Boom, Baby! - Just Cause 3
Der Wille des Spielers ist heilig, solange es um Raketenwerfer geht.
Ja, da haben sie ja wirklich ein paar deutsche Promi-Sprecher rangeholt, inklusive Gronkh und jemandem, der wirklich Schauspieler ist, vielleicht einer der besten des Landes, für die Hauptrolle. Aber mal ehrlich, warum der Aufriss? Ist das so eine Kiste wie mit den ganzen Animations-Komödien, bei denen jeder, der vage beliebt ist, auch mal ein Cartoon-Tierchen intonieren darf? Ist das Perlen vor die Sechsjährigen und hier nicht anders? Nur, dass Just Cause wohl eher ab 18 sein dürfte?
Egal. Ja, es gibt diesmal eine Story. Okay, es gab vorher auch eine. Sie lautete ungefähr so, dass da ein Land ist, in dem ein böser Diktator herrscht, aber für das sich eigentlich niemand auf der Welt wirklich interessiert. Also schickt die CIA die drei größten Freaks, die sie haben, und lässt zwei von ihnen am Strand bei Margeritas chillen, während Rico Rodriguez aufräumen geht. Der Spieler marodiert in dem Abziehbild aus einem Robert Rodriguez Fake-Trailer durch besagtes Land, ballert alles kaputt, was vage nach Regierung, Regierungs-Truppen und Regierungs-Wappentier aussieht. Das war dann auch eine der unterhaltsamsten Spielerfahrungen der letzten Generation, schlicht, weil die Sandbox funktionierte, die Avalanche da zusammengezimmert hatte. Primitiv? Sicher. Mitunter monoton? Auf jeden Fall. Immer wieder für eine kleine Überraschung im Ablauf gut, eine unerwartete Großexplosion, eine filmreife Action-plus-mehr-Action-Einlage, die aus dem Nichts entstand und von niemanden geplant war, aber zum Besten gehörte, was der Chaot am Pad je erlebt hat? Ja, das klingt nach Just Cause.
Dementsprechend hatte ich jetzt relativ kurz vor dem Release (aktuell der 1.12.15) wenig Lust, mich mit der Handlung und geplanten Missionen zu beschäftigen - das kommt zum Test ja früh genug - und wollte viel mehr sehen, ob dieses Fundament der Serie noch da ist und ob es mit all seinem anarchischen Esprit den Sprung auf die aktuelle Technik-Generation überstanden hat. Inhaltlich ist es eh die alte Sylvester-Stallone-Story: Er kommt zurück, sie haben Vater/Bruder/Hund/Lieblingsauto getötet und er will Rache. Und wie in diesem Hollywood-Helden scheint in Rico etwas italienisches Blut zustecken, denn das Szenario ist sehr mediterran toskanisch angehaucht, nur, dass dieser imaginäre Flecken Erde - wo auch immer er genau sein soll - von einem Diktator beherrscht wird, der Superwaffe X baut. Also, zwei Stunden Auftakt übersprungen, direkt in das untere Fünftel der wie immer sehr umfangreichen Karte und zwischen malerischen Klippendörfern und dichten Pinienwäldern geht es ohne Umschweife zur Sache.
Bewegung ist in einem solchen Spiel die Essenz des Action-Balletts und Rico hat es immer noch drauf. Die Basics des Ballerns, Rennen und Autofahrens sowieso, darin war die Reihe schon immer okay. Viel wichtiger ist aber, dass ihr praktisch keine motorisierten Nahverkehrsmittel mehr braucht um schnell mal kurze bis mittlere Distanzen zurückzulegen. Der Greifhaken ist nicht neu - auch wenn Assassin's Creed aktuell gern so tut -, lässt sich nun aber noch besser nutzen, um selbst auf ebener Erde den Helden nach vorn zu katapultieren. Dabei hüpft er hoch genug in die Luft, damit ihr den neuen Wingsuit ausfalten könnt und mit hohem Tempo und geringer Höhe ein gutes Stück gleitet. Geht es langsam wieder nach unten, nutzt ihr erneut den Haken, um Schwung zu holen und das nächste Stück zu überbrücken. Es funktioniert mit ein wenig Übung - mit zehn Minuten Face-Plants sollte man rechnen - perfekt und fühlt sich schnell wie die eigentliche Form der Bewegung in dem Spiel überhaupt an. Laufen wird praktisch unnötig, es entsteht eine Open World auf Speed, in der ihr nicht mehr von Fahrzeugen oder anderen Krücken abhängig seid.
