Borderlands 2 - Test
Gearbox setzt bei Story, Koop und Gegner-KI eins drauf und spart dabei nicht mit Erwachsenen-Humor und Gewalt.
Man muss es Gearbox lassen: Sie wären tolle Konditoren geworden. "Euch hat unser letzter Schokoladenkuchen geschmeckt? Dann probiert doch mal diesen hier! Noch größer! Mehr Edel-Kakao! Mehr Schokostreusel drauf! Mehr Schokostückchen drin! Extra Schokocreme! Plus Schokosoße! Und ein Glas Schokomilch gibt's gratis dazu!"
Würde man einen Bäcker kritisieren, weil er einfach das Erfolgs-Rezept seines ersten Kuchens nimmt und aufmotzt? Nein. Dasselbe gilt für Borderlands 2. Ist im Prinzip das gleiche Biest wie das erste Borderlands, aber mit mehr Handlung, mehr Missionen, mehr Knarren, schnelleren Fahrzeugen, mehr Gags, mehr vulgären Sprüchen, mehr popkulturellen Anspielungen, besserem Interface, dezent aufgehübschter Grafik und einem großem Eimer Splatter oben drauf. Wohl bekomm's! Gearbox liefert, was die Fans erwarten.
Storytechnisch brillant ist der neue Ober-Fiesling Handsome Jack, dessen Hyperion Corporation im Handstreich ganz Pandora erobert hat. Jetzt sucht der smarte Konzernboss nach Eridium, um eine mächtige Kreatur zu befreien und seine Alleinherrschaft zu zementieren. Die derben (!) Sprüche, die euch der egozentrische Knilch per Funk während des ganzen Spiels um die Ohren haut, lassen sogar den Joker aus Arkham Asylum blass aussehen. Dabei passt die deutsche Synchronstimme von Kai Taschner wie die Faust aufs Auge. Ironie des Schicksals, dass Taschner Gamern vor allem als der Quizmaster der You-don't-know-Jack-Reihe ein Begriff sein dürfte. Der Mann hat einfach Glück mit Jacks. Auch die restlichen Sprecher (kennt man aus Futurama und den Simpsons) leisten hervorragende Arbeit. Ihr könnt also ohne Zögern zur deutschen Synchronfassung greifen.
Die Haupt-Handlung folgt dem Credo "mehr von allem" und dürfte euch wesentlich länger beschäftigen als die Story des ersten Teils. Dabei ist der Plot überraschend vielschichtig und sogar stellenweise düster für einen Ego-Shooter mit betont spaßlastiger Oberfläche. Mehr als einmal reißt ein harter Twist die Geschichte herum und sorgt für hängende Kinnladen. Trotzdem lebt der Titel nicht vom Drehbuch der Haupt-Story allein. Wäre auch nicht sehr zweckdienlich, nur den Handlungs-Quests zu folgen. Schließlich fordert die Charakter-Entwicklung in bester Rollenspiel-Manier massig Erfahrungspunkte als Tribut. Wenn euch die Monster nicht früher oder später den Arsch versohlen sollen, müsst ihr die Stufe eures Helden kontinuierlich steigern. Zwar lassen sich manche Passagen auch durch Rennen und geschickte Sprünge überwinden, doch irgendwann steht ihr dann vor einem Biest, das vier Stufen über euch in der Nahrungskette steht und über eure Kugeln nur herzhaft lachen kann. Darum bleibt einem nichts anderes übrig, als Nebenquests zu erledigen, um Erfahrung und bessere Ausrüstung zu sammeln oder einfach los zu ziehen und aufs Geratewohl Gegner zu plätten, bis die Stufe stimmt.
Und das ist auch gut so. Denn ein Großteil des kruden Humors der Macher steckt in den kleinen Missionen am Wegrand. Da werden gerne Filme auf die Schippe genommen. Allein zwei Missionen huldigen zum Beispiel Western-Klassikern von Sergio Leone. In der einen stellt ihr das berühmte finale Dreier-Duell aus "Zwei glorreiche Halunken" nach, in der anderen spielt ihr zwei Verbrecherbanden gegeneinander aus, wie damals Clint Eastwood in "Für eine Handvoll Dollar". Als die dicke NPC-Dame Ellie beim Debriefing den Spruch brachte: "Nach dieser Nummer mit den Familien bist du The Last Man Standing für eine Handvoll Dollar, Yo, Jimbo," hätte ich fast vor Lachen meinen Kaffee über den Monitor geprustet.
