Assassin's Creed Origins - Der "Fast-schon-ein-Reboot"-Teil
Neues Kampfsystem, reichlich Rollenspielelemente, frischer Schwung
Ich habe es bei meinem Anspieltermin richtig ruhig angehen lassen. Mich nicht gleich auf das nächstbeste Ziel gestürzt - und davon gab es auf der Ubisoft-typisch mit Symbolen übersäten Karte reichlich -, sondern habe einfach nur ein paar Minuten das Ägypten-Szenario in mich aufgenommen. Und das sieht in 4K auf der Xbox One X mal richtig schick aus. Beeindruckende Licht- und Wassereffekte, eine lebendige Welt, in der Menschen und Tiere ein reges Eigenleben führen und keine Ruckler oder Grafikfehler, die meine Freude in den gut vier Stunden Spielzeit getrübt hätten. Wenn das der Look für das finale Spiel ist, dürfte Origins der erste Serienteil nach Black Flag werden, den ich wieder mit Spaß und Hingabe zocken werde. Und das jetzt nicht nur wegen der Optik, auch die erheblichen Änderungen im Kampfsystem und der Schwenk hin zu einem Action-Rollenspiel mit Destiny-würdigen Loot-Mengen, einem cleveren Crafting-System und Nebenmissionen, die vergleichsweise komplexe Geschichten erzählen wollen, all das macht neugierig.
Wie so langsam bekannt sein sollt: Es geht in Origins zurück in das Alte Ägypten des Jahres 49 v. Chr., einer Zeit noch ohne Bruderschaft, in der die fiesen Strippenzieher hinter den Kulissen der Weltgeschichte Der Orden der Ältesten heißt, sozusagen die Proto-Templer, mit denen es die Assassinen dann später immer wieder zu tun bekommen. Viel habe ich von der Haupthandlung nicht mitbekommen, in der wie gewohnt historische Begebenheiten munter mit Verschwörungstheorien gemischt werden. Ich treffe auf Cleopatra, die sich im Exil befindet, die dunklen Mächte in ihrem Land bekämpfen will und dazu natürlich Helden-Hilfe benötigt. Berühmte Persönlichkeiten wie Julius Cäsar und Ptolemaios XV haben ihre Auftritte und Es wird auch wieder eine Jetztzeit-Ebene geben. Zu der wurden aber auch auf Nachfrage noch keine Details verraten. Wie auch immer, ich finde mich also mit meinem Helden Bayek etwa 10 Stunden im Spiel wieder und mir steht die Spielwelt frei zum Erkunden offen.
Das nutze ich weidlich aus, verschmähe den nächsten Schritt der linearen Hauptmission und widme mich erst einmal ausgiebig den Nebenaufgaben. Diese sind erfreulich vielschichtig, erinnerten mich an die spannenden Witcher 3-Geschichten, die immer wieder für interessante Herausforderungen gesorgt haben. So soll ich für einen besorgten Händler nach einem wichtigen Brief Ausschau halten, den seine junge Gehilfen ihm eigentlich bringen sollte. Am letzten bekannten Aufenthaltsort der Botin, einem Turm in der Mitte der Ortschaft, soll ich meinen detektivischen Spürsinn walten lassen und Hinweise finden. Mit ein bisschen Klettern und Suchen finde ich getrocknete Blutlachen und Spuren eines Kampfs, die mich zu der achtlos weggeworfenen Leiche der Frau und dem vermissten Brief führen. Ehrensache, dass ich danach auch noch den Mörder ausfindig mache und die Schandtat mit meinem Schwert räche.
In der nächsten Stunde töte ich eine Horde Nilpferde, die ein Dorf angegriffen haben, räuchere Banditenverstecke aus, helfe bei der Beladung von Frachtgut und bringe mit dem Speer des Serapis ein von Römern gestohlenes Familienerbstück zurück zu seinem Besitzer. An optionaler Quest-Auswahl mangelt es nicht, nahezu an jeder Ecke steht ein Hilfsbedürftiger, der mir sein Anliegen schildert oder ich finde Gesuche auf Anschlagtafeln. Die Auftragsliste im Menü wird länger und länger und wann immer ich Lust habe oder ich gerade in der richtigen Gegend bin, widme ich mich den kleinen und größeren Nöten der Bewohner.
Zwischendurch dezimiere ich mit wachsendem Vergnügen die örtliche Fauna, lege mich mit Krokodilen, Löwen und Nilpferden an und sammle dabei ähnlich Far Cry fleißig Ressourcen, wie Fleisch, Fell und Knochen. Die kann ich auch gut gebrauchen, um meinem Assassinen den nötigen Biss gegen die immer stärker und zahlreicher werdenden Feinde zu verleihen. Mittels Crafting verbessert ihr beispielsweise den Köcher, der dann mehr Pfeile beinhalten kann, verseht die versteckte Klinge mit höheren Schadenswerten oder wertet Bekleidungsteile auf, damit Bayek ein paar Schläge mehr einstecken kann. Die fehlenden Bestandteile für das nächste Upgrade werden angezeigt und ich kann mir den Standort der benötigten Ressource auf der Karte anzeigen lassen, ihr müsst also nicht auf gut Glück den Nil entlangwandern.
