Call of Duty: Infinite Warfare Multiplayer - Sturmgewehre in Space
Infinity Wards Evolution des offenen Schlagabtausches
Die Zeit der Spezialisten aus Call of Duty: Black Ops 3 ist vorbei. Die Supersoldaten im kommenden Serienteil Infinite Warfare stecken in genderneutralen Kampfrüstungen, den Combat Rigs. Sozusagen Hero-Hüllen, die keine erkennbare Person darstellen, nicht einmal das Geschlecht erkennen lassen. Die bislang sechs verschiedenen Rigs bieten lediglich das Grundgerüst, das, je nach favorisiertem Spielstil, zu einem individuellen Helden heranreift. Die futuristischen Streiter mit Leben zu füllen, anstatt auf weitgehend vorgefertigte Charaktere zurückzugreifen, obliegt so dem Spieler. Keine dumme Idee.
Auf dem Fan-Fest "Call of Duty XP" konnte ich den frisch angekündigten Mehrspieler-Modus ein paar Stunden ausprobieren und mich ein wenig mit den Individualisierungsoptionen der Rigs vertraut machen. Es gibt mit dem Merc, Warfighter, Stryker, Synaptic, Phantom und FTL ("Faster than Light") bislang sechs unterschiedliche Combat Rigs.
Jedes Modell steht für eine Klasse, die einen Spielstil symbolisiert. Der Warfighter ist der klassische Allrounder, mit ordentlichen Offensivfähigkeiten für den Kampf auf mittlere Entfernungen. Das Phantom ist ein Scharfschütze mit Tarnvorrichtung, der (oder eher das) Synaptic eine Art Terminator, ideal für den Nahkampf, der sich auf allen Vieren wie ein Panzerhund auf den Gegner stürzt und tonnenweise Schaden anrichtet. Die grundlegenden Eigenschaften werden durch Waffen und Fähigkeiten weiter ausgebaut, dazu verfügt jedes Rig über einzigartige Waffen, Gadgets und Fähigkeiten (Payload genannt), sowie meist passiven Perks (Traits). Bei der Erstellung meines Helden kann ich einige der Boni aktivieren und meinem Spielstil die notwendigen Hilfsmittel verleihen.
Ein konkretes Beispiel: Der Merc ist ein wahrer Koloss mit dicker Panzerung, kann kräftig Schaden einstecken und ebenso kräftig austeilen. Zur Unterstützung wähle ich als Superwaffe aus dem Payload-Angebot den Steel Dragon, eine echt dicke Strahlenkanone, die mehrere Ziele gleichzeitig ins Visier nimmt. Oder ich nutze Bull Charge, einen Schild hinter dem ich vor Angriffen geschützt bin und einen Rammstoß ausführen kann, der die Feinde nach links und rechts in hohem Bogen aus dem Weg fegt. Dazu packe ich aus dem Trait-Bereich noch die Fähigkeit Infusion hinzu, die meine Gesundheit schneller regeneriert oder Shockwave, damit ich nach einem Sprung noch einen Bodenstoß ausführen kann.
Die Wahl der Payloads und Traits unterstreicht so die Rolle meines Recken mit sinnvollen Boni. Wer so gar nicht mit der gewählten Klasse klar kommt, darf auch mitten im Match die Rolle wechseln und nach dem nächsten Respawn eine andere Rig ausprobieren. Diese Option eröffnet eine Reihe frischer taktischer Möglichkeiten. Erkenne ich, dass meine Rolle als beispielsweise Nahkämpfer gegen das gegnerische Team keine Wirkung zeigt, wechsle ich eben zu einem Fernkämpfer wie Phantom oder einem defensiven Charakter wie den Merc.
Und das ist noch nicht alles, was Infinite Ward an Individualisierung aufbietet. Neu hinzugekommen ist das Craften von Waffen. Wenn ich fleißig auf den Karten verstreute Salvage Parts finde, kann ich meine Standard-Knarre verbessern und zu einem Modell in einer von vier Seltenheitsstufen von üblich bis episch umbauen. Je nach den Grundwerten der Ausgangswaffe und diversen, noch nicht bekannten Nebeneffekten gibt es dann einzigartiges Kriegswerkzeug, wie beispielsweise die Reaver Machete, die im Nahkampfeinsatz ein Garant für einen Kill ist.
Auch wenn eine ganze Reihe Waffen ein futuristisches Upgrade bekommt und es mehr Strahlenkanonen gibt als bisher, auf das bekannte Arsenal aus Sturmgewehren, Maschinenpistolen und Handfeuerwaffen wird nicht verzichtet. Diese sind wie bislang auch Brot und Butter des Kriegsgeschäfts, denn die einmaligen Superwaffen sind erst nach einer ganzen Weile Spielzeit einsatzbereit. Sorgen dann allerdings für ein optisches Spektakel und reichlich Punkte für den nächsten Killstreak. Wenn man denn nicht genau in dem Augenblick des geplanten Einsatzes von einem Kopfschuss getroffen wird. Aber so ist das eben in Call of Duty.
