Brothers: A Tale of Two Sons - Test
Endlich ein Titel, der die Stärken des Mediums richtig ausnutzt.
Ihr seid also hergekommen, um einen Test zu Brothers: A Tale of Two Sons zu lesen? Dieser Verpflichtung werde ich auch nachkommen. Dennoch möchte ich euch zu Beginn darauf hinweisen, dass sich keine Spoiler zum Spiel vermeiden lassen. Damit meine ich nicht einmal die Story. Selbst die kürzeste Beschreibung simpler Mechaniken raubt euch wertvolle Überraschungen.
Daher sage ich euch ganz offen: Wollt ihr euch ohne großes Vorwissen auf den Titel einlassen, springt direkt zum Fazit und kauft euch anschließend sofort das Spiel. Mögt ihr neuartige Puzzle-Platformer, die ein einzigartiges Erlebnis erschaffen und mit ihrer Atmosphäre beeindrucken? Könnt ihr 15 Euro für knapp vier abwechslungsreiche Stunden ausgeben, ohne euch über den Preis zu beschweren? Dann braucht ihr nicht wirklich weiterlesen. Zückt die virtuellen Scheine und lasst euch von dem Spiel überraschen.
Point of no return
Ihr seid immer noch hier? Ihr lasst euch von meinen Drohungen nicht abschrecken und wollt unbedingt mehr zum Spiel wissen, bevor ihr mir blind vertraut? Ok, aber sagt am Ende nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Los geht's!
Im ersten Moment erscheint Brothers: A Tale of Two Sons ein ganz normales Spiel in einem Fantasy-Universum zu sein, das vom Stil her an Fable erinnert. Zwei spielbare Charaktere führen schnell zu einer logischen Schlussfolgerung: Das muss einen Koop-Modus haben. Und schon wirft euch der Titel die erste Überraschung vor die Füße. Ihr steuert beide Figuren die gesamte Zeit über alleine mit einem Controller. Jeder Bruder hört auf einen eurer beiden Analogsticks. Jede weitere Aktion neben dem Laufen führt ihr durch einen Druck auf die Schultertaste aus. Die linke Seite eures Pads gehört somit dem Älteren der beiden. Mit der rechten Hälfte steuert ihr seinen kleinen Bruder.
Diese Mechanik erscheint so unerwartet und fordert eure motorischen Fähigkeiten das gesamte Spiel über. Selbst die simpelsten Spaziergänge bleiben so interessant. Oft schob ich meine Daumen unbewusst in die falsche Richtung. Mein Hirn wollte sich einfach nicht an diese Auslegung gewöhnen. Schaffte ich eine gelungene Korrektur, fühlte ich mich dafür umso mächtiger. Da ihr nur in den wenigsten Momenten wirklich bedrohlichen Gefahren ausgeliefert seid, könnt ihr euch beim Erkunden der Gebiete Zeit lassen. Ihr könnt so die Herausforderung beim Steuern genießen, ohne euch über unfaire Hindernisse aufzuregen.
Damit hat der Titel sein stärkstes Ass aber noch gar nicht aus dem Ärmel geschüttelt. Denn in Verbindung zur neuartigen Bedienung gibt man euch keinerlei Hinweise. Nur über die Zuordnung der Schultertasten klärt euch eine Nachricht auf. Danach lässt man euch komplett frei durch die linearen Wege laufen, ohne zwischendurch ins Steuer zu greifen. Stattdessen sollt ihr sämtliche Interaktionen und Möglichkeiten selbst erlernen. Hört sich unglaublich offensichtlich an. Doch durch die Überschwemmung an viel zu ausführlichen Tutorials in den letzten Jahren ist man ein freies Lernen und Erleben fast nicht mehr gewohnt. Alleine für diese Tatsache könnte ich das Team von Starbreeze küssen.
"Ihr bringt euch die Steuerung selbst bei komplett ohne Tutorial oder nervige Nachrichten."
Lasst mich als Beispiel die erste Szene beschreiben, in der ihr euren kranken Vater per Karren transportiert. Sobald ihr die Kontrolle übernehmt, befinden sich beide Brüder in der richtigen Position. Einer hinten und der andere vorne. Nun weist euch das Spiel auf die Schultertasten hin und ihr erkennt nach dem Drücken, dass die beiden Figuren den Karren anpacken. Automatisch bewegt ihr dazu den linken Analogstick. Plötzlich fällt euch auf, dass sich nur der linke Bruder bewegt und den Karren alleine voran schiebt. Also hantiert ihr mit eurem Daumen auch am rechten Stick, weil euch nichts anderes übrig bleibt. Siehe da, der kleine Bruder marschiert los. Schon habt ihr euch die Steuerung selbst beigebracht. Komplett ohne Tutorial oder nervige Nachrichten.
