Battlefield: Hardline - Test (Teil 1: Kampagne)
Der niedrigste Kill-Score in einer Shooter-Kampagne ever.
Das war... überraschend. Weit besser als gedacht - klar, auch weil ich nichts erwartet hatte, aber trotzdem, das war... ehrlich gesagt unterhaltsam. Und definitiv nicht Battlefield. Für jeden Gegner, den ich in serientypischer Manier erschossen habe, blieben zwei am Leben, indem ich mich an sie anschlich, ausknockte oder - weit häufiger - verhaftete. Wahrscheinlich war der Bodycount der ersten zwei Missionen aus Teil vier schon höher als das. Und hätte ich nicht unter dem gewissen Zeitdruck des heutigen Release gespielt, hätte ich mir die Zeit genommen, diesen noch weiter zu senken, vielleicht sogar eine Zero-Kills-Runde anzustreben. Nein, das ist nicht Battlefield. Aber es war die unterhaltsamste Kampagne in der Serie bisher und auch im Vergleich zur Routine, die der Konkurrent Call of Duty in seinen Solo-Ausflügen zu bieten hatte.
Das heißt nicht, dass das hier brillant war. Inhaltlich fragte ich mich schon, wie man Räuber und Gendarm in einer Geschichte unter einen Hut bringen will. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass man als Spieler in einem US-Game reihenweise gute Cops niedermäht. Das war dann auch nicht der Fall und das nicht nur, weil ich selbst verantwortungsbewusst spielte, sondern, weil es dazu keine Gelegenheit gab. Es beginnt als relativ hanebüchene Cop-Story um Drogendeals und korrupte Bullen in Miami, erzählt und ausgeführt mit der Subtilität des ersten Bad Boys Films, und wechselt zur zweiten Hälfte in eine Art unfreiwillige Undercover-Renegade-Story ab. Erzählt und ausgeführt mit dem Wahnsinn und der Subtilität von Bad Boys 2.
Machte ich mir zunächst noch Gedanken über Polizei-Regeln und -Gebräuche und ihre Nicht-Anwendung innerhalb dieser Geschichte hier, ließ das schnell nach. Wenn man erst mal Mission-Impossible-Style aus einem Hochhaus sprang - ohne Wasser im Pool, eine klare Verletzung von Regel Nummer vier von Harley Davidson und dem Marlboro Man -, sich mit Rednecks einen Kleinkrieg in einem verlassenen Raketen-Silo leistete und die einsame Insel eines Super-Bösewichts stürmte, nimmt man es nicht mehr so ernst, dass man bei einer Drogen-Razzia nicht auf Verstärkung gewartet hat. Tango & Cash waren im Vergleich umsichtige und protokollverliebte Vorzeige-Cops im Vergleich zu Hardlines Vorgehensweise...
Aber egal, dafür spielt man Videospiele, der Wahnsinn hat Methode, und es hat ja auch niemand ein neues Police Quest SWAT versprochen - oder gewollt. Am Ende fühlte ich mich auf Hollywood-Blockbuster-Niveau ordentlich unterhalten, die stereotypen Figuren spielten ihre Rollen angemessen und es waren sogar ein, zwei clevere Zeilen aus Versehen ins Script gerutscht. Das ist weit mehr als ich über die Oorah!America!-Unfälle der beiden Vorgänger-Storys bereit wäre zu sagen, was aber auch an meiner eigenen Übersättigung mit solchen GI-Joe-Geschichten liegen kann. Oder daran, dass sie wirklich nur Mist in Tüten mit netter Action waren. Hardline gewinnt keine Preise für die Story, aber besser als das ist es allemal.
Kommen wir zum niedrigen Kill-Score zurück. Als Cop sollt ihr natürlich nicht in Rambo-Manier reingehen und alle ohne Vorwarnung niedermähen. Wir haben schließlich nicht mehr die 80er und nicht mal die 90er, als das noch gerade so akzeptabel gewesen wäre. Die neue Mechanik erinnert weit mehr an Stealth-Spiele wie Splinter Cell. Schleicht euch in Deckung an einen Gegner heran und überrascht ihn, indem ihr ihn leise ausknockt oder aber - und das bringt weit mehr Punkte - indem ihr "Hände hoch!" sagt. Direkt im Angesicht einer Pistole überlegt er sich, dass er heute vielleicht nicht für seinen in relativer Sicherheit hockenden Anführer draufgehen möchte und lässt sich mit Handschellen am Boden fesseln. Das klappt sogar mit zwei bis drei Feinden auf einmal, dann besteht jedoch das Risiko, dass einer es sich anders überlegt und doch noch seine Waffe zieht. Habt ihr einen Partner dabei - was bis auf die letzte der zehn Missionen grundsätzlich der Fall ist - wird er euch Deckung geben, aber entdeckt seid ihr dann trotzdem.
