Bis das Licht in den Augen bricht - Kommentar
Spiele der E3 - Ist der Grad eines Zuviel an expliziter Gewalt in Videospielen erreicht?
Ich bin froh, dass es in den letzten Tagen nach der E3 verschiedene Diskussionen um ein Zuviel an expliziter Gewaltdarstellung gab. Während ich diese Trailer sah, sah ich die eingeladenen Zuschauer auf den Präsentationen jubeln, hatte nicht das Gefühl, dass es hier einen Dissens zwischen dem Gezeigten und dem Massengeschmack gäbe und dass es einfach an mir liegt.
Scheinbar ist das aber nicht generell der Fall. Ein paar Stimmen, sei es hier oder in anderen Foren oder von prominenten Sprechern wie Warren Spector, zeigten mir, dass es derzeit einigen ein wenig zu weit geht. Aber wo steht das Gewaltmeter eigentlich, wie kam es dahin und in welche Richtung wird es in der mittleren Zukunft zeigen?
Der Stand der Dinge lässt sich durch nichts so einfach zeigen, wie durch die Trailer der E3, insbesondere, da diese eine neue Qualität mit sich brachten, sowohl in technischer Hinsicht, als auch in ihrer Aussage, aber auch in der schlichten Omnipräsenz von Gewaltdarstellungen in gefühlt mindestens 78 Prozent aller gezeigten Spiele. Die Alternativen werden rar. Sei es ein grausiger Autounfall in Watch Dogs, Irre im Urwald in FarCry 3, der Niedergang der USA mal wieder in Call of Duty und so weiter. Gut, dass ich alles andere als ein völliger Gewaltabstinenzler in diesem Hobby bin, sonst wäre meine nahe Zukunft auf Mario, Rayman und das nächste Forza beschränkt.
Die Abstufungen sind dabei auch scheinbar längst nicht mehr so graduell und der "saubere" Kill scheint schlicht Vergangenheit. Drei gute Beispiele sind The Last of Us, Tomb Raider und Splinter Cell. Drei sehr unterschiedliche Spiele, die eigentlich nur ihr Fadenkreuz und ihre Perspektive verbindet. Und der Grad an Gewalt, den diese wenigen Minuten enthielten. Und der Jubel, den sie - nicht nur, aber sicher nicht trotzdem - dafür bekamen.
The Last of Us scheint es sich zur Aufgabe gemacht haben, zu zeigen, dass ein Mord - es könnte auch Notwehr sein, aber das können dann später die Gerichte entscheiden - nicht sauber abläuft, dass es schwierig ist und für beide Beteiligten ein sehr persönlicher Akt, um mal ganz heftig zu untertreiben. Hier wird gestochen und gewürgt, bis das Licht in den Augen des Opfers bricht und es zu Boden sinkt. Tomb Raider kümmert sich weniger um Laras Opfer, sondern ist vor allem damit beschäftigt, die ehemalige Action-Heroine zu demontieren, sowohl in Bezug auf ihren Status übermenschlicher Unverletzbarkeit wie auch daraus folgend in physischer Hinsicht. Knochen drohen zu brechen, Blut läuft an den Beinen hinunter, fünf Minuten und sie ist fertig mit der Welt. Splinter Cell dagegen will den modernen James Bond geben und geht mit den schon früher unglücklichen bösen Jungs noch viel härter ins Gericht. Das Messer wird noch mal umgedreht, wo immer es nur geht.
Es ist nicht mal so lange her, dass James Bond mit einem Martini in der einen Hand, einem Revolver in der anderen und einem lockeren Spruch auf den Lippen einen Widersacher niederschoss. In dieser Geste lag schon eine gewisse Menschenverachtung, so nonchalant geschah es. Aber so brutal es auch war, es war in keiner Weise explizit. Selbst auf das Blut wurde soweit es nur ging verzichtet. Mit jeder Bond-Generation wurde es drastischer und blutiger, immer als ein Spiegel des Mainstream-tauglichen Gewaltgrades im Kino. Dann kam Jack Bauer und definierte wie ein Action-Held der gefühlstoten, lebensunlustigen, in Terrorlust gefangenen 2000er auszusehen hat. Verletzlich, aber kompromisslos und explizit. Soweit es der Grad des TV zuließ und das war scheinbar schon ganz ordentlich. Bond zog mit Casino Royale nach, ohne einen Herzschlag auszusetzen. Gegner mussten nun in fünf-minütigen, perfekt durchgestylten Schlachten zerlegt werden.