Ebenes Terrain und natürlich Klippen abwärts lassen sich mit der Kombo aus tragbarem Katapult, Wingsuit und immer verfügbaren Fallschirm leicht und präzise meistern, aber wie sieht es an Berghängen aus? Der Greifhaken verlässt sich nicht auf Automatiken, ihr zielt präzise per Tastendruck und landet genau dort, wo ihr hinwolltet. Eine Felswand lässt sich so in Sekunden bezwingen und mehr als einmal nutzte ich diese Möglichkeit um mich aus einem umkämpften Klippendorf Richtung Meereswellen nach unten abzusetzen, wenn es zu heiß wurde. Es ging ja denkbar schnell zurück in das Gefecht.
Natürlich heißt das nicht, dass es keine Fahrzeuge gäbe, dass sie nicht nützlich wären oder keinen Spaß machten. Ganz im Gegenteil. Ein Kollege fuhr auf einer Vespa mit geschulterem Raketenwerfer über die Klippen-Serpentine direkt zur örtlichen Minifestung im nächsten Dorf und zusammen mit der satten Farbgestaltung, dem hellen Sonnenlicht des Mittelmeers und der generell wirklich hübschen Grafik hatte das den Stil einer Szene aus einem gut gelaunten 90s-Action-Trash-Film. Ich persönlich bevorzuge die Werkzeuge fürs Grobe und rief über die prinzipiell immer verfügbaren, aber aus Balance-Gründen mit einem Cooldown versehenen Drops einen Panzer oder einen Militärhubschrauber und zerlegte alles, was in so einem Kaff steht und zum Regime gehört. Und wie durch ein Wunder blieben nur die hübschen Häuschen stehen, die leider nicht der sonst so munteren Zerstörungs-Engine unterliegen. Es ist also nicht möglich, alles dem Erdboden gleichzumachen und ein Land zurückzulassen, wie die Natur es schuf, nur halt mit mehr Kratern. Aber auch so gibt es genug, was sich kaputtmachen lässt.
Nach der Aufwärmrunde bei der örtlichen Polizeiwache und der Befreiung des Dorfes, die mit der obligatorischen Zerstörung der Riesenstatue abgeschlossen wurde - man muss das ja auch ein wenig inszenieren, wenn einem das Spiel schon die Freiheiten lässt -, war es an der Zeit für Überschwang. Also suchte ich mir die größte Basis des Gegners im spielbaren Gebiet heraus, eine Reihe von über hundert Meter hohen Radartürmen an der Küste, und machte mich daran, dieses durch eine vorgelagerte Festung gesicherte Gebiet fachgerecht zu zerlegen. Und zwar ganz im Stile von Just Cause, was bedeute, dass es keinen Plan gibt, keine Vorbereitung, einfach mal hingehen und gucken wie das so läuft. Zu Fuß - oder vielmehr per Greifhaken-Tiefflug - und ganz alleine.
