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Call of Juarez: The Cartel

Eine Handvoll toller?

Es war schon eine komische Paarung. Nachdem ich mir bei Ubisoft in Hamburg Child of Eden angesehen und mit Tetsuya Mizuguchi gesprochen hatte, wurde im Nebenraum Call of Juarez: The Cartel gezeigt. Im Anschluss an die trippige Unwirklichkeit des interaktiven Musikerlebnisses traf mich Techlands derber dritter "Western"-Shooter wie ein Saloon-Hocker ins Genick. Ein echter Spielkulturschock.

Fans der Reihe haben natürlich nicht das Luxus-Problem, beide Titel dicht an dicht zu erleben wie zwei Gänge eines besonders ... sagen wir mal "gewagt" zusammengestellten Menüs. Dennoch entlarvte die erbauliche japanische Baller-Meditation ziemlich effektiv, wo einige Spieler bei der Modernisierung von Call of Juarez anecken könnten: Der Versuch, Western-Themen in die Neuzeit zu transponieren, ist nur so mit F-Bomben, nackten Brüsten und Stereotypen gespickt. Auch wenn Techland nach eigener Aussage auf die Zielgruppe erwachsener Spieler zielt, dürften das ungehobelte Tough-Guy-Gehabe und die Gangster-Klischees wohl eher auf junge Männer in der Adoleszenz anziehend wirken.

Doch ich greife vor und den Titel allein wegen seiner Aufmachung nach einer 20-minütigen Präsentation aus der "Mitte des Spiels" aufs Abstellgleis zu schieben, wäre alles andere als fair. Trotzdem wollte ich euch meinen unmittelbaren Eindruck nicht vorenthalten. Doch beginnen wir noch einmal von vorn: Seit Bound in Blood hat sich schließlich einiges geändert. Wie schon erwähnt, wurden Umfeld und Geschichte in die Moderne verlegt, allerdings sollen Freiheit, "echte Männer" und Gesetzlosigkeit laut Ubisoft weiterhin zentrale Themen bleiben. Drei Ermittler unterschiedlicher Behörden stellen sich gemeinsam zwischen L.A. und Juarez an der mexikanischen Grenze gegen ein Drogenkartell: Ben McCall, LAPD-Cop, Eddie Guerra vom Drogendezernat DEA und Kim Evans vom FBI.

Lange Dialoge und Phasen von Polizeiarbeit verbinden die einzelnen Shootouts.

Während ersterer offenbar blutsverwandt ist mit Ray McCall, dem Hauptcharakter der letzten beiden Teile der Reihe, und gerne mit leicht frisierten Bibelzitaten um sich wirft, folgte das Design von Guerra und Kim Evans bekannten Stereotypen aus Film und Fernsehen. Guerra ist der smarte Latino-Cop, der genauso "Gangster" aussieht wie die Leute, gegen die er ermittelt, während meine Beschreibung von Kim Evans viele Worte finden könnte, aber nur vier braucht: "Berry", "Halle", "Password" und "Swordfish".

Nicht besonders einfallsreich, allerdings ist das Spiel endlich von vorne bis hinten mit einem Drop-In-Koop-Modus gesegnet, was – wenn Techland alles richtig macht – im Handumdrehen alle meine Bedenken hinfortwischen könnte wie Tumbleweed im Wind. Auf dem Weg zu einem Informanten bekommt etwa Guerra – und nur Guerra – einen Anruf. Die anderen beiden hören nicht, was besprochen wird, sondern erhalten nur die Version des DEA-Agenten. Auch in den Kämpfen könnten das Wechselspiel und koordinierte Aufgabenteilung der Gesetzeshüter für spielerische Höhenflüge sorgen. Dank einer neuen Flankier-Mechanik etwa bekommt ein Spieler signalisiert, wohin er sich begeben sollte, während ein anderer halbautomatisch Sperrfeuer gibt, um dem Kollegen den Vorstoß zu ermöglichen.

Auch beim Stürmen von Räumlichkeiten durch Türen hat jeder sich richtig zu platzieren, bevor die Polizisten das Holz zum Bersten bringen und mit dem Überraschungseffekt im Rücken in Zeitlupe auf die ertappten Verbrecher anlegen. Besonders die Konzentration auf drei statt der gängigen zwei oder vier Charaktere ermöglicht schon das eine oder andere spannende Dilemma. Zumindest in der Theorie.

Guerra gibt McCall bei einer Geiselübergabe per Scharfschützengewehr Rückendeckung.

Hoffentlich ist es häufiger vonnöten, dass die Ermittler – die sich im Gegensatz zum Vorgänger spielerisch nicht voneinander unterscheiden – getrennte Wege gehen, um einander zu decken oder den Weg freizumachen. Schon bei einer einfachen Teilung des Level-Weges ist dank der ungeraden Anzahl an Spielern einer der Teilnehmer zwangsläufig ganz auf sich gestellt, was für interessante Situationen sorgen könnte. Vor allem, wenn Techland die anderen beiden vom auserkorenen Einzelgänger abhängig macht.

Dazu kommt noch, dass Techland bereits in der Vergangenheit bewiesen hat, wie gerne sie Spielcharaktere gegeneinander ausspielen. Da passte es nur ins Bild, als der Techland-Sprecher zwischen all den Auto-Verfolgungsjagden, Nachtclub-Shootouts, Zeugenbefragungen und Geiselübergaben andeutete, dass Maulwürfe des Kartells die Behörden unterwandert haben könnten. Man darf also gespannt sein, ob die Spieler im Verlauf der Story nicht noch einige inkriminierende Dinge über die jeweils anderen Charaktere erfahren.

Wenn man einmal davon absieht, dass Techland Gefahr läuft, Call of Juarez: The Cartel ein bisschen zu sehr auf cool und düster zu trimmen und seine Feindbilder etwas offensichtlich von Film und Fernsehen abpaust, haben wir es hier mit einem der spielerisch interessanteren Ego-Shooter dieses Jahres zu tun. Alleine die Möglichkeit, die Story komplett zu dritt durchzuspielen, dürfte für Shooter-Freunde ein großer Bonus sein. Hoffen wir, dass die KI fehlende Spieler kompetent ersetzt.

Dass die Polen nicht ein drittes Mal im alten Western wildern, nehme ich ihnen jedenfalls absolut nicht übel. Dieses Sub-Genre hat im letzten Jahr mit Red Dead Redemption seinen definitiven Titel erhalten, dem kaum noch etwas hinzuzufügen wäre. Mit dem Schritt in Richtung Action-Krimi schafft es Techland dagegen mühelos, eine durchaus attraktive Sonderposition zu beziehen. Verzichtet einfach darauf, es im Double-Feature mit Child of Eden zu spielen und alles ist gut.

Call of Juarez: The Cartel erscheint im Sommer 2011 für PS3, Xbox 360 und PC

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