Explizite Gewaltdarstellung gab es schon immer, aber sie wurde graduell mehr und mehr massentauglich. Die Blut-Orgien eines Robocop-Uncut sind auch heute noch konkurrenzfähig, aber sie waren eher die Ausnahme und auf das explizite Action-Kino beschränkt. Hierzulande wurde dazu auch noch geschnitten ohne Ende, aber das ist eine andere Frage. Diese Schneidewut hat glücklicherweise drastisch nachgelassen, spiegelt damit aber auch wieder, dass heute ein SAW ab 18 relativ problemlos ins Kino kommen kann. Wenn ich das mit dem Zeug vergleiche, was wir uns selbst Mitte der 90er noch aus obskursten Quellen auf VHS-Kassetten organisierten, um "wirklich krasse" Filme zu gucken, muss ich sagen, dass das damals schon ganz schöner Kinderkram war. SAW und Konsorten treiben es technisch wie auch inhaltlich einfach deutlich weiter, müssen sich dabei gleichzeitig aber kaum noch vor großen Schnitten oder gar Verboten fürchten. Überhaupt ist die Zugänglichkeit drastisch erhöht worden. Ein Gears-of-War-Trailer ist noch das Harmloseste, was einem Minderjährigen auf YouTube passieren kann. Wer Gewalt haben möchte, einfach um "was Krasses" zu sehen, findet sie genau so leicht wie Porn.
Die Entwicklung innerhalb der Videospiele vollzog sich versetzt und danach im Zeitraffer, auch im technischen. Mortal Kombat in der 16-Bit-Ära musste noch ganz schön tricksen, um mit den Pixeln kontrovers zu sein, mit Doom begann es dann etwas 3D-iger zu werden, aber erst in der letzten und vor allem der jetzigen Generation - parallel dazu auf dem PC mit seiner potenteren Hardware - kam der Detailgrad so sehr ins Spiel, dass es wirklich explizit und nicht nur rot wurde. Das berührte bisher aber den Mainstream nicht sonderlich. Shooter waren "bumm und tot". Uncharted weidete sich nicht an seinen Toten, Call of Duty verließ sich die meiste Zeit auf Masse statt Klasse und allen Rag-Doll-Spielerein einiger Titel zum Trotz blieb es Games wie Condemned überlassen, in der Gewalt persönlich zu werden.
Dieses Jahr jedoch drehen die Top-Titel auf der E3 kollektiv auf. Besagte Titel und viele weitere wollen es wirklich wissen. Die Fragen, die ich mir jetzt dabei stelle sind, ob sie es sich verdient haben, das zu tun und ob ich das noch spielen möchte? Die Frage des Verdienens dreht sich meiner Ansicht nach ein wenig um die Frage, ob Spiele Kunst mit Aussage sind oder sein möchten oder ob an dieser Stelle einfach nur eine billige Splatter-Lust bedient werden soll. Alfred Hitchcock und andere Regisseure hatten viel Interesse daran, zu zeigen, dass ein einzelner Mord ein Akt in sich selbst ist. Spiele tendieren dazu, Lebenslichter im Dutzend oder zu Hunderten auszuknipsen und bedienen sich dazu gerne auch mal sehr eindrücklicher One-Button-Kill-Sequenzen. Nichts davon wirkt aufregend, emotional oder wie intelligente Kunst, die eine Aussage transportieren möchte. Es ist keine Frage von Leben und Tod, sondern von Geschicklichkeit. Schaffe ich es, das Fadenkreuz auf das Pixel-Ding zu lenken, bevor das Game-Over kommt? The Last of Us jedoch scheint sich damit nicht mehr begnügen zu wollen.
Wenn dieses Spiel es schafft, das richtig umzusetzen, hat es meinen Applaus. Ich gehe jedoch für keine Sekunde davon aus, dass das der Fall sein wird. In vielen Filmen ist der Akt des Tötens an sich ein einschneidendes Erlebnis für den Mörder, das diesen vielschichtig beschäftigt. Gleiches wird vom Zuschauer abgefordert. Er soll sich nicht unbedingt an der Tat weiden, sondern sich auch der Monstrosität bewusst sein. Es ist eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem, was gerade gezeigt wurde. Spiele funktionieren nur sehr selten so. Heavy Rain, bei dem man durchaus streiten kann, wie viel Film in diesem Spiel steckt, wäre eines davon. Bei ganz vielen anderen muss man einfach die Frage stellen, on die Bedienung der vermeintlichen oder tatsächlich vorhandenen Lust am übermäßigen Splatter der Zielgruppe das Spiel wirklich besser macht.
