Castlevania: Lords of Shadow 2 - Test
Es hätte sehr viel schlimmer kommen können und sehr viel besser sein müssen.
Mercury Steam hatte ein Spiel, das es machen wollte: Castlevania: Lords of Shadow. Es hatte einen Plan, wie es funktionieren sollte, wie es aufgebaut sein würde, was seine Geschichte ist, es hatte die Technik und das Talent. Unter den harten Castlevania-Nerds ist das Ergebnis vielleicht nicht unumstritten, aber ich für meinen Teil und viele andere auch lieben es für das, was es ist. Ein umfangreiches, schönes und letztlich relativ gradliniges Action-Adventure. Es war eben nicht Metroidvania, sondern ein gerader Weg von A nach B über ein paar Dutzend Level. Mercury Steam hat dieses Spiel gemacht, es hatte seinen Triumph und sogar ein offenes Ende, das man ruhig für sich hätte so stehen lassen können. Vor allem aber hatten die Spanier keine Fortsetzung in der Tasche, die ebenfalls einem so klaren Plan folgen würde. Das wurde mir beim Spielen von Castlevania: Lords of Shadow 2 mit jeder Minute schmerzhafter bewusst.
Ich habe selten ein Spiel erlebt, in dem ich wirklich ständig den Eindruck hatte, dass das - immer noch technisch ausgesprochen talentierte - Team sich zwar ungefähr dachte, was das Publikum wohl haben wollen würde, aber nicht den Hauch einer Idee, wie man das alles unter einen Hut bringen und mit dem Vorgänger verknüpfen sollte. Ich werde versuchen, auf Spoiler zu verzichten, sowohl in Bezug auf Lord of Shadow 2 als auch auf seinen Vorgänger. Fangen wir also mit dem Helden an. Dracula. Es ist das erste Castlevania-Spiel, in dem man Dracula spielt. Ja, in Ordnung, das stimmt sicher. Aber wollte man das wirklich? Dracula selbst ist in der Serie schon längst nicht mehr der eine Vampir, der irgendwann mal irgendwas machte. Es ist zu einer Idee des Bösen in der Reihe geworden, die unentwegt und unter allen möglichen Umständen wieder auftaucht und einem sehr klaren Muster folgt: Er. Ist. BÖSE! Sehr mächtig auch noch, clever sowieso, hat jede Menge tolle Fertigkeiten, aber mehr als all das zusammen ist er die Idee dieser Serie vom absoluten, letztlich unbezwingbaren Bösen. Toller Held.
Es mag ein persönliches Problem sein, das ich mit der Geschichte dieses Spiels habe, aber ich wollte nie eine halbherzige Suche Draculas nach Vergebung und/oder Frieden oder so. Selbst das Spiel ist sich nicht ganz sicher, um was es eigentlich gehen soll und endet in der letzten Minute noch weit unentschlossener, als wäre es wieder ein offenes Ende gewesen. Bis zur 80-Prozent-Marke traut es sich nicht mal, wirklich zu sagen, um was es eigentlich geht. Es ist eine Sache, dass der Held unter Amnesie leidet, eine andere den Spieler genauso sehr in Ahnungs- und vor allem Richtungslosigkeit versinken zu lassen, nie wissend, warum er ständig zuwider allem handelt, was diesen Charakter ausmachte oder warum er sich überhaupt in diesem Zustand befindet. Es gibt im letzten Teil dann den ganz leicht forcierten Twist, der es auflöst, aber auch längst nicht alles klärt, was in der Folge passiert oder wie es dazu kam.
