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Captain Marvel - Filmkritik

Der Geschlechterkrieg, der keiner war.

Buch & Regie: Ryan Fleck & Anna Boden
Darsteller: Brie Larson, Samuel L. Jackson, Lashana Lynch, Jude Law

Da ist er nun, der Skandalfilm der "das MCU zerstörte", weil seine Hauptdarstellerin dem männlichen Geschlecht den Krieg erklärte. Habt ihr nicht mitbekommen? Herzlichen Glückwunsch! Euch blieben die Ergüsse des jüngsten aufgepeitschten Internet-Hatemobs erspart, der bestimmte Aussagen entweder mutwillig oder aus Versehen missverstand und daraus eine "Feminazi-Agenda" strickte.

Dröseln wir das mal auf: Captain Marvel ist für das MCU in erster Linie deshalb ein bemerkenswerter Film, weil er sich vornehmlich um Frauen dreht. Genau wie Black Panther bemerkenswert war, weil sich ein Big-Budget-Blockbuster mit einem vornehmlich afrikanisch-stämmigen Cast vor afrikanischem Hintergrund inszenierte. Tun wir bitte nicht so, als wären solche Filme von den Studios nicht noch vor wenigen Jahren als irrsinniges Risiko wahrgenommen worden. Für die Repräsentation im Kino sind sie wichtige Momente. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auf die eigentliche Qualität der Filme hat dieser Fakt keine Auswirkungen.

Ich verstehe, dass das große feministische Gewese darüber ein wenig anstrengend rüberkommen kann. Immerhin handelt es sich hier um einen Superheldenfilm. Aber können wir bitte auch im Hinterkopf behalten, wie solche Zitate zustande kommen? Ihren Anfang nahm das ganze in einem Interview mit einem Frauenmagazin, das natürlich die Hauptdarstellerin zur Signifikanz des Films entsprechend befragte. Der Rest verselbstständigte sich, während die meisten News-Outlets in Interviews mit dem Cast natürlich auf das eine Detail abzielten, das den Film nach außen hin besonders macht: dass es die Geschichte des mächtigsten Helden dieses Universums ist, der zur Abwechslung mal eine Frau sein darf.

Ob einen das nun interessiert oder nicht, natürlich macht es einen Unterschied, ob junge Mädchen im Kino mit Iron-Man und Captain America oder Captain Marvel mitfiebern. Für Mädchen gibt es ungleich weniger Rollenvorbilder in diesem Genre und jedes neue, das da auf natürliche Weise etwas Gleichgewicht reinbringt, ist für die Zuschauer ein Gewinn. Es als erste Salve eines Geschlechterkriegs zu sehen, weil Brie Larson nach ihrem Judo-Training in Vorbereitung auf den Film mal schnippisch sagte, sie könne jetzt vermutlich auch einen Mann über ihre Schulter werfen ... bleiben wir bitte auf dem Teppich?

Fury und Coulson um 1995. Ein bisschen gruselig ist es ja schon, wie gut Disneys Verjüngungstechnologie funktioniert.

Gut, dass wir drüber geredet haben. Oder auch nicht. Was bleibt also abseits der aus dem Ruder gelaufenen Marketing-Kampagne? Ein solider Marvel-Film, an dem ich so gut wie nichts auszusetzen habe, außer, dass es eben ein typischer Marvel-Solo-Streifen ist. Abzüglich der Captain-America-Filme wachsen diese selten über ihre eigenen Plot-Grenzen hinaus und wirken häufig eher wie die Vorbereitung auf Größeres. Auch befürchte ich immer noch, dass die Figur ein wenig zu bequem als Deus Ex Machina eingesetzt werden könnte und die Existenz dieses Films sich rückwirkend als Retcon herausstellen könnte, weil die Autoren keine Ahnung hatten, wie sie aus dem Thanos-Schlamassel wieder herauskommen sollten. Aber dafür kann dieser Film an sich nichts. Wäre er vor fünf Jahren herausgekommen, wäre dieser Einwand vermutlich nichtig.

Captain Marvel gelingt es auf jeden Fall, mit einem gut aufgelegten Cast und durchaus lustigem Dialogbuch einem Publikum eine überzeugende Origin-Geschichte zu erzählen, obwohl wir eigentlich dachten, längst genug von dieser Sorte gehört zu haben. Dass die hier besser funktioniert als in vielen anderen Filmen liegt vor allem daran, dass wir Captain Marvel direkt als Heldin erleben dürfen und ihre Genesis als zentrales Rätsel in Rückblenden aufgepuzzelt wird. Das Sahnhäubchen ist das nette World-Building, weil die Geschichte 1995 spielt, während Nick Fury sich - noch mit beiden Augen - gerade bei Shield hocharbeitet.

Die Rahmenhandlung um die formwandlerischen Skrull, die getarnt andere Zivilisationen unterwandern und denen Captain Marvel als Teil einer intergalaktischen Spezialeinheit unter der Leitung ihres Mentors Yon Rogg (Jude Law) auf den Fersen ist, schlägt ein paar interessante Haken und selbst der Humor und die Anspielungen auf die popkulturelle Epoche sind liebevoll in den Film eingearbeitet. Auch gliedert sich die Figur in dieser Erzählung nicht unelegant in den größeren Kontext des Avengers-Kanon ein. Wie so viele Solo-Filme ist Captain Marvel demnach ein eigentlich eher kleineres Puzzleteil im Gesamtbild dieses Universums.

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Wie zuletzt bei Black Panther ist zudem nicht jede Action-Szene wirklich aufregend, aber der Film eskaliert den Machtlevel von Captain Marvel zum Ende hin auf angemessen spektakuläre Weise und gipfelt in einem veritablen "Fuck-yeah"-Moment, der dafür sorgt, dass man sich darauf freut, das Avengers-Team bald um diese Figur ergänzt zu sehen. Insgesamt wirkt er wie einer der schlankeren, ballaststoffärmeren Filme dieses Universums, was vielleicht auch daran liegt, dass der Ton trotz einiger ziemlich finsterer Elemente fast anachronistisch heiter ist.

Viel davon speist sich ohne Frage daraus, dass Larson Captain Marvel mit viel Verschmitztheit und Selbstsicherheit gibt, die wohl mit inbegriffen ist, wenn man Feuerbälle aus den Händen schießen kann. Jackson könnte seinen Fury mittlerweile wohl im Schlaf spielen, wirkt - digital überzeugend verjüngt - hier aber so aufgeweckt und mit Spaß bei der Sache wie lange nicht mehr. Und dass Ben Mendelssohn als Bösewicht Talos eine gute Figur abgibt, muss man bei diesem Schauspieler wohl nicht noch extra erwähnen. Schade, dass er meist unter so irrsinnig viel Make-up versteckt ist, um sich in einen Skrull zu verwandeln.

Kein weltbewegend aufwühlender oder gar essenzieller, aber doch ein sehr unterhaltsamer Marvel-Film also, der im oberen Mittelfeld der mittlerweile 21 Filme umfassenden Marvel-Hackordnung eine gute Figur abgibt. Trotz aller Bedeutsamkeit, die Frauen und junge Mädchen Captain Marvel zu Recht zuschreiben werden, ist es am Ende jedoch die würdevolle Art, mit der die Regisseure Fleck und Boden in der entscheidenden Szene ein Plädoyer für die Qualitäten der Menschheit als Ganzes schmettern, die hängenbleibt. Fast zweifelt man nach der künstlich aufgepeitschten Kontroverse daran, ob wir das verdient haben...

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