Meist muss sonst aber der Adrenalinspiegel hochgehalten werden und es wird wohl zwei Räume weiter der nächste Mord kommen und ähnlich wie der erste zelebriert werden. Sinn und Zweck dieser Sprünge von einer Kill-Animation zur Nächsten? Vielleicht hat Last of Us darauf eine Antwort paart, viele seiner direkten Konkurrenten zur E3 und in den Monaten und Jahren danach werden wohl einfach nur sagen: 'weil wir es können'. Es bleibt zwischen diesen Animationen letztendlich nicht viel Zeit für Reflexion, weder beim Protagonisten noch beim Spieler. Es ist meiner Ansicht nach für ein Action-Spiel, wie diese Titel es offensichtlich sind, nicht möglich, gleichzeitig die Ebene der Auseinandersetzung mit der Tat zu erreichen, die angesichts der expliziten Darstellung ihrer nötig wäre und auf der anderen Seite dem Spieler Hindernisse entgegenzusetzen, die dieser in oft wiederkehrender Folge überwinden muss. Sie füllen dann wie die namenlosen Soldaten in Shootern lediglich eine Funktion aus, haben jedoch keine emotionale Bedeutung. Wenn jeder Mord explizit dargestellt wird, aber gleichzeitig Teil einer Kette an Morden ist, dann ist es nichts anderes, als die perfekte Definition eines Gewaltpornos. Der ewig gleiche Akt in immer wieder minimal variierter Abfolge.
Ist das jetzt so schlimm? Weiß ich nicht. Jedenfalls würde ich es weder zensieren noch gar verbieten wollen. Teilweise macht die explizite Darstellung Sinn, ist Teil der Geschichte und es ist einfach auch ein Teil der allgemeinen Entwicklung, die auch das Kino und vor allem TV-Serien in den letzten Jahren nahmen. Verurteilen will ich es aber insoweit, als dass es Gefahr laufen könnte, sehr billig zu enden. Solange es eben nicht wirklich auf die Reflexion durch den Spieler angesichts seiner Taten abzielt, sondern diese nur länger in Szene setzt, wird das Spiel dadurch eher auf eine grausame Weise infantiler. Naughty Dog sagte zwar, dass eben genau diese Reflexion ihr Ziel ist, aber damit sind sie nicht die ersten. Und wenn The Last of Us nicht dieses Kunststück gelingt, wird es auch nicht das letzte Spiel sein, das einfach komplett dieses Thema verfehlt. Dann nämlich, wenn es ihm nicht gelingt, am Ende mehr anders zu machen, als dass es zwanzig statt zwei Sekunden zu Pixeln grausam ist.
Tomb Raider dagegen hat eine andere Intention in seiner Gewalt oder zumindest sehe ich diese derzeit so. Der Spieler soll leiden, so wie seine Spielfigur leidet. Da Stromstöße aus dem Pad und Ähnliches nicht sonderlich populär wären, soll die Figur visuell den Eindruck vermitteln, dass sie gerade beschossen wurde, einen Wildwasserfall herunterstürzte und durch ein paar Bretter auf den Boden krachte. Blutig, zerschrammt und am Ende. Das funktioniert so lange, bis der Spieler wieder die Kontrolle hat. 99 Prozent eines Spiels basieren auf einem Set an Bewegungen, die nach genau definierten Regeln funktionieren. Die Figur bewegt sich so und so schnell, sie tut dies oder das, wenn man auf einen der Knöpfe drückt. Wiederum, Uncharted sprang ebenfalls gerne harsch mit seinem Helden um und er sah nach ein paar Kilometren auch nicht mehr so frisch aus. Sobald es aber zum Kampf kam und die Waffen sprachen, war alles wieder vergessen, die Bewegungen stimmten wieder, der Moment der Schwäche war vorüber.
