Baldur's Gate 3: Quarantäne mache ich in den Vergessenen Reichen
Zwischen Pasta und Parasiten
So schnell kann es gehen: Letzten Donnerstag bekam ich einen unerwarteten Anruf vom Gesundheitsamt und schon stand ich für sieben Tage unter Quarantäne wegen eines Risikokontakts. Davor hatte ich mir eigentlich fest vorgenommen, brav zu warten, bis Baldurs Gate 3 fertig ist und das auch überall motiviert verkündet. Was soll ich sagen... vor sieben Tagen begann ich auch mit der Early-Access von Baldurs Gate 3 und ich gebe zu, ich habe es nicht im Geringsten bereut. Schon nach wenigen Tagen begannen mein Quarantäneleben und das Spiel seltsam miteinander zu verschmelzen, als hätten wir beide eine Gedankenschinder-Larve im Kopf. Das Ergebnis waren eine virtuell ereignisreiche Woche voller Dungeons, Dragons und Dosenfutter und dieses kleine Quarantäne-Tagebuch.
Tag 1: So beginnt es also
Ich hatte schon vieles vom hochgelobten Charaktereditior in Baldur's Gate 3 gehört und auch gesehen: Die sozialen Medien sind voll von liebevoll erschaffenen Charakteren. Ein wenig ist das Offenlegen seiner Figur wie ein kleiner Einblick in deine Seele - leicht pathetisch ausgedrückt. Man präsentiert der Welt ein kleines persönliches Kunstwerk oder zumindest so ähnlich. Als begeisterte Pen-and-Paper-Spielerin fand ich die leicht abgehobenen Völker bei D&D bisher meist etwas albern, im Computerspiel stört es mich hingegen gar nicht. Und so nimmt er Gestalt an, mein lila-haariger Halb-Drow-Magier-Schurke. Mich schaudert es ein wenig, das zu lesen. Wenn ich so einen pseudo-coolen Kitsch-Charakter am Rollenspieltisch ausgepackt hätte, wäre ich von meiner Gruppe erst einmal ordentlich ausgelacht worden. Im Computerspiel geht das, finde ich. Schon jetzt begleitet mich die wunderschöne Musik von Baldur's Gate 3, die besonders dafür sorgt, dass ich bereits beim Bauen meines Charakters ein vorfreudiges Kribbeln verspüre.
Nach ungefähr einer Stunde und 100 Screenshots im Charaktereditor stehe ich dann kurz vor Spielstart und bin extrem gehyped. Für mich steht mit Baldur's Gate 3 ein kleiner Gaming-Traum auf dem Spiel: Endlich mal wieder ein Rollenspiel, das Gruppendynamiken, Taktik-Kämpfe, tiefgründige Figuren und eine spannende Rahmenhandlung vereinen könnte. Endlich mal wieder ein neues Dragon Age Origins, worauf ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte.
Es beginnt mit sagenhaft guten Szenen und der ersten Szenerie: ein tentakeliges Luftschiff, von dem man fliehen muss, nur dass man vor lauter Tentakeln gar nicht weiß, wo es eigentlich lang geht. Ein eindeutiges Manko in der Beta des Spiels: Oft fehlt eine sinnvolle Markierung, wo man weiterkommt. Gerade auf dem Luftschiff glitchen die Texturen teilweise noch munter herum und machen die Wege schwer zu erkennen. Dann lerne ich die erste Reisegefährtin, Githyanki-Krigerin Lae'zel, kennen. Githyanki klingt zwar ein wenig wie ein griechisches Nudelgericht, ist bei D&D aber ein kämpferisches Volk grünhäutiger Wesen. Oh, würde Lae'zel später diese Woche noch hassen lernen. Grafisch wirkt es aber zumindest so, als hätte das Animationsteam in ihr Gesicht den meisten Aufwand investiert: Die leuchtenden Raubtieraugen haben eine beeindruckende Tiefe.
Tag 3: Gestorben wird immer
Ein komischer Tag-Nacht-Rhythmus, ungesundes Essen und wenig Frischluft lassen mich mittlerweile nicht mehr so ganz lebendig aussehen und auch in meiner zweiten Heimat, den vergessenen Reichen, geht es mir regelmäßig an den Kragen. Besonders am Anfang sind die rundenbasierten Kämpfe wirklich verflucht schwer. Zwar kann man in Baldur's Gate 3 viele eigene Entscheidungen treffen, sich oft aussuchen, ob man kämpft oder redet, Letzteres gibt einem nur keine Erfahrungspunkte. Ich habe mich aber nun einmal für einen schurkischen Elfen entschieden, der viel verhandelt, schummelt und mit Tricks löst, also spiele ich ihn auch so, wie es sich für einen Pen-and-Paper-Nerd eben gehört. Dadurch sterbe ich aber auch sagenhaft oft.
An einigen Stellen kann man Quests wegen Bugs gar nicht abschließen, dafür gibt es also auch keine XP und das Skillen der Figuren wird ziemlich mühsam. Zum Glück zieht mich die Geschichte langsam, aber sicher ein wenig in ihren Bann: Einer parasitären Schwarmintelligenz und dunkle Verlockungen klingen spannend genug, um mich ehrgeizig weiterspielen zu lassen. Außerdem ist die Welt, die ich im Spiel erkunden darf, einfach wunderschön - wenn man schon nicht spazieren gehen kann, dann wenigstens virtuell. Es sind die kleinen Momente, die mich in den ersten Spielstunden faszinieren. Ich bewundere mit großen Augen die detailreiche Landschaft, schmunzel über die kurzen Gesprächsfetzen meiner Begleiter während der Erkundungsreise, die ruhig noch mehr werden dürften, und ist das etwa eine Träne in meinem Auge, als Tiefling Alfira bei der ersten Begegnung plötzlich glockenhell zu singen beginnt? Die Ballade Weeping Dawn gibt mir so richtig das Gefühl, das sich seit Momenten wie Leliana's Song in Dragon Age Origins nicht mehr verspürt habe.