Das ist freilich nur die Spitze des Popkultur-Eisbergs. In einer anderen Quest dürft ihr Volleyballnetze in Brand stecken und Typen mit nacktem Oberkörper (inklusive verdächtiger Top-Gun-Sonnenbrille) ärgern. Oder ihr verbringt zwei gähnend lange Minuten als einziger Gast auf Claptraps Geburtstagsparty, esst Pizza und pustet lustlos in eine Tröte. Oder ihr sammelt Blumen und Pornos, um ein Ratten-Schneewittchen inklusive sieben Zwergen zu bezirzen. Oder ihr kämpft gegen "Rakk Man" in seiner "Rakk Höhle", der euch mit Rakkarangs bewirft. Heiliger Metahumor, Batman!
Auch sonst erzählen die Nebenmissionen bisweilen haarsträubende Geschichten. Ob ihr nun einen Skagg-Hund gesund pflegt, eine Stadt mit Medikamenten gegen Hirnfrost versorgt, einen Bankraub mittels Skagg-Kotze-Granate verübt oder den Tresor des Waffenhändlers Marcus Kincaid aus einer toxischen Höhle bergt und euch hinterher entscheiden müsst, wie ihr mit dem "nicht-jugendfreien" Inhalt verfahren wollt.
Womit wir bei einem Aspekt von Borderlands 2 angelangt wären, der mich häufiger zu skeptischem Stirnrunzeln provozierte: Das Spiel ist stellenweise überzogen brutal. Hier überschreitet Gearbox Grenzen, an die sich die Entwickler im ersten Teil nicht herangewagt hatten.
Klar ist Pandora kein Kinderspielplatz. Die USK-Einstufung ab 18 scheint mir beim zweiten Teil aber weit nachvollziehbarer als beim Vorgänger. Es sind nicht einmal die vulgären Flüche, blutrünstigen Sprüche oder pubertären Zoten ("Arschgaul", "Fotzi-Viech", "Ständerfurz"), über die ich hier die Nase rümpfe. Es sind auch nicht die explizit dargestellten Todesarten durch Elementar-Schäden wie Säure oder Feuer oder die Hektoliter vergossenes Blut. Das alles wird immer mit einem Augenzwinkern inszeniert und durch den Cartoon-Look des Spiels ein Stück weit entschärft.
Was mich jedoch irritiert hat, waren Quests wie jene um einen Kult, der die Sirene Lillith als Feuer-Göttin verehrt. Nicht nur, dass ihr ein paar Banditen einäschern und ihre Überreste sammeln sollt - am Ende führt ihr ein rituelles Menschenopfer mit einem gefesselten Zwerg durch, der schreiend und zappelnd per Kran in den Strahl eines Flammenwerfers geschoben wird. Starker Tobak. Da fehlte jede ironische Leichtigkeit. Noch krasser war jene Nebenquest, in der ein Bandit buchstäblich von euch verlangt, ihm ins Gesicht zu schießen. Kein Witz. Der Kerl springt auf und ab, deutet auf sein Gesicht und trägt eine Leuchtreklame in Pfeilform um den Hals, die blinkend auf seinen Kopf zeigt. Erfüllt ihr ihm seinen Wunsch, bedankt er sich und fällt mir zerfetztem Haupt in den Staub. Dafür gibt es das Achievement "Das war einfach" und ein paar Erfahrungspunkte. Ein zynischer Kommentar zur Gewaltdebatte? Ein Seitenhieb auf "The Last of Us"? Derbe Satire gar? Oder doch nur geschmacklos und unnötig? Das liegt im Auge des Betrachters.
Die Steuerung entspricht den üblichen Standards. Ein wenig ungewohnt ist allein die Tatsache, dass es keinen Fallschaden gibt und man selbst von höchsten Türmen unbeschadet zu Boden springen kann. Da mir das jedoch einige Laufwege ersparte, nahm ich es dankbar als Feature an. Auch beim Interface-Design hat sich verhältnismäßig wenig geändert im Vergleich zum Vorgänger. Und genau hier schwimmt für mich das Haar in der Suppe: Spielt man mit Gamepad auf der Konsole, gibt es nichts daran auszusetzen. Ich finde es allerdings ärgerlich, dass ich am PC das gleiche Interface vorgesetzt bekomme wie ein Konsolero. Dadurch wird es unnötig umständlich, Gegenstände aus dem Inventar auszurüsten, miteinander zu vergleichen, im Bankfach zu verstauen oder in Claptraps Charakter-übergreifendes Geheimversteck zu verschieben. Hier hätte man ruhig Drag & Drop und andere Selbstverständlichkeiten für PC-User integrieren können. Gerade bei der unglaublichen Anzahl an Schießprügeln und Ausrüstungsgegenständen hätte mir das einige Klickerei erspart.
