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Assassin's Creed: Rogue - Test

Nur gut ist manchmal besser.

Das bessere Assassin's Creed dieses Jahres. Wenn es dem herausragendem Black Flag aus dem letztem Jahr nur nicht ganz verdammt ähneln würde.

Ernsthaft, Ubisoft? War das nötig? Während viele Fans seit Jahren eine Kreativpause für Assassin's Creed fordern, um die regelmäßig ins Schlingern geratende Serie zurück auf Kurs zu bringen, schlägt der Publisher die entgegengesetzte Richtung ein und bringt heuer gar zwei neue Serienteile auf den Markt. Ja, offenbar war das nötig. Allein schon weil diese Nachgeburt für Last-Gen-Konsolen das möglicherweise bessere Spiel des Jahres ist.

Generationenkonflikt

Im Grunde ist die Konsequenz, mit der Ubisoft seine Marke weiter ausbaut, nur bewundernswert. Statt mit einem Mehrgenerationenspiel faule Kompromisse einzugehen, aktiviert der Publisher mit Assassin's Creed Unity mutig den Warpantrieb in die Next Generation - mit bekanntermaßen leider umstrittenem Resultat. Assassin's Creed Rogue hingegen soll die Marke für all diejenigen warm halten, die den Generationenwechsel noch nicht vollzogen haben, und vermutlich als finanzielles Sicherheitsnetz für die teurere Next-Gen-Produktion fungieren.

Entsprechend wenig ist inhaltlich von Assassin's Creed Rogue zu erwarten. Weder spielerisch noch erzählerisch würde Ubisoft hier eine Bombe platzen lassen, von der die bereits weitergezogene Next-Genschaft allenfalls ein Echo wahrnehmen würde.

Templer sind die besseren Assassinen: In Rogue wechselt ihr erstmals auf die Seiten der vermeintlichen Bösewichte.

Und genau so verhält es sich auch. Assassin's Creed Rogue ist ein beinahe schon als dreist zu bezeichnendes Patchwork im Guttenberg-Verfahren: ein per Copy & Paste zusammengeschweißtes Amalgam seiner Vorgänger. Alles, was es in Assassin's Creed 4: Black Flag gab, gibt es auch hier: Seeschlachten, Forts, Lagerhäuser, Schatzkarten, Abstergo, Tavernen, Städte, Wälder, Jagen, Shantys, Texturen. Insbesondere Letztere fallen nicht nur im übertragenen Sinne ins Auge: Texturen.

Das Spiel mit dem Grünen Punkt

Dies erklärt auch, warum sich Ubisoft die Last zweier dieser Mammutprojekte im selben Jahr aufbürden konnte: Weil ein Großteil der riesigen Spielwelt einfach aus den Vorgängern recyclet wurde. Palmen, Steine, Küsten, Häuser, Plantagen, Türme... An jeder Ecke begegnet man Déjà-Vu-Erlebnissen des „Been there, done that". Die gemäßigten Inseln des River Valley wurden aus den Objekten und Landschaften von Black Flag neu gestrickt, wie ein Pullover, den man auftrennt und wieder zusammennäht. Für die eisigen Zonen des Nordatlantiks bediente sich der Entwickler bei den verschneiten Wintermomenten aus Assassin's Creed 3, dessen New York ebenfalls eine Wiederauferstehung erfährt. Auch das Rom aus Brotherhood wird in Gestalt einer kurzen Lissabon-Episode exhumiert, und sogar Paris erhält als Abfallprodukt von Unity einen Gastauftritt.


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Änderungen sind bestenfalls mit dem Elektronenmikroskop auszumachen: Im kalten Norden schwimmen Eisberge eurem Schiff im Weg herum und treten bei Beschuss Wellen los, die andere Schiffe beschädigen können. Held Shay beherrscht einen neuen Move, bei dem er sich wie ein Parcours-Läufer an gegenüberliegenden Wänden einen Schacht nach oben presst. Templerfestungen heißen jetzt Banditenlager. Statt mit einem Blasrohr verschießt ihr Gift- und Berserkerpfeile nun mit einem Luftgewehr. Oder einem Granatwerfer.

Hoi, a Schiff! Genau wie im Vorgänger Black Flag bereist ihr die riesige Spielwelt auf dem See- und Landweg.

