Borderlands
Ballern wie im Bilderbuch
Ich bin ein Schwein. Während meine Kampfgenossen noch die riesigen, in Regenbogenfarben schimmernden, krabbenartigen Kreaturen in der nahe gelegenen Schlucht mit so viel Blei zu füttern versuchen, wie wahrscheinlich jährlich von Weltmarktführer China produziert wird, mache ich mich unbemerkt aus dem Staub. Weil: Eine Truhe hat meine Aufmerksamkeit geweckt. Vielleicht ist da ja was Tolles drin? Sollen die anderen sich doch mit dem Mob abmühen, hrhrhr.
Wäre das hier jetzt World of WarCraft, und wären die verzweifelt im Wüstenstaub ums Überleben kämpfenden Kasper nebenan meine Gildenheinis, würde ich später vermutlich einen Mördereinlauf kriegen und meine Entlassungspapiere obendrauf. Dann hätte meiner einer anschließend keine Freunde mehr und müsste letztlich in der Badewanne die Tränen trockenföhnen.
Zum Glück häng ich aber nicht bei WoW ab, sondern als Eurogamer-Abgesandter in einer düsteren Münchner Kneipe. Borderland-Pressetermin! Und ich pfeif auf Koop! Vor allem, weil die drei in der Nähe umeinanderwurstelnden Typen eh von der Konkurrenz sind. Sorry, verehrte Berufskollegen, ich fühle mich just in diesem Moment nicht so „coop-affin“, um es mal wie ein saucooler Marketing-Student auszudrücken. Außerdem könnte in dieser Truhe ja echt was Tolles sein …
Fröhlich Falcos „Egoist“ summend, schubse ich den massig-muskulösen Pixelkörper meines Berserker-Charakters in der Ego-Perspektive über den rissigen Boden. Die glutrote Sonne brennt am wolkenlos blauen Himmel, vorbei geht’s an ein paar dürren, trockenen Gräsern durch eine wie gemalt wirkende Welt. Was – das fällt mir dank meiner übermenschlichen Auffassungsgabe bereits 17 Minuten später auf – eventuell unter Umständen möglicherweise vielleicht daran liegen könnte, dass es eine gemalte Welt ist: So würde wohl Texas in einem stilvollen Erwachsenen-Comic aussehen. Da passt es wie ein haariger Popo auf die Toilettenschüssel, dass die mit schwarzer Tusche gerahmten Gegner fettes Filzstiftrot ausscheiden, wenn sie abnibbeln.
Während der Feuergefechte in Borderlands schwirrt ständig bonbonbunt Gedrucktes über den Bildschirm, das sich dem Auge wegen der sonst eher schmutzigbraunen, postapokalyptischen Mad-Max-Umgebung förmlich aufdrängt. Wortmeldungen wie „Critical!“ – bei Treffern in besonders schadensintensive Körperregionen. „Level up!“ – sobald das Alter Ego eine neue Stufe des Seins erklimmt. Oder „Fight for your Life!“, sollte die eigene Lebenskraft gen Null sinken. In solchen Momenten bietet einem der Rollenspiel-Ego-Shooter freundlicherweise die Chance, sich noch zu retten. Ihr müsst dafür allerdings so schnell wie möglich einen Gegner wegbrezeln, was im Zustand des Dahinsiechens gar nicht so einfach ist.
Die Grafik von Borderlands hat bereits für viele Diskussionen gesorgt. Schließlich war sie zunächst auf realistisch gebürstet, ehe den Machern ein Gedankenblitz durchs Hirn schoss, der von Gearbox-Obermacker Randy Pitchford heute so umschrieben wird:
„Eines Tages fragten wir uns: Warum kann das Spiel nicht aussehen wie unsere coolen Grafik-Entwürfe? Warum soll es aussehen wie jedes andere Spiel?“
„Warum nicht?“, fragt der Außenstehende daraufhin treudoof.
Pitchford erklärt den Wechsel zum zeichentrickartigen Stil mithilfe eines Beispiels aus der Automobilbranche: „Bei Prototypen sagt man sich oft: Wow, das sieht ja klasse aus! Das Ding hat Stil, das besondere Etwas, einen besonderen Kniff. Und dann wird es nie so gebaut. Warum nur? Es ist, als hättest du ein hammermäßiges Konzeptauto, und plötzlich tauchen irgendwelche dahergelaufenen Marktforschungheinis auf, empfehlen hier und da ein paar Änderungen, und am Ende hast du … einen Ford.“ Ins Deutsche übersetzt müsste es wohl „einen VW“ heißen.