Borderlands 3 - Test: Schimpf- und Schießsimulator 3.0
Schlappschwänze bleiben draußen ... und wenn sie schon gestorben sind, gibt's trotzdem noch 'nen Spruch!
Ihr seid ja schon wieder da! Haben euch die Beschimpfungen vom letzten Mal nicht gereicht, ihr Schlappschwänze? Wollt ihr etwa hören, dass ich euch fürs nächste Mal ein besseres Leben wünsche, nachdem ich euren bemitleidenswerten Körper erst durchlöchert und anschließend mit ätzendem Schleim zersetzt habe?
Ist es OK, wenn euch ein "Ist das alles, ihr Loser?!" entgegengeschleudert wird, wenn es... nun ja, erneut ausgereicht hat und ihr namenlosen Taugenichtse dem Erdboden gleichgemacht werdet? Ja? JA? Gut, dann willkommen zum Test von Borderlands 3. Oder, wie ich es auch nenne: Schimpf- und Schießsimulator 3.0.
Eine große Fresse zu haben, ist vielleicht kein Ruhmesblatt, aber es hat mir immerhin geholfen, unbeschadet durch meine Schullaufbahn zu kommen. Von daher kann ich wohl zurecht behaupten, mich mit Sprücheklopfen auszukennen. Borderlands 3 passt da, wie seine Vorgänger, eigentlich ganz gut rein. In diesem Universum wird jeder mit einer großen Klappe geboren - und viele - verlassen sie auch mit einem Kalauer auf den Lippen. So sie zum Zeitpunkt ihres Ablebens überhaupt noch ein Gesicht haben.
Es war und ist ein Markenzeichen der Reihe, vollkommen überzeichnete Charaktere zu präsentieren, die aufgeblasen ihre Weltsicht verkünden. Das konnte und kann man nicht ernst nehmen, zumal das alles ja in einer pikfeinen Cel-Shading-Optik daherkommt, die dabei hilft, Gewalt und Gore zu relativieren. Entwickler Gearbox ist schlielich selbst so eine Art überkandidelter Marktschreier, der mit angeblich mehr als einer Milliarde verschiedener Waffen für das Spiel wirbt. Als wenn diese Zahl irgendeine Bedeutung jenseits der Angeberei hätte. Doch bei halbstarken Teenagern - siehe oben - kommt diese markige Message bestimmt gut an. Oder bei Waschlappen wie euch.
Das hat jetzt nichts damit zu tun, dass ich mit der Handlung nur bedingt warm werde. Zum einen lässt sich meine Distanziertheit sicher mit der recht beliebigen Erzählung erklären, aus der ich kaum wirklich schlau werde. Es gibt da einige böse Buben und ihren Kult (Kinder der Kammer), die am Rande der Galaxis (Borderlands, huh?!) ein paar Planeten terrorisieren. Und was liegt näher, als abenteuerlustige Menschen - sorry, BADASSES! - wie euch und mich als Kammer-Jäger zu bezeichnen? Genau.
Die Calypso-Zwillinge als neue Antagonisten bleiben relativ blass, sie sollen wohl so eine Art durchgeknallte, futuristische Influencer-Plage darstellen. Ihre Auftritte sind ein bisschen fremdschämig, aber das führt letztlich dazu, dass ich sie für ihr Dasein hasse. Und damit bieten sie mir zumindest eine sehr gute Rechtfertigung für diese Ballerorgie. Mission erfüllt. Tyreen ist als Bösewicht aber bei weitem nicht so charismatisch wie Handsome Jack und schon lange kein so großer Ar****. Ihr Bruder Troy ist eh nur das ungeliebte Anhängsel einer Nervgöre, deren Geplapper man oftmals gerne überspringen möchte. Mag daran liegen, dass die meisten Auftritte in holografischer Art daherkommen und das Persönliche dadurch etwas flöten geht.
Vielleicht lässt es sich damit erklären, dass die Jagd nach der ominösen "Kammer" und der Rettung der Galaxis für mich nicht greifbar genug ist als Motiv. Ähnlich geht es mir aber auch mit den Kammer-Jägern, aus denen sich ja die vier Helden-Figuren rekrutieren. Sie bleiben mir als Charaktere seltsam fremd. So richtig sympathisch ist mir jedenfalls keiner von ihnen, auch wenn mir die arrogante Affektiertheit von Moze schon ein bisschen entgegenkommt. Ist aber nicht so schlimm, denn Doomguy ist mir auch eher suspekt, Doom spiele ich trotzdem sehr gerne.
