Biomutant - Test: Das Crafting rettet, was die Story verbockt
Gut, dass der Waschbär kämpfen kann.
Es ist faszinierend, wie ein Spiel fast alles zumindest grundlegend richtig macht, sich aber dann den Weg mit ein paar Dingen verbaut, die leicht zu lösen wären. Im vielleicht dramatischsten Fall hier in Biomutant wäre das der Sprecher gewesen. Es gibt praktisch nur einen. Und der NERVT! Nicht zum Start, da denkt man noch, das ist ja eine angenehme Stimme, die mir da ein paar Details über die Welt verrät. Dann merkt man langsam, dass er allein auf der Welt ist - technisch gesehen gibt es noch zwei Stimmen, aber die sind so selten, dass wir sie mal ignorieren - und dass er ALLES kommentieren muss. Von ungefragten Tutorials in ihrer x-ten Wiederholung weit in das Spiel rein hin zu komplett sinnfreien Bemerkungen aus dem Off.
Der Typ ist der Alptraum eines jeden Teilnehmers einer Mitfahrgemeinschaft - als es so etwas noch gab. Er hört einfach nicht auf zu quatschen. Noch schlimmer, in einer Welt, in der alles wie ein Piraten-Furry aussieht und mit einer Sims-Stimme nuschelt, liest er die Untertitel vor. Alles mit der gleichen, pseudo-dramatischen Betonung, die jede Bedeutung nach bereits Minuten verloren hat. Wenn man kein Budget für Stimmen hat, ist das okay. Wenn man aus dem wenigen, das man investieren konnte, das Maximum an Frust zieht, nicht.
Biomutants Moral: Wenn euch Fable zu subtil war...
Nicht, dass die Story von Biomutant viel kommentiert werden müsste. Wenn euch die Moralentscheidungen von Fable zu subtil waren und die Umwelt-Message von Captain Planet nicht deutlich genug, dann seid ihr hier richtig. Der Holz-Vorschlaghammer mit Steampunk-Verstärkung wird es richten. Ansonsten wird schnell klar, dass es in der postapokalyptischen Welt auf der einen Seite die Ubi-Aufgabe gibt, die euch nötigt, die Stämme der Furrys zu vereinen, indem ihr in jedem Gebiet eine von drei Aufgaben zur Festungserstürmung erledigt. Auf der anderen Seite habt ihr vier große Bosse. Mehr muss man eigentlich gar nicht wissen, die ganze Hell-Dunkel-Moral-Sinn-des-Lebens-Geschichte ist nur Deko.
Und doch muss ich sagen: störte mich nicht. Nachdem ich dem Sprecher den Ton abgedrehte und mich damit arrangiert hatte, dass der weitere Story-Verlauf im Prinzip nach zwei Stunden vollständig geklärt war, merkte ich, dass ich zunehmend mehr Freude an dieser erst einmal wirklich schicken Welt hatte. Sie ist etwas leer, keine Frage. Das mag ebenfalls dem Budget geschuldet sein, aber durch Ruinen zu schlendern, über weite Täler voller Grün zu schauen, zu sehen, wo giftige Dämpfe aus einem zerstörten Reaktor aufstiegen und rosig in den Himmel ziehen, das hatte alles schon den ästhetischen Charme französischer Homecomputer-Titel der frühen 90er. Es sah einfach ein wenig anders aus als der Rest, als hätte jemand den Farbtopf gefunden und sich ausgetobt.
Biomutants Waschbären können kämpfen. Und basteln
Das allein würde noch nicht viel bringen, wenn das Spiel an sich die Qualität vieler dieser Titel von damals hätte. Nur bunte Kulisse und nichts dahinter ist aber gar nicht mal das Problem von Biomutant. Vor allem das Kampfsystem, das sich ein wenig den Grundgedanken von Devil May Cry ausborgte und Schießen und Schlagen geschickt kombiniert, hat es in sich. Ihr kämpft oft gegen eine ganze Horde von Feinden, zehn oder mehr mitunter, und so müssen schnelle Bewegungen, Angriffe und Konter beherrscht werden. Eine Kunst, die Biomutant erstaunlich gut beherrscht, habt ihr euch erst einmal mit den Timings arrangiert. Schnell rollt ihr geschickt zwischen anderen kleinen Pelzwesen hin und her, weicht den Riesen mit monströsen Keulen aus, saust zwischen ihren Beinen durch und wie Rocket bei den Guardians of the Galaxy nutzt ihr Beweglichkeit und die eigene kleine Größe zu eurem Vorteil. Auch nach gut 20 Stunden steckte da noch viel Spaß drin.
Sicher, die Bosskämpfe waren jetzt nicht die Highlights, die sie sein sollten. Dafür, dass die "Weltenfresser" als die Mega-Monster aufgebläht wurden, endete es meist in einem Gimmick-lastigen Kampf, in dem nie die Frage bestand, wer hier gewinnen wird. Einige der eher zufällig verteilten Kämpfe in der Landschaft, deren Level höher waren als der eigene, hatten da mehr zu bieten. Aber nun gut, von denen gibt es genug und insoweit müssen sie halt die Arbeit der vier Super-Monster auf Seiten des Spielspaßes mit übernehmen.
