Blacklight: Retribution - Test
Einen fairen Wallhack gibt es nicht und Mechs in Shootern sind grundsätzlich viel zu stark? Der free-to-Play-Nachfolger von Blacklight: Tango Down tritt den Gegenbeweis an.
Zwei Jahre ist es her, da versuchte Blacklight: Tango Down sparfreudige Shooter-Fans zu ködern. Der Titel verkaufte sich als günstige Alternative zu Call of Duty: Modern Warfare 2 auf PC, Xbox 360 und PS3 und die Entwickler von Zombie Studios sparten nicht mit Superlativen für ihr Baby. Doch weder Kritiker noch Spieler waren vom Ergebnis überzeugt. Der Einzelspieler-Modus war unterirdisch. Der Multiplayer-Part kam umfangreich daher, war aber ansonsten nur Durchschnitt. Das Matchmaking funktionierte mäßig, darüber hinaus fehlte ein richtiger Chat und es gab keine dezidierten Server. Da konnten auch die nagelneue Unreal Engine 3 oder ungewöhnliche Features wie der "Hyper-Reality Visor" für den kurzzeitigen Röntgenblick die Fachpresse nicht milde stimmen. Tango Down landete mit Ach und Krach im Mittelfeld statt an der Wertungs-Spitze.
Doch die Entwickler schrieben sich jene Kritikpunkte von damals offenbar ganz oben auf ihre To-Do-Liste, als sie mit der Entwicklung von Blacklight: Retribution begannen. Den Einzelspieler-Modus sparte man sich komplett. Server, Matchmaking und Ranking-System funktionieren nach ein paar Startschwierigkeiten mittlerweile zuverlässig. Im Detail anpassbare Waffen und Ausrüstung gibt's oben drauf, was dem Spiel ein wenig RPG-Feeling verleiht. Dank des neuen Publishers Perfect World wird der Shooter zudem als free-to-play vermarktet. Laden könnt ihr euch den Client auf der offiziellen Seite oder unter Steam. Dafür schauen Konsoleros in die Röhre.
Das Spiel bietet in Sachen Modi nur die übliche Standard-Kost (normales Deathmatch, Team Deathmatch, Capture the Flag, King of the Hill, Domination sowie zwei Abwandlungen derselben namens Kill Confirmed und NetWar) und verheißt mit schlappen neun Karten nicht gerade üppige Abwechslung. Das Matchmaking und Ranking ist abhängig von eurer Erfahrungs-Stufe. Während der ersten zehn Level übt ihr noch in folgenlosen Scharmützeln, bevor der eigentliche Profi-Wettkampf um Ranglisten-Plätze beginnt.
Die Unreal 3 Grafikengine brilliert wie gewohnt mit tollen Charaktermodellen und Umgebungen und lässt auf leistungsstarken Rechnern unter DirectX 11 ihre üppigen Effekt-Muskeln spielen. Die verschiedenen Karten können sich sehen lassen und bieten allesamt eine ausgewogene Mischung aus verwinkelten Gängen, offenen Plätzen und mehreren Ebenen mit reichlich Deckungsmöglichkeiten. Dabei beweisen die Macher beim Designs der Schauplätze viel Liebe zum Detail, sei es durch eindrucksvolle Stahlkonstruktionen, riesige Trümmerberge, Leuchtreklamen, Rauch oder realistische Wasseroberflächen. Der Sound wird dominiert von den typischen Adrenalin-treibenden Ratatat-Salven und trockenen Sprüchen seitens der Avatare. Gepaart haben das die Macher mit kurzen Dubstep-Einlagen und einem interessanten Effekt, sobald ihr das Zeitliche segnet. In solchen Momenten scheint die Zeit kurz anzuhalten und die Kamera zoomt rüber zu eurem Mörder. Da kommt richtiges Bullet-Time-Feeling auf.
Die Steuerung entspricht den üblichen Standards, allerdings dauert es etwas, bis man sich an die enorme Streuung und den Rückstoß der Waffen gewöhnt hat. Granaten gezielt zu werfen war schon im Vorgänger schwierig und ist auch in Retribution alles andere als einfach. Oft fliegen die Sprengsätze zu kurz oder prallen im falschen Winkel von einer Wand ab. Dafür wurden die dezent auf futuristisch gebürsteten Ballermänner stimmig simuliert und beeinflussen durch ihr Gewicht sogar euer Lauftempo. Zusätzlich schränkt euer Outfit eure Bewegungsfähigkeit ein. Ihr könnt kurze Strecken sprinten, so lange euer Konditionsbalken es zulässt oder im Hockschritt vorwärts hoppeln um hinter Mauern und Trümmern Deckung zu suchen. Ein schön Detail am Rande ist das Mini-Spiel, mit dem man Tore öffnet oder Terminals hackt. Dabei müsst ihr jeweils zwei identische Zahlen kombinieren.
