Blog: Spiele nur noch Häppchenweise
Bleibt der Branche keine andere Wahl?
Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als man im Laden komplette Spiele kaufen konnte? Geld auf den Tisch legen. Spiel samt Verpackung und Anleitung nach Hause tragen. Einlegen. Spaß haben. Stimmt, das gibt es immer noch. Aber wie lange? Die Frage meine ich ernst. Die Spielehersteller arbeiten seit geraumer Zeit an Mitteln und Wegen, uns unserer liebgewonnenen Gewohnheiten zu berauben.
Die genannten Gründe sind vielfältig: Qualitätssteigerung, Schutz vor illegalen Kopien, Kostensenkung und so weiter. Der wahre Grund heißt Gewinnmaximierung. Oder geht es darum, überhaupt die Gewinnzone zu erreichen? Das gelingt trotz Milliardenumsätzen mittlerweile nur noch wenigen Unternehmen wie Nintendo oder Activision Blizzard. Obwohl sich der Verkaufspreis von Spielen in den vergangenen Jahren kaum verändert hat, sind die Entwicklungskosten für große Spiele explodiert. Schreiben die Spielehersteller keine schwarzen Zahlen, erscheinen in Zukunft vielleicht kein Titel wie inFamous mehr, sondern nur noch sichere Rendite-Renner wie Call of Duty 15.
Natürlich möchten Spiele-Produzenten mit ihren Werken Geld verdienen. So viel wie möglich. Das ist ihr gutes Recht. Diese Absicht beißt sich dummerweise manchmal mit den Wünschen von uns Konsumenten. Einer dieser Widersprüche begann mit Half-Life 2. Erinnert ihr euch? Als der Ego-Shooter Ende 2004 erschien, war er das heißeste Stück Software auf unserem Planeten. Jeder wollte ihn spielen. Das wusste auch Entwickler Valve, der als eine Art trojanisches Pferd den Download-Dienst Steam auf Millionen Rechner dieser Welt schmuggelte. Denn ohne ein Konto bei Steam ließ sich Half-Life 2 nicht starten. Zumindest einmal musste man online gehen und sich dort für die Installation anmelden. So begann das neue Zeitalter.
Was zunächst wie eine harmlose Bagatelle zum Schutz vor Raubkopien wirkte, war in Wirklichkeit ein perfider Plan. Fortan waren Half-Life-Liebhaber Kunden bei Steam und konnten dort Spiele gegen Geld herunterladen. Für den Entwickler ist dieses Geschäftsmodell billiger; es gibt keinen Vertrieb, der mitverdient. Keine Unkosten für Verpackungsmaterialien oder Datenträger.
Kurzum: die Produktion der Spiele wird wieder günstiger. Theoretisch. Denn der Preisvorteil kommt kaum an bei uns Endkunden. Dafür aber die Einschränkungen: Heruntergeladene Spiele lassen sich genauso wenig weiterverkaufen wie Spiele, die erst online aktiviert werden müssen – ein direkter Angriff auf den Gebrauchtmarkt, der den Spieleherstellern schon jeher ein Dorn im Auge ist, weil sie dort nicht mitverdienen und neidisch auf die Gewinne von Fachhändler-Ketten wie Gamestop schielen! Zu Recht?
Im Prinzip besteht der Gebrauchtspielmarkt ja aus kaufwilligen Spielern, die sich einfach gerne ein paar Euro sparen, wenn sie das gleiche Spiel günstiger in dem Gebrauchtregal gegenüber sehen. Die Rechnung aus Herstellersicht ist also simpel: Spiel XY kostet im Handel 59,99 Euro. Der Hersteller bekommt davon nach Abzug der Mehrwertsteuer und Handelsspanne hierzulande etwa 35 Euro. Verkauft nun ein Händler dieses Spiel ein Mal neu und nach Wiederankauf noch zwei Mal gebraucht, macht er bereits mehr Gewinn an jenem Spielexemplar als der eigentliche Produzent. Denn schließlich hat der noch alle Entwicklungs-, Herstellungs- und Marketingkosten an der Backe. Gäbe es keinen Gebrauchthandel, hätte vielleicht einer der beiden Gebrauchtkäufer das Spiel auch neu gekauft. Der Hersteller hätte in dem Fall also 70 Euro verdient. Zugegeben, ein großes Vielleicht, aber immerhin eine Möglichkeit.
