Ton in diesen Passagen gepasst. Aber diese Dinge sind mir in den sechs Kapiteln tatsächlich nur selten untergekommen.

Fazit

Insgesamt ist As Dusk Falls ein gelungenes Erstlingswerk von Interior/Night. Die Geschichte ist durchgehend spannend, die Charaktere ins letzte Detail durchdacht, die Interaktionsmöglichkeiten zugänglich, aber nicht langweilig und der Multiplayer bringt eine ganz besondere Komponente ins Spiel. As Dusk Falls erfindet Spiele mit interaktiven Geschichten zwar nicht neu, bringt aber frische Ideen ein und setzt dann gekonnt um. Die gute deutsche Synchronisation gibt dem Spiel hierzulande ebenfalls einen Mehrwert und die Stimmung wird durch einen angenehmen Soundtrack untermalt. Leider konnte mich der Artstyle bis zum Ende nicht überzeugen, auch wenn ich weiß, wie viel Mühe hinter der Ausarbeitung steckt. Am Ende bleibt das wohl Geschmackssache. Ein wundervolles Spiel, das man meiner Meinung nach zuerst im Multiplayer mit Freunden erleben sollte. Ein interaktives Drama, das ihr diesen Sommer echt nicht übersehen wollt!

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