Bayonetta 3 im Test: Die Hexe hat sich gut gehalten, es ist die Switch, die langsam Falten zeigt
Der übliche Wahnsinn halt.
Bayonetta in 2022. Da kann man jetzt groß ein Fass aufmachen, ob die selbstverliebte Ausschlachtung der hoch sexualisierten Hauptfigur noch so sein sollte und Japan den Schuss einfach mal wieder nicht gehört hat… Oder man lässt es. Es ist ja nicht so, dass die männliche Seite hier besser wegkäme und das alles bewegt sich vom Niveau her eh auf auf dem Level von Comics der 90er. Nichts davon sollte man ernst nehmen, da gibt es weit bessere Zielscheiben.
Auch die Debatte um die Bezahlung der “echten”-Bayonetta-Sprecherin kann man als Aufhänger für Bayonetta 3 nehmen. Sicher, das lässt Studio und Publisher nicht gut aussehen, dass man zu geizig war, eines der markantesten Merkmale des eigenen Charakters einzukaufen, zumal es hier ja scheinbar nicht um Millionen ging, sondern mehr darum, ob das noch Mindestlohn oder schon Arbeitsarmut darstellt. Woran man gelegentlich denken darf, wenn die Ersatzsprecherin im Spiel zu Wort kommt und erfolgreich ihr Bestes gibt, Bayonettas Stimme konsistent weiterzuführen, denn mehr wird sie wohl nicht bekommen haben. Am Ende aber ist das wohl auch eine Baustelle für einen anderen Tag und wir fangen mal mit den für uns als Konsumenten schlimmeren Dingen an.
Das wäre vor allem, dass die Switch nicht langsam an ihrer Grenzen stößt, sondern diese längst erreicht hat. Bayonettas Detailverliebtheit konnte damals noch begeistern, als 360 und PS3 liefen. Bei Bayonetta 2 fiel es noch nicht ganz so auf, aber wenn ich mir jetzt die leeren, tristen Texturen der Welten von Bayonetta 3 ansehe, dann fragt man sich schon, wie es wohl mit mehr Hardwarepower aussehen würde. Es gibt Spiele, die können das mit Stilisierung auffangen, aber die extreme Schnörkelliebe der Figuren dieser Welt steht im nur noch krassen Kontrast zu den teilweise absurd heruntergeschraubten Umgebungen. Nun, zumindest läuft es flüssig, wenn es darauf ankommt.
Das vor allem, weil es keine nennenswerte Entwicklung in den Kampfarenen gibt. Bayonetta 3 ist ein Kombo-Klopper der alten Schule. Das heißt, dass ein paar Feinde unterschiedlicher Art in einer so leeren, wie eigentlich relativ kleinen Arena kreisen, ihr seid mittendrin und teilt in alle Richtungen aus. Parcours-Kampf-Kombos sind nicht gefragt, es geht darum den Multiplikator mit ein wenig Ballern hochzuhalten und dann mit einer Vielzahl aus Nahkampf-Kombos den echten Schaden zu landen. Das ist ein seit Devil May Cry auf der PS2 erprobtes Konzept, Bayonetta war schon immer eine sehr gelehrige Schülerin, die immer mal wieder den Meister übertraf. Aber beide überdachten ihre Kunst nie generell.
Bayonetta kommt dabei entgegen, dass ihr nach und nach, während ihr euch durch die Story prügelt, mehr Waffen einsammelt. Tempo, Reichweite und Wucht unterscheiden diese, gegen manche Gegner wirken manche Waffen weit effektiver. Es verwundert dabei ein wenig, dass der Wechsel nicht fließend passiert. Ihr müsst erst in das Menü, die neue Waffe zuweisen und dann weitermachen. Dauert jetzt nicht endlos, aber unterbricht doch den Fluss, der hier eigentlich so wichtig ist. Das ist umso bedauerlicher, dass die Waffen zwar nun nicht mehr kombiniert werden, aber an jeder Waffe ein Dämon hängt und euch Spezial-Attacken wie einen eigenen Look gibt. Das Meistern dieser – der Attacken, nicht der Looks – ist nun das, was vorher die Kombinationen waren und es funktioniert zwar etwas anders, aber nicht groß schlechter. Oder besser.
Auch sonst ist das Kampfsystem so kompetent wie erprobt, wobei ich, egal welche Waffe, sagen muss, dass DMC 5 in meinen Augen aktuell im Wettstreit der beiden vorn liegt. Die Kombos sitzen einfach präziser, lassen sich durchdachter kombinieren. Bayonetta 3 ist gut in dem, was sie tut, aber sie ist eben nicht die Beste. Übrigens solltet ihr auf jeden Fall den mittleren Schwierigkeitsgrad wählen. Während die oberen Regionen definitiv euer Können fordern, ist der mittlere etwas zahmer als zuvor von meinem Gefühl her und der unterste fast ein Selbstläufer.