Was folgte war eine Mischung aus Chaos, Explosionen, ein paar Toden mit anschließender Rückkehr, wobei schon Zerstörtes auch zerstört blieb, und ein paar aberwitzigen Aktionen. Mit dem Greifhaken Hubschrauber zu entern war das Kernelement des Ganzen, da deren Raketen die großen Satellitenschüsseln zerstören konnten. Also sorgte ich für großes Chaos am Boden mit initialen Shootouts - die Shootersteuerung ist in Ordnung ohne besonders zu glänzen - und dem schnellen Kapern eines Panzers, woraufhin die Bösen jede Menge schweres Gerät in das Gebiet schickten, vor allem eine Flotte von Kampfhubschraubern. Der Trick war nun, möglichst schnell einen zu kapern, denn das Böse nimmt keine Rücksicht auf Kollegen. Sobald ich an einem Heli hing, nahmen sie den unter Feuer und hatten offensichtlich kein Vertrauen in die Besatzung, mich abzuschütteln. Nicht, dass die es nicht versucht hätten. Klappte das Entermanöver, folgten wilde Sekunden aus Heli-Dogfights und dem gelegentlichen Unter-Feuer-nehmen des eigentlichen Ziels. Der Trick war, rechtzeitig aus dem Heli zu springen, während man das brennende Halbwrack in die Nähe eines weiteren manövrierte, den Wingsuit zu nutzen, um dann diesen zu kapern und weiterzumachen, wo man Sekunden zuvor aufhören musste. Und vielleicht noch zu vermeiden von der Explosion des letzten Gefährts erwischt zu werden. Das Chaos nahm noch zu, als eigentlich freundliche Rebellentruppen begannen, auf alles zu ballern, was die Farbe des Feindes trug, inklusive des Hubschraubers, an dessen Außenseite ich mich gerade noch retten konnte. Es war Chaos pur - und es war großartig.
Am faszinierendsten jedoch war, wie gut das Spiel einem die Kontrolle über das behalten ließ, was passierte. Die Steuerung funktioniert einfach tadellos. Klar, hier und da gab es mal einen Glitch und ich denke, dass ein Spiel, das so sehr die Sandbox lebt wie dieses, nie ganz davon frei sein wird, aber es spielte nicht die geringste Rolle. Teilweise im Gegenteil, es war nur ein weiteres Element im bunten Reigen von Schüssen und Explosionen, das man mal nutzen konnte und das mal Rico in ein frühes Grab brachte, auch Respawn-Punkt genannt. Es waren 20 Minuten ungefilterter, ungebremster, unkoordinierter Videospielspaß, der nicht auf Inszenierung, Dramaturgie oder Sprecherrollen fußt, sondern einfach auf dem Wahnsinn, den Spieler und Welt-KI in direkter Wechselwirkung produzieren und steigern. Dazu passt dann auch perfekt, dass ihr recht zügig eine Tonne an optionalen Mods, teilweise neu erdacht, teilweise aus den Best-of-Listen der Vorgänger übernommen, freischalten könnt, um diesen Spaß für möglichst lange Zeit frisch, kreativ und wild zu halten. Es ist selten, dass ein solcher Titel weiß, dass es manchmal das Beste ist, auch die eigenen Grundfesten und Regeln zu erschüttern, wenn es denn dem übergeordneten Ziel des Spielspaßes förderlich ist.
Also ja, das Herz von Just Cause lebt, es schlägt stark und erfüllt von der Freude an der erst liebevoll aufgebauten Sandbox und ihrer möglichst kreativen wie bombastischen Zerstörung. Das dann nach den Regeln des Spielers, die sich dieser selbst gibt - zumindest außerhalb der Story-Missionen - und ganz einfach, indem man die Werkzeuge der Bewegung optimiert, eine Menge Zeugs hinstellt und Waffen darüber auskippt. Just Cause 3 wird kein intelligentes Action-Adventure - oder zumindest wäre es die Überraschung des Jahrzehnts, sollte die Story das auch noch hinbekommen -, aber ein Spiel, das man völlig ziellos Spaß haben kann, der sich so elegant wie chaotisch aus Situationen heraus ergibt. All das funktioniert mit Teil 3 noch besser für die Serie als es zuvor schon der Fall war. Ich liebe, was ich diese zwei oder drei Stunden im Chaos der fröhlichsten Boom-Sandbox seit langem erlebt habe. Unabhängig davon, was noch in diesem Spiel passieren wird, Just Cause 3 kann, was es können muss, und das mit hinreißendem Esprit.