Bayek kann mit je zwei Bögen und zwei Hieb- oder Stichwaffen ausgerüstet werden, die sich im Kampf blitzschnell wechseln lassen. Dazu kommen ein Schild und ein weiteres Goodie, wie Betäubungs- oder Giftpfeile. Waffen und Schilde werden mir im Verlauf geradezu nachgeworfen, als Lohn für erfüllte Aufgaben, versteckt in der Umgebung zu finden, zum Kauf in den Schmieden angeboten. Mit etwas Glück ist auch mal ein lila "Legendärer" Gegenstand, mit einem hohen Level und beachtlichen Statuswerten, dabei. Wenn nicht, kann da sicherlich der virtuelle Kaufladen weiterhelfen, der in das Spiel integriert ist und Echtgeld gegen Spielgegenstände tauscht - solltet ihr auf das aktuelle AAA-Spiel warten, dass dieses "Feature" nicht bietet, dann müsst ihr weiter warten. Im diesem Laden gibt es dann reichlich Ressourcen, Waffen und Kleidungsgegenstände im Angebot, die aber nach Aussage der Entwickler nur in die Kategorien Kosmetik oder Zeitersparnis fallen. Alle Gegenstände lassen sich auch so erspielen.
Neu ist das breite Angebot an aktiven und passiven Fähigkeiten, in denen ich Levelaufstiegspunkte investiere und Bayek als Jäger, Krieger, Seher oder einer Kombination aus den drei Kategorien forme - wiederum, nicht unbekannt aus Far Cry. Es gibt eine gute Auswahl: Ihr könnt die Körper von getötetem Gegner vergiften, damit sich seine Kameraden mit einer Krankheit anstecken, besonders heftige überwältigende Angriffe ausführen, Rauchbomben werfen, ein zusätzlicher Komboschlag landen oder ein paar Sekunden Zeitlupe beim Bogenschießen aktivieren. Über 50 Fähigkeiten können erworben werden, um sich das Metzeln leichter zu machen.
Apropos Metzeln, über das von Grund auf neu gestaltete Kampfsystem hat ja schon der Kollege Markus geschrieben. Vorbei die Zeit, dass Blocken und Kontern ausreichte, um auch einen ganzen Trupp Gegner den Garaus zu machen. Die Nahkämpfe sind definitiv deutlich anspruchsvoller. Es kommt auf die Wahl der Waffen an und mit einem Sichelschwert gegen drei Speerträger anzutreten, ist nicht unbedingt die beste Idee des Tages. Aber wozu habe ich denn einen Assassinen? Stealth ist ein sicherer Weg zum Erfolg und wenn ich unbemerkt bleibe, Gegner hinterrücks ausschalte und deren Leichen verstecke, dezimiere ich langsam, aber sicher, meine Feinde. Clever ist es, den Adler Senu zur Feindaufklärung zu nutzen, der mir auf Knopfdruck einen Drohnenblick liefert und mir unter anderem auch Gegner markiert. Wenn es denn mal gar nicht anders geht und ich bei der Infiltration einer Befestigung entdeckt werde, dann hat sich der Bogen als Waffe bewährt. Auf den höchsten Punkt klettern, wobei Bayeks Parkours-Fähigkeiten gewohnt flott von der Hand gehen, und Kopfschüsse verteilen. Die führen zwar erst nach zwei bis drei Treffern zum Exitus, aber je weniger Wachen unten auf euch warten, wenn ihr irgendwann wieder runter müsst, desto besser.
Bei einem Versuch ein komplettes Fort von den Schergen des Pharaos zu befreien, habe ich auf die harte Tour einige Erkenntnisse erlangt. Aufpassen, dass keiner die Alarmglocke schlägt, sonst kommt endlos Nachschub an Fieslingen nach. Die Gegner agieren beängstigend clever und warten nicht geduldig, bis sie an der Reihe sind niedergestreckt zu werden und dass ich erst noch mal ein paar Nebenmissionen machen sollte, wenn der Level der Gegner zwei Stufen über meinem ist. Beherzigt man diese Regeln, machen die Kämpfe richtig Spaß und sorgen für eine tiefe Befriedigung, wenn ein weiterer Ort gewaltsam befriedet wurde. Übrigens kann Bayek auch auf dem Rücken eines Pferdes mit Schwert und Bogen kräftig austeilen und auf einem Streitwagen, den Erwerb der entsprechenden Fähigkeit vorausgesetzt, wie mit einem Panzer durch die feindlichen Linien preschen. Gefallen haben mir die Möglichkeiten mit der Umgebung zu agieren, in dem ich beispielsweise in einem Lager mit einem Pfeil aus sicherer Entfernung die Käfigtür eines gefangenen Löwen öffne. Es geht auch mit einem Schwerthieb, aber dann war ich zu nahe dran und die Viecher haben sich gleich auf mich gestürzt. Ach ja, wenn ich mich mit Bayek zu lange an einem Ort aufhalte, erscheinen Kopfgeldjäger, mit denen wirklich nicht zu spaßen ist und die mich mit ein oder zwei Hieben erlegen.
Am Ende der vierstündigen Spielzeit bin ich meinem Hauptziel keinen Schritt nähergekommen, hatte aber einen unglaublichen Spaß in der lebendigen Welt des Alten Ägyptens. Ich habe beobachtet, wie Krokodile auf einem See nach Vögeln geschnappt haben, bin auf Türme geklettert und habe die Aussicht genossen, zahllosen Einwohnern bei ihren Problemen geholfen und eine Unmenge an Waffen und Gegenständen gefunden. Das Spiel verfügt über eine enorme offene Welt, deren Erkundung sich zu lohnen scheint und sei es im Autopilot-Modus auf dem Rücken eines Reittiers, dass sich dann ganz alleine den Weg sucht und während ihr Sightseeing betreibt. Mein Ausflug nach Ägypten fühlte sich einfach in allem stimmig an und der kräftige Schwenk Richtung Crafting, Sammeln und ein wenig Rollenspiel hat schon etwas Reboot-Flair und ist meiner Meinung nach genau der richtige Weg für die Serie.
Entwickler/Publisher: Ubisoft Montreal/Ubisoft - Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 27. Oktober 2017 - Angespielt auf Plattform: Xbox One X