Wie schon gesagt, die Handlung wirkt stückhaft, erzwungen und konfus erzählt. Es bleibt der Eindruck, dass niemand genau wusste, wie es nach dem ersten Teil weitergehen sollte - und falls doch, verschleiern sie es mit diesem Ergebnis ausgesprochen gut - und das zieht sich auch so weiter durch das Spiel. Grundsätzlich gibt es zwei Welten, die moderne Jetztzeit und Draculas Schloss in der Vergangenheit. Beide stellen jeweils eine Art Mehr-oder-weniger-Open-World dar und mit nach und nach freigeschalteten Fertigkeiten könnt ihr immer mehr Bereiche erkunden und Extras finden. Klingt nach Metroidvania? Genau das schien man hier versucht zu haben. Der Eindruck, der beim Spielen entsteht, ist jedoch alles andere als der einer geschlossenen Welt. Es wirkt noch mehr in Versatzstücke geteilt, als der eben genau in solche gegliederte Vorgänger es war.
Ein Straßenzug, dann eine Lagerhalle, dann mal wieder in die Vergangenheit und später wieder zurück in ein Forschungslabor oder etwas ähnlich Inspiriertes. Erst wenn ihr die Kartenräume findet, wird euch langsam klar, dass das alles irgendwie mehr oder weniger aus einem Guss bestehen könnte. So zum Ende hin entsteht langsam das Gefühl, das sich bei einem Metroidvania oder eben einem Open-World-Spiel schon etwas früher einstellen sollte. Selbst dann macht das Erkunden immer noch nicht sonderlich viel Spaß. Zum einen tauchen alle Monster eines Bereiches sofort wieder auf, sobald ihr zurückkehrt - zum Ende hin sind das nicht wenige und noch dazu ziemlich starke Viecher, die euch das fröhliche Suchen nach Extras verleiden - zum Anderen dauern die Wechsel zwischen den Arealen gefühlt endlos. Allein das Benutzen eines Kartenraums erfordert viel Angucken der immer gleichen Animationen und ein bis zwei Minuten warten. Ein gutes Metroidvania strahlt in seiner Struktur eine gewisse Eleganz und Ordnung aus. Jemand machte sich vom Start weg Gedanken, wie sich alles zusammenfügt. In Lords of Shadows 2 ist die Struktur offenbar eher nebenbei durch Hinzufügen immer neue Anbauten entstanden.
Kommen wir zu den guten Seiten des Spiels, davon gibt es nicht zu wenige. Ein Indiz, dass auch Lords of Shadow 2 ein Aufbau ähnlich dem des Vorgängers besser gestanden hätte, ist die Qualität vieler der einzelnen Abschnitte. Gerade wenn es zurück in die Vergangenheit und Draculas übergotisches Riesenschloss geht, zeigt das Spiel, wie gut es sein kann, wenn es möchte. Es finden sich zahlreiche vom Geschicklichkeitsanspruch leider nicht zu komplexe Klettersequenzen, ein paar nette Rätsel, durchaus einiges an Erkundungspotenzial und Knobeleien, wie man an ein eigentlich gut sichtbares aber scheinbar unerreichbares Extra kommt. Und vor allem: viele Kämpfe.
Diese sind nach wie vor das Herzstück des Spielablaufs. Die Grundformel lautet immer noch, dass ihr in einen Raum kommt, alles tötet, was sich an Untoten, Monstern, Rittern und mehr bewegt und dann weiterzieht. Nach wie vor sind Kombos der Weg zum Erfolg und absolut essenziell, wenn ihr auch nur auf dem normalen der vier Schwierigkeitsgrade ernsthaft irgendwo hinkommen möchtet. Auch Dracula kämpft mit einer Art Peitsche und kann wie Gabriel im vorigen Spiel neben dem normalen Schlagmodus auf blaue und rote Magie umschalten. Mit der blauen heilt ihr euch, teilt aber kaum Schaden aus. Die rote, die Chaosmagie, ist stark genug, um Schilde zu zertrümmern, hat aber nur eine sehr kurze Reichweite. Erfolgreiche Komboketten lassen Monster Magiepunkte ausspucken, die ihr dann einsammelt, um eben blau oder rot nutzen zu können. Ihr seht schon, alles aus dem Vorgänger bekannt und sicher keine höhere Mathematik. Dracula ist dabei alles andere als unverwundbar - schon ein halbes Dutzend Schläge können euch „töten" -, sodass euer bester Freund der schnelle Konter ist. Per Trigger hüpft ihr ein kurzes Stück mit echtem Vampirtempo zur Seite, um dann direkt in den Gegenangriff überzugehen. Angesichts der Masse an unblockbaren Attacken, die ein üblicher Mob austeilt, ist dies wohl auch die Taktik, mit der ihr den größten Teil des Spiels bestreiten werdet. Das ist schön und gut und funktioniert mit nicht weniger Eleganz als im ersten Lords of Shadow.