Der Trick bei der Sache, der natürlich komplett unrealistisch ist, ist der, dass die Festnahme als "Stealth-Attacke" durchgeht. Solange kein anderer Gegner seinen Sichtkegel auf das Geschehen fixierte, kriegt keiner was mit. Sehen sie dann den Gefesselten, aber nicht euch, weil ihr schon wieder in Deckung seid, werden sie gucken kommen was los ist, aber nicht gleich Alarm schlagen. Eine gute Gelegenheit für euch, auch den Kumpan zu erwischen. Sollte er aber realisieren, was los ist - wandernde Wachen tun das ja gerne mal - gibt es oft ein Alarmsystem, dass dann ausgelöst wird. Jetzt wandern alle Wachen und grasen das gesamte Gebiet ab, was eure Arbeit weit schwieriger macht. Um das zu vermeiden, könnt ihr den Alarm an der Kontrollbox lahmlegen oder die Lautsprecher zerstören. Um den Überblick zu bewahren, habt ihr einen Far-Cry-ähnlichen Scanner, um Gegner zu taggen und den Alarm zu erkennen. Wie gesagt, es ist ein Stealth-Spiel und hat sich alles woanders abgeguckt. Leider auch viele alte Schwächen.
Erst einmal ist die KI denkbar einfältig. Da wäre dieses "erst mal genau gucken, wundern und dem Spieler alle Chancen lassen"-Verhalten. Dann ist ihr Sicht- und Aktionsradius sehr eingeschränkt. Wer das leider weit unterschätzte Splinter Cell: Blacklist zuletzt spielte, ist das was ganz anderes gewohnt, dagegen ist das hier Stealth-Grundschule. Der Sichtradius ist das größte Problem, da ihr diesen Millimetergenau auf der Minikarte seht. Schnell habe ich gar nicht mehr geguckt, wo ich die Gegner sehe, sondern nur noch, wo auf der Karte die Lücken sind und wie weit sie schauen. Das hat so lustige Nebenerscheinungen wie eine Wache, die von einer Werkstatt aus klare Sicht auf das offene Tor des Geländes hat, da dieser offene Bereich ohne jeglichen Sichtschutz außerhalb seines 20-Meter-Sichtkegels liegt, könnt ihr in der Einfahrt Polka tanzen und er starrt weiter ins Leere. Macht einem die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit nicht einfacher. Die Bewegungsmuster sind extrem simpel, es gibt außerhalb des Alarmzustandes zu wenige wandernde Wachen und keine von diesen hat unerwartete Abweichungen ihrer Wege zu bieten. Stealth ist Neuland für die Serie und das merkt man deutlich an dieser nicht schlechten, aber zu simplen Umsetzung, die halbwegs Geübte in derartigen Spielen nicht vom Hocker hauen wird. Es gab keinen Moment, in dem ich mir besonders clever vorkam, dass die zehn Feinde hinter mir sauber verpackt auf ihren Abtransport ins Kittchen warten. Sie waren einfach zu blöde, um eine Chance zu haben.
Eine Sache macht insbesondere klar, dass Battlefield noch nicht so richtig mit der Stealth-Sache zurechtkommt, auch wenn es keine spielerischen Auswirkungen hat: Eure Begleiter sind für die KI unsichtbar. Solange ihr selbst nicht entdeckt seid, gilt der KI-Kumpane als nicht existent. Das führt zu ein paar sehr lustigen Szenen. So lockt ihr beispielsweise mit einer geworfenen Patronenhülse einen Feind an - ein sehr nettes Feature übrigens -, der biegt um die Ecke, um zu gucken was los ist. Euch sieht er nicht, aber den Freund schaut er direkt an. Direkt. Und geht weiter zum Ort des Geräusches. Was uns wieder zurück zu den Problemen mit der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit bringt...
Da das hier am Ende aber immer noch ein "Battlefield" ist, könnt ihr euch das Ganze auch knicken, wenn ihr möchtet, und solltet ihr entdeckt werden, hat es sich in der Regel eh mit dem Verhaften gehabt. Dann wird geballert. Die Gegnermengen sind dabei deutlich kleiner als ihr es gewohnt seid, selbst bei einem ausgelösten Alarm waren es nie mehr als ein, zwei Dutzend Feinde in einem Kampf insgesamt. Allerdings ist euer Arsenal auch deutlich weniger militärisch. Schwere MGs gibt es gar nicht, selbst Sturmgewehre schaltet ihr erst ganz zum Ende hin frei. MPs, Schrot und Pistolen sind das Werkzeug des Polizisten und meist auch der Feinde. Scharfschützengewehre stellten sich als absolute Nieten heraus. Ohne Schalldämpfer bringen sie dank des Stealth-Gedanken rein gar nichts, mit sind ihre Werte so reduziert, dass selbst klare Kopftreffer schon auf mittlere Distanzen nicht mehr tödlich sind. Zumindest das billige "Wegsnipern" aller Gegner aus der Distanz fällt also diesmal wenigstens flach, wenn auch aus den falschen Gründen.