Ein praktisches - wenn auch ungewöhnliches - Feature ist der eingangs erwähnte Hyper-Reality Visor (HRV), mit dessen Hilfe ihr für ein paar Sekunden durch Wände sehen könnt, bevor er sich wieder aufladen muss. Quasi ein legaler Wall-Hack. Manche Profis haben schon beim Vorgänger diese Funktion als Cheat verwünscht und sich empört vom Spiel abgewandt. Ich hatte beim Test jedoch nie den Eindruck, dass der Visor taktisches Vorgehen unmöglich macht oder sonstwie dem Spielspaß schadet. Der Effekt hält nur wenige Sekunden an und Entfernungen lassen sich nur schwer einschätzen. Außerdem kann auch der Gegner jederzeit per HRV sehen, wo man gerade lauert. Hier kommt es auf taktisch kluges Timing beim Einsatz des Visors an.
Wirklich drastische Konsequenzen haben da eher die Sonderwaffen, die ihr im Laufe einer Partie an den zahlreichen Depot-Terminals kaufen könnt. Nach jedem Kill und jeder Errungenschaft erhaltet ihr für die Dauer des Matches ein paar Punkte, die ihr gegen solche besonderen Schmankerl eintauscht. Dabei sticht vor allem der Mech-Anzug HS01a heraus. Die dicke Panzerung des Metallmonsters lässt sich nur schwer knacken und die eingebauten Gatling- und Railgun-Waffen machen das Teil zu einer tödlichen Metzelmaschine. Wenn so ein Koloss durch eine Tür stampft, solltet ihr das Weite suchen oder einen Raketenwerfer zur Hand haben. Zum Glück ist das Ungetüm nicht sonderlich beweglich und lenkt sich so agil wie ein Alpengletscher. Könner nutzen das aus, rennen Kreise drum herum und beharken die Mechs mit Nahkampfwaffen. Übrigens könnt ihr per HRV-Modus die zufällig ausgewürfelte empfindliche Stelle an der Panzerung enttarnen. Konzentriertes Feuer auf diesen Part zerstört den Kampfanzug relativ zügig.
Vor jedem Match lässt sich die Ausrüstung eures Recken vom Helm bis zum Stiefel anpassen, wobei die unterschiedlichen Einzelteile sogar kleine Boni auf Leben, Rüstung oder Geschwindigkeit gewähren. Außerdem könnt ihr verschiedene Granaten und Messer in euren Rucksack packen. Es gibt zig Sturm-, Präzisions- und Salvengewehre, Maschinenpistolen, Revolver oder Shotguns. So ziemlich jede Schraube an diesen Schießprügeln darf modifiziert werden. Ihr habt die Qual der Wahl: eine andere Mündungsform vielleicht, die weniger streut? Ein stabilerer Lauf? Ein neuer Schaft mit weniger Rückstoß? Leichtere Magazine, um schneller nachzuladen? Ein besseres Fernrohr? Oder Deko-Anhänger und Tarnfarben fürs Auge? Zu guter Letzt legt ihr fest, welche Auswahl an Depot-Gegenständen euch während der Gefechte zur Verfügung steht. Den erwähnten HS01a Mech-Anzug solltet ihr immer in der Hinterhand behalten (der ist einfach zu gut), ansonsten bleibt es euch überlassen, ob ihr dem gegnerischen Team mit Raketenwerfer, Minigun, Flammenwerfer, Geschützturm, Granatwerfer, Luftschlag oder Railgun den Tag versaut. Aber Vorsicht: wer ins Gras beißt lässt seine Waffe für alle Mitspieler fallen und ihr wollt ganz bestimmt nicht eure teuer erkaufte Tötungsmaschine an den Feind verlieren.