Tag 4: Hygienekonzepte
Von Tag zu Tag werde ich ein wenig verlotterter, kein Wunder, wenn man das Haus nicht verlässt. Wofür also herrichten? Ordentlich anziehen? Meinen neuen Freundinnen und Freunden aus den vergessenen Reichen ist das zum Glück egal, - die akzeptieren mich in jedem Zustand. Wenn ich sogar zu faul bin, mir eine Hose anzuziehen, ist das kein Problem, Gale, der Magier, hat schließlich auch keine an. Wenn ich mir mehrere Tage die Haare nicht gewaschen habe, sitzt die Frisur von Schattenherz trotzdem noch immer perfekt. Sollte mir beim Blick in den Spiegel der Mut versagen, ist Wyll noch immer selbstbewusst wie eh und je. Falls mir irgendwann der Humor ausgeht, liegt Astarion noch immer ein frecher Spruch auf den Lippen und wenn ich energielos auf der Couch liege, hat Lae'zel weiterhin jede Menge Power in Reserve. Vielleicht eher Aggressivität, denn von meinen neugewonnenen Freunden geht sie mir neben der dauer-zickigen Schattenherz schnell am meisten auf den Zeiger. Aber was hilft es denn, die Fünf sind vorerst eine meiner besten Chancen auf Gesellschaft.
Auf den ersten Blick ist tatsächlich kaum einer von der Truppe wirklich sympathisch. An die Zuneigung, die ich zu vielen Figuren in meinem heiß-geliebten Dragon Age Origins empfunden habe, reichen die kratzbürstigen BG3-Charaktere trotz der großartigen Animationen bisher nicht so ganz heran. Irgendwie wird man aber mit ihnen warm. Sie sind für mich während der Quarantäne eben wie eine kleine Ersatzfamilie - ich habe sie mir nicht ausgesucht, aber es ist gut, dass sie da sind. Die beste Waffe im Kampf gegen die aufstrebende Langeweile ist mittlerweile Astarions beißender Zynismus - ganz das richtige, wenn man seit Tagen keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt hat. Mein Vampirbegleiter zischt „this is awful" und ich fühle es aus tiefstem Herzen.
Tag 6: Abstandsregelung
An Tag 6 ohne menschlichen Kontakt fangen besonders die Beziehungsstrukturen im Spiel an, mir zu gefallen. Wenn ich schon nicht raus kann, winken im Spiel eben ein kleines Rendezvous am Lagerfeuer mit einem sozial unbeholfenen Magier oder einer animalischen Kriegerin. Manchmal merkt man gar nicht, dass man keinen Außenkontakt hat, denn in Sachen Romantik ist Baldur's Gate 3 nahezu gnadenlos realistisch. Wenn man zum Beispiel von einem der Gefährten auf einer Feier mit „es liegt nicht an dir, sondern an mir" rücksichtslos in die "Friendzone" abgeschoben wird, fühlt sich das fast nach dem echten Leben an. Da wird sie also selbst im Spiel ausnahmslos durchziehen, die Abstandsregelung - wer braucht bei so viel Realismus noch echte Sozialkontakte? - Stellt euch an diesem Punkt irres Gelächter von mir vor.
Vielleicht habe ich mich in einen Charakter trotzdem schon jetzt insgeheim verguckt. Wer es ist? Dieses Geheimnis bleibt zwischen mir und seinen spitzen rotglühenden Vampiraugen. Verdammt, verplappert!
Zum letzten Update von Larian hieß es, gerade einmal 1,37% der Leute hätten sich im Spiel bisher dazu entschieden, allein zu schlafen. Klar, das habe ich natürlich auch völlig freiwillig getan. Es lag selbstverständlich nicht daran, dass ich keinen der Charaktere abbekommen habe.
Tag 7: Erlösung naht
Das Ende der Quarantäne naht und das ist auch gut so: Kaffee, Wein und Tabak gehen langsam zur Neige - das klingt zwar wie die Voiceover-Stimme in den Anno-Spielen, ist bei mir aber purer, spaßloser Ernst. Zum Glück neigt sich diese seltsame Woche in meinen kleinen vier Wänden auch dem Ende zu: Schon heute Nacht um 0 Uhr darf ich wieder raus. Meine Quarantäne mit den D&D-Helden war irgendwie trotz allem eine besondere Zeit. Wenn ich morgen wieder aus dem Haus darf, werde ich wohl nicht sofort wieder den PC einschalten - aber keine Angst, meine fünf Freunde, ich komme wieder keine Frage! Baldur's Gate 3 hat noch einige Mankos, aber die wunderschöne Welt, das Figurendesign und das spannende Beziehungssystem haben mein Dragon-Age-verwöhntes Herz dennoch erobert. Spätestens kehre ich zurück zu meinem Ersatz-Freundeskreis, sobald es neue Updates gibt ... oder ich mal wieder zu Hause festsitze. Eine Quarantäne kann man jedenfalls schlechter verbringen als in den Vergessenen Reichen.
Baldur's Gate 3 ist in der Early Access für den PC erhältlich, beispielsweise über Steam oder gog.com.