Avowed ließ mich eine wie Faith über Dächer klettern - aber mit Sorgenfalten über seine Performance zurück
Parkour in den Slums einer Fantasy-Metropole.
Auf diesen Studiobesuch hatte ich mich wirklich gefreut, denn während hierzulande schon der Winter seine fröstelnden Vorboten aussandte (das war mir egal), konnte ich in den sonnendurchfluteten Büros von Obsidian Entertainment nicht nur das in wenigen Monaten kommende Avowed anzuschauen, sondern auch mit einer Reihe an Entwicklern über ihre Arbeit an dem actionreichen Rollenspiel sprechen (das weniger).
Ich halte mich extra damit zurück, Avowed nicht als reines als Action-Rollenspiel zu beschreiben, auch wenn das dem Namen nach sicherlich zutrifft. Es könnte allerdings den falschen Eindruck erwecken. Immerhin steckt das neue Abenteuer der Macher von The Outer Worlds oder Pillars of Eternity zwar voller Action und auch das Sammeln neuer Ausrüstung spielt eine große Rolle – tatsächlich geht Obsidian damit noch einen Schritt weiter in Richtung flotte First-Person-Action als zuvor mit The Outer Worlds.
Gleichzeitig hält das kalifornische Studio aber klassische Rollenspielwerte aufrecht und will mit starken Charakteren sowie einer spannenden, teils wendungsreichen Geschichte überzeugen, um mehr als einen Richtungspfeil mit der Aufschrift „Gehe dorthin, um jenes Böse zu vernichten“ auf die Minimap zu kleben.
Ab auf die Insel!
Ganz kurz für Alle, die nicht damit vertraut sind: Avowed spielt in der Welt von Pillars of Eternity, ist aber keine Fortsetzung der isometrischen CRPGs. Man muss die Welt von Eora daher nicht kennen, wenn man als Abgesandte oder Abgesandter des Aedyr-Imperiums ins Land der Lebenden (eine Insel nördlich dieses Reichs) geschickt wird, um die Ursache einer Seuche zu bekämpfen, welche viele Wesen dort befallen hat. Denn die werden daraufhin zu gedankenlosen Wüterichen, sprich einer Gefahr für die friedliebenden Kreaturen der Insel.
Ich hoffe, Spielregisseurin Carrie Patel sieht es mir nach, wenn ich gedanklich partout nicht um den Vergleich mit The Last of Us herum komme. Obwohl sie nämlich betont, dass es sich bei der Seuche um eine ganz andere Art der Manipulation mit einem ganz anderen Ursprung handelt, so erinnern das Verhalten der Opfer und die Bildsprache des Abenteuers mit den zahlreichen pilzartigen Strukturen doch stark an den grausigen Befall in der Realität von Ellie und Joel.
Dass mehr dahinter steht, erfährt man dabei früh, wenn man den ersten Schauplatz von Avowed durchforstet. Tatsächlich hat mich die Erzählung schnell darauf neugierig gemacht, dieses Mysterium zu ergründen, wobei ich euch selbstverständlich keine Einzelheiten verrate. Dass das eigene Alter Ego bald selbst auf interessante Weise mit den Ereignissen im Land der Lebenden verbunden ist, dürfte wohl aber niemanden überraschen.
Von Planescape: Torment zu Avowed
Und wo ich die Bildsprache schon erwähne: Das Land der Lebenden ist über weite Strecken ein bezaubernder Schauplatz. Kräftige Farben und eine blühende Flora bestimmen die hügelige Landschaft, welche nie nach kitschiger Fantasy aussieht, sondern eher mit den Reizen einer ebenso bezaubernden wie grotesken Anderswelt lockt. Spätere Areale sollen sogar noch abgefahrener wirken, darunter ein düsteres Nebelreich, ein Gebiet mit aktiven Vulkanen, eine Wüste sowie der abschließende Schauplatz, den Lead Environmental Artist Dennis Presnell lediglich mit „völlig durchgeknallt“ beschreibt.
Wenn Art Director Matt Hanson sagt, dass sein Traumprojekt eine komplett in 3D erschaffene Neufassung („Re-Imagining“) seines ersten Videospiels, Planescape: Torment, wäre, dann kann ich ihn (sowie Obsidian und Brian Fargo, der momentan die Rechte daran hält) nach Avowed jedenfalls nur dazu ermutigen, das in die Wirklichkeit umzusetzen!