Dass so viel Feuerkraft bei einem free-to-play-Titel nicht ohne Haken kommt, versteht sich von selbst. Prinzipiell könnt ihr die meisten Waffen und Gegenstände mit erspielten "SP" bezahlen. Dabei steht es euch offen, ob ihr die Ausrüstung für einen Tag, eine Woche oder permanent freischaltet. Leider kostet selbst ein pupsiges Zielfernrohr locker ein paar tausend SP, wenn man es für immer behalten will. Die Mehrzahl der Spieler hangelt sich also erst einmal von Tag zu Tag, schaltet diese oder jene Mindest-Ausrüstung alle 24 Stunden frei und spart die restlichen SP, um sich irgendwann die Traum-Ausstattung auf Dauer freizuschalten. Schneller geht das natürlich mit der Echtgeldwährung "Zen", die Perfect World für alle seine Spiele verwendet. Aktuell bekommt man für 4,50 Euro 500 ZEN. Rabatte sind erst ab 45 Euro vorgesehen - dafür gibt es 5300 Zen.
Shooter mit Cashshops stehen grundsätzlich unter "pay-to-win-Verdacht" und müssen ihre Kritiker erst einmal vom Gegenteil überzeugen. Ich bin da auch immer ein wenig argwöhnisch. Man stelle sich bloß mal einen Echtgeld-Laden vor, in dem die ultimative Kanone mit 100-Fach-Zoom und Instand-Kill für ein kleines Vermögen verkauft wird. Nervig auch, wenn ihr gezwungen seid, irgendwelche Buffs zu kaufen, um überhaupt eine Chance im Spiel zu haben. Zum Glück ist kaum ein Entwickler so dreist, seinen Kunden heute noch etwas derartiges zuzumuten.
In Blacklight Retribution wurde das Cashshop-Modell jedenfalls vorbildlich umgesetzt. Natürlich macht es einen Unterschied, ob ihr mit der Standard-Knarre oder einem Scharfschützengewehr inklusive fettem Zielfernrohr auf den Dächern herumkraxelt. Ein paar Prozent weniger Streuung oder Verzug können für Profis über Sieg oder Niederlage entscheiden. Da man mit relativ wenig Zeitaufwand ein hübsches Sümmchen SP erspielen kann, ist dankenswerterweise auch ohne Griff zum Geldbeutel für Spaß gesorgt. Wer darüber hinaus ein Händchen für Shooter hat und regelmäßig Partien gewinnt, läuft im Nu mit angemessener Bewaffnung herum. Dennoch ersetzt kein Bonus eure persönlichen Fähigkeiten. Wer mit der normalen Ausrüstung nichts trifft, wird auch mit der teuersten Kanone nicht zum Profikiller. Die freischaltbaren doppelten XP-Punkte relativieren sich ebenfalls, denn wer schneller eine höhere Stufe erreicht, darf zwar stärkere Waffen einsetzen, muss jedoch gegen härtere Gegner antreten.
Einfach machen es euch die Betreiber übrigens nicht, der Versuchung des Cashshops zu widerstehen. So erhaltet ihr zum Beispiel beim Stufenanstieg jedes Mal ein paar Waffenteile und Schnickschnack gratis per Mail, den ihr gleich auf dem neuen Level einsetzen könnt - allerdings nur mit einer zeitlichen Beschränkung von einem bis drei Tage. Das Kalkül dahinter dürfte sein, dass man sich in der Zeit an die Gegenstände gewöhnt und sie später für bares Geld nachkauft.
Das free-to-play-Modell von Blacklight: Retribution und seine zahlreichen, bis ins Detail anpassbaren Waffen und Charaktermodelle sind eine schlaue Kombination. Das dürfte einiges Geld in die Kassen von Perfect World spülen - sofern genügend Spieler dem Lockruf des grafisch eindrucksvollen Shooters folgen. Man muss es den Entwicklern und Publishern zugestehen: das Geschäftsmodell und das Spieldesign passen in diesem Fall perfekt zueinander. Erfreulich ist, dass der Cashshop dabei ausgesprochen fair umgesetzt wurde. Die gesamte Präsentation des Shooters ist für einen Gratis-Titel sehr ansprechend, wobei die Spielmodi und Karten leider nichts Neues oder Außergewöhnliches bieten. Hier könnten die Designer noch nachlegen. Das Röntgenblick-Feature und Zusatzwaffen wie der Mech-Anzug sind zwar nette Highlights, aber man sieht sich an ihnen auch schnell wieder satt. Blacklight: Retribution ist ein guter, jedoch kein erstklassiger Multiplayer-Shooter. Das Spiel macht einige Zeit Spaß, bringt nur eben zu wenig Neues mit, als dass es einen wirklich vom Hocker hauen könnte. Als free-to-play-Titel rangiert das Machwerk der Zombie Studios trotzdem auf Augenhöhe mit Konkurrenten wie Team Fortress 2, Tribes: Ascend und Konsorten. Da Ausprobieren nichts kostet, könnt ihr ruhig einen Blick riskieren.