Ein echter Fortschritt ist das Leveldesign, zumindest an einigen der späteren, größeren Orte, insbesondere des letzten Levels. Vor allem in diesem habt ihr dann endlich mal in einer Battlefield-Kampagne richtig Auslauf. Bis dahin nicht so viel, wie man es von den großen Multiplayer-Maps gewöhnt ist, der Stage an sich ist immer noch linear, aber es ist oft genug etwas mehr als nur ein Schlauch. In fast jedem Szenario habt ihr sogar mehrere Wege zum Ziel, wie es sich für ein Stealth-Spiel gehört. Für ein solches wäre das nichts Besonderes, aber für eine Battlefield-Kampagne ist es fast revolutionär.
Die Kämpfe selbst sind das, was man aus der Reihe kennt. Die KI ist okay, ohne zu glänzen und mehr auf Masse ausgelegt. Ihr selbst könnt nur sehr wenige Treffer verkraften, heilt in Deckung aber auch innerhalb von Sekunden. Dass diese Gemetzel aber nicht Sinn der Sache sind, wird schnell klar, denn für Abschüsse gibt es gar keine Punkte, nur für Knockouts und Festnahmen. Ohne Punkte schaltet ihr aber auch keine neuen Waffen frei, sodass ihr, wenn ihr wirklich konsequent ballern wolltet, mit einem sehr eingeschränkten Arsenal klarkommen müsst. Das passt ins Spiel, könnte den einen oder anderen, der hier mehr Fadenkreuz-Action will, auch etwas nerven.
Ein Witz sind die "Untersuchungen". An ein paar Stellen sollt ihr Beweismittel mit dem Scanner sammeln, was auch nicht weiter stört, aber all die Beweismittel dazwischen, von denen das Spiel suggeriert, dass da etwas mehr dahinterstecken könnte, sind nur billige Collectables, die am Ende nur Komplettisten reizen werden. Ich gab relativ schnell auf, alles mühselig zu suchen. Wenn es das Spiel nicht interessiert, warum sollte ich das dann tun. Schade, denn zusammen mit den teilweise sehr schicken Locations wäre es durchaus reizvoll gewesen, ein paar "Fälle" zu lösen. Aber nur, wenn diese irgendeine Auswirkung jenseits von ein bisschen Loot haben.
Schließen wir das Kapitel erst mal mit der Technik ab. Führte Battlefield 4 trotz einiger schon beeindruckender Szenarien noch einen kleinen Kampf mit der neuen Frostbite-Engine, scheint diese nun endgültig unter Kontrolle. Glitzerregen und Nässe sind immer noch ihre Lieblingsareale, aber auch sonst ist das hier ein wirklich nettes Spiel. Die Figuren sind zwar inzwischen tief im Uncanny Valley angekommen, aber die Orte und ihre Effekte können was. Sei es nun eine verlassene Shopping-Mall, die von einem Hurrikan zerpflückt wird oder der raketengespickte Himmel zum 4. Juli in Miami, dieses Spiel sieht oft genug sehr gut und nie schlecht aus. Der ganz große Vorzeiger ist es nicht, auch nicht auf dem PC mit allen Features auf Anschlag, aber man zweifelt nie, dass das Jahr 2015 heißt. Abgestürzt ist Hardline bisher übrigens nicht, weder auf der Xbox One noch dem PC, etwas womit sich die beiden letzten Vorgänger nicht rühmen konnten.
Bevor es also nächste Woche und nach einem ausgiebigen Test der Multiplayer-Modi unter Live-Bedingungen zum Fazit geht, erst einmal finale Gedanken zur Kampagne. Kurz gesagt, ich war für meine 7 bis 8 Stunden - hätte ich hundertprozentiges Stealth angestrebt, wäre locker das Doppelte drin gewesen - ausgesprochen gut unterhalten. Hat man sich erst mal dran gewöhnt, dass die Story den Realismus schnell ablegt, hat man hier netten 80er-Jahre-Action-Spaß. Nur nicht zu viel nachdenken, wird schon klappen. Viel wichtiger ist aber, dass die Kampagne einer der beiden großen Militär-Shooter-Serien mal nicht "das Gleiche in schlecht" probiert, was die Multiplayer so viel besser hinbekommen, sondern, dass sie etwas Eigenes versucht - wenn auch nicht gänzlich erfolgreich.
Ein kurzer Blick auf die Mehrspieler-Modi zeigt deutlich, dass auch bei Hardline die Waffen das Sagen haben. Da ist es erfrischend, dass die Story auf Stealth setzt, selbst wenn es nicht ausgereift und mitunter noch sehr einfach gestrickt abläuft. Ihr spielt für diese Stunden ein anderes Spiel, als ihr es in den Wochen danach tun werdet und das allein ist schon viel wert. Also, auch wenn ich im indirekten Genre-Vergleich dem letzten Splinter Cell klar den Vorzug einräumen muss, unter den Militär-Shooter-Kampagnen war dies die Interessanteste seit sehr langer Zeit.