Waffen, Schilde, Granaten, Module und deren Hersteller sind dieses Mal optisch weit besser voneinander zu unterscheiden und werden sogar direkt an eurem Charakter angezeigt (ja, sogar Schilde und Artefakte hängen euch am Gürtel). Die Herkunft macht sich zudem bei den Namen der Waffen bemerkbar. Während Banditen einen Rechtschreibfehler nach dem anderen raushauen und ihre Knarren eher zweckdienlich zusammenschrauben, Dahl betont militaristisch daherkommt und Jacobs durch antikes Holz und fehlendes Automatikfeuer glänzt, protzt Hyperion mit vermeintlich schlauem Fachjargon (Projektil-Diversifikation) und schicken Lichtern. Sogar seltene sprechende Waffen gibt es zu erbeuten, die entweder sarkastische Kommentare drauf haben oder einfach nur nerven. Die verschiedenen Seltenheitsgrade, Unique-Fähigkeiten und Kombinationsmöglichkeiten der Items machen Borderlands 2 zum neuen Paradies für Loot-Junkies.
Und mal ehrlich: Jeder Borderlands-Spieler hat da seine persönlichen Favoriten, für die er zig Durchläufe in Kauf nimmt, jeden Stein umdreht und jede Kiste öffnet. Ob nun Säure spritzende Scharfschützengewehre, eine brandgefährliche SMG, Schrotflinten mit Explosiv-Munition oder Raketenwerfer mit Elektroschock-Geschossen - Elementarattacken sind das Salz in der Suppe und jeder Gegner ist anfällig für eine andere Schadensart.
Das Kreaturen-Repertoire klingt mit Banditen, Robotern und einer Handvoll Monstrositäten nicht gerade üppig, doch ihre verschiedenen Varianten und Angriffs-Strategien sorgen für einige Abwechslung. Mal besitzt euer Widersacher eine Elementar-Waffe, Mal kann er sich tarnen oder wirft euch zu Boden, blendet euch oder sprengt sich selbst in die Luft. Dabei nutzen eure Gegner die Umgebung geschickt aus und verfolgen euch sogar auf und über Hindernisse, die sie im ersten Teil überfordert hätten.
Auch die Interaktion der Feinde untereinander ist komplexer als im Vorgänger. Ob nun fliegende Drohnen andere Roboter heilen, Banditen aufeinander losgehen, ein riesiger Tresher mit wild schwingenden Tentakeln auftaucht und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich lenkt oder Elementar-Skaggs kleinere Exemplare mit ihren Kräften aufrüsten - ihr werdet euch auf einige Überraschungen gefasst machen müssen. Manchmal ist es klüger, die verfeindeten Gruppen es unter sich ausmachen zu lassen, manchmal muss man die kleinen Helferlein zuerst ausschalten, manchmal bleibt einem nur die Flucht, um Munition aufzutanken oder den Waffentyp zu wechseln.
Bei Bossen wird es noch heikler. Hier gibt es die üblichen Phasen, in denen ihr eure Strategie ändern müsst und Immunitäten zu beachten. Nicht selten segnet ihr durch einen unbedachten Schritt das Zeitliche und müsst vom letzten Speicherpunkt aus zurücklaufen. Zum Glück sind Gewaltmärsche selten und die Strecken meist kurz. Die Fahrzeuge sind auch dieses Mal eher nette Dreingabe als wirklich wichtiger Spiel-Inhalt. Mal sehen, ob zukünftige DLCs hier neue Impulse bringen.
Die Landschaften von Pandora bieten das Übliche - Gletscher, Grasland, Städte, Wüste, Innenräume, Höhlen, Minen. Allerdings sind überall kleine Details versteckt, die dem Ganzen einen liebevoll-sympathischen Charakter verleihen. Plakate, Skulpturen, interessante Gebäude, NPCs im Gespräch, Lautsprecherdurchsagen, Einarmige Banditen, mit denen man richtig spielen kann oder ein Zug, der mit Hochgeschwindigkeit durch die Ortschaften rast. Bisweilen sind sogar Aufgaben ohne explizite Quests zu finden, wie zum Beispiel spontane Schalterrätsel oder besonders abgefahrene Gegner. Interaktive Objekte wie Windfahnen oder Ferngläser bringen außerdem Achievements und Badass-Punkte, wenn man sie denn alle findet. Schon allein deswegen lohnt es sich, spontane Entdeckungsreisen zu unternehmen und auch den letzten Winkel der Karte zu erforschen. Die Karten-Layouts und Speicherpunkte wirken insgesamt durchdachter als im ersten Teil, wodurch das Spiel an Tempo gewinnt. Auch wenn man die Landschaftstypen alle schon einmal gesehen hat, wirkt Pandora als solches sehr lebendig. Außerdem gibt es einen festen Tag-Nacht-Rhythmus, der zusätzlich für Stimmungswechsel sorgt.
