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Bientôt l’été

Wenn Kunst zum Schimpfwort wird.

Ich bin wirklich froh, dass ich diesen Artikel nicht mit einem Video anreichern muss. Ich hätte keine Ahnung, wie man Bientôt l'été überhaupt aussprechen soll, da sich mein Französisch auf Buffet und Croissant beschränkt. In schriftlicher Form kann ich Bientôt l'été zum Glück erwähnen, ohne mich zum Affen zu machen. Immerhin etwas.

Wer ältere Titel des Entwickler-Duos aus Belgien gespielt hat, weiß bereits, dass man ihre Werke nicht wirklich als Spiele bezeichnen kann. Schaut euch beispielsweise The Graveyard an, bei dem ihr als alte Dame über einen Friedhof wandert, euch auf eine Bank setzt und abwartet, ob ihr vielleicht sterbt. Ein Durchgang dauert keine zehn Minuten und bietet zumindest eine Erfahrung, die ihr sonst nicht erlebt, selbst wenn euch die eigentliche Intention wenig interessiert. Es ist kurz, auf den Punkt gebracht und intuitiv. Keine dieser Beschreibungen passt auf Bientôt l'été.

Was? Wieso? Weshalb? Warum?

Ihr startet das Spiel ohne große Beschreibungen. Nachdem ihr euch für ein Geschlecht entschieden habt, wacht ihr an einem Strand auf. Vor euch erscheint das endlose Meer, darüber fliegen ein paar Vögel und ihr könnt die kühle Brise in euren Haaren und Kleidern erkennen. Es wirkt beruhigend und recht bald erkennt ihr ein Haus hinter euch, das ihr betretet. Darin befindet sich immer ein Café, in dem ihr mit anderen Spielen reden könnt. Und genau hier fällt das gesamte Erlebnis in sich zusammen.

Zunächst einmal müsst ihr nämlich einen Mitspieler finden, was sich als ziemlich schwierig herausstellt. Anscheinend hat den Titel keiner gekauft und so wartet ihr auf unbestimmte Zeit. Bei meinem ersten Versuch fand sich knapp 20 Minuten später der erste Partner. Das Geschehen schwenkt dann auf ein Schachbrett. Neben euch Zigaretten und Wein. Mit beiden könnt ihr zwar interagieren, beschert euch allerdings bloß die passenden Geräusche dazu. Also widmet ihr euch dem eigentlichen Ziel. Kommunikation. Man soll sich vorstellen, dass beide Personen Liebhaber spielen, die Lichtjahre von einander entfernt sind und nur innerhalb des Cafés als Bindepunkt ihrer Welten miteinander reden können.

Das Café ist in einer Hütte oder einem großen Anwesen. Macht keinen Unterschied und Sinn fehlt auch.

Gut, und wie redet man nun? Die ersten fünf Minuten versuchte ich, genau dies herauszufinden. Eine Sprachoption gibt es nicht und das Eingeben von Texten könnt ihr auch vergessen. Da sich neben mir nur eine Schachfigur befand, nahm ich sie und stellte sie trotz der grauenhaft ungenauen Steuerung gekonnt auf das Feld. Nichts passierte. Mein Partner kopierte den Zug und auch dieses Mal bewirkte es nichts. Von Frust bereits ergriffen, schloss ich die 'Unterhaltung' und ging zurück an den Strand. Plötzlich lag ein Haufen Kohle am Wasser, mit dem ich interagieren konnte. Nach einem kurzen Kameraschwenk verschwand der Berg auch schon wieder und lies eine weitere Schachfigur zurück. Super, was nun?

Da mir nichts weiter übrig blieb, erkundete ich die Umgebung und lief ein wenig am Ufer entlang. Plötzlich tauchten nach und nach Dialogfetzen auf, die ich anscheinend zufällig beim Spazieren aufgesammelt hatte. Tatsächlich könnt ihr nur mit einem Partner kommunizieren, wenn ihr zuvor langsam über den Sand gewandert seid, um genügend Satzbausteine zu finden, die zufällig verteilt sind. Zusätzliche Schachfiguren erhaltet ihr nach jedem Besuch im Café.

Verständnisprobleme

Endlich mit Sätzen bewaffnet kehrte ich in das Café zurück und wartete. Und wartete. Irgendwann habe ich nebenher einen Film gestartet und zwischendurch immer wieder ins Spiel geblickt. Als nach einer Stunde immer noch keiner auftauchte, gab ich mich mit dem Computer zufrieden und ließ meinen Gesprächspartner simulieren. Dass diese Konversation schlimmer verlief als mit einem Betrunkenen im Nachtbus, muss ich euch hoffentlich nicht näher erklären. Man schiebt ziellos seine Figuren auf die verfügbaren Dialogoptionen, trinkt nebenbei ein Glas Wein oder zieht an seiner Zigarette und hört sich dabei die auf Französisch gesprochenen Texte an.

Ich gucke meinen Gesprächspartner auch nie ins Gesicht.

Ich kann zwar nachvollziehen, welche Erfahrung durch dieses Projekt - nein, als Spiel will ich es nicht bezeichnen - vermittelt werden soll, doch es geht vollkommen nach hinten los. Zuerst einmal hat man als Spieler überhaupt keine Ahnung, wie man überhaupt interagieren soll. Wenn ich schon alleine erforschen und ohne Instruktionen auskommen soll, muss es intuitiv sein. Woher soll ich wissen, Sprachfetzen erst suchen zu müssen oder wie das Dialogsystem überhaupt funktioniert? Und welcher Zweck erfüllt das Sammeln überhaupt? Damit man überhaupt einen Grund hat, am Strand entlang zu laufen? Dann stellt euren Zielort bitte so auf, dass ich zwangsweise über Wörter laufe.

Und selbst dann ist die restliche Interaktion im Spiel ziemlich sinnfrei. Wenn ich mit wildfremden Leuten spreche möchte, kann ich auch einfach auf Omegl den anonymen Chat starten. Wer lieber mit einem Computer reden will, wendet sich an Cleverbot. In beiden Fällen kann ich zudem alles schreiben, was mir gerade in den Sinn kommt und muss mich nicht an Sätze halten, die den Begriff Klischee definieren. Wie wäre es, wenn beide Spieler anstatt mit Wörtern anhand ihrer Bewegungen kommunizieren? Journey hat mich mehr an meine Partner gebunden als es jedes virtuelle Café jemals schaffen könnte.

Bientôt l'été wirkt dagegen wie ein Rückschritt, der seine Leere durch schöne Bilder und Französisch kaschieren möchte. Wir brauchen unserem Medium so etwas nicht anheften, um es als Kunst bezeichnen zu können. Es schreit mit seinem klischeebehafteten Café, dem Wein und den Zigaretten nach Aufmerksamkeit und will so offensichtlich fremdartig wirken, dass es einfach nur untergeht, anstatt in der Menge aufzublühen.

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Björn Balg Avatar
Björn Balg: Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.

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Bientôt l’été

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