Die explizite Gewalt den Gegnern gegenüber hält sich meiner Ansicht nach in Grenzen und zwar insoweit, dass sie sich höchstens auf dem Level einer Folge Game of Thrones bewegt. Man ist den Anblick eines Pfeils in der Kehle gewöhnt, es gibt nichts daran auszusetzen, es ist besser, weil glaubwürdiger, als wenn das Sprite sich einfach auflösen würde. Warum dabei jemand jubelt, ist mir nicht ganz klar, es ist einfach das, was Spieledesigner schon gerne auf der PS1 in mehr Details gezeigt hätten, aber das war es auch schon. So lange es nicht auf den einzelnen Gegner zoomt und seinen zwanzig-sekündigen Todeskampf in allen Details technischer Machbarkeit zeigt, hat sich an dieser Stelle gegenüber damals nicht viel getan.
Bei Splinter Cell dagegen schon. Schnelles, konsequentes Töten war schon immer ein Teil der Tom-Clancy-Philosophie der Kriegsführung, das an sich ist nichts Neues. Bisher war es das Ausknipsen der Feinde als Punkte auf einer Heat-Map oder durch das Zielfernrohr der letzten Errungenschaft der Militär-Sniper-Forschung. Sehr unpersönlich und so auf seine eigene Weise gespenstisch. Splinter Cell: Blacklist jedoch wollen ausgerechnet Franzosen neokonservative Träume vom perfekten US-Special-Forces-Soldaten erfüllen, der ohne näher definierte Emotionen oder gar spezifische Reue den Raum stürmt und ein halbes Dutzend Feinde wie Sandsäcke absticht oder erschießt. Wir wissen, dass Pixel keine Menschen sind, darum geht es an diesem Punkt nicht. Hier sollen die Menschen nicht mal in der inhaltlichen Darstellung mehr Menschen sein, sondern im Mindset des Protagonisten Objekte, die überwunden werden müssen. Nur, wenn sie aufgeschnitten werden, erkennt ihr an den Organen, dass Menschen repräsentiert werden sollen, aber zu keinem Zeitpunkt ihre Menschlichkeit. Wiederum, Tom-Clancy-Spiele gingen mit dieser Thematik nie anders um, aber hier noch diesen Grad der expliziten Gewalt obenauf zu setzen, ist aus meiner Sicht einfach ein wenig zu viel und schlicht unnötig. Es ist da, weil das Publikum applaudiert und es inzwischen technisch leicht umsetzbar ist.
Die Frage ist, ob der Spieler diesen Grad der expliziten Gewalt, insbesondere der erwachsene Spieler, der die "ich will was Krasses, nur weil es was Krasses ist"-Phase überwand, überhaupt haben möchte? Welchen Gewinn ziehen diese Spiele daraus, werden sie deshalb besser? Meine Antwort wäre bei allen drei genannten Spielen, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt: nein. Ich lasse mich gerne vom drastischsten Fall, nämlich Last of Us, überraschen, ob es meine obige These widerlegt und mehr als nur das Anbieten von Ergötzung an Gewalt um der Gewalt selbst Willen ist. Ich bezweifle es allerdings und wenn das der Fall ist, dürfte es das beste Beispiel werden, dass explizite Gewalt sich zwar technisch ganz toll umsetzen lässt, aber dem Spiel nicht nur nichts gibt, sondern dafür sorgt, dass sich der Spieler beim Spielen nicht mehr wohlfühlt. Und das aus den falschen Gründen. Vielleicht sollte man sich auch bei Uncharted nicht wohlfühlen, dass Nathan Drake fünfhundert Kopfschüsse verteilt, aber wenigstens krabbelt dieses Spiel nicht der Kugel ins Gehirn hinterher oder illustriert jeden Todeskampf mit technisch albtraumhafter Genauigkeit.
Es gibt die Spiele, die emotional intelligent funktionieren, Gewalt zeigen und trotzdem viel Spaß machen. Diese Spiele, ein Beispiel wäre das sicher nicht zimperliche Red Dead Redemption, würden nicht besser funktionieren, wenn jedem Toten eine ausgiebiger Tötungsakt vorrausgehen würde. Wenn die hier genannten Spiele gut werden und wirklich dieses Medium bereichern, dann haben sie es wahrscheinlich nicht geschafft, weil sie mit der Kamera noch näher herangingen oder länger und technischer perfekter Draufhielten. Sie hätten es trotz dessen geschafft.