Dafür habt ihr was, das das locker wieder wettmacht und das sind die Kaiju-artigen Monster. Auf Knopfdruck und für gar nicht mal kurze Zeit beschwört die Umbra-Hexe Godzilla, eine Riesen-Dämonin, eine Monsterspinne und mehr, die dann kleine Gegner einfach wegpusten und dringend nötig sind, um den teilweise riesenhaften Gestalten entgegenzutreten. Das passt eher so halb in den klassischen Kombo-Flow, läuft aber doch sehr nahtlos ab und macht vor allem einfach richtig Spaß. Aber Vorsicht, die in diesen Situationen halb nackte Bayonetta ist weiterhin verwundbar. Gerade auf dem kleinen Bildschirm ist das bei der oft weit heraus gezoomten Perspektive gar nicht mal mehr so einfach zu erkennen. Selbst auf dem großen Screen in 1080p habe ich sie gelegentlich aus den Augen verloren. Egal, dann haue ich halt mit dem beschworenen Monster weg, was mich weggehauen hat und mache weiter, davon lasse ich mir den Spaß nicht verderben.
Also ja, erwartet jetzt nicht die Revolution des Genres, sondern durchdachte, verfeinerte Kombo-Action, die mit dem Monster-Gimmick wettmacht, was ihr an letztem Schliff fehlt. Die neuen Waffen und Monster halten das Ganze dann über die komplette Spielzeit gut am Laufen, ohne dass ich währenddessen den Spaß daran verloren hätte. Hat mich ehrlich überrascht, ich dachte, der Reiz würde irgendwann verfliegen, aber nein. Gut für Bayonetta.
Was mich weniger überzeugte, war die Erkundung. Die Hexe ist in den, wie zuvor erwähnt, optisch recht belanglosen Arealen für meinen Geschmack nicht schnell genug unterwegs. Wenn ich mehr als 10 Sekunden geradeaus eine marginal texturierte Straße runterlaufen muss, ohne das Gefühl zu haben, dass meine Heldin es eilig hätte, bin ich genervt. Ich war hier häufiger mal genervt. Es hilft dann nicht, dass Erkundung sich durchaus lohnt. Am Anfang, wenn ihr nicht unter jeden der polygonarmen Steine guckt, werdet ihr bestenfalls zwei Drittel der Kämpfe eines Abschnitts finden, von extra Heil-Items und Power-ups ganz zu schweigen.
Dabei nervt mich auch wirklich nur das lahme Tempo, denn die Erkundung an sich hat einiges zu bieten, auch mehr als nur Kämpfe. Ein wenig Parcours unter Zeitdruck zum Beispiel. Ein wenig mit Zeitreise herumspielen kann auch nie schaden, wenn Jung-Bayonetta ran muss, weil ihr die Zeit zurückgedreht habt, um eine zerstörte Brücke wieder aufzubauen. Die Timings hier sind brutal und ihr werdet mit mancher Aufgabe mehr Zeit zubringen als mit einem Bosskampf. Insoweit, ja, das lahme Herumlaufen nervte mich, aber da es genug gute Dinge in den Arealen zu finden gibt, war ich am Ende versöhnt.
Wo es für mich jedes Mal scheiterte, das waren die Momente, in denen der Spaß eigentlich ungebremst sein sollte. Wilde Verfolgungsjagden, mal einem Monster hinterher, mal als ein Monster über Hausdächer, mal beides. Die in den Kämpfen so gefeierte Präzision fliegt hier oft aus dem Fenster, um einer rudimentär funktionalen Steuerung Platz zu machen, die euch zwar von A nach B bringt, aber jedes Gefühl von Eleganz vermissen lässt. Am schlimmsten war der Kampf zweier turmhoher Monster, Street-Fighter-Style. Wenn es eine Hommage an all die schlechten Spiele dieses Monster-Prügel-Genres ist, dann Glückwunsch, dieses träge, schwammige Etwas hat vollen Erfolg. Andere Abschnitte, selbst banale 2D-Seitenansicht-Passagen, fahren da kaum besser. Sicher, es sind teilweise echt wilde Szenen, wenn Planeten zerstört werden, Städte verschlungen und ihr mittendurch reitet, aber wenn es sich auch noch so gut spielen würde, wie es wild konzipiert ist, dann wäre Bayonetta vielleicht sogar ein Gold-Titel.
Denn darum geht es doch eigentlich: der komplette Wahnsinn der absurden Spielwelt von Bayonetta. Himmel, Hölle und das Chaos mittendrin. Für Bayonetta 3 entdeckte man nun das Multiverse und hat als Story mehr oder weniger Marvel’s „What if“-Serie übernommen, in der ein Superwesen die zig Universen ausrotten will, um am Ende allein im einzigen Universum zu herrschen. Der Auftakt des Spiels ist genau das, nur, dass jemand entkommt, um die „echte“ Bayonetta zu warnen. Die halt, die wir kennen und die ist natürlich auch die eine ist, die dann alle Universen retten darf. Und natürlich trefft ihr jede Menge andere Bayonettas. Deutlich mehr als Dr. Strange andere Dr. Stranges traf. Warum eigentlich zeigte dieser Film so wenig vom Multiverse? Nun, da ist Bayonetta 3 besser aufgestellt.