Was mir außerdem sehr gut gefiel, waren die Badass-Skills, mit denen ihr nicht nur einen, sondern all eure Charaktere gleichzeitig verbessert. Zum Beispiel dürft ihr eure Feuerrate erhöhen, eure Schilde verstärken oder mehr Munition tragen. Habt ihr eine gewisse Anzahl Feinde unter die Erde gebracht oder einen anderen Meilenstein erhalten, bekommt ihr ein Badass-Token. Sobald ihr es einlöst, dürft ihr aus sechs zufälligen Boni wählen, die dann um ein paar Prozent-Bruchteile erhöht werden. Das klingt nicht nach viel, doch es läppert sich mit der Zeit. Besonders, da es für Badass-Skills nach oben keine Grenze gibt. Einige Prozentpunkte auf Lebensenergie oder Zielsicherheit erleichtern den Start in einer neuen Klasse, wenn auch nicht so sehr, dass es euch dadurch zu leicht gemacht wird.
Die vier verschiedenen Klassen (die Mechromancer-Klasse ist Download-only) ergänzen sich untereinander hervorragend und das Teamspiel ist grandios. Als Sirene Maya kann ich per Phaselock nicht nur Gegner hilflos in der Luft schweben lassen, ich kann mit den richtigen Skills auch Kameraden wiederbeleben, sie durch meine Kugeln heilen oder Gegner umdrehen, damit sie für uns kämpfen. Die Kräfte der jeweils drei Fertigkeitenbäume bauen sinnvoll aufeinander auf und erlauben sowohl alleine als auch im Team eine Menge interessanter Tricks und Synergien. Zum Beispiel profitiert der schwertschwingende Assassine Zer0 davon, wenn Feinde dicht beieinander stehen. Warum also nicht den Phaselock der Sirene mit einem Skill aufrüsten, der nahe Gegner zu sich zieht. Dazu dann noch Feuerschutz durch Commando Axton und schon metzelt sich das Team locker durch das größte Feindaufgebot. Das Matchmaking und das Teilen laufender Partien mit Spielern online konnte ich während meines Tests noch nicht in der Praxis ausprobieren, die Optionen versprechen aber sehr viel Flexibilität und haufenweise spontan zusammengewürfelter Gruppen. Wobei man allerdings im Hinterkopf behalten sollte, dass im Mehrspieler Loot für alle sichtbar droppt und ihr schnell sein müsst, um begehrte Waffen abzustauben.
Gearbox kann sich für Borderlands 2 auf die Schulter klopfen."
Gearbox kann sich für Borderlands 2 auf die Schulter klopfen: Schon wegen der vielen kleinen Ideen während der Nebenquests, der unzähligen Gags, der tollen Charaktere und der spannenden Haupt-Story hat mir der zweite Ausflug nach Pandora großen Spaß gemacht. Meine Charakterklassen aufzubauen, ist so befriedigend wie seinerzeit im ersten Teil und mit den verschiedenen Skills zu experimentieren, wird vor allem beim Teamspiel interessant.
Die Spielwelt, das Design der Figuren und die Gegner-KI fand ich ebenfalls gelungen. Man merkt dabei besonders an den kleinen Details, wie viel Arbeit die Entwickler in den Shooter gesteckt haben. Der Umgang mit Brutalität hätte ruhig etwas differenzierter vonstattengehen dürfen - da erwarte ich noch die eine oder andere Diskussion. Das Gameplay selbst ist - zum Glück - identisch zu dem des Vorgängers geblieben. Die stete Suche nach der "optimalen" Ausrüstung und das Befeuern derselben durch zufallsgenerierte Items mag zwar als ein simpler Trick erscheinen, um die Leute bei der Stange zu halten, doch auch hier hat schon so mancher Entwickler ins Klo gegriffen. Gearbox hingegen hat die Stärken des ersten Borderlands konsequent ausgebaut und damit wieder jenen Sog geschaffen, der einen zu immer neuen Durchgängen motiviert. Manchmal ist es halt durchaus schlau, ein Erfolgsrezept nicht allzu sehr zu ändern.