Dort war ein weithin geäußerter Kritikpunkt, dass die Kamera nicht frei bewegt werden konnte. Ich sah dies nicht so, denn mit wenigen Ausnahmen war sie so gut platziert, dass man immer das ganze Geschehen im Blick hatte. Man wusste, wo wer steht, wo man selbst war und kannte die Distanzen. Jetzt kann die Kamera frei gedreht werden, wobei sie generell ein Stück hinter dem Helden schwebt. Nach vorn hin und zu den Seiten habt ihr einen guten Ausblick und keine Probleme, diese kommen von hinten angeschlichen. Oder vielmehr in einem Affentempo in Form einer der vielen, vielen Attacken mit großer Reichweite, die die Monster im Arsenal haben. Eine solche wirft den Helden schnell mal zu Boden, ohne dass ihr wirklich wusstet, woher der Schlag kam. Dass dies das Spiel nicht in weit ärgere Bedrängnis bringt, liegt an dem generell hohen Kampftempo, bei dem ihr eh nur dann eine Chance habt, solange ihr in Bewegung bleibt.
Schwieriger ist da die scheinbar willkürliche Designentscheidung, dass Feinde euch scheinbar fast nach Belieben die Kombos stören dürfen. Erst der letzte Schlag einer Kombo ist in der Regel der, der nicht mehr zu blocken ist und den meisten Schaden verursacht. Die meisten Feinde lassen sich also von den ersten, harmloseren Attacken nicht aus der Ruhe bringen, schlucken den Schaden und kontern, bevor ihr zum für sie wirklich gefährlichen Ende kommt. Das hat offensichtliche Nachteile - es fühlt sich schon mitunter ganz schön unfair an und belohnt stellenweise Buttonmashing -, aber auch den etwas versteckteren Vorteil, dass ihr anfangt, euch genau zu überlegen, wie die Gegner ticken, wann genau Kombos an Besten wirken und welche Strategien ihr noch so im Repertoire haben könntet. Ihr spielt dadurch intelligenter. Aber es fühlt sich nach einem Glück an, zu dem man gezwungen wurde.
Die Bosse bauen im Laufe des Spiels interessanterweise eher ab, als sich zu steigern. Dazu muss gesagt werden, dass sie auf einem recht hohen Niveau beginnen, ihren Höhepunkt in der vielleicht besten Sequenz des Spiels - dem Spielzeugmacher im alten Schloss - in der Mitte erreichen und dann ein wenig zu sehr mit sich selbst zufrieden scheinen. Gerade der letzte Boss scheint sich nur warmzulaufen, aber dann war es auch schon wieder vorbei. Trotzdem, die zahlreichen Kämpfe beeindrucken stets durch das auch hier hohe Tempo, bieten eine wirklich solide, faire Herausforderung, die fast jede Runde aufs Neue erfreut. Eigentlich hält sie nur von wahrer Größe ab, dass ihre Taktiken in der Regel etwas zu leicht zu durchschauen sind. Vor allem verzichten sie weitestgehend auf Quick-Time-Events, was fast grundsätzlich erst mal ein Bonus ist.