Mit diesem Rechenmodell im Hinterkopf versteht man die Aktionen mancher Hersteller, dem Gebrauchtmarkt das Wasser abzugraben. Man könnte sich auch fragen, ob es überhaupt fair ist, dass Käufer günstiger Gebrauchtspiele das gleiche Produkt erhalten wie Käufer von Neuware, die dafür deutlich mehr zahlen. Schließlich nutzt es sich nicht so ab wie ein Fahrzeug oder Fernseher.
Ist ein Käufer neuer Spiele somit sogar dämlich? Das Gefühl will auf Seite der Spielehersteller sicher niemand vermitteln. Doch ob der Weg der richtige ist, den die Branche einschlägt? Aktuell lotet zum Beispiel Electronic Arts neue Möglichkeiten aus, den Handel mit gebrauchten Spielen einzudämmen. Ist euch schon einmal aufgefallen, dass Spielen wie Dragon Age oder Saboteur Codes beiliegen, die zusätzliche Inhalte wie Bonus-Quests, Rüstungen oder Oben-Ohne-Bardamen freischalten? An sich alles in Ordnung, aber da jeder Code nur einmalig verwendbar ist, sehen Gebrauchtkäufer natürlich in die Röhre. Noch aggressiver geht EA bei Mass Effect 2 vor, dem ein Einweg-Code für das sogenannte Ceberus-Netzwerk beiliegt. Ohne lassen sich keine der kostenlosen Download-Inhalte nutzen, die kostenpflichtigen DLCs kann hingegen jeder spielen - auch ohne Cerberus. Diesen Code gibt es für Gebrauchtspielkäufer für 1.200 Microsoft-Punkte (etwa 15 Euro) einzeln zu kaufen. Lässt sich so der Gebrauchtkäufer dazu zwingen, dem Hersteller seines Spiels wieder Geld zu zahlen? Als ich zu dem Thema Online und DLC um ein Interview mit EA gebeten habe, wollte man sich dazu nicht äußern.
Eine andere Tendenz ist, Spiele zu zerstückeln. In Episoden oder sogenannten Download-Contents (DLC, kleine Bezahl-Erweiterungen). Statt eines kompletten Spiels bekommt man alles im zeitlichen Abstand und in Häppchen serviert. Oh wie ich Sin Episodes und Sam & Max dafür hasse, mit dieser Vertriebsform begonnen zu haben. Und was passiert, wenn die Hersteller die Kurve dabei nicht mehr bekommen? Oder wenn das Käuferinteresse mittendrin schwindet? Wird dann das Spiel noch fertiggestellt? Bei Sin Episodes offenbar nicht. Und wo bleibt denn etwa Episode 3 von Half-Life? Da müssen wir wohl noch eine Weile mit dem offenen Ende leben. Furchtbar.
Noch ausgefuchster ist Ubisoft, die das Konzept von Assassin's Creed 2 um zwei Kapitel beschnitten haben, um sie als kostenpflichtigen DLC nachzureichen. Dass man dabei kaum noch der Handlung folgen kann, nimmt man als Kollateralschaden offenbar in Kauf.
EA überlegt angeblich auch bereits, wie man dieses Konzept adaptieren kann: Man könne sich „in naher Zukunft“ ein neues Preismodell für Spiele vorstellen, heißt es. Mit Basisspielen zum kleineren Preis, die später durch Zukauf-Erweiterungen aufgewertet werden. Das ließ Jason DeLong verlauten, ein leitender Produzent bei EA Kanada. Halleluja. Vor der Endsequenz bitte Münze nachwerfen. Soll das die Zukunft unserer Spiele sein? Auf der anderen Seite besteht auch die Chance, dass Spiele dadurch deutlich besser werden – wem die erste Episode nicht gefällt, wird sich kaum noch die Fortsetzung kaufen. Ähnlich dem ursprüngliche Shareware-Gedanke, den id Software in den 90er-Jahren bei ihren ersten Ego-Shootern praktiziert hat. Wem gefällt, was er sieht, muss zahlen, um den Rest zu Gesicht zu bekommen. Und später Add-Ons kaufen. Wobei id Software das erste Kapitel jeweils verschenkt hat...
Doch ist das neue, moderne Häppchen-Bezahl-System wirklich die Lösung? Entfernen sich Spiele dadurch nicht vielleicht doch zu sehr von diesem tollen Gesamtkunstwerk, das sie momentan darstellen? Wenn ja freut es mich, dass zumindest mir auch alte Sachen noch Spaß machen. Ihr wisst schon: die Spiele, für die man nicht online sein muss, damit sie laufen. Ich wünsche uns für die Zukunft alles Gute.