Gefühlt geht es auf den virtuellen Schlachtfeldern noch eine Schippe rasanter zu als im Mehrspielermodus von Black Ops 3. So zumindest mein Eindruck beim Probespiel. Der täuscht mich aber, wie mir einige Profispieler erklären. Das Gegenteil sei der Fall und das Tempo merklich zurückgenommen. Weniger hoch geht es beim Sprung in die Lüfte, weniger weit führen die Slides über den Boden. Das bestätigt mir auch Paul Cecot, Lead Multiplayer Designer bei Infinity Ward, der durch die Veränderungen in der Spielmechanik Neueinsteigern schneller Erfolgserlebnisse vermitteln möchte.
So spektakulär es auf Großleinwänden während eines Turniers auch aussieht, wenn Profis im haushohen Sprung mit einem Scharfschützengewehr einen Kopfschuss landen, so schwierig ist es für nicht mit katzenartigen Reflexen ausgestattete Spieler, ähnlich elegant zu agieren. Gerade Treffer aus einem unerwarteten Winkel, wie von weit oben oder unten, sorgen schnell für Frustration. Das kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung nur bestätigen. Aus diesem Grund wird eben generell nicht mehr so hochgehüpft und nicht mehr so weit geschlittert.
Diese chirurgischen Eingriffe in die Spielmechanik fallen wohl nur den Profis auf den ersten Blick auf und bedeuten keinesfalls, dass aus dem 13. Call of Duty ein behäbiges Spiel geworden wäre. Gewohnt rasant geht es zu in der mittlerweile bekannten und - ganz wichtig - eSports-tauglichen Fortbewegungsmechanik aus Rennen, Springen und Wandläufen zu. Wenn ihr Black Ops 3 gerne spielt, fühlt ihr euch sofort wie zu Hause. Habt ihr keine Lust auf wildes Gehopse, dürfte das kräftig aufpolierte Call of Duty: Modern Warfare Remastered genau das Richtige sein. Das liegt ja, vorerst exklusiv, den meisten Versionen von Infinite Warfare als Bonus bei und liefert so richtig "Boots on the Ground"-Action.
Zur Sache geht es auf den typischen kleinen bis mittelgroßen Karten der Serie. Auf zwei oder drei Laufwegen (Lanes) kämpfe ich mich in Frontier durch die zahlreichen Gänge einer Weltraumstation, in Breakout stellt ein zweistöckiges Fabrikgelände die Kulisse. Throwback spielt in einer Stadt der 1950er Jahre und in Terminal, dem Remake einer Karte aus Call of Duty: Modern Warfare 2, geht es durch einen Raumhafen mit Ladengeschäften. Die Maps sind samt und sonders auf Tempo getrimmt und bieten reichlich Gelegenheit, Gegner mit Wallruns und Sprüngen zu überraschen oder sich eine geschützte Sniper-Position zu suchen. Keine großen Überraschungen bislang.
Wenig Neues auch bei den Spielmodi. Mit Hardpoint, Team Deathmatch, Kill Confirmed oder Domination sind die Fan-Favoriten wieder mit dabei. Als einzigen neuen Modus konnte ich ein paar Runden Defender spielen, eine Art Uplink-Variation. Dabei geht es darum, sich eine Drohne zu schnappen und möglichst lange im Besitz zu halten. Während ich die Drohne durch die Gegend schleppe, kann ich meine Waffen nicht einsetzen und muss entweder clever ausweichen oder einem Teamkameraden das Objekt zuwerfen, um ballern zu können. Die Runde Drohnen-Handball hat außerordentlich Laune gemacht.
Mit Infinite Warfare hat Infinity Ward das Rad nicht neu erfunden. Das war aber auch nicht zu erwarten. Die Formel steht seit Jahren auf stabilen Beinen, der Mehrspieler-Modus von Black Ops 3 hat seine üppige Fanbasis und die will bedient werden, ohne sich auf ein komplett neues Spielgeschehen einzustellen zu müssen. Zugänglichkeit und Dienst an der Community stehen im Vordergrund. Gleichzeitig sind mit der deutlich höheren Individualisierung durch die Combat Rigs und einer Tonne neuer Waffen, Gadgets und Fähigkeiten eine ganze Reihe an Neuerungen eingeflossen, die eine maßvolle Evolution des erprobten Ballergeschehens gewährleisten.