Trotzdem soll Avowed die Erzählweise aus Pillars of Eternity fortsetzen, bei der die metaphysische Ebene nur vor dem bodenständigen Hintergrund des frühneuzeitlich inspirierten Hintergrunds bestehen kann. Denn gerade in dem von verschiedenen Arten bewohnten Land der Lebenden geht es erneut darum, wie sich das Ringen mächtiger Imperien auf den mal mehr, oft weniger normalen Alltag der Bevölkerung auswirkt.
Das gilt auf jeden Fall für dieses erste Areal, die Gegend um eine Hafenstadt namens Paradis, die ihrem Namen freilich bestenfalls oberflächlich gesehen gerecht wird. Denn dort angekommen wurde meinem Abgesandten zunächst mal beschrieben, dass sich verschiedene Fraktionen des Landes nicht ganz grün sind, bevor ich die Umgebung daraufhin selbst erkundet und noch vor den Toren das eigentlichen Orts ein aus brüchigen Planken gezimmertes Slum betreten habe. Nicht alle Wesen würden in Paradis Platz finden, erwähnte einer der Bewohner beiläufig. Also lehnen sie ihre ärmlichen Bruchbuden zumindest von außen an die hohe Stadtmauer.
Das Kletterrollenspiel
Vor allem fiel mir dort aber etwas auf, das ich in dieser Form nicht von Avowed erwartet hatte: Das Erkunden und Entdecken der Welt hat erstaunlich viel mit Titeln wie Mirror’s Edge oder Dying Light zu tun. Immerhin klettert man nach kurzen oder langen Sprüngen sehr behände auf Vorsprünge, Dächer, Balken sowie steinerne Plattformen der natürlichen Umgebung, was durch das sichtbare Greifen der Hände auch auf sehr physische Art veranschaulicht wird. Okay, Parkour beherrscht mein Rollenspielheld freilich nicht, aber gerade in dem Slum fand ich auf etlichen Ebenen so viele Balkone, Verstrebungen und versteckte Räume, dass ich mich in einem heimlichen Plattformer wähnte.
Gelockt wurde ich – zumindest versuchsweise – durch ein Summen, das an allen Ecken und Enden auf wertvolle Beute hinweist. Und um ehrlich zu sein, war mir das zu viel. Ich erkunde ohnehin gerne jeden Winkel; da empfinde ich ein ständiges Summen eher als Gängeln, das ich gerne abgeschaltet hätte. Diese Option stand in der frühen Version allerdings nicht zur Verfügung und ob das geändert wird, konnten mir die Entwickler nicht sagen. Zumindest bieten sie abseits davon aber, wie heute üblich, zahlreiche Möglichkeiten, die Steuerung, das HUD sowie andere Aspekte individuellen Vorlieben anzupassen.
Es liegt ja ohnehin überall Beute herum! Avowed ertrinkt nicht in einem zufallsgeneriertem Zahlensumpf, denn alle Waffen und Ausrüstung desselben Typs hatten zumindest bei mir stets dieselben Werte. Gleichzeitig findet man aber etliche Tränke und Waffen sowie Ressourcen zum Verbessern der Ausrüstung, wenn man nur aufmerksam hinschaut beziehungsweise -läuft.
Versteht das nicht falsch. Mir hat das Erkunden in diesem flotten Abenteuer viel Spaß gemacht. Man entdeckt ja nicht nur Kisten und Rucksäcke, sondern findet auch Hinweise darauf, was im Land der Lebenden geschieht, und entdeckt zahlreiche Quests, wenn man auch nur ein Stück weit abseits des roten Fadens streunt.
Da war eine gezeichnete Schatzkarte dabei und ich bin auf eine riesige Spinne getroffen, für deren Beseitigung ich gar keinen Auftrag hatte. Hätte ich den später jedoch angenommen, würde die Belohnung ohne Wiederholen des Kampfs sofort mir gehören. Das bestätigt Senior Narrative Designer Kate Dollarhyde, denn Obsidian liege sehr viel daran, diesen Flow des freien Erkundens nicht künstlich einzuschränken.
Typisch Obsidian: Ihr habt die Wahl
Sowohl Spiel als auch Erzählung sollen so flexibel wie möglich sein, damit Abgesandte ihr Abenteuer so frei wie möglich gestalten können. Deshalb stehen in den zahlreichen Multiple-Choice-Gesprächen auch oft sehr verschiedene Antworten zur Wahl. Ich genieße es dieser Tage ja sehr, mich (in Videospielen) einfach mal vorlaut und flapsig zu verhalten – was in Avowed ganz hervorragend funktioniert.
