Civilization 6: Gathering Storm - Test: Schönwetter machen andere
Mutter Natur hat immer das letzte Wort.
Da ist sie nun, die neue Erweiterung zu Civ 6. Neun neue Zivilisation kommen als mögliche Gegenspieler beziehungsweise Verbündete hinzu - und doch ist es Mutter Natur, mit der ihr die verbittertste Feindschaft oder die schönste Symbiose führt. Wetter und Klima als chaotisch-neutrale übergeordnete Instanz. Eine ebenso zeitgemäße, wie umwälzende Neuerung.
Zugegeben, der Klimawandel macht sich selbstverständlich erst spät im Spiel bemerkbar. Bevor die Zivilisationen nicht massenhaft die Rückstände verbrannter fossiler Ressourcen in die Luft pusten, habt ihr es vornehmlich mit Wetterphänomen, Fluten und Vulkanausbrüchen zu tun, die zwar die Welt auf schöne Art lebendiger wirken lassen, ihre Auswirkungen relativieren sich allerