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Catherine - Weil's so schön war: Noch ein Test

Stillstand ist Untergang

Hinweis: Da wir Catherine bereits zu dessen US-Veröffentlichung ausführlich unter die Lupe genommen haben, findet ihr Thomas' "regulären" Test des Titels unter dieser Adresse. Hier findet ihr auch eingehendere Beschreibungen zu den Einzelheiten des Spielprinzips. Im Folgenden lest ihr dagegen Alex' Gedanken zu Atlus' ungewöhnlichem Spiel.

Das war es jetzt oder? Vincent (32) - Programmierer, Rave-Fan, Kumpeltyp - sitzt mit Katherine im Café und verkappt beinahe seinen Drink durch die Nase, als seine Freundin vielsagend beginnt, über deren langjährige Beziehung Bilanz zu ziehen. Gleich geht sie also los, die Diskussion über den "nächsten Schritt". Vor dem inneren Auge des ausgemachten Slackers fährt gerade der letzte Zug mit der Endstation "Rest deines Lebens" ab.

Für Vincent, dessen Lebensstil sich über die Aufrechterhaltung des Status Quo definiert - gelegentliche Dates mit der Herzdame, allabendliche Cocktails mit den Kumpels in der Stammkneipe, ein Job, den man als den Weg des geringsten Widerstands bezeichnen könnte - gerät in diesem Augenblick die Welt aus den Fugen. Er liebt seine Katherine, das steht für ihn fest. Aber ist das nicht genug? Und kann nicht einfach alles so wunderbar unverbindlich bleiben wie es ist? Kann es nicht, denn am nächsten Morgen wacht er ohne Erinnerung an die Nacht neben einer verboten frivolen Blondine auf. Die heißt zwar auch Catherine (mit "C"), verkörpert aber ansonsten das komplette Gegenteil der verantwortungsvollen Jugendliebe.

Catherine ist ein Spiel, das viele Themen feste anpackt: Es geht um die Schattenseiten von Lebensbünden, das Übernehmen von Verantwortung und die Art Erwachsenwerden, die vor allem im Kopf passiert. Nicht die, die dafür sorgt, dass man zuerst an den Schultern und dann um den Bauch herum immer weitere Jacken füllt. Und auch nicht die, die über die Zahl Cuba Libres definiert ist, die man glaubt, in sich reinschütten zu müssen, weil man nichts Besseres zu tun hat. Jedermann, der ihn hinter sich hat, kennt diesen Schwebezustand zwischen Jugend und der Zeit danach, hier im Endstadium durch Catherine und Katherine symbolisiert, der bei jedem unterschiedlich lange anhält. Und genau deshalb spricht Atlus' auf den ersten Blick exotisch und vermeintlich Ur-japanisches Künststückchen auch über Ländergrenzen hinweg eine ganze Generation junger Männer an.

Anders als die weltweite PR oder das aufreizend auf der Spiele-Verpackung posierende Anime-Mädchen euch vielleicht glauben machen wollen, geht es aber zu keiner Zeit um Sexualität oder Erotik. Das Spiel Catherine will nicht erregen, es sei denn, man findet allein den Gedanken der Untreue, die Verlockung an sich, schon aufreizend. Schon sehr bald wird klar, dass mit "der anderen Frau" etwas nicht stimmt, dass sie ... wie soll man es sagen ... einfach komplett irre ist. Nicht "Hosen-auf-dem-Kopf-tragend"-irre, sondern eher die Sorte, der man aus Sicherheitsgründen lieber Fäustlinge mit Armeeklebeband an den Händen befestigt. Und selbst wenn ihre Garnitur im Oberstübchen noch komplett wäre, so steht durch die clevere Symbolik Vincents Situation doch immer dessen Dilemma im Vordergrund. Und das gibt das Spiel in seinem größten Kunstgriff direkt an den Spieler weiter.