Idiotensicher
Gleiches gilt für die Eigenschaften beider Protagonisten. Versucht den Hebel mit dem kleinen Jungen zu betätigen, woraufhin ihr seine große Anstrengung bemerkt. Alles klar, hier muss also sein großer Bruder ran. Bei Gitterstäben sieht es wieder anders aus. Hier kann sich nur der Jüngere zwischen den Stangen durchquetschen. Im späteren Verlauf trefft ihr auf immer mehr Interaktionsmöglichkeiten und es überraschte mich, wie sie mir alleine durch den richtigen Aufbau und ihre Präsentation erklärt wurden. Als einziger Nachteil entsteht daraus ein, zumindest für mich, viel zu leichter Schwierigkeitsgrad. Gestorben bin ich nur durch reines Unvermögen oder grenzenlose Dummheit meiner Seite. Kein Rätsel erforderte mehr als zehn Sekunden, um auf die Lösung zu kommen. Ja, die Genialität steckt sicherlich in ihrer Verständlichkeit, wodurch viele Aufgaben wiederum zu schnell lösbar sind. Ich hätte mir besonders in der zweiten Hälfte komplexere Aufgaben gewünscht, die erlernte Mechaniken kombinieren.
"Die Welt wirkt durch ihre simple und naturbezogene Inspiration sehr lebendig."
Eine gewisse Enttäuschung kann ich daher nicht verbergen. Allerdings ist es wirklich das einzige Problem des Spiels, das mir persönlich auffiel. Alles andere glänzt neben ein paar Macken mit der Kollisionsabfrage durch Perfektion. Die Welt wirkt durch ihre simple und naturbezogene Inspiration sehr lebendig. Malerische Wälder, deren Bäume von Herbstblättern in wunderschöne Farben gehüllt werden, wandeln sich schnell in kühle Bergregionen, die später in winterliche Landschaften übergehen. Passend dazu die wallenden Nordlichter im Hintergrund. Ihr fühlt euch wie in einem lebendigen Bilderbuch, das von einzelnen Fabelwesen seine Besonderheit erlangt. Jedes Treffen erfüllt einen bestimmten Zweck in der Reise und die Zusammenarbeit mit Trollen oder einem Greif erzielen daher stärkere Bindungen zu den Figuren. Und das selbst ohne richtige Sprache. Sämtliche Dialoge erfolgen in unsinnigem Gebrabbel. Die wahren Emotionen verstecken sich hinter dem Tonfall und besonders den Bewegungen.
Zur Handlung möchte ich deswegen keine Worte verlieren. Sie ist passend zur märchenhaften Atmosphäre simpel gehalten. Dennoch erzielt sie gerade wegen der konzentrierten Interaktionen zwischen Charakteren eine größere Wirkung, die sich ebenfalls im Gameplay widerspiegelt. Ihr müsst mit eurem Bruder zusammenarbeiten und steuert stets beide Figuren gleichzeitig. Es verstärkt somit euer Verständnis ihrer Bindung. Der wirkliche Triumph wartet dann am Ende. So eine kraftvolle Emotionsübertragung durch reines Gameplay habe ich noch nie erlebt. Vielleicht ergibt diese Aussage nur Sinn, wenn ihr es selbst gespielt habt. Tut euch alleine nur für die finalen 20 Minuten den Gefallen. Wirklich. Ich zähle es zu den besten Enden, die es jemals gab. Nicht einmal wegen der gezeigten Handlung, sondern weil ein Spiel endlich seine Interaktivität als Erzählstruktur einsetzt.
Solltet ihr den gesamten Mittelteil übersprungen haben, begrüße ich euch zum Ende des Artikels. An dieser Stelle kann ich auch für euch die großen Punkte zusammenfassen, ohne dabei Überraschungen zu verderben.
Brothers: A Tale of Two Sons sollte von jedem gespielt werden, der Puzzle-Platformern nicht komplett abgeneigt ist, wenn deren Reiz zum Großteil aus dem zentralen Erlebnis besteht. Die Steuerung ist erfrischend einzigartig und das Spiel behandelt euch nicht wie einen Idioten, dem man jede Mechanik einzeln erklären muss. Stattdessen nutzt man cleveres Level-Design, um die Gesetze der Welt verständlich zu machen. Und trotzdem steht die simple Handlung zusammen mit ihrem phänomenalen Ende an den Spitze. Sogar die viel zu leichten Rätsel und Aufgaben lassen sich dadurch locker verschmerzen. Muss ich eigentlich noch mehr von dem Spiel schwärmen? Seid ihr endlich überzeugt? Kauft euch Brothers: A Tale of Two Sons und erlebt, wie man die Stärken des Mediums richtig ans Licht bringt.