Castlevania (Netflix) - Serienkritik
Mit Peitsche und Kruziflix.
Regie: Sam Deats
Buch: Warren Ellis
Darsteller: Richard Armitage, James Callis, Graham McTavish
Die Belmonts brechen einen weiteren Fluch: den mieser Videospielverfilmungen
Plötzlich ging alles rasend schnell, in jeder Hinsicht. Lange zwölf Jahre saß Adventure-Time-Produzent Fred Seibert auf den Castlevania-Rechten, aufgrund fehlender Ressourcen dazu verdammt, sie in einer Schublade verstauben zu lassen. Erst mit Netflix als Partner legte das Projekt einen Blitzstart hin und nun, gerade mal fünf Monate nach der schüchternen Ankündigung und vier Folgen später, ist des Höllenritts erster Akt auch schon wieder vorüber.
Für eine Laufzeit von knapp 100 Minuten reichte das Budget dieser als Testballon getarnten Staffel, was die Videospieladaption mit dem pragmatischen Titel vor eine dezent undankbare Aufgabe stellt. Die Castlevania-Spiele waren nie für ihre Gesprächigkeit bekannt oder gar als fortlaufende Reihen mit konsistenter Geschichte konzipiert - ein Umstand, den sich einzugestehen so einige Serien ihre Probleme haben (nicht wahr, Resident Evil?). Mühselig zimmerte Konami aus den einzelnen Versatzstücken einen löchrigen Zeitstrahl, was selbst laut Koji Igarashi, Castlevania-Produzent von 1999 bis 2011, eine schlechte Entscheidung war.
Auf diesem Wühltisch sucht sich die Serienumsetzung einige Elemente für eine eigene hintergründige Lore und macht anschließend das einzig Richtige mit dem verbliebene Ballast: Sie wirft ihn kurzerhand über Bord. Das Ergebnis ist eine abgewandelte Neuerzählung des NES-Klassikers Castlevania 3: Dracula's Curse mit Elementen einiger späterer Spiele, die zwar dieselben Charaktere nutzt, ihre Motivationen aber deutlicher herausschält oder leicht abwandelt.
Ich jedenfalls kann mich nicht daran erinnern, wie Pixel-Dracula dem wachalischen Volk ewige Blutrache schwor, nachdem die Kirche seine Frau als Hexe denunzierte und zum grausamen Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilte. Die gesamte erste Folge ist seinem Schicksalsschlag gewidmet und zeigt, wofür auf vergilbten Modulen seinerzeit kein Platz war: Selbst in der Brust des personifizierten Bösen schlägt ein Herz. Ein Herz, dem seine Frau Lisa erst Liebe, schließlich gar den zerbrechlichen Glauben an die Menschheit injizierte. Bittere Ironie, dass ausgerechnet diese Gefühle ihn nach dem grausamen Tod seiner Frau noch gefährlicher als vor der Heirat machten. Aus dem kalten Zyniker wurde ein gebrochener Mann, angetrieben von nichts als blinder Wut und der Sehnsucht nach Vergeltung.
Diese stilvoll inszenierte, vor allem aber emotional nachvollziehbare Hintergrundgeschichte dient den folgenden drei Episoden als Stütze, die sich ein wenig mühselig über ihre eigentlich knappe Laufzeit hinwegschleppen. Während euch Draculas Motivation Knall auf Fall binnen einer straffen Folge eingeprügelt wird, zieht sich Trevor Belmonts Selbstfindungsphase ähnlich in die Länge wie seine magische Peitsche. Volltrunken schleppt sich der Letzte seiner Sippe durch versiffte Bars, reißt merkwürdig deplatzierte Sprüche und stellt seine Bösarschigkeit unter anderem damit unter Beweis, gleichgültig auf einen Berg menschlicher Leichen zu spucken. Cooler Typ. Können wir jetzt bitte wieder Dracula sehen?
Kaum ist Trevor seinem Gebrochener-Held-Drehbuch so weit gefolgt, dass er sich erstmals als geborener Anführer herausstellt, schieben sich auch schon die Credits der letzten Folge über den Bildschirm. Dadurch ist Castlevania auf schizophrene Weise zu kurz und zu lang gleichermaßen. Die einigermaßen vorhersehbaren Startschwierigkeiten des letzten Belmonts hätten keine drei Folgen gebraucht, die Staffel insgesamt aber mehr als 100 Minuten, um mehr als ein Vorspiel dessen zu sein, was uns in der bereits bestätigten, äußerst vielversprechenden zweiten Staffel erwartet.
Sofern die ersten vier Folgen dafür als Gradmesser herhalten, ist das vor allem eine noch nicht ganz austarierte Mischung aus straff choreographierter Action und fahrigen Dialogen. Letzteren fehlt es neben einem etwas geschliffeneren Drehbuch ("Du kommst aus der Scheiße. Ich komme aus der Scheiße. Wir alle kommen aus der Scheiße.") vor allem an Geld: Castlevania ist sichtlich bemüht, sein Budget trotz aufwendig animierter Kämpfe zusammenzuhalten, und muss dafür notwendigerweise ein paar Kompromisse eingehen. Mit viel gutem Willen könnte man in den wenig aufregenden Schuss-Gegenschuss-Dialogen eine Hommage an holprige Videospielsequenzen sehen. Den Kontrast zum sonstigen hohen Produktionsstandard - eine Melange aus Comic- und Anime-Elementen - mindert aber auch dieses Wohlwollen nicht.
Trotzdem: Findungsschwierigkeiten, von viel mehr reden wir hier nicht. Castlevania leistet sich keine kapitalen Fehler und macht schon bedeutend mehr richtig als falsch. Nicht, dass wir das düstere Zeitalter der Videospieladaptionen jemals wieder als Maßstab anlegen sollten, aber noch vor wenigen Jahren wären wir hierfür vor Netflix auf die Knie gefallen. Es atmet zu jeder Zeit den Geist der Vorlage und balanciert zugleich erfolgreich auf jenem schmalen Grat, der zwischen sklavischen Nacherzählungen und jenen Adaptionen liegt, die kaum noch etwas mit dem Original gemein haben. Castlevania zieht mutig sein eigenes Ding durch und wenn es den Produzenten künftig gelingt, ruhige Passagen eleganter mit Schnetzeleinlagen zu vermählen, wüsste ich keinen Grund, warum das nicht noch einige Jahre so bleiben sollte.