Botanicula - Test
Keine Panik in der Botanik: Fünf kernige Typen retten die Wälder.
Das tschechische Studio Amanita Design macht in mehrfacher Hinsicht komische Spiele. "Komisch" im Sinne von "lustig" genau so oft wie von "bemerkenswert". "Anders" sind sie aber immer, funktionieren sie doch meist nur in Ansätzen nach eingeschliffenen Computerspielregeln. Diese Eigenartigkeit kann man sich vermutlich am leichtesten erklären. Was soll auch sonst dabei herauskommen, wenn ein Absolvent der Prager Akademie der Künste eine Design-Firma ins Leben ruft, die sich weniger der klassischen Spielentwicklung, als der Erstellung interaktiver Inhalte in Flash verschrieben hat? Neben Spielen gestaltet Amanita schließlich auch Internetseiten und Musikvideos.
Wo der harte Kern der digital Spielenden "Flashspiel" allgemein jedoch eher als Schimpfwort benutzt, imponieren Amanitas Kuriositäten durch das markante, entrückte Aussehen ihrer in fantasievollen Anderswelten. Zudem führt der Entwickler in seinen Projekten Klang und Grafik zusammen wie wenige andere Spieleschaffenden. Spiele wie Machinarium (dessen umwerfender Soundtrack gerade aus meinen Kopfhörern summt) zehren unermesslich von den fantastischen Klangteppichen, die jede Szene sphärisch verträumt, manchmal regelrecht catchy post-poppig vertonen. Musik und Illustrationen passen hier zusammen wie selten und Amanitas neuestes Spiel, Botanicula, bildet da keine Ausnahme.
Nach dem eher klassischen Abenteuer in der blechern klappernden Roboterwelt von Machinarium geht Botanicula jedoch wieder in eine experimentellere Richtung. Der leichte Kurswechsel steht dem Spiel von der ersten Minute an ins Gesicht geschrieben, meint man hier doch, durch ein starkes Mikroskop in eine Baumwelt zu blicken, in der jeder Samen Augen, Arme, Beine und ein eigenes Gemüt hat. Der Stil ist, wie immer bei den gelernten Designern, ein Gedicht. Schräg, dabei weicher, organischer und farbenfroher als zuletzt, versprüht Botanicula den leicht kaputten und irgendwo auch etwas beunruhigenden Vibe, der so nur aus der östlichen Hälfte Europas kommen kann.
Ist am Anfang in dem schimmernden, pulsierenden Biotop noch alles in Ordnung, steht die Welt mit einem Mal auf der Kippe, als vielbeinige Dunkelwesen beginnen, der Vegetation jegliches Leben zu entziehen. Euer Quintett unwahrscheinlicher Helden, das sich aus verschiedenen Kernen, einer Mohnkapsel und einem kleinen Pilz rekrutiert, macht sich auf den Weg, eine Lösung zu finden. Dabei geht es durch eine Unzahl einzeln umschaltender Screens, die an und für sich meist mehr ein wuseliges Bilderrätsel darstellen, als eine traditionelle Adventure-Spielumgebung. Denn anstatt eure Helden direkt durch Point-and-Click-Umgebungen zu dirigieren, ist es die Welt selbst, die ihr durch Ertasten mit dem Mauszeiger, dem Anklicken oder Ziehen manipuliert. Eure kernigen Untergebenen treten erst dann in lustig animierte Aktion, wenn ihr das aktuell richtige interaktive Element auf die gefragte Weise mit eurem Cursor bearbeitet habt.
Dies lässt natürlich nicht den meisten Raum für große Kombinationsrätsel oder überhaupt echte Rätsel. Doch Botanicula will - wie gesagt - eine andere Art von Point-and-Click-Spiel sein. Viel vom Spaß dieser Entdeckungsreise entlang fluoreszierender Zweige und Äste rührt einfach von der Freude an der Interaktion mit der Welt per Mauszeiger. Jeder Halm und jedes Blatt wiegt sich bei Kontakt mit der pfeilförmigen Verlängerung eurer Finger. Und ein Klick auf Schnecken, Morcheln und andere Baumbewohner wird, wenn schon nicht mit einem für euer Fortschreiten notwendigen Gegenstand, dann zumindest mit einer unterhaltsamen Animation quittiert, bei der es einem fast unweigerlich immer die Mundwinkel nach oben zieht. Selbst wenn man selten wirklich weiß, was hier gerade passiert ist. Man klickt, zieht und tippt, was das Zeug hält. Nicht nur, weil einem das Spiel kaum eine andere Form der Betätigung erlaubt, sondern einfach, weil man sehen will, wie viele perplexe Pinguine noch aus dem Miniatur-Iglu geschlittert kommen, den ihr skurrilerweise in einer der Astgabeln entdecktet. Situationen wie diese verleihen Botanicula eine traumartige bis milde berauschte Qualität.
