Child of Eden
Erleben kommt von "leben"
"Synästhesie" ist wohl das Schlagwort, das Tetsuya Mizuguchi auf dem Child-of-Eden-Lokaltermin in Hamburg am häufigsten gebraucht. Bereits Rez war dem Maler Wassily Kandinsky gewidmet, der ein ausgemachter Synästhet war und Mizuguchis nächstes Spiel zielt wieder darauf ab, euch Formen, Farben, Musik und Schwingungen als vermischte Sinneseindrücke erfahren zu lassen.
Damit ist es letzten Endes weniger Videospiel im Wortsinne als ein in größtmöglicher Breite angelegtes "Erlebnis". Mizuguchi, der Medienästhetik studierte, will in erster Linie, dass ihr wahrnehmt, spürt, eine Regung zeigt – wenn schon nicht nach außen, dann zumindest nach innen –, ohne dabei auf eine fein konstruierte Geschichte oder auf dick aufgetragenen Zwischensequenzen-Pathos zurückgreifen.
Und was soll ich sagen: Ich habe zwar keine Ahnung, was ich hier genau gesehen oder gemacht habe, aber ich habe mich dabei tatsächlich richtig gut gefühlt. Auch wenn er zum Scheitern verdammt ist, hier ein Versuch, zu verdeutlichen, worum ist in Child of Eden eigentlich geht: Ein paar hundert Jahre in der Zukunft wird mit Lumi der erste Mensch im Weltraum geboren. Nach ihrem Tod wird ihr Bewusstsein in den Nachfolger unseres Internets überspielt. Eine Virenattacke droht jedoch, die Lumi-Konserve zu verderben. Zeit für den Spieler, sich in die fünf verschiedenen Archive Lumis zu begeben, um das Schlimmste zu verhindern.
Der eigentliche Spielanteil von Child of Eden könnte dabei im Grunde klassischer nicht sein: Ihr wählt eine der fünf Ebenen – Matrix, Schönheit, Evolution, Leidenschaft oder Reise, während eine sechste offenbar freigeschaltet werden kann – und fliegt daraufhin auf einer vorbestimmten Route ohne Einfluss auf eure Bewegung durch dieses pulsierende und wabernde Universum. Diese Welt rollt sich vor euch aus wie ein dreidimensionaler Teppich aus Farben, Formen und Musik. Hier zieht ihr mithilfe Kinects mit bloßen Händen ein Fadenkreuz über mechanisch bis organisch anmutende Eindringlinge, die oft beinahe bekannte Formen annehmen – digitale Wale, Schmetterlinge, Vögel ziehen hier lumineszierend ihre Bahnen –, letzten Endes aber unwirklich und wenig greifbar bleiben.
Drei verschiedene "Waffen" stehen euch zur Verfügung um diese zu "reinigen". Mizuguchi betont den Umstand, dass hier niemand abgeschossen, sondern lediglich ins Gute verkehrt wird, denn er möchte, dass der Spieler den Vorgang als etwas inhärent Positives erfährt. Hebt ihr die rechte Hand, erscheint ein blauer Zielkreis, mit dem ihr viele verschiedene Viren markieren könnt. Eine leichte Bewegung nach vorne entfesselt dann zielsuchende Geschosse in Richtung der markierten Viren.
Hebt ihr eure Linke, zeigt der TV einen lila Sucher, Tracer genannt. Unter gedämpften Snare-Drum-Anschlägen entfesselt dieser ein Dauerfeuer mit hoher Frequenz, aber mäßiger Stoppwirkung. Zu guter Letzt wäre da noch "Euphoria", die Smartbomb in Child of Eden, die ihr zündet, indem ihr beide Arme nach oben reißt. Etwas Taktik kommt hinzu, weil einige Viren und Projektile, die in eure Richtung schweben, farbcodiert sind, also nur mit dem entsprechenden Schuss vom Himmel gewischt werden können.
Insgesamt war ich sehr angetan von der recht direkt wirkenden Kinect-Steuerung. Q Entertainment hat begriffen, wie man auch freihändigen Spielern noch ein tolles Feedback über ihre Aktionen geben kann. Befriedigende optische wie klangliche Effekte begleiten jedes Manöver der schnellen und akkuraten Kontrollen. Allerdings hätte ich erwartet, dass man beide Hände zugleich über den Screen ziehen kann. So wie es ist, "wechselt" man im Grunde zwischen beiden Suchern und muss aufpassen, nicht durch eine Bewegung des jeweils anderen Armes wieder das entsprechende Fadenkreuz hervorzubeschwören. Auch der Wechsel selbst war während meines Probespiels noch minimal desorientierend, weil der Sucher natürlich dort auftaucht, wo die Kamera die nun aktive Hand erfasst und nicht an der Stelle, die man zuletzt markiert hat.
Dieser Vorgang warf mich jedoch nie wirklich aus der Bahn oder wirkte sich nachteilig auf meine Zielsicherheit aus. Nur mein Rhythmus litt anfangs ein wenig. Es ist lediglich ein kurze Irritation, die sich mit mehr Übung durchaus auch in Wohlgefallen auflösen könnte. Für eine beidhändige Steuerung wäre es wohl nötig gewesen, dem Spieler genau vorzuschreiben, wo und wie er denn nun stehen soll, einschließlich eines Kalibrierungsvorganges, den das Spiel in der vorgeführten Version überhaupt nicht benötigte. Man stellt sich einfach hin, beginnt zu spielen und nach einer Weile ist man ziemlich tief drinnen in dieser Welt.
Es stimmt schon, wenn Mizuguchi sagt, dass man sich ein bisschen wie ein Dirigent vorkommt. Man spielt nicht nur mit Farben und Formen, Ursache und Wirkung, sondern verbindet alles durch seine Aktionen, führt es mit den Händen zusammen. Child of Eden ist das definitive Musikspiel, ohne dass hier auch nur annähernd versucht würde, den eigentlichen Vorgang des Musizierens zu simulieren.
Im Gespräch nach dem Hands-On verrät der stets in ruhigem Ton sprechende und beinahe schüchtern wirkende Japaner, dass er in den letzten fünf Jahren keine Games gespielt hat – zumindest keines der Konkurrenz. Er könne einfach keine frischen Inspirationen aus den Spielen anderer Leute ziehen, müsse sich daher anderweitig inspirieren lassen. Und so wundert es auch nicht, dass Child of Eden dermaßen neben allem steht, was der Markt seit Ewigkeiten zustande bringt, ohne sich allzu weit vom mittlerweile zehn Jahre alten Rez zu entfernen. Ob es auch darüber steht, sehen wir dann Mitte Juni.
Child of Eden soll im Juni für Xbox 360 und PlayStation 3 erscheine.