Gut, an den richtigen Stellen sollte man natürlich bei der Sache bleiben, um die Besitzerin eines Hauses etwa davon zu überzeugen, dass die vermeintlichen Angreifer ihres Heims in Wirklichkeit nur ihre Freundschaft suchen. Oder sollte man das lieber lassen – die Unholde gar rasch beseitigen? Entscheidet selbst, wie viel interkulturelle Freundschaft ihr vertragt!
Das Rollenspiel ist nicht so verzweigt, dass man den Verlauf aller Fäden komplett verändern könnte. Einige Geschichten abseits des roten Stricks führen aber zu verschiedenen Enden und die eigenen Begleiter reagieren darauf, welchen Wegman in entscheidenden Momenten einschlägt. Wann sie der Gruppe beitreten und ob sie die Party verlassen, das bestimmt im Wesentlichen zwar der vorgeschriebene Plot. Wie sie sich am Ende dem Abgesandten gegenüber verhalten, das liegt aber an ihm beziehungsweise ihr.
Wobei ich es schade fand, dass sich einer meiner Mitstreiter zwar über ein paar Grabräuber echauffierte, dann aber nicht ein einziges Wort sagte, als wir nach deren… Grabsetzung das bereits ausgehobene Grab selbst geplündert haben. Na, gut. Im Gegenzug plaudern die Kameraden zumindest in den ersten Stunden angenehm oft miteinander, wodurch sie sehr lebendig wirken, und auch die Bewohner von Paradis zeigten sich erfreulich gesprächig, plauderten wie nebenbei über ihr eigenes und das Leben auf ihrer Insel – Dollarhyde und ihr Team laden einen großen Teil der Exposition ganz bewusst auf das gefühlt nebensächliche Erleben des Abenteuers aus, anstatt selbiges in langen Dialogen erklärend zu zerreden.
Viel Taktik, etwas weniger Wucht
Die Begleiter selbst stehen dem Abgesandten ja sowieso ständig zur Seite – unter anderem Kampf, wo sie ihm natürlich nicht wie menschliche Mitspieler, aber trotzdem sinnvoll unter die Arme greifen. In Bosskämpfen würde ich jemanden wie Kai, der mir immerhin als erfahrener Krieger vorgestellt wurde, gerne weniger oft wiederbeleben müssen, doch abgesehen davon war ich von seinem Tun ausreichend angetan.
Und damit also endlich zur Action, die Obsidian immerhin ganz groß schreibt und von der so Einige nach dem Veröffentlichen der ersten Videos nicht gerade angetan waren. Das haben sich die Entwickler zu Herzen genommen und in den vergangenen Monaten viel am Timing, dem Feedback und anderen Aspekten gefeilt. Bleibt also die Frage: Wie fühlt sich das Hantieren mit Schild, Schwert, Zauberbuch sowie Pistole und Gewehr jetzt an?
Nun, ich würde es als „nicht grandios, aber richtig gut“ beschreiben und damit klarmachen wollen, dass Avowed ganz klar kein reinrassiges Actionspiel ist. Muss es auch nicht sein! Es bewegt sich mit seinem dynamischen Kreislauf aus Erkunden, Sammeln, Klettern und Kämpfen aber durchaus auf einem Terrain, wo man ihm das von außen unterstellen könnte.
Tatsächlich erinnert nämlich vieles an Immersive Sims, wie man sie zum Beispiel von Arkane Studios (Prey, Deathloop) oder Irrational Games (BioShock) kennt, zumal die Welt auch hier zwar weitläufig, aber nicht komplett offen ist. Obsidian behält allerdings so viel Rollenspiel bei, dass die stärker taktisch geprägte, pausierbare Action, bei der man in Ruhe den nächsten Zauber wählen oder einen Mitstreiter zum Aktivieren einer Fähigkeit aufrufen kann, noch immer eine große Rolle spielt. Ja, man darf sogar jederzeit die komplette Ausrüstung wechseln, falls man merkt, dass das aktuelle Set in keiner Form zur momentanen Situation passt.