Und da sind wir beim Kern von Borderlands 3, denn auch das spiele ich trotz anfänglicher Skepsis mittlerweile ziemlich leidenschaftlich. Wobei das noch untertrieben ist. Eigentlich suchte ich es auf der Suche nach der letzten Loot-Kiste, der nächsten strahlenden Belohnung, die ich mir unbedingt unter den Nagel reißen will. Ich denke hier allerdings nicht, wie bei anderen Spielen dieser Art, über die besten, coolsten Builds für die einzelnen Charaktere nach. Ich war selten jemand, der bei Reddit & Co. nach dem perfekten Skill-Tree gesucht hat, sondern gehe lieber einen individuellen Weg. Vielmehr macht es für mich der Mix aus den vielen lockeren Sprüchen und der unbändigen Lootspirale aus, der mich packt und zum Weiterspielen motiviert. Es gibt unzählige Objekte, die man aufmachen kann - mal ist es eine Toilette, ein Kühlschrank, ein Karton oder ein Safe. Selbst wenn ich weiß, dass ich keine Munition mehr brauche, ÖFFNE ICH TROTZDEM DIESE VERDAMMTE NÄCHSTE KISTE!!!
Es ist sinnlos, denn die Gier nach immer neuen Belohnungen treibt mich unermüdlich an. Noch viel spannender finde ich die etlichen versteckten Loot-Kisten, für die man die Level vollständig abgrasen muss. "Wie komme ich da nur rauf", grübelte ich nicht nur an einer Stelle. Oft verbringe ich mehr Zeit damit, nach versteckten Passagen zu suchen, dabei in diverse Tode zu stürzen, als dass ich Gegnern hinterherjagen würde. Wenn sich nach so viel Mühe dann später die ersehnte Truhe öffnet und sie endlich das leuchtende Crack ausspuckt, ist es jedes Mal wie Weihnachten. Und das zehn Mal am Tag! Das bedeutet andererseits: Einziger Wehrmutstropfen: Dass man Loot-Boxen in einem gewissen Winkel anschauen muss, damit sie sich öffnen lassen, kann dem Geschehen den "Flow" nehmen.
Insgesamt hat Borderlands 3 im Vergleich zum zweiten Teil spielerisch aber einen immensen Fortschritt gemacht. Das Trefferfeedback wurde erheblich verbessert. Was früher eher schwammiges Kugelsprayen war, ist jetzt einem präzisen Aiming mit Wumms gewichen. Das Gunplay oder Waffen-Handling - nennt es wie ihr wollt - ist um ein bis zwei Klassen besser und die Schießereien damit ohne Ende befriedigender. Was in diesem Sinne eine Menge ausmacht, ist neben dem vortrefflichen Sound der Knarren die Umsetzung ihrer elementaren Effekte.
Damit meine ich zum Beispiel, wenn Schusswaffen mit brand- oder korrosiver Schadenswirkung eingesetzt werden. Es macht tatsächlich oft einen riesigen Unterschied, welche Art von Schießeisen ich gegen bestimmte Typen von Gegnern einsetze. Das finde ich richtig cool, weil es den Gefechten viel mehr Spieltiefe einflößt. Anfangs ist das noch vollkommen egal, aber spätestens ab der dritten Welt (Athens) greifen auch die Kultisten und andere Fieslinge zu diesem Mittel, ziehen in ihrer Cleverness und Taktik deutlich an. Und, ja, ich gebe es zu: Die rohe Gewalt und der nicht gerade geringe Gore-Anteil lassen mich zusätzlichen Spaß an dem Splatterfest haben. Apropos Sound - ein kleiner Tipp: Ihr habt viel mehr von der fetten Musik, wenn ihr die übrige Geräuschkulisse herunterdreht, da der Soundtrack sonst leider untergeht.
Borderlands 3 hat andererseits Verbesserungspotenzial: Was mich zum Beispiel stört ist, dass es im späteren Spielverlauf einfach zu wenig Verkaufsautomaten gibt. Das ist absurd, weil man gerade dann mit Loot zugeschüttet wird, das ganze Zeug aber wegen des eindeutig zu kleinen Rucksacks (auch in Maximalausfertigung) kaum wegschleppen kann. Für ein ausgesprochenes Loot-Game wie Borderlands 3 ist das ein No-Go.
