Bodycam ist das Spiel, vor dem unsere Eltern immer Angst hatten
Polizeivideo-Ästhetik trifft auf Deathmatch. Schwierig, schwierig. Aber auch schwierig wegzulegen.
Junge Junge! Ich weiß noch nicht, was davon abschließend zu halten ist, aber Bodycam ist definitiv ein Erlebnis. Ready or Not und Six days in Fallujah gingen ja in der letzten Zeit schon in die realistischere Richtung eines Shooters, aber Bodycam, das von einem französischen Duo entwickelt wird, hier wirkt so real, dass man glatt Panikattacken bekommen könnte. Es ist wohl das, was sich uninformierte Eltern immer unter “Killerspielen” vorgestellt haben.
Der ebenso reizvolle wie leicht ekelige Kniff ist der, dass wir das Geschehen durch die Bodycam der Schützen sehen. Also jener Ansicht, die in erster Linie nach diversen Gräueltaten oder bei Gerichtsverhandlungen über Polizeigewalt durch die Medien geht. Die Ästhetik ist damit in doppelter Hinsicht hochgradig wirkungsvoll.
Das, was man in den Nachrichten sieht, wenn was Schlimmes passiert ist
Zum einen sind die Bewegung der Kamera, der Fischaugeneffekt, die Artefakte, Verzerrungen und das Windrauschen des Mikros bei schnellen Bewegungen so überzeugend umgesetzt, dass man das Gesehene schon rein sensorisch als ungemein real empfindet. Und natürlich kaschiert diese Perspektive noch die wenigen grafischen Unzulänglichkeiten von Objekten und Spielwelt. Auf der anderen Seite ziehen einen die Parallelen zu einschlägigen Nachrichtenbildern an den Beinen zuerst tief runter in diese leicht unwohl machende Fantasie, einer echten Schießerei beizuwohnen.
Ebenfalls zur Ästhetik gehört, dass die Waffen ohrenbetäubend laut sind. Im Grunde wie in Wirklichkeit, was wiederum erschwert, Gegner zu hören. Aber das erledigen meistens schon die Rausch- und Raschelgeräusche der Kamera, während Schritte lange nicht so laut sind wie in vergleichbaren anderen Games. Das alles ist so lange halbwegs unverfänglich, wie das nach Death-Match, Team-Death-Match oder den Regeln des Bombenmodus auf Baustellen, Ölbohrplattformen oder in verfallenen russischen Büroräumen geht. Aber sobald ich mir vorstelle, dass mal eine Schule oder ein anderer öffentlicher Raum Schauplatz einer dieser Runden wird, wird mir offen gestanden ein wenig anders.
Aber rein spielerisch muss man sagen: Die Illusion ist wirklich gut gelungen und stellt sich komplett in den Dienst eines extrem intensiv erlebten Taktik-Shooters. Ein HUD als solches gibt es kaum, das Spiel versorgt euch weder mit einem Munitionszähler noch mit einer praktischen Leiste, die euch sagt, was ihr mit euch herumschleppt. Allein eure Teamkommunikation wird gestützt, indem ihr, solange ihr noch lebt, die Position eurer Mitspieler durch Wände hindurch sehen könnt. Sterbt ihr, spielt ihr als Drohne weiter und könnt zum Beispiel mit eurer Lampe Feinde gewissermaßen markieren. Ein Ping-System existiert nicht.
Es steckt viel Kluges in Bodycam
Cool fand ich, dass das Spiel voller cleverer, natürlich wirkender Details steckt, die dafür sorgen, dass man es komplett anders spielt als andere Shooter. Also wirklich komplett anders. Alleine die Art, wie jede Bewegung exakt so lange dauert, wie in der Realität. Oder dass man auch als Drohne sehr vorsichtig fliegen muss, denn wenn man gegen eine Wand kracht oder eine Säule touchiert, stürzt ihr ab und seid dann nur noch Zuschauer. Oder dass man schon mal durch die Funken geblendet wird, die entstehen, wenn man einen Feuerstoß in einen Metallgegenstand entlädt. In einem Spiel, in dem Millisekunden den Unterschied machen, kommen hier viele Kleinigkeiten zusammen, die ein vollständig anderen, eigenständigen Vibe erzeugen.
Die Stimmung ist unfassbar dicht, wenn ihr als letzter Spieler gegen eine Übermacht bestehen müsst und euch ein Kollege als Drohne Informationen zuspielt. Gleichermaßen zieht über einem schwirrender Mini-Quadcopter auch immer die Spannung an und zwingt zum Handeln. Kaum auszudenken, wie das wird, wenn sich hier Teams gegenüberstehen, die gut kooperieren.
Und – oh je – den beschleunigten Tag- und Nachtwechsel habe ich ja noch gar nicht erwähnt. Deathmatch und Team-Deathmatch werden grundsätzlich ohne Respawn gespielt und das geht so lange, bis eine Seite zehn Runden gewonnen hat. Mit jeder Runde wird es ein wenig finsterer, bis man eine oder zwei davon im Zappendustern absolviert. Das hatte schon was von Blair Witch Project, nur eben, dass alle anderen die Hexe sind – und auch noch Sturmgewehre haben. Man sieht die Hand vor Augen kaum, traut sich die Taschenlampe immer nur zur Orientierung einen Minimoment anknipsen. Die Viertelsekunde, die es dauert, bis ihr verräterischer Schein komplett erlischt, dauert eine gefühlte Ewigkeit, in der es einem regelmäßig kribbelig wird, bevor einen wieder die Sicherheit der Schatten verschluckt.
Bodycam muss man nicht mögen. Aber respektieren sollte man es
Bodycam wirkt noch reichlich unfertig, es ist eines der früheren Early Access Spiele der letzten Jahre. Die Performance muss noch deutlich besser werden und es spielt sich bisweilen hakelig. Aber ich hatte schon nach kurzer Zeit eine ganze Reihe denkwürdiger Momente – und ein Spielgefühl, das ich so noch nicht erlebt habe. Es arbeitet noch in mir, wie ich das alles finden soll. Doch wie auch immer ich moralisch am Ende zur … sagen wir mal “schwierigen” Ästhetik stehen werde: Als Spielkonzept muss ich respektieren, das Bodycam eine Menge gelingt, was viele nicht erst versuchen. Spannender Titel, auf den man mal ein Auge werfen kann. Wir müssen unseren Eltern ja nichts davon erzählen. Deal?