Soweit der seriöse Teil der völlig validen und durchweg unterhaltsamen Story. Ganz ehrlich, ich war im Kopf schon beim Test-Autopiloten-Story-Verriss, aber das hier ist absolut in Ordnung. Gute Unterhaltung. Was jetzt den Bayonetta-Anteil an all dem angeht, nun, Fans werden auf ihre Kosten kommen. Jede neue Waffe wird umschmust oder lasziv angetanzt, Hüfte und Hintern wackeln bei jedem Schritt und landen häufiger im Bild als es eigentlich nötig wäre. Wozu hat man eine Crossover-Dame aus Lack- und Sekretärinnen-Fetisch, wenn man sie nicht voll zur Geltung bringt. Das plus eine Vielzahl an Szenen, die Action fernab physischer Gesetze zelebrieren oder Trash-Cringe-Dialoge zur Kunst erheben, verbringt ihr einen guten Teil der Zeit euch diesen gelungenen Unfall aus Design, Storytelling und Shitstorm irgendwo in all dem zu bewundern.
Mein Problem war, dass ich das schon zwei Mal gesehen hatte und es jetzt in mehr oder weniger der gleichen Form nicht unbedingt ein drittes Mal brauchte. So wie das Spiel in Sachen eigener Evolution ein wenig Faulheit an den Tag legt, krempelt Bayonetta 3 auch nicht seine Protagonistin um. Das ist wohl gut und eigentlich auch der Idealfall. Ich hätte ganz sicher keine Lara-Croft-Verwandlung gebraucht, von Comic-Ikone hin zu dauerleidender Massenmörderin. Das hätte Bayonetta nicht gut zu Gesicht gestanden. Und Bayonetta auf 11 zu drehen ging halt nicht wirklich, weil da fing sie an. So dreht der Wahnsinn halt weiter seine Bahnen, lässt einen immer wieder schmunzeln, aber die Kinnlade bleibt diesmal oben. Egal, was an irren Sachen auf dem Screen bei Bayonetta 3 passiert, es ist ungefähr das, was man erwartet hat. Dafür sorgten die beiden Vorgänger.
Bayonetta 3 Test - Fazit
Bayonetta 3 ist das, was Fans der Serie insgeheim wollen: Mehr oder weniger das, was man aus den beiden Vorgängern schon kannte. Das hat Vor- und Nachteile. Man kennt den Rhythmus gut, man wippt gefällig mit, Überraschungen sind Fehlanzeige. Aber dann wiederum reißt das Spiel den guten Franchise-Namen auch nicht mit dem wohl gerundeten Hintern ein, das ist doch auch was. Ausgearbeitete Spielmechaniken, ein spannender Kampf, eine erstaunlich gute Story, angereichert mit all dem Irrsinn, den man exakt so erwartet und auch bekommt. Viel mehr braucht es nicht, um glücklich zu sein. Dass die Entwickler es schafften, ihre größte Veränderung, nämlich die großen Dämonen vom Finisher zum echten Kampfelement umzubauen, ist keine kleine Leistung und genau das Maß an Evolution, ohne dass es dann wohl doch nicht geht. Also alles bestens, Bayonetta 3 ist eine würdige Fortsetzung, steht seinen legendären Vorgängen nicht nach und macht einfach eine ganze Menge Spaß. Empfehlung, haut rein, Haken hinter. Oder zumindest fast.
Ich glaube, mein größtes Problem hat weniger mit Bayonetta 3 als mit der Plattform zu tun. Das erste Bayonetta war damals auch technisch vielleicht nicht die absolute Speerspitze, aber vieles von dem, was es tat, sah generell hervorragend aus. Bayonetta 2 kam 2014 und da hatte die Welt sich noch nicht so viel weiter gedreht. Jetzt, 2022, kann die Switch einfach nicht den Level an visueller Triple-A-Gewalt bringen, der eigentlich nötig wäre. Dafür kann das Spiel nichts, aber die technische Entwicklung von Teil zwei von vor vier Jahren auf der Switch zu jetzt und Bayonetta 3 ist nur sehr bedingt vorhanden. Es wird Zeit für die Switch Pro. Dringend. Und sei es nur, damit Bayonettas Reize noch besser in Szene gesetzt werden können.
Bayonetta 3 Pro und Contra
Pro- Guter Mix aus viel klassischem Kombo-System und Riesendämonen
- Viele Waffen und Dämonen halten das Kampfsystem frisch
- Viele interessante Nebenquests und Aufgaben
- Der übliche komplette Wahnsinn trifft auf eine gute Story
- Erfindet Bayonetta nicht neu
- Erfindet Bayonetta nicht neu
- Technisch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit (was an der Switch liegen dürfte)
- Viele Action-Passagen neben den Kämpfen sind eher so halb gut gelungen
Entwickler: PlatinumGames - Publisher: Nintendo - Plattformen: Nintendo Switch - Release: 28.10.2022 - Genre: Action - Preis (UVP): 59,99€