Assetto Corsa Competizione: Spitzensport in Spitzengrafik
Eine Sim sie zu knechten!
Bei Rennspielen galt Jahre lang die Faustregel "Je genauer die Simulation, desto spröder die Grafik". Ein Trend, der schon bald der Vergangenheit angehören könnte. Project Cars 2 brach bereits mit der Tradition und das neueste Werk aus dem Hause Kunos Simulazioni wird dessen optische Pracht nochmals übertreffen, Unreal Engine 4 sei Dank. Fast schon übertrieben hoch aufgelöste Asphalttexturen, auf den Zentimeter genau nachgestellte Laserscan-Strecken und jede Menge Post-Processing-Effekte versprühen schon jetzt den Duft einer neuen Grafikgeneration.
Den Begriff "Fotorealismus" in den Mund zu nehmen, wäre keine Übertreibung. Mit allen Darstellungsoptionen auf Anschlag kommt Assetto Corsa Competizione einer Live-Übertragung der GT3 Rennsportserie verdammt nahe, ohne jene hochgelobten Simulationsaspekte zu vernachlässigen, die Kenner und Könner am Vorgänger schätzen. Wenn ihr mich fragt, steuert das italienische Studio schnurstracks auf den heiligen Gral unter den Racing-Sims zu.
So weit der erste Eindruck. Eigentlich ist es noch viel zu früh, um sich derart weit aus dem Fenster zu lehnen, schließlich liegt mir nur eine Early-Access-Fassung des Spiels vor. Version 0.1.1, um genau zu sein, bestehend aus einer läppischen Strecke und einem fahrbaren Auto. So anspruchsvoll der Nürburgring GP-Kurs auch sein mag, er repräsentiert nicht alle Extreme der GT3 Rennklasse. Immerhin darf er bereits bei allen erdenklichen Tageszeiten, bei Nacht und bei Regen befahren werden.
Das erlaubt mir einen Blick auf die technische Seite, bei der die ein oder andere Mogelei stattfindet, die den hohen Grafikstandard erst ermöglicht. So sind die Schatten beispielsweise durchweg statisch, also sogenannte "baked shadows". Um den Stand der Sonne bei den dynamisch fortlaufenden Tageszeiten korrekt darzustellen, greift Kunos Simulazioni auf denselben Trick zurück, den Forza Horizon seit Jahren anwendet: Die Schatten bewegen sich nur in vorbestimmten Zeitabständen und werden dabei immer auf einen Schlag um ein paar Zentimeter länger. Sollte angesichts der hohen Fahrgeschwindigkeit niemanden jucken.
Das Interessante an dieser Feststellung ist, dass dies nicht zwingend für alle Systeme gelten muss. Assetto Corsa Competizione unterstützt nämlich die Raytracing-Technik der neuen nVidia Karten Geforce RTX 2070, 2080 und 2080Ti.
Ob damit eine kaskadenlose und dynamische Schattenberechnung zum Einsatz kommt, oder womöglich Reflexionen auf nasser Strecke schöner verwirklicht werden (oder beides), kann ich an dieser Stelle nicht abschätzen. Klar ist nur: dieses Rennspiel ist zukunftssicher. Was keine ausschließlich positive Wertung ist, denn aktuelle Systeme bringt das Programm mächtig ins Schwitzen. 4K bei 60 fps könnt ihr euch selbst mit einer GTX 1080 abschminken. Mal sehen, wie stark die Grafik abgespeckt werden muss, um die im Oktober kommende VR-Unterstützung genießen zu können. Abwarten und den Motor laufen lassen.
Jetzt hab' ich aber genug von der der Grafik geschwärmt, die wie erwähnt schon jetzt fabelhaft aussieht, aber noch nicht perfekt ist. Mir sind beispielsweise die Reflexionen auf nassen Strecken noch zu kontrastreich.
Wie steht es denn um den spielerischen Anteil? Nun, eigentlich müsste mich dieses Spiel abschrecken, denn ich gehöre gar nicht zur Fraktion der beinharten Sim-Racer. Mir liegt ein Spiel wie Forza Motorsport oder Gran Turismo viel eher, weil diese abgemilderten Sims mir jene fahrerischen Anteile, die ich vor dem heimischen Bildschirm nicht physisch nachvollziehen kann, nicht rücksichtslos über den Schädel ziehen. Die von Sim-Freaks oft geächteten 25% Arcade-Anteil garantieren mir Zugänglichkeit in einem knallharten, schweißtreibenden Sport, bei dem es nicht nur um Millisekunden, sondern auch um Zentimeter auf der Ideallinie und um wenige Hundert Umdrehungen Motorleistung geht.
Assetto Corsa Competizione geht an dieser Stelle keine Kompromisse ein, wirkt in meinen Augen aber bewusst auf Videospieler und heranwachsende E-Sportler getrimmt. Grundsätzlich fährt es sich sehr ähnlich wie das Original Assetto Corsa, ist also mit einem Joypad kaum zu stabil zu kontrollieren. Ein gutes Lenkrad ist Pflicht, wenn man mithalten möchte. Und selbst mit meiner teuren Fanatec-Ausrüstung bin ich hier und da am Straucheln.
Aber es gibt Zugeständnisse an Einsteiger. Im Vorgänger gab es nur eine starre Ideallinie mit sehr groben Brems-Indikatoren. Nun endlich gibt es eine (noch immer optional zuschaltbare) Version mit dynamischer Auswertung der Geschwindigkeit. Noch dazu zeigt das HUD bei Zeitrennen ein in Segmente unterteiltes Streckenschema, das jede einzelne Kurve analysiert und das Fahrverhalten fortlaufend bewertet. So können Anfänger während ihrer Trainingsrunden herausfinden, wo sie zu stark bremsen, wo sie die Kontrolle über den Wagen verlieren oder ob sie beim Herausfahren zu aggressiv ins Gaspedal treten.
Sowohl die künstliche Intelligenz als auch der Anspruch in Sachen Physik dürften typischen Konsolen-Sim-Fahrern Phantomschmerzen bereiten, aber die Straße in die höhere Liga ist weicher gepflastert, sodass der Umstieg leichter fällt. Das ist löblich, wenn auch bei genauer Betrachtung notwendig, denn es wird ein harter Ritt nach Buffalo. Gerade unter dem Aspekt, dass ausschließlich die erwähnte GT3-Serie simuliert wird, denn das grenzt die mögliche Zielgruppe noch stärker ein, als es Hardcore-Simulationen sowieso schon tun.
Early Access hin oder her, die vorliegende Fassung von Assetto Corsa Competizione spricht schon jetzt Bände über das angestrebte Ergebnis. Dieses Spiel ist nichts für Sonntagsfahrer und wird somit an vielen potenziellen Kunden unbemerkt vorbeigehen, aber ich lasse mich auf keinen Fall vom hohen Schwierigkeitsgrad abschrecken. Im Gegenteil, ich freue mich schon jetzt auf ewige Trainingssitzungen bei hohem Anspruch und eine komplette GT3-Saison, die mich optisch wie auch akustisch begeistert. In 5.1 eine Wucht: Im Cockpit hört man, wie die Bremsblöcke schleifen und wie sich das Chassis durch intensive Fliehkräfte verbiegt. Klasse! Nur der Boxenfunk wirkt derzeit ein wenig zu brav.
Wer in die Early-Access-Phase einsteigen möchte, kann das ab sofort tun und kommt wie immer günstiger davon als mit der irgendwann fertiggestellten Vollversion. Knapp unter 30 Euro kostet der Spaß derzeit über Steam.
Entwickler/Publisher: Kunos Simulazioni - Erscheint für: PC - Geplante Veröffentlichung: Early Access erhältlich