Die wird von der erneut exzellenten Klangkulisse perfekt untermalt. Dieses Mal stammt der akustische Teppich jedoch nicht von Musiker Tomas Dvorak, sondern von dem Alternative-Duo DVA. Dicht aber dennoch betont Low-Fi decken sie mit vielen Handclaps, Glockenspiel, Rasseln, Waschbrettern und Summereien von ruhig-niedlich bis fiebrig-verstörend ein breites klangliches Spektrum ab. Exzellent gefällt auch, dass alle Soundeffekte, vom Brummen eines geflügelten Insekts bis hin zum Zerplatzen einer Seifenblase nicht etwa im klassischen Geräuschemacher-Verfahren erzeugt wurden, sondern nur mit Stimmen. Einem Ballon, den ihr antippt, entweicht alle Luft mit einem lustigen "pffffffff ...", während Kollisionen schon mal nach mit einem simplen Zungenschnalzen klingen. Erneut ist es hier Abstraktion, die dem Spiel eine Extra-Portion Charakter verleiht. Passend zum surrealen Look des Abenteuers geht das Spiel so vor allem auch durch den Gehörgang direkt ins Herz.
Wann immer Botanicula dann versucht, mehr "echtes" Spiel zu sein, merkt man dann aber auch, dass dies nicht unbedingt die größte Stärke von Amanita ist. Das gelungenste rein spielerische Element ist sicher das Sammelkarten-Quartett. Nach eurem ersten Kontakt mit einem neuen Wesen, wandert dieses als lustig animiertes Artwork in euer Inventar, was zwar nicht wirklich etwas zu bedeuten hat, aber irgendwo trotzdem dazu anregt, jeden Bildschirm ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Weniger gut gelungen sind hingegen einige der Rätsel. Im Grunde kann man sie sogar besser nur "Versteck für Quest-relevante Gegenstände" nennen. Hier und da ist die Lösung einfach, drei, vier oder fünf Mal auf einen interaktiven Gegenstand zu klicken, bis das passiert, was euch weiterbringt.
Ein Puzzle, bei dem ich ein gerupftes Huhn durch das Drücken drei verschiedener Spender aus ebenso vielen Einzelteilen zusammensetzen musste - fragt nicht -, erschien mir über die Maßen kompliziert, denn die gefragte Klickabfolge schien sich jedes Mal zu ändern. Sollte ich hier auf dem Schlauch stehen und einfach nur die offensichtliche Lösung übersehen, lasst es mich wissen. Nicht selten ist es auch schwierig zu beurteilen, welche Interaktionen und Klicks nun wirklich für euer Weiterkommen relevant sind, doch das sorgt nur selten für Irritationen - nichts, was sich nicht durch gründliches Untersuchen der möglichen Screens beheben lassen würde. Stecken bleibt man jedenfalls fast nie wirklich länger als fünf Minuten. Und wenn man ehrlich ist, macht man die gesamte Spieldauer über große Augen und verlebt zwischen den charmanten Chlorophyll-Produzenten eine wirklich angenehme Zeit.
So sehr Botanicula damit unverkennbar ein typisches Amanita-Spiel ist, so wenig ist es auch ein wirklicher Nachfolger von Machinarium. Freunde gehobener Kombinationsrätsel sind hemmungslos unterfordert und irgendwie auch an der falschen Adresse. Zu beliebig, teils banal ist die Lösung vieler Probleme. Wer hingegen schon seit Samarost 2 ein Freund der Tschechen ist, stellt dagegen schon Mal die Augentropfen bereit, hat er doch schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, worauf er sich hier einlässt.
Hier treffen sich Animationsfilm, Suchspiel und Adventure auf halbem Wege, liebenswert, verquer und so weit draußen, wie ein Spiel über Bäume und ihre Bewohner nur sein kann.