Immer wieder habt ihr nämlich die Möglichkeit während der Dialog-getriebenen Kneipen-Treffen mit euren Kumpels Orlando, Jonny und Toby auf SMS der beiden Damen, die nichts voneinander wissen, zu reagieren. Ganz "Engel links, Teufel rechts", verfasst ihr aus vorgegebenen Phrasen Antworten, die euch auf einer Skala zwischen beiden Extremen verorten. Auch in einigen "binary choice" Gesprächen malt ihr "euren" Vincent mit euren ganz persönlichen Farben aus, lasst ein wenig von euch in ihn hineinfließen. Seid ihr der Meinung, es soll für ihn so weitergehen wie bisher - was unter Umständen mit Katherine unvereinbar ist - oder wird euch/ihm klar, dass auch er den nächsten Schritt gehen will? Es ist durchaus diskutabel, ob das Spiel selbst nicht vielleicht doch ein bisschen zu romantisch verklärt ist und daher nicht zu eindeutig Stellung pro letzterer Option bezieht. Dennoch ist der Weg zu einer von beiden Erkenntnissen nie weniger als faszinierend, eben weil es so anders ist und das Spiel in seinen exzellent gespielten (englischen) Dialogen so viele wahre oder zumindest nachvollziehbare Worte spricht.

"Hier rennt ihr tatsächlich um euer oder besser Vincents Leben - mit all der Spannung und all den Triumphen die das mit sich bringt, sobald man das Konzept einmal begriffen hat."

Catherine - Nightmare-Trailer

Und spannend ist es obendrein, denn zwischen all der "Coming-of-Age - Jetzt aber wirklich"-Dynamik hat sich auch noch ein handfestes Mystery-Element eingeschlichen. Nachts träumt Vincent seit Kurzem komisch, muss in Unterwäsche im Wettlauf mit anthropomorphen Schafen einen Turm erklimmen, dessen untere Etage in regelmäßigen Abständen in einen gähnenden Abgrund wegbricht. Ist das der Traum, von dem man sich erzählt, dass man in ihm wirklich stirbt, wenn man fällt und nicht aufwacht, bevor man auf dem Boden aufprallt? Es ist kein Spoiler zu sagen, dass der widerkehrende nächtliche Horrortrip tatsächlich mit den ungeklärten Toden junger Männer zu tun hat, die seit ein paar Tagen leblos in ihren Betten aufgefunden werden.

Man darf es durchaus als spielerische Premiere begreifen, wie Atlus hier einen temporeichen Steinchenschiebe-Knobler mit dem Drama eines spannenden Plattformers verschmilzt. Der narrative Brückenschlag zwischen der "echten" und der "Traumwelt" sorgt dafür, dass man hier nicht mit der highscorebeflissenen Gleichgültigkeit herangeht, wie man sie normalerweise der eher unpersönlichen Spielegattung der Puzzlespiele entgegenbringt. Hier rennt ihr tatsächlich um euer oder besser Vincents Leben - mit all der Spannung und all den Triumphen die das mit sich bringt, sobald man das Konzept einmal begriffen hat.

Am Ende ist es eben das, was dieses Spiel ausmacht. Als hätte es nach der brillanten Persona-Reihe noch einen Beleg dafür gebraucht, ist fast jedes Element von Catherine von kluger Symbolik und dieser gewissen einfühlsamen Note durchzogen, die Atlus als exzellente Beobachter menschlichen Lebens, Liebens, Leidens auszeichnet. Auch wenn ich sagen muss, dass mir das Spiel ohne die übernatürliche Verrücktheit, die am Ende ein bisschen zu bequem einsetzt, um die losen Handlungsfäden miteinander zu verknüpfen, vielleicht eine Idee besser gefallen hätte, ist Catherine ein wahres Unikat. Lustig, dramatisch und allzu ertappend ehrlich - das zu verpassen, ist für jeden Spieler, der im Laufe seines Lebens schon einmal zwischen den Stühlen gesessen hat, eigentlich grob fahrlässig.

Ihr wollt mehr kluge Spiele sehen? Dann wählt mit eurem Portemonnaie.

Catherine erscheint am 10. Februar. Der erste Durchlauf durch die schöne Mixtur aus Adventure und Knobelspiel sollte in etwa 15 Stunden in Anspruch nehmen.

9 / 10

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