Es gibt wieder ein paar Fertigkeiten über die Kombos hinaus und sie dienen nicht nur dem Kampf, sondern in erster Linie dem Erschließen neuer Bereiche. Das Einfrieren von Wasser - blaue Magie -, beziehungsweise Sprengen von Dingen - rote Magie - eignen sich auch in Auseinandersetzungen, aber dass ihr euch an bestimmten Punkten in einen Rattenschwarm verwandeln könnt, macht euch auf dem Schlachtfeld jetzt sicher nicht stärker. Es ist Teil eines Rätsels, wie ihr an einer Gattung von unbesiegbaren Wachen vorbeikommt. Huscht herum, findet Lüftungsschächte und nagt Kabel durch. Draculas Leben läuft weniger glamourös ab, als gedacht, aber es sind kleine nette Auflockerungen. Selbst wenn das Spiel sein eines schlaues Rätsel bis zum Schluss nicht gesehen haben wird. An anderen Stellen könnt ihr euch kurzfristig in Nebel verwandeln, um durch Gitter zu kommen oder von einem Windzug getragen zu werden. Das Spiel macht einiges aus diesen Möglichkeiten, wenn es um optionale Extras geht und sie zu suchen, gehört zu den Highlights. Auf dem eigentlichen Weg jedoch hätten die Lösungen mitunter gerne weniger offensichtlich sein können. Trotzdem, es gibt immerhin mindestens ein halbes Dutzend Stellen, an denen man schon mal überlegt, wie es wohl weitergehen könnte.
Und dann sind da die zwei Stellen, wo man sich fragt, wie das noch alles weitergehen soll und ob es sich überhaupt lohnt. Richtet euch auf die Rückkehr der fliegenden Pads ein, wenn Pans derangierter Bruder zum Versteckspiel im Labyrinth einlädt. Es ist die Stealth-Sequenz aus der Hölle. Hätte man sich das damals beim ersten Splinter Cell oder Metal Gear als Proof of Concept geleistet, würde es heute kein Stealth-Genre geben. Wenn sich die Sequenz nicht mal an ihre eigenen willkürlichen Regeln hält, sondern gnadenlos bescheißt, wie sie lustig ist, artet eine eigentlich nett gedachte 20-minütige Sequenz zu einem Marathon gegen sich selbst und die eigene Bereitschaft weiterzumachen aus. Die Pad-Muskeln brennen, aber dieses Spiel ist nicht stärker als ich! Ich Godzilla, Du Tokyo!! So lief es dann auch. Aber fast hätte es in dieser einen Szene meinen Willen gebrochen. Und das sagt jemand, der beide Image Fights durchspielte.
Der größte Witz an all dem ist wohl, dass Castlevania: Lords of Shadow 2 kein schlechtes Spiel ist, nicht mal nur ein mittelmäßiges, wenn man ehrlich mit sich selbst ist. Es ist gut. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist sehr „videospielig". Seine Kämpfe sind schwer, aber selten wirklich unfair, die Bosse teilweise geradezu einladend, für jede schlechte Idee liefert es 1,37 gute ab, für jede mäßige bis katastrophale - Stealth-Szene - Umsetzung einer solchen ungefähr fünf gelungene. Das Problem ist, dass der Vorgänger das noch besser konnte. Seine Handlung war einfach, aber pointiert. Die in Lords of Shadow 2 ist komplett über seine unnötig komplizierte, dabei gar nicht mal komplexe Landkarte verteilt. Die Idee Jetztzeit und Serienhistorie in Schlossform zu kombinieren, endete darin, dass man versucht, ersteres zu ignorieren und zweites weniger zu lieben, weil man weiß, dass es irgendwann wieder zurückgeht. Die Kamerabewegung ist jetzt da, aber sie ist kein Gewinn, der Metroidvania-Ansatz verwässert das Spiel unnötig. Es gab vielleicht nie eine Fortsetzung, bei der ich mehr dachte, dass das Team dahinter selbst nicht wusste, warum sie es taten. Ihrem Talent ist es zu verdanken, dass Castlevania: Lords of Shadow 2 immer noch gut und eben nichts Schlimmeres wurde. Aber der Wunsch nach einer ohnehin nicht kommenden Fortsetzung, den ich vor dem Spiel sicher noch hatte, der hat sich damit erst mal in gepflegt unterhaltene Indifferenz aufgelöst.