Atari 2600+ im Test: Seid ihr alt genug, um mit diesem Kasten Spaß zu haben?
Dreht am Rad!
Ich bin ja niemand, der die ganz alten Konsolen ständig einsatzbereit hat. Eine PS2 steht zwar immer bereit, ein Dreamcast ebenso. Aber mein Master System schlummert seit Jahren im Keller und selbst Amiga und ST hole ich nur selten hervor. Als ich auf der gamescom allerdings bei einem Plausch mit Ataris Senior Director of Sales and Marketing David Lowey alte Bits über den Bildschirm schob, da fühlte sich das erstaunlich gut an. Und so war ich gespannt darauf, wie es wohl sein würde, das Atari 2600+ irgendwann unterm Fernseher stehen zu haben.
Nun, „irgendwann“ kam letzten Monat, als die Neuauflage des Atari 2600 schließlich veröffentlicht wurde, und seitdem wundert sich besagter Fernseher, welch grobe Pixel da gelegentlich über sein Display wandern. Mit moderner Pixelgrafik haben die Klötzchen von damals jedenfalls ähnlich wenig gemein wie mit dem, was man heute als präzise Steuerung bezeichnet!
Das Atari 2600+ ist ein Museumsstück für Liebhaber – Liebhaber der alten Zeiten, Liebhaber simpler Geschicklichkeitsspiele, und Liebhaber des Gefühls, hinter vierfarbigen Klötzchen fantastische Welten zu entdecken. Okay, faktisch sind es maximal 16 Farben. Aber von denen sind ja die wenigsten ständig im Bild und auf jeden Fall ist dieses Retro-Erlebnis ganz weit von den 8-Bit-Abenteuern entfernt, mit denen aus groben Linien erst „echte“ Figuren und Kulissen wurden.
Aber genau deshalb habe ich mich damit auch seltsam wohl gefühlt. Völlig losgelöst von der vernetzten Spielewelt ein Modul in den Schacht des neuen alten 2600 zu stecken, den riesigen An/Aus-Hebel nach oben zu schieben und dann den simplen Kunststoff-Joystick zu greifen, das hat etwas angenehm Beruhigendes.
Das bekommt ihr
Zumal das 2600+ mit einem Modul ausgeliefert wird, das nicht nur ein, sondern gleich zehn Spiele enthält. Das funktioniert so: Auf der Rückseite solcher Sammelmodule befinden sich vier kleine Schalter, deren Stellung man beliebig kombinieren kann und jedes darauf gespeicherte Spiel verlangt eine bestimmte Kombination. Es gibt kein über modernes Auswahlmenü. Alle Einstellungen nimmt man über die originalgetreuen Hebel direkt an der Konsole oder eben den Modulen vor.
Ärgerlich finde ich nur, dass das Handbuch ausschließlich online abrufbar ist (der Packung liegt lediglich ein QR-Code bei) und selbst dort nicht alles erklärt wird. In Anbetracht der überschaubaren Funktionen ist das verschmerzbar. Ein liebevolles Booklet, gerne mit ein paar interessanten, vielleicht weniger gut bekannten Fakten hätte den nostalgischen Wert der Anschaffung jedenfalls deutlich gesteigert.
Und weil ich gerade dabei bin: Das nicht mal anderthalb Meter lange HDMI-Kabel (sprich die einzige Anschlussmöglichkeit) ist viel zu kurz, wenn man nicht direkt vor der Glotze hocken will, während das ähnlich kurze USB-Kabel zur Stromversorgung nicht einmal kein Netzteil spendiert bekommt. Mit seiner Ausstattung sammelt das 2600+ wahrlich keine Punkte.
Abgesehen davon sollte man wissen, dass die Konsole nur etwa 80 Prozent so groß ist wie das Original. Mich stört das nicht, aber vielleicht gibt es ja Puristen, die das anders sehen. Bedauerlich finde ich dafür, dass nicht alle Gamepads beziehungsweise Joysticks von dem hier verbauten, originalgetreuen 9-Pin-Anschluss so problemlos erkannt werden, wie es damals der Fall war. Außerdem laufen zwar die allermeisten, aber längst nicht alle Spiele, da die Hardware nicht der damaligen Konfiguration entspricht, sondern sie zum Teil nur emuliert. Eine List aller kompatiblen Titel findet ihr unter diesem Link.
Nicht zuletzt muss ich darauf hinweisen, dass ich erst mit einem weiteren Modul und zusätzlichen Controllern so richtig Spaß an der Konsole hatte. Beides gehört aber gar nicht zum regulären Lieferumfang, sondern wird separat als “4 in 1 Game Cartridge and Paddle Pack” verkauft.