Dass das Kampfsystem so gut funktioniert, hängt auch mit dem Crafting zusammen. Normalerweise bin ich ja nicht der größte Fan dessen, aber was Biomutant hier abliefert, ist herausragend. Ihr könnt schlicht alles mit allem kombinieren und das auf denkbar einfachste Art. Jeder Waffentyp besteht aus ein paar Grundkomponenten und ein paar Specials. Erstere müsst ihr haben, Letztere sind optional und jedes Teil hat seine eigenen Charakteristika, die die Schlaggeschwindigkeit und den Schaden beeinflussen. Von schnellen, zweihändigen Kombo-Lang-Dolchen bis zu Monster-Keulen gibt es alles Mögliche und kann noch durch vier zusätzliche Statuseffekte wie Gift- oder Strahlenschaden angereichert werden. Waffenbauen macht in Biomutant einfach Spaß!
Mutationen schützen nicht vor Routine
Das restliche Charakterentwicklungssystem ist auch nicht zu verachten. Neben den Grundwerten habt ihr noch Martial-Arts-Talente und die Boni einer Grund-Talentart, die ihr auflevelt, sowie Mutationen, die wiederum vor allem für Boni und Resistenzen zuständig sind. Es ist ein erstaunlich weit gefächertes System mit genug Tiefe für eine differenzierte Charaktergestaltung. Natürlich nur auf spielerischer Seite, die Auswirkungen, ob ihr gute oder böse Entscheidungen trefft, haben fast nur mit dem Abspann zu tun und nicht dem, was im Spiel selbst passiert. Der einzige Haken an dem schicken Crafting und dem Ausbau ist das Menüsystem, an das man sich erst mal gewöhnen muss. Es ist nicht undurchdacht in seinem Aufbau, aber irgendwie hat man oft den Eindruck, dass da zwei Tastendrücke mehr sein müssen, als es ideal gewesen wäre. Im Gegensatz zum Sprecher, der mit jeder Stunde schlimmer wurde, gewöhnt man sich aber dran und der Waffenbau ist zu spaßig, als dass ich ihn mir davon hätte ruinieren lassen.
Nein, das passt spielerisch alles, die größte Sünde hier ist die Routine. So gut Kampf und Crafting sind, jenseits der Levelzahlen kommt nach ein paar Stunden nicht mehr viel dazu. Man hat seinen Kampf-Rhythmus gefunden, kennt die Arten der Begegnungen im Spiel, weiß, wie ein Ort oder ein Kampf zu bewältigen sind und macht das dann einfach. Biomutant entfaltet seine ganze Bandbreite bereits in den ersten paar Stunden, aber baut dann nicht darauf auf, sondern wirft nur mehr davon in den Raum. In der Richtung ist es einem Far Cry zum Beispiel sehr ähnlich. Das ist schade, denn gerade mit den Mutationen hätte ich gerne noch mehr Entfaltung gesehen und hatte da Hoffnung, aber im Grunde kennt ihr das Spiel, wenn ihr etwa bei Stunde sechs von den 15 bis 20 oder so angekommen seid. Mangels der Story-Entfaltung oder irgendeiner bedeutsamen Nebenquest - es gibt jede Menge davon, nur keine inhaltlich relevante - reduziert es sich dann auf eure Freude an Kampf und Waffenbau. Denn für die Story spielt keiner Biomutant.
Die Technik selbst ist klasse. Auf der einen Plattform, die ich gerade hier habe, einer Xbox Series X. Das scheint derzeit zusammen mit den (meisten) PCs der Ort zu sein, an dem sich Biomutant wohlfühlt. Wo es nicht zigmal abstürzt - Xbox One X -, Texturen irgendwann lädt, nur nicht, wenn sie gebraucht werden - PlayStation, auch PS5 - und noch mehr abstürzt (PlayStation). Da sind noch ein paar Patches fällig, die gerade auch fröhlich ausgerollt werden. Aber ja, man merkt, dass ein kleines Team mit einem großen Projekt zu kämpfen hatte. Nun, passiert auch großen Teams mit noch größeren Projekten.
Wenn Biomutant wie auf der Series X aber richtig läuft, dann ist das schon ein schickes Spiel mit schönen Lichteffekten in seinen weiten Landschaften, durch die man dann doppelt so gerne mit fantasievollen Reittieren galoppiert. Vielleicht ist es nicht der große Next-Gen-Showcase, aber das tut dem ungewöhnlichen und ansehnlichen Artdesign keinen Abbruch.
Biomutant Test Fazit
Biomutant hätte vor fünf Jahren sicher etwas mehr beeindruckt, als es das heute tut, und selbst da wären der Sprecher, der euch durch eine praktisch unnötige Geschichte mit nicht mal aufgesetzter, sondern brutal draufgeklatscher Moral manövriert, ein unnötiges Ärgernis gewesen. Aber das Spiel selbst, mit seiner seltsam leeren, aber in ihrer Gestaltung vertraut-fremdartigen Welt, seinem ausgezeichneten Kampfsystem und der ultimativen Freiheit im Crafting der Waffen bietet viel, was man mögen kann und das ich auch wirklich mochte. Ich hatte selten ein Action-Adventure, bei dem mir die Handlung nicht nur egal war, sondern mich wirklich oft verärgerte, aber das ich dann trotzdem mit Freude bis zum Ende spielte. Schlicht, weil das Spiel an sich es hergab.
Biomutant ist einer dieser Titel, dem man von Herzen eine Fortsetzung wünscht, denn das Grundgerüst ist da. Es ist noch nicht perfekt, aber bietet so viel, dass es selbst diesen Versuch schon trägt, trotz all der Dinge, die da an der bunten Fassade abbröckeln. Insoweit, selbst wenn ich es nicht generell empfehlen kann, ich hatte mit Biomutant immer noch weit mehr Freude als Ärger und bin froh, dass das Spiel seinen langen Entwicklungsweg nicht umsonst ging. Vielleicht geht es euch genauso.