Brütal Legend
Bring it on!
Meine Heavy Metal-Zeit liegt weit, weit hinter mir und gestaltete sich ziemlich unspektakulär. Meine anfängliche Faszination hatte wenig mit der eigentlichen Musik zu tun. Ich war in den Achtzigern geradezu hypnotisiert von den irrwitzigen Plattencovern mit ihren martialischen Bildern und der kruden Mischung aus Science-Fiction, Horror und Fantasy. Mein Favorit: Iron Maiden.
Schließlich blickte mir auf den Vinyl-Scheiben ein Untoter namens Eddie entgegen, der mir seinen verwesten Skelettzeigefinger direkt ins Gesicht stieß und laut „Kauf mich, wenn du cool bist“ entgegen brüllte. Die Musik war für mich, im ersten Moment, zweitrangig, doch nach einer Weile konnte ich mich mit dem wilden Gitarrengeschrubbe anfreunden und wurde zumindest für ein paar Monate zum Metaler.
Aufgrund pubertärer Hormon-Schwankungen und ungefestigtem Charakter wechselte ich danach zu Hip-Hop, hörte ein paar Monate Wave, dann EBM und landete am Ende bei Techno/Elektro – meine Faszination für Madonna verschweige ich an dieser Stelle lieber. Nicht gerade der erlesenste Geschmack. Ganz anders Brütal Legend Mastermind und Lucasarts-Legende Tim Schafer: Für ihn ist Metal mehr als nur eine kurze Modeerscheinung.
Auch er ließ sich vom coolen Eddie und den anderen schicken Artworks ködern, wie er mir abends bei einem Bier verriet. Aber nicht nur das. Er verliebte sich gleich in die Musik und ist ihr noch heute komplett erlegen. Zu Hause pflegt er seine große Plattensammlung, geht auf Konzerte und fachsimpelt stundenlang über neue Bands.
Mit Brütal Legend geht so für ihn ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Schließlich setzt er mit diesem ungewöhnlichen Open-World-Action-Strategie-Spiel den harten Gitarrenklängen und ihren seltsamen Welten ein einmaliges Denkmal. Nur um sie im nächsten Moment wieder herrlich durch den Kakao ziehen.
Schon die Story rund um den Super-Roadie Eddie Riggs, dessen magische Gürtelschnalle ihn nach einem Bühnenunfall mit blutigem Ausgang in das Zeitalter des Metals, einem Fleisch gewordenen Metal-Plattencover, transportiert, zeigt, mit wie viel Liebe zum Detail er sich dem Thema nähert. Eddie ist fasziniert von dieser neuen Welt mit all ihren Dämonen, Monstern und martialischen Klängen. Statt wie andere Weltenwanderer so schnell wie möglich zurück zu wollen, fühlt er sich bei den fleischfressenden Nonnen, Schädeltürmen, untoten Zauberern und kopflosen Reittieren endlich zuhause.
Doch die seltsamen Wesen sind ihm nicht freundlich gesinnt. Kaum betritt er dieses Land vor unserer Zeit, wollen ihn die Häscher des bösen Imperators und Teilzeit-Dämonen Doviculus – sprachlich verkörpert von Lemmy Kilmister von Motörhead – an die Leder-Kutte. Gut, dass gleich am Eingang eine Streitaxt namens Der Seperator im Boden steckt, die Eddie, wie einst Artus' Excalibur, aus einem massiven Steinblock zieht. Obwohl er noch nie solch ein Mordinstrument in der Hand hatte, zerlegt er meisterlich die Bösewichter und lernt erste Kombos. Stets mit einem flotten Spruch auf der Lippe, genial synchronisiert von Jack Black, haut er frohlockend zu, bis die Leichtenteile fliegen.
Die Entwickler von Double Fine haben dabei die verdrehte Welt des Heavy Metal perfekt eingefangen. Die selbst entwickelte Grafik-Engine gewinnt zwar keinen Technologie-Preis, doch die Comic-Grafik trifft die Atmosphäre auf den Kopf. Detailverliebt und doch hochstilisiert atmen die 64 Quadratkilometer Metal-Land skurrile Details. V-Motoren hängen über flammenden Gruben, mehrere Sonnen tauchen die Landschaft in ein unwirkliches Licht und mächtige Standbilder des verdrehten Herrschers lassen die Einwohner erzittern.
Mit der Axt bewaffnet und von Tim Schafer gesteuert, bahnt sich Eddie seinen Weg zu seiner zweiten Waffe, der Flying V E-Gitarre Clementine. Mit ihren harten Riffs und schnellen Solos kann der Super-Roadie Blitze und Flammen auf die Gegner schleudern. In Kombination mit dem Seperator entstehen so bebende Kombos, die die böse Schergen wie Laub durch die Luft wirbeln. Außerdem bekommt Eddie seinen ersten Schlüssel für das an Legend of Zelda, Metroid Prime und Overlord angelehnte Gameplay. Mit seinem Erdbeben-Solo kann er die ersten Barrikaden aus dem Weg räumen, die ihm den Weg in die Freiheit versperren.