Besser als The Last of Us: Fallout wäre damit offiziell die beste Videospielverfilmung
Das neue Fallout ist da.
Vorläufige Rezension auf Basis der ersten vier Folgen Fallout auf Amazon Prime. Leichte Prämisse- und Figuren-Spoiler
Ok, wow. Nachdem ich nun die Hälfte der ersten Staffel von Fallout auf Prime Video gesehen habe, bin ich zwar sicher, dass es nicht meine Lieblingsserie in diesem Jahr wird (an Shogun kommen nicht mal Drachen so schnell vorbei). Aber für mich ist es die bisher überzeugendste filmische Annäherung an einen Videospielstoff, an die ich mich erinnern kann.
Ich würde das vor Kreativität und visueller Dynamik nur so prickelnde Arcane zwar noch etwas höher einstufen, aber die Show an sich hat entschieden weniger mit ihrer Vorlage zu tun, als das, was Westworld-Showrunner Jonathan Nolan nun mit Fallout gemacht hat. Das fängt einfach wahnsinnig gut ein, wie sich eines dieser Bethesda-RPGs anfühlt. Und im Vergleich mit The Last of Us ist Fallout im Ton zielsicherer und im Pacing geschickter als Craig Mazins HBO-Umdichtung von Naughty Dogs hochgelobtem Action-Adventure. Kurzum: Viel besser hätte das hier nicht laufen können.
Ein paradoxer Zwiespalt
Der einzige wirkliche Kritikpunkt ist dem Format geschuldet: Als Kenner der Vorlage schielt man besonders genau auf Referenzen, hält im Geiste das Spiel daneben und ich muss zugeben, dass mir das bisweilen beim Genuss der Serie im Wege steht. Ein Hauch von Redundanz liegt dann immer in der Luft, finde ich, wofür die Show für sich betrachtet nichts kann. Gleichzeitig kann ich paradoxerweise nicht genug loben, wie gut Nolan und Konsorten den Look und Vibe der Games einfangen.
Der Retrofuturismus einer Welt, die auf dem Weg ins glorreich-optimistische Tomorrowland falsch abgebogen ist, wie… nun ja, die titelspendende Welt im Film Tomorrowland (unterschätzt!), hätte im Serienformat eine Spur zu absurd, unecht und – im Wortsinne – kulissenhaft wirken können. Aber das Produktionsdesign legt von den Autos, die Aussehen, als wären sie in den 50ern schon geflogen, bis zum Pip-Boy und diversen, exakt nachempfundenen Waffen und Kreaturen eine Punktlandung hin.
Auch in Sachen Tonalität wandelt die Show festen Fußes auf brenzligem Territorium, ohne sich Fehltritte zu leisten, nie um einen Gag oder einen überraschend derben Splatter-Effekt verlegen. Die Macher bekommen es tatsächlich hin, dass für aufrichtiges Drama ebenso Platz ist, wie für absurde Komik und ein paar aufrichtig hässliche Momente. Als zu Beginn die Bomben fallen und der brillante Walton Goggins als Western-Schauspieler Cooper mit seiner Tochter auf einem Pferd vor der Druckwelle zu fliehen versucht, ist das eine verdammt bedrückende Sequenz.
Die Unschuld von unter Tage
Zugleich geht die bezaubernde Ella Purnell als Vault-Bewohnerin Lucy, die ihren verschleppten Vater retten will, nach einer wirklich gemeinen Anfangssequenz mit den größten und naivsten Augen durch das Ödland, die man sich vorstellen kann. In den ersten zwei, drei Folgen ist sie damit für einige lustige “Fisch-aus-dem-Wasser”-Moment gut, ohne, dass es jemals lächerlich wirkt. Perfektes Casting und eine tolle Gelegenheit, eine fast schon zu makellose Figur auch visuell eine Entwicklung durchmachen zu lassen.
