Bit.Trip Presents… Runner 2: Future Legend of Rhythm Alien
Der Name ist albern, aber er sagt nichts über die Qualität des Spiels aus.
Warum bekommt Charles Martinet eigentlich nicht mehr Sprecherrollen in Videospielen? Anstatt bei jeder Figur gleich Nolan North oder Troy Baker zu nehmen, sollte der stets gut gelaunte Mario-Sprecher viel öfter ins Tonstudio geholt werden. Dieser Gedanke schoss mir nämlich bei jedem Start von Runner 2 - nein, den kompletten Namen schreibe ich nicht aus - sofort durch den Kopf, sobald Martinet mit seiner wunderbaren Stimme die Einleitung übernimmt. Ich könnte es mir glatt als Klingelton einspeichern oder jeden Morgen davon aufgeweckt werden. Falls ich an das nötige Geld kommen sollte, bezahle ich die Frohnatur, um mir einen Tag lang zu folgen und jede meiner Bewegungen wie ein Erzähler zu kommentieren.
Aber ich weiche vom eigentlichen Thema ab. Denn Runner 2 hat noch viel mehr als nur einen talentierten Sprecher zu bieten, auch wenn sich für mich allein dadurch schon nach den ersten 20 Sekunden der Kauf gelohnt hatte. Der auffälligste Punkt am gesamten Spiel ist sicherlich die grafische Neuausrichtung, deren Inspiration sicherlich in den farbenfrohen Cartoons der Neunziger liegt. Ein starker Kontrast zum minimalistischen Retro-Design der Bit.Trip-Serie. Aber schließlich handelt es sich hierbei auch nur um einen Ableger und keinen Teil der Hauptserie, was der Name durch "Bit.Trip Presents ..." verdeutlicht.
Farbenexplosion
Anscheinend hat sich bei Entwickler Gaijin Games während der optisch limitierten Bit.Trip-Saga ein regelrechter Design-Stau angesammelt, den man bei Runner 2 endlich über das gesamte Projekt ablassen konnte. Jede der fünf Welten bietet trotz eines gemeinsamen Stils ihre persönliche Ausrichtung und alle zeichnen sich besonders durch lebendige Hintergründe aus. Riesige Monde blinzeln mit ihren Kulleraugen, während sie euch anlächeln, und ein Big Foot läuft parallel zu euch am Horizont. Wirklich interessant wird es in den finalen Abschnitten, die einen Übergang zum alten Design darstellen und mehr wie 3D Dot Game Heroes aussehen. Bekannte Figuren erscheinen und Abbildungen alter Spiele manifestieren sich hinter euch auf dem Bildschirm. Eine überaus schöne Mixtur der verschiedenen Stile.
Trotz hübsch gestalteter Areale, bleiben eure Augen jedoch weiterhin auf den unteren Bereich des Bildschirms gerichtet, wo Protagonist Commander Video genau das tut, was er am besten kann: rennen. Ohne Einfluss auf seine Geschwindigkeit spurtet er wie im Vorgänger zur rechten Seite und ihr müsst durch verschiedene Kommandos dafür sorgen, dass er unbeschadet im Ziel angelangt. Auf jede Aktion folgt ein Ton, der genau zum Rhythmus der Musik passt, wodurch ihr euch in den besten Momenten des Spiels ohne Überlegungen nur vom Takt sowie euren Reflexen leiten lasst.
Im Gegensatz zum ersten Teil hat Gaijin Games ordentlich an den Fähigkeiten von Commander Video geschraubt. Wie früher könnt ihr weiterhin springen, rutschen, schlagen oder fliegende Blöcke mit einem Schild abwehren. Dazu gesellen sich ein paar neue Manöver, die in einem perfekten Abstand zueinander eingeführt werden. Zuerst erklärt euch das Spiel anhand eines Bildes die nächste Fähigkeit und lässt sie euch daraufhin an leichten Hindernissen ausprobieren, bevor diese mit bereits bekannten Aufgaben kombiniert werden. Habt ihr euch gerade daran gewöhnt, folgt wenige Level später ein neues Element.
So könnt ihr nun beispielsweise auch in der Luft eine Rutsch-Haltung einnehmen, um durch kleinere Öffnungen zu passen. Vollkommen neu sind Schienen, auf denen ihr entweder skatet oder euch von unten festhaltet. Fiese Platzierungen von Gegnern oder Geschossen erfordern den ständigen Wechsel zwischen den beiden Positionen.