Der Fokus ist also ein anderer. Das kinetische Aufeinandertreffen wirkt nicht so wuchtig wie anderswo, bietet dafür aber zahlreiche Möglichkeiten, um jedes Gefecht auf individuelle Weise zu gestalten. So kann man sich in hohem Gras verstecken, um einzelnen Gegnern mit einem Angriff aus dem Hinterhalt großen Schaden zuzufügen oder sie mit einem Stich zu erledigen. Der Abgesandte beherrscht einen schnellen Schritt zur Seite, kann jederzeit zwischen zwei Waffensets wechseln und trägt in jeder Hand ein frei wählbare Waffe, solange er nicht lieber großes Kaliber vom Schlage einer zweihändigen Axt bevorzugt – mein Liebling nach den ersten Stunden, obwohl ich auch gerne rechts ein Schwert und links ein Zauberbuch gehalten habe, um Angreifern mit Magie und Klinge zuzusetzen.
Zaubern hat schon deshalb seinen Reiz, weil man damit nicht nur Schaden zufügt, sondern auch elementare Effekte auslöst; Feinde unter anderem vereisen oder so elektrifizieren kann, dass sich der Effekt auch auf Gegner in ihrer Nähe ausbreitet. Die Welt ist zwar nicht so interaktiv, dass sich Pfützen vereisen oder unter Strom setzen lassen, dennoch kam mir das alles auf angenehme Art vertraut vor.
Bearbeitet man Gegner lange genug, erschöpft man übrigens ihren Widerstand, sodass man einen mächtigen Spezialangriff ausführen darf. Abgesehen davon stehen verschiedene Zauber zur Wahl, die man auch ohne Buch ausführen kann. Ach, und mit der richtigen Befähigung lassen sich ankommenden Angriffe zudem parieren. Das hatte ich in der Vorschau nur leider noch nicht freigeschaltet.
Wie auch immer ihr kämpfen wollt: Ihr könnt Ausrüstung und Fähigkeiten stets frei entwickeln. An Ruhestätten, zu denen man jederzeit reisen darf, kann man Waffen außerdem verbessern, Rüstungsteile stärken, Tränke herstellen sowie Gespräche mit den Begleitern führen, über die man einen tieferen Einblick in ihre Vergangenheit gewinnt und die Verbindung zu ihnen vertieft – oder aushöhlt, je nachdem.
Die Zeit bis zum Release...
Wie gesagt: Ich hatte großen Spaß mit diesem noch stärker auf Action fokussierten Rollenspiel als es The Outer Worlds schon war. Ich muss an dieser Stelle allerdings auch einen Punkt ansprechen, der zumindest dem Vorschau-Erlebnis auf meinem heimatlichen Rechner (wir bekamen nach dem Besuch bei Obsidian Zugang zu der dort gespielten Version) einen ordentlichen Dämpfer verpasste: die Performance.
Was nichts anderes heißt, als dass das Spiel selbst auf den niedrigsten Grafikeinstellungen höchst selten nur mit 60 Bildern pro Sekunde lief, ja gelegentlich sogar in die hohen 20-er und ganz oft in den Bereich der 30-er stürzte, während es sich meist in den hohen 40-ern aufhielt. Das hat sich alles andere als gut angefühlt. Da muss Obsidian vermutlich noch eine Menge Optimierungsarbeit leisten.
Vielleicht betraf das aus irgendeinem Grund nur meinen speziellen Rechner, wer weiß. Zumal es mir seltsam erscheint, dass ich selbst auf der höchsten Einstellung lediglich ein paar Sekundenbilder verlor. Definitiv bedauerlich fand ich jedenfalls, dass trotz DLSS 3 und FSR 3 keine Frame Generation verfügbar war. Und leider konnten mir die Entwickler nicht sagen, ob sich daran bis zum Release im Februar etwas ändern wird.
Ein wenig Sorge bleibt daher zurück, auch wenn Obsidian das Spiel auf Nachfrage bis zum Start noch optimieren wird. Sicher scheint mir allerdings schon jetzt, dass Avowed ein sehr unterhaltsames Abenteuer wird, welches sich trotz seiner Stärken in Sachen klassisches Rollenspiel vor allem durch seine Anleihen beim modernen Action-Adventure auszeichnen dürfte. Sicher: Man braucht ein Faible für Beute und Ressourcen, denn auch wenn beides nicht im Übermaß vorhanden ist, wird man doch an allen Ecken und Enden zum Aufspüren der Bündel und Kisten animiert.