Goggins’ Wildwest-Schauspieler lebt fast 300 Jahre nach der Katastrophe immer noch, seine Mutation zum Ghoul sei Dank. Erst jetzt beginnt die Zeit, ihm davonzurennen. Ein attraktives Kopfgeld, das seine Medikamentenversorgung sicherstellt, bringt ihn auf Konfrontationskurs mit Lucy und ich bin gespannt, wann sie uns mit seiner Origin-Geschichte und dem Schicksal seiner kleinen Tochter das Herz brechen werden.
Die Brotherhood of Steel kommt auch gleich in der ersten Folge vor, wenn Aaron Motin als Knappe Maximus für einen Ritter der Brotherhood in ungewohnte Schuhe schlüpft. Motin ist dem jungen Denzel Washington wie aus dem Gesicht geschnitten, spielt mit ähnlicher Intensität, wenn auch vielleicht nicht mit demselben rohen Charisma. Dennoch eine überzeugende Darbietung und wie diese drei Blickwinkelcharaktere jeweils quasi ihre eigene Fallout-Hauptquest “spielen”, das ist so nah an dieser Spieleserie, dass man sein Glück kaum fassen kann.
Die goldene Regel von Fallout
Es sind kleine Dinge, wie etwa die Tatsache, dass Lucy selbst in unpassenden bis aussichtslosen Situationen das Gespräch sucht, auf der Pirsch nach der Dialogoption, die unnötiges Blutvergießen vermeidet. Maximus beginnt auf dem gewohnt wenig zimperlichen Weg der Brotherhood of Steel und muss feststellen, dass sein Verständnis von deren Mission von der Realität abweicht, während Ghoul Cooper exakt das macht, das ihn über Wasser – oder in diesem Fall bei Verstand hält.
Köstlich, wenn er die “Goldene Regel” des Ödlandes damit beschreibt, dass man ständig von “Bullshit” abgelenkt wird. Wer kennt das nicht, wenn er ein Bethesda-RPG spielt: Selbst wenn man sich anstrengt, verläuft der Weg durch die Hauptquest nie auf gerader Linie. Das liest sich alles sicher ziemlich durcheinander. Aber das liegt daran, dass auch die Serie auf so vielen verschiedenen Ebenen den Geist der Vorlage atmet, dass es schwierig ist, die Gedanken dazu zu sortieren.
Man merkt einfach ziemlich schnell, die Verantwortlichen haben ihre Hausaufgaben gemacht, wenn Lucy zu ihrem Hochzeitskleid plötzlich Patronengurt und Revolver-Holster trägt. Wie schon im Spiel, wenn man notgedrungen übereinander schichtet, was man an Ausrüstung so hat. Auch gibt es mehrere Szenen, “in denen ich dachte, ok, jetzt werden die Vorräte gelootet”. Das ist selten zum Selbstzweck drinnen, oder als plakativer Wink in Richtung der Videospiele. Es gehört ganz organisch zu dieser Welt und den Figuren dazu.
”Wer bin ich?”
Gleichzeitig entdeckt man immer neue Facetten an der Geschichte und werden regelmäßig organisch neue Mysterien angerissen, wie als stolperte man in frische Dungeons hinein, wo sich einem noch mehr von der Welt offenbart. Das hält das Interesse nach dem anfänglichen Wow-Effekt gleichbleibend hoch und ist bis jetzt stets natürlich mit der zentralen Handlung verknüpft.
Auch die übergeordneten Themen sind durchweg interessant. Klasse – die Vaults waren nur für die Reichen – und Status – die Ritter der Brotherhood, die ihre Knappen wie Mist behandeln – sind ebenso zentrale Motive, wie das der Anpassung und Veränderung an die neue Welt. Will man wirklich noch das gleiche, wenn man die notwendige Wandlung hinter sich hat? Die Frage des “Wer will ich sein” als immer wiederkehrender Gedanke. Eigentlich ein wichtiger Antrieb jedes Rollenspiels stellt sie Fallout als TV-Serie fast konsequenter als zuletzt die Spiele. Das muss man erst mal hinbekommen.
Ich melde mich noch mal, wenn ich hiermit durch bin. Aber was ich bisher gesehen habe, hat mir sehr gefallen.