Weiterhin wurde das Punktesystem vollkommen überarbeitet. Neben dem Ausweichen von Hindernissen oder Einsammeln von Goldbarren bieten sich euch nun verschiedene Techniken an, um den Highscore zu steigern. In den meisten Leveln findet ihr Loopings, in denen ihr Commander Video mit dem rechten Stick folgen oder Tasten passend zum Takt drücken müsst. Je genauer ihr seid, desto mehr Punkte hagelt es. Der wichtigste Faktor ist allerdings das Tanzen. Jederzeit könnt ihr das kleine Alien für Punkte zappeln lassen. Die Animation lässt sich dabei nicht abbrechen und es gilt herauszufinden, wie oft und zwischen welchen Hindernissen ihr noch einen kleinen Breakdance ausführen dürft, ohne gleich gegen einen Feind zu stoßen.
Have it your way
Die Jagd nach den Punkten gehört ebenso zu einigen Maßnahmen, die getroffen wurden, um den Schwierigkeitsgrad auszubalancieren. Hier liegt die eigentliche Meisterleistung von Runner 2 versteckt. Ihr bestimmt darüber, wie schwer die Erfahrung sein soll. Nicht einfach nur durch verschiedene Schwierigkeitsgrade, sondern ständige Entscheidungsfreiheit in den Arealen selbst. Da ihr bei einem einzigen Fehler sofort wieder an den Anfang eines Levels geschickt werdet, könnt ihr in der Mitte nun einen Checkpoint aktivieren. Springt ihr jedoch über die Markierung, kassiert ihr mehr Punkte. Auch entdeckt ihr an mehreren Stellen zwei Wege. Der Schwerere führt meist zu einem versteckten Kostüm oder Bonuslevel. Abgesehen von diesen Dingen bestraft euch das Spiel nie dafür, wenn eure die Entscheidung auf den leichten Weg fällt. Auch mit Checkpoints sowie einfachen Pfaden lassen sich alle Goldbarren einsammeln, um am Ende die perfekte Auszeichnung zu erhalten.
Wollt ihr einen Level zu 100 Prozent abschließen, müsst ihr auch nicht länger einen Bonus-Abschnitt direkt im Anschluss bestehen, sondern lediglich Commander Video in die Mitte einer Zielscheibe schießen. Stattdessen baute man die Retro-Stages separat als versteckte Gegenstände im Spiel ein, die sich nach dem Einsammeln jederzeit anwählen lassen. Sie sind immer noch genauso schwer wie im Erstling, doch das Frust-Potenzial wurde ihnen genommen, was auf das gesamte Spiel zutrifft. Nach dem Abschluss der Kampagne habe ich endlich versucht, die letzten Abschnitte in Bit.Trip Runner zu beenden.
In Deutschland bisher nur auf Steam erhältlich. Versionen für Konsolen sollen in den kommenden Tagen auch bei uns erscheinen. Ein genaues Datum existiert leider noch nicht.
Obwohl der Vorgänger wesentlich weniger Level offeriert, habe ich allein für den vorletzten Level eine halbe Stunde gebraucht. In dieser Zeit konnte ich in Runner 2 die letzte Welt auf schwer absolvieren und hatte dank des überragenden Level-Designs sogar wesentlich mehr Spaß. Platzierungen der Hindernisse sind fairer und lassen sich immer bei einem ersten Versuch umgehen. Möchtet ihr allerdings eure Punkte maximieren, steigt der Schwierigkeitsgrad exponentiell zu eurem Ehrgeiz an. Besser hätte man es nicht machen können.
Trotzdem gibt es eine Sache, die Runner 2 zum Schluss hin ein wenig ausbremst. Wie ich oben erwähnte, führt der Titel Stück für Stück immer mehr Aktionen ein, die euch stets vor neue Herausforderungen stellen und die Abschnitte komplexer und abwechslungsreicher gestalten. Dieses System kommt in den letzten beiden Welten zu einem plötzlichen Halt. Sehnsüchtig wartete ich auf neue Manöver oder zumindest einen anderen Feind. In der letzten Welt gibt es zum Glück noch ein neues Design, wodurch der vorige Abschnitt aber nur noch trostloser wirkt. Obwohl die Level weiterhin fehlerfrei bleiben, ein bisschen enttäuscht war ich schon.
Um ein weiteres Problem am Spiel zu finden, müsste ich mir aber schon irgendetwas ausdenken oder beklagen, dass die Goldbarren im Spiel nicht aus dem Nichts neben mir erscheinen. Gaijin Games haben den wohl beliebtesten und sicherlich auch besten Teil der Bit.Trip-Saga genommen, das Konzept bis auf die kleine Lücke am Ende vollkommen ausgereizt und dabei gleichzeitig die perfekte Ausbalancierung des Schwierigkeitsgrades erzielt, der sich an jeden Spieler anpasst. Ich glaube kaum, dass hier noch viel Luft nach oben für einen dritten Teil bleibt, den ich auch gar nicht will. Lieber perfektioniere ich bereits absolvierte Level, suche nach versteckten Outfits oder treibe meine Rekorde in die Höhe. Und jedes Mal darf ich mich dabei auf die wunderbare Stimme von Charles Martinet freuen.