Jede der vier Klassen besitzt einen eigenen Skill-Tree mit diversen Fertigkeiten, so kann sich jeder auf individuelle Spielstile spezialisieren. Für mich ist das fast zu viel des Guten - ob ich jetzt hier ein bisschen den Schaden anhebe oder dort die Schilde verstärke, ändert an meiner subjektiven Spielerfahrung erst mal recht wenig. Da ich hauptsächlich mit Moze spiele, betreffen viele Skills den Mech-Anzug, den man ja nur alle paar Minuten rausholt, weil er eine Downtime hat. Ich verteile die Skillpunkte zwar trotzdem. Eine Wissenschaft muss man daraus aber nicht machen, um Spaß mit dem Spiel zu haben. Für euch mag das aber noch eine zusätzliche Motivation sein, die Kammer-Jäger weiter aufzuleveln und ihnen neue Fertigkeiten zu verleihen.
Übrigens: Oben erwähnte ich ja, dass das Spiel später anspruchsvoller wird. Der vermehrte Einsatz von Elementarattacken hat zur Folge, dass es auf dem Bildschirm deutlich bunter und unübersichtlicher wird. Ein weiterer direkter Nebeneffekt: Die Technik wird stärker belastet (ich spiele auf PS4 Pro). Sprich: Während ich in den Startgebieten keinerlei Probleme mit Framedrops hatte, sieht das später etwas anders aus. Es ist niemals in dem Bereich von "unspielbar". Aber insbesondere im Auflösungsmodus (30 FPS bei 1800p) schwächelt Borderlands 3, das ja diesmal die Unreal Engine 4 benutzt. Obwohl etwa Gears 5 mit derselben Engine stabile 60 FPS hinbekommt, klappt das hier auch im Leistungsmodus (60 FPS, 1080p) nicht. Meine Beobachtungen entsprechen da überwiegend denen der Kollegen von Digital Foundry, wobei die Framerate auch im Auflösungsmodus (Singleplayer!) zu keinem Zeitpunkt dramatisch schlecht geworden ist.
Ich persönlich spiele im Performance-Mode habe damit auch im Koop-Modus gute Erfahrungen gemacht - und genau das empfiehlt Gearbox. Außerdem soll man bei Problemen die "Social-Nachrichten-Häufigkeit" herunterdrehen - ich empfehle, sie ganz auszustellen. Oder ist es für euch wichtig, dass einer eurer Kumpels gerade Mission X oder Herausforderung Y abgeschlossen hat? Na also. Die Entwickler haben übrigens einen Optimisierungs-Guide veröffentlicht, der die bedeutendsten aktuellen Probleme (u. a. kaputte Cloud-Saves) anspricht.
Ein Wort noch zum Humor: Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Qualität der Kalauer sehr stark schwankt. Diese Art von Dampfhammer-Witzen ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Manchmal sind die Sprüche schon ganz lustig, etwa, wenn eine Figur daherfaselt, dass sie von jemandem mit einem Löffel angegriffen wurde und sie sich fürchterlich über diesen Affront aufregt.
Ich will nicht lügen - Borderlands 3 stand auf meiner Liste in diesem Herbst nicht sehr weit oben. Ich bin wohl von den oft seelenlosen Open-World-Shootern übersättigt. Der Schimpf- und Schießsimulator 3.0 hat dennoch das gewisse Etwas, das mich immer wiederkehren und viel Spaß haben lässt. Ich denke, es ist diese exquisite Nonchalance, mit der man genüsslich Gegner mit verschiedensten Waffen und Elementarschäden zerlegt, sich das Loot einsackt, noch einen blöden Spruch dalässt und ohne große Konsequenzen weiterzieht. Dass mir die Handlung dabei eher schnurz ist und die Charaktere mir kaum ans Herz wachsen, kann ich angesichts der motivierenden Gefechte und Loot-Hatz verschmerzen. Denn die Kernmechaniken von Borderlands 3 - Ballern, Looten, sich Badass fühlen - funktionieren tadellos und es gibt in diesen Bereichen zweifellos eine spürbare Weiterentwicklung seit Teil zwei.
Der mit dem Holzhammer vorgetragene Humor kann jedoch nur teilweise überzeugen - ein ums andere Mal verdrehe ich eher die Augen als, mich vor lachen zu krümmen. Wer mit Borderlands vorher schon nichts anzufangen wusste, den wird der dritte Teil kaum bekehren. Dennoch fühlt sich die Fortsetzung tatsächlich mehr nach einer "neuen Episode" an als nur einer Erweiterung oder einem Borderlands 2,5. Waschlappen wie ihr, ich meinte natürlich "Borderland-Fans", bekommen mehr von dem, was sie verdienen: voll aufs Fressbrett!
Entwickler/Publisher: Gearbox/2K - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 60 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: ja, Kosmetisches - Getestete Version: PS4