Assassin's Creed: Origins Entdeckungsmodus - So geht Edutainment!
Alles was man braucht, ist eines der teuersten Spiele als Basis.
Als Ubisoft ankündigte, dass sie Assassin's Creed: Origins einen Modus spendieren würden, der weniger was mit den Spielelementen an sich zu tun, sondern mehr mit dem Hintergrund der Welt war meine Reaktion... Meh? Okay. Sicher. Whatever.
Ich habe ein paar Texttafel hier und da erwartet, nach dem Konzept "Die Pyramiden wurden dann und dann erbaut" oder "Pharaonen wurden mumifiziert begraben". Dinge halt, die man mit solider Allgemeinbildung auch so noch zusammenbekommt, plus hier und da ein Schild an einem Gebäude, wer es irgendwann mal ausgebuddelt hat. Ich habe nicht damit gerechten, was sie für einen Aufwand betrieben haben.
Vieles davon dürfte während der Entwicklung des Spiels an Hintergrundarbeit eh angefallen sein, aber es fasziniert zu sehen, welchen Aufwand man dabei betrieb es historisch vielleicht nicht alles akkurat darzustellen, schließlich ist es immer noch ein Spiel, das Spaß machen soll. Aber es eben doch alles bis zu einem historischen Wissensstand zu durchdringen, der sicher nicht unbedingt nötig war, um ein Spiel über einen Typen abzuliefern, der in dieser Zeitepoche ein paar Leute umbringt.
Als Mittel der Wahl euch das alles - und ich meine alles, von Wüstenanomalien über frühe Begräbnisarchitekturdetails weit jenseits banaler Dinge wie einer Pyramide hin zu faszinierenden Details, die wahrscheinlich die meisten Touristen nicht wissen, die direkt davorstanden - näherzubringen, wählte man die gute alte Museumstour. Ihr spielt, wen ihr wollt - sogar Cäsar und Cleopatra sind als Figuren verfügbar - und startet direkt vor den Toren Alexandrias. Hier leuchtet der erste von vielen blauen Punkten auf, der eine Tour beginnt. Geht hin, startet die Tour und unter einem sehr klar definierten Thema lauft ihr nun ein paar nie zu weit auseinanderliegende Punkte ab. An einem Punkt beginnt ein Sprecher - oder Sprecherin, es wechselt häufig genug, dass die Stimme nie zu eintönig wird - etwas über ein ganz spezifisches Detail zu erzählen. Das kann etwas Allgemeines sein, wie die Größe und Art der Stadtmauer, oder wie Alexander der Große die strategische Lage der Stadt bewerte oder er Orakel über ihre Zukunft befragte. Dazu gibt es oft noch ein Bild aus der Archäologie und Forschung. Mal ein Relief, mal eine begleitende Karte, es tauscht unten klein in der Ecke auf und kann bildschirmfüllend groß gezogen werden, wenn ihr es möchtet.
Diese Ansprache läuft weiter, wenn ihr den Wegpunkt verlasst, ihr müsst also nicht still ausharren, bis der Sprecher fertig ist. Ihr dürft auch überall hingehen, wo der golden markierte "Museumsweg" nicht langmöchte, aber natürlich geht es erst weiter, wenn ihr zum nächsten Punkt geht. Das Spiel selbst hat genug Extrazeugs zum Sammeln, der Museumsmodus braucht das nicht auch noch. So habt ihr das Tempo selbst in der Hand und auch wenn eine Tour in etwas die angezeigte Zeit dauert - 5 bis 10 Minuten - könnt ihr wie in einem echten Museum auch weit schneller durchhetzen, wenn euch etwas doch nicht interessiert.
Was uns zurück zu der schieren Masse an Informationen bringt: Dieser erste Ausflug nach Alexandria ist eine von fast 15 allein in dieser Stadt! Kleidung und ihre Herstellung zu der Zeit, offensichtliche Dinge wie die Insel Pharos und ihr Leuchtturm, die große Bibliothek aber auch eine 20-minütige, faszinierende Tour über die Belagerung Alexandrias durch Julius Cäsar aus seiner Perspektive. Der Grad der Liebe und Hingabe, der in diesen, für die Erstellung eines Spiels schlicht unnötigen, Informationen steckt, wird immer wieder deutlich. Ich denke ich habe eine ganz solide historische Allgemeinbildung auch über diese Epoche, aber es gab keine Tour, die mir nicht mindestens eine neue Sache erzählen konnte und bei vielen Touren war es so, dass ich höchstens einen Punkt bereits kannte. Sofern ihr also nicht gerade auf dieses Land zu der Zeit spezialisiert seid, sollte was dabei sein, was ihr noch nicht gehört habt. Und wenn doch, dann ist es immer noch eine faszinierende, interaktive Art, dieses Wissen aufzufrischen, indem es nebenbei auch noch visuell lebhaft dank der technisch hinreißendes Engine Origins vor Augen geführt wird. Vielleicht wie noch nie zuvor.
Es ist so gut, dass es Wünsche weckt: Kingdom Come zuletzt erzählt euch hier und da auch ein wenig was über das Mittelalter. Eine ganze Menge sogar, aber es wird nicht annähernd so intelligent eingebunden, wie es in AC Origin der Fall ist. Das ist auch okay so, das Studio war und ist genug damit beschäftigt das Spiel geradezuziehen. Aber wenn das eines Tages passiert ist, sollten sie sich ernsthaft mit Origins Museumsmodus beschäftigen, denn von der Entwicklung Kingdoms Comes weiß ich, dass dort Unmengen an Material auch von Historikern zusammengetragen wurden. Und was ist mit den anderen Assassin's Creeds? Praktisch jeder Teil sollte sofort aus den Archiven geholt und mit dem Material, das sie haben - und hoffentlich noch irgendwo auf einer verstaubten Festplatte liegt - aufgewertet werden. Selbst die schwachen Stadt-Teile Syndicate und Unity würde ich mir sofort wieder vornehmen und im Falle von Teil 3 kann es nicht schaden, wenn ein paar Franko-Kanadier mal den USA ihre eigene Historie in Ruhe erklären. Ich würde jeden der alten Teile noch mal installieren und die Touren durchgehen.
Es ist auch ein fast brillanter Zug, zumindest die PC-Version von Origins Museumsmodus als Standalone zu verkaufen. Habt ihr Origins bereits, kostet es nicht, es wird als Gratis-DLC beim Update mitgeladen, geht also los und lernt was. Habt ihr das Spiel jedoch nicht, weil euch Assassin's Creed nichts gibt, seid aber doch in der Historie und hübschen Darstellung dieser interessiert, dann kostet euch das 20 Euro für den Entdeckungsmodus alleine. Da ist auch der Gedanke an eine komplett geschlossene Version nicht fern, die zum Beispiel in einem Museum oder in Schulen installiert werden kann, als Form des Infotainments neben den Ausstellungstücken und reinen Fakten. Die Möglichkeiten dieses exzellent umgesetzten ersten Ausflugs in das Reich des Lernens dank Verschwörungstheorie-freudiger Attentäter sind vielfältig.
Unterschätzt auch nicht die Motivation für Leute, die sonst keine Spiele anfassen, aber einer historischen Doku nicht abgeneigt sind. Hier in meinem Falle ging es dann vor Ort zwar nicht soweit, dass am Ende auch das eigentliche Spiel etwas von dem Interesse abbekam, aber ansonsten hatte ich so viel Begeisterung für ein Videospiel das letzte Mal zu Zeiten von Wii Sports gesehen. Anders natürlich, aber ihr wisst, was ich meine.
Was die Sprache angeht: Ich habe glaube ich auf Steam gelesen, dass es angeblich nur Englisch als Vertonung gibt. Das stimmt nicht, zumindest für Deutsch. Ladet den Sprachpack herunter, solltet ihr bisher zum Beispiel auf Englisch gespielt haben und auch der Entdeckungsmodus wird komplett vertont in Deutsch präsentiert. Sogar mit ganz guten Sprechern.
Alles wunderbar also? Nun… fast. Es geht um Brüste. Weibliche. Und Penisse. Männliche offensichtlich. Antike Statuen zeigen diese primären und sekundären Geschlechtsmerkmale gern und häufig und das taten sie auch in Origins bisher. Kein Wunder, hat das Spiel doch eine Alterseinschränkung, alles nackt also. Mit der Tour will man natürlich in Richtung Schulen und Bildung gehen und wehe... Ach was erzähle ich, wir leben manchmal heute in einer seltsamen Welt. Ich habe eben mein altes Lateinleerbuch vorgeholt und siehe da, da sind nackt Männer aus Stein mit nicht erigierten Steinpenissen. Hat mich jetzt mit 14 nicht aus der Bahn geworfen. Genauso wenig wie die Bilder weiblicher Statuen im Buch. War halt so, andere Zeiten, andere Sitten. Dazu kommt, dass den Programmierern das scheinbar auch zu blöd war, aber verweigern konnten sie sich nicht, also machten sie es so halbherzig wie möglich: Sie klebten eine Muschel über die entsprechenden Stellen. Es wirkt wie eine Parodie und vielleicht soll es das auch sein. Die Vorstellung, dass das ein stummer Protest der Entwickler ist, erfreut mich, also belasse ich es dabei. Den Wert des Tour-Modus schmälert das vielleicht zu 0,1 Prozent. Aber wenn die Simpsons es 1990 parodierten, sollten man meinen, dass die Menschheit sich nicht rückwärts dazu bewegt. Ach was erzähle ich da, natürlich tut sie das.
Assassin's Creed: Origins bestellen (Amazon.de)
Da der Entdeckungsmodus auch ein Standalone ist, kann ich mir auch den Spaß machen und ihn als Test behandeln: Was hier passiert ist, ist herausragend - vor allem für alle, die Origins schon haben und es gratis bekommen. Der einzigartige Umgang mit dem Material, das einer offenen Welt zugrunde liegt, geht weit über alle Erwartungen an den Detailgrad des unterliegenden Wissens hinaus und es macht sogar Spaß, es alles zu erkunden. Es belehrt euch nicht, es lässt euch erleben und dabei wird dann schon genug hängenbleiben. Als Entwickler natürlich hilfreich, eine technisch hochentwickelte Engines plus das Wissen, eine gute Steuerung zu gestalten, mitzubringen. Und vorher ein paar Millionen Stück zu verkaufen, denn als Selbstzweck werden wir so etwas wohl so schnell nicht oder zumindest nicht in der Qualität zu sehen bekommen. Aber so muss man Ubisofts Team allein dafür schon auf die Schulter klopfen, dass sie mit all dem Wissen, dass sie während der Entwicklung anhäuften und auch jetzt noch zusätzlich für den Modus zusammentrugen, etwas so gleichzeitig Simples wie Brillantes anfangen konnten. Also, Ubi, sucht die verstaubten Festplatten, jetzt für die anderen Creeds bitte. Und dort lasst ihr dann auch die Statuen bitte ganz unvermuschelt.
Entwickler/Publisher: Ubisoft - Erscheint für: PC, Xbox One, PS4 - Preis: Als Standalone für den PC 19,99 Euro / ansonsten gratis als Update für Assassin's Creed: Origins - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch, Englisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein (jedenfalls nicht in dem Modus)