All diese Neuerungen sind so marginal, dass sie unter normalen Umständen nicht einmal einer Erwähnung Wert wären, veranschaulichten sie nicht so deutlich, wie identisch Rogue und Black Flag einander sind. Auch die im Grunde spannende Prämisse, dieses Mal einen abtrünnigen Assassinen auf der Seite des Erzfeindes zu spielen, ändert daran rein gar nichts. Meine Hoffnung, durch diesen Kniff interessante Einblicke in die Strukturen der nach Macht und Kontrolle strebenden Templer zu erhalten, die gegensätzlichen Ideologien der beiden Geheimorganisationen philosophisch zu erörtern oder gar spielerisch aus dem umgekehrten Vorzeichen Kapital zu schlagen, erwies sich als vergebens.

Gäbe es diese eine Szene nicht, in der Shay die Seiten wechselt, man würde den Unterschied nicht einmal bemerken. Assassin's Creed Rogue läuft nach demselben Schema ab wie alle Teile davor, pendelt in seiner Hauptstory zwischen Attentaten auf auserkorene Bösewichte und Dialogen mit teils historischen Persönlichkeiten, dieses Mal unter anderem Benjamin Franklin und solchen, die in amerikanischer Historie weniger bewanderten Europäern vermutlich weitgehend unbekannt vorkommen dürften.

Das ist wie immer beeindruckend inszeniert und in uferloser Fleißarbeit akkurat recherchiert. Dass dabei auch viele Nebenfiguren aus den Vorgängern die Wege kreuzen, ist zudem ein hübscher Fan-Service. Die Gegenwartshandlung in den Büroräumen von Abstergo Entertainment ist hingegen wie schon in Black Flag von kaum messbarer Relevanz.

Wiedersehen mit Freunden: Auf eurer Reise trefft ihr viele Bekannte aus den Vorgängern.

Allenfalls erwähnenswerte Neuerungen sind die so genannten „Schleicher": Assassinen, die sich allenthalben durch ein verschwörerisches Flüstern ankündigen, euch aus dem Hinterhalt auflauern und unverhofft zuschlagen, zumeist in Augenblicken, in denen ihr euch eigentlich gar nicht mit ihnen befassen wollt. Viele Spieler werden diesen Versuch, das Spiel punktuell spannender scheinen zu lassen, daher vermutlich eher als nervtötend empfinden.

An die Stelle der Attentatsmissionen ist dagegen deren Gegenteil getreten: Statt Agenten der Templer zu meucheln, müsst ihr dies nun verhindern. Dafür gilt es, zunächst die von den Assassinen zur Kommunikation eingesetzten Tauben abzufangen (ähnlich der Shantys in Black Flag) und anschließend die so in Erfahrung gebrachte Zielperson vor den angreifenden Attentätern zu schützen. Dass diese Missionen unter einem knapp bemessenen Zeitlimit vonstattengehen, verleiht ihnen einen für die Serie ungewohnten Nervenkitzel. Ersatzlos gestrichen wurde hingegen der Mehrspielermodus.

White Flag

Allem Geunke zum Trotz ist Assassin's Creed Rogue wieder eine beeindruckend große Spielwiese voller Möglichkeiten und Entdeckungen. Wer die Besten kopiert, kann am Ende nicht viel falsch machen. Assassin's Creed 4: Black Flag war (neben Brotherhood) zweifelsohne das bislang beste Spiel der Serie, und folgerichtig kann Rogue als dessen zweieiiger Zwilling nicht viel schlechter sein, zumal es im Gegensatz zu Unity auf ausgereifte Technik und bewährte Mechanismen baut.

Die Seeschlachten sind eben immer noch eine Wucht, die zahlreichen Schleichsandkästen nach wie vor brillant konzipiert, die Grafik ist selbst auf eingerosteter Last-Gen-Bühne bewundernswert schön und die Spielwelt trotz ihres mit mechanischer Routine am Fließband entworfenen Beigeschmacks in einem Maße detailverliebt, dass allein schon ihre schiere Größe nicht anders als begeistern kann.

En garde: Am Kampfsystem haben sich nur Nuancen geändert.

Die vielen Stunden, die man erneut mit dem Erforschen der Welt auf der Jagd nach Sammelobjekten verbringt, sind so ständig geprägt von einem Schwanken zwischen „Meine Güte, ist das frech, wie hier alles kopiert wurde" und einem „Oh mein Gott! Diese riesige Höhle! Dieses prächtige im Eis eingefrorene Schiff! Was für ein unfassbarer Aufwand hier wieder betrieben wurde!"

Apropos Sammelobjekte: Davon gibt es nun noch einmal mehr als in den Vorgängern. 200 Animus-Fragmente, unzählige Schatztruhen - das kennt man. Hinzu kommen Briefe, Schatzkarten, Eingeborenensäulen, Höhlenmalereien, Templerartefakte, Wikingerschwerter, Baupläne, Smaragde und sicher noch das eine oder andere, das ich in der Aufzählung vergessen habe.

Manche kennt man so oder ähnlich schon aus Black Flag, manche noch nicht. Manche sind lediglich eine Zahl im Counter, manche haben einen spielerischen Nutzen, etwa die Baupläne, die neue Ausrüstungsgegenstände freischalten, oder die Smaragde, die Boni auf euer Einkommen geben. Da Kampfsystem und Schwierigkeitsgrad ebenfalls so sind, wie sie bei einem Assassin's-Creed-Spiel nunmal so sind, relativiert sich ihr tatsächlicher Sinn im selben Schritt entsprechend.

So sehr diese Sammelobjekte dazu ermuntern, die Welt bis in ihren letzten Winkel zu erforschen und sich an ihrer Fülle und Schönheit zu berauschen, so sehr bin ich enttäuscht darüber, dass Ubisoft abermals offenbar nicht mehr mit ihr anzufangen weiß, als eine Kiste Panini-Bildchen darüber auszuschütten, und den Spieler wie einen Hund Stöckchen holen lässt. Wer eine derart fantastische Welt zu erschaffen in der Lage ist, sollte sich dringend Gedanken darüber machen, ob man nicht etwas anderes damit anstellen kann, als schnöde Schnitzeljagden zu veranstalten.

Über Stock und über Stein, das wird wohl ein Assassine sein.

Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang die Einführung von Mikrotransaktionen, durch die man sich beispielsweise für etwa 1 Euro die Position sämtlicher Sammelobjekte auf der Karte anzeigen lassen kann oder für knapp 2 Euro zusätzlichen Laderaum und Fracht für das Schiff erhält. Da sich der Sinn derlei erkaufter Vorteile allerdings in Grenzen hält, die enger ausfallen als die eines durchschnittlichen Schrebergartens, sind sie auch nur bedingt kritisch zu werten - vorausgesetzt Ubisoft sieht sie nicht als Testballon, um in den kommenden Episoden gleich ganze Achievement-Pakete für einen Obulus zu verhökern.

Auch wenn Unity sicherlich den Schritt in die richtigere Richtung macht, ist Rogue in diesem Jahr das wahrscheinlich bessere Assassin's Creed. Indem es über weite Strecken den grandiosen Vorgänger Black Flag nahezu identisch, bis hinein in das freche Recycling von Objekten und Landschaften, kopiert, erbt es dessen unumstrittenen Stärken, lässt aber auch seine Schwächen, wie das Missbrauchen seiner Welt für einfallslose Schnitzeljagden, deutlicher hervorstechen. Rogue wirkt dergestalt ein bisschen wie seinerzeit Revelations: ein Spiel, das nicht viel anders als sein hervorragender Vorgänger macht, dadurch aber weitestgehend überflüssig erscheint.

Selten pendelte ich in einem solchen Maße bei einem Spiel im Minutentakt zwischen Momenten, in denen ich mich an der Schönheit dieser prachtvoll gestalteten Welt und ihrer schieren Masse mannigfaltigster Möglichkeiten berauschte, und solchen, in denen ich über die Dreistigkeit und Faulheit der Entwickler fluchte, mit der sie ein in seelenloser Routine gefertigtes Convenience-Produkt wieder aufwärmen. Assassin's Creed Rogue ist ein einziges großes Restefressen aus der Mikrowelle.

Dennoch kann man mit Assassin's Creed Rogue viele, viele Stunden verbringen und dabei durchaus Spaß haben. Beileibe ist es kein schlechtes, im Gegenteil ein gutes, wenn nicht gar sehr gutes Spiel. Jedoch bin ich unschlüssig, wem ich es wirklich empfehlen kann. „Wenn du Black Flag mochtest, wirst du auch Rogue mögen", könnte ich beispielsweise schreiben, und wer nicht mehr als das erwartet, dann meinetwegen: Los, zugreifen! Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass es jemanden gibt, der ein Jahr nach diesem Mammut von einem Spiel, nach Wochen des Schiffeversenkens und Lagerplünderns schon wieder Lust auf exakt das Gleiche haben könnte.

7 / 10

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