CX30+ heißen die Controller in Anlehnung an die damalige Bezeichnung und es handelt sich um jene Drehscheiben, mit denen sich Pong beziehungsweise ähnliche Spiele erst so richtig gut anfühlen, weil man die virtuellen Schläger damit hervorragend verschieben oder besonders schnell an einen bestimmten Fleck versetzen kann.
So habe ich erstaunlich viel Zeit in eine Pong-Variante namens Video Olympics gesteckt, die man zu zweit sogar in etlichen Varianten spielen kann – darunter eine Art Tischfußball, bei der man immer alle Figuren gleichzeitig verschiebt. Genau wie früher ändert man den Spielmodus dabei durch das Drücken eines Hebels an der Konsole. Anschließend führt man über einen weiteren Hebel einen Reset aus und schon steht der gewünschte Modus zur Verfügung.
Das Atari 2600+ ist sowohl bei Atari selbst als auch bei Amazon und anderen Händlern erhältlich. Anfang 2024 sollen zudem weitere 2600- und 7800-Spiele veröffentlicht werden, während derzeit viele davon nur in den USA verfügbar sind. Auch das CX78-Gamepad wird dann zur Verfügung stehen, um das Spielen mit zwei Tasten zu ermöglichen. Wer an den CX30-Drehscheiben interessiert ist: Das 4 in 1 Game Cartridge and Paddle Pack schlägt mit knapp 40 Euro zu Buche.
- Atari
- 2600+ bei Amazon
- 4 in 1 Game Cartridge and Paddle Pack bei Amazon
- Etwas kleinerer, aber originalgetreuer Nachbau mit allen funktionierenden Schaltern und Anschlüssen
- Liest 2600- und 7800-Module, sowohl damalige als auch neu hergestellte
- Wundervolle Zeitreise zu wegweisenden Klassikern – besonders mit (separat erhältlichen) CX30-Controllern
- Ausgesprochen kurze HDMI- und USB-Kabel
- Knappes Online-Handbuch, das nicht alles erklärt
- Originalgetreuer, für heute Verhältnisse aber ziemlich furchtbarer Joystick
- Viele Spielmodule derzeit nur in USA erhältlich
Außerdem gibt es an der Rückseite zwei Schalter, die meist den Schwierigkeitsgrad für den jeweils daneben liegenden Gamepad-Anschluss verändern. Wer Video Olympics also mit besonders kleinen Schlägern spielen will, kann das dort einstellen. Über einen weiteren Schalter ändert man schließlich das Format vom furchtbar gestreckten Breitbild auf das ursprüngliche Seitenverhältnis von 4:3.
Dieses haptische Erlebnis trägt viel dazu bei, dass sich das Spielen am 2600+ so gut anfühlt. Zumal Atari übrigens extra darum bemüht war, auch den mitgelieferten Joystick aus Materialien zu fertigen, die heute kaum noch so verwendet werden. Die Lamellen am unteren Ende des Sticks sollten sich daher genauso anfühlen, wie sie es damals taten – das Gleiche trifft allerdings auf das ungenaue und schwergängige Hin- und Herschieben des Sticks zu, das die Jagd nach Highscores doch schwerer macht als ich es in Erinnerung hatte.
Übrigens: Speicherkarten oder andere Medien kann man nicht anschließen, um zum Beispiel Programme von dort aus zu starten. Seid ihr auf der Suche nach einer solchen Möglichkeit, solltet ihr euch stattdessen das Atari VCS (was nichts anderes als ein früherer Name des 2600 ist) anschauen. Das 2600+ wurde ganz bewusst nicht als direkte Konkurrenz dazu entworfen, sondern richtet sich stärker an Retro-Puristen.
Atari 2600+ im Test – Fazit
Beim Benutzen des Joysticks spürt man vielleicht am ehesten, was das 2600+ auszeichnet: Der Spaß an den einfachen Geschicklichkeitsspielen lockt immer wieder für eine Runde vor den Fernseher. Das mitgelieferte Missile Command ist immerhin heute noch spannend und Adventure ein historischer Klassiker, den man ohnehin kennen sollte. Es ist gut, dass man die guten, alten Zeiten auf so gelungene Art nachempfinden kann – der 2600+ liest ja sogar die damaligen 2600- und selbst 7800-Module!
Gleichzeitig sind das aus heutiger Sicht sehr überschaubare Herausforderungen, an denen man auch deshalb nicht lange hängenbleibt, weil sie sich deutlich weniger komfortabel anfühlen als moderne Abenteuer. In Anbetracht der kurzen Kabel, des knappen Online-Handbuchs und der nicht hundertprozentigen Kompatibilität vermisse ich außerdem das entscheidende Bisschen Liebe für diesem Retro-Trip seitens Atari selbst. Über das Plus im Namen könnte man daher streiten. Über die grundsätzlich gelungene Erinnerung an frühere Zeiten zum Glück aber nicht.
Atari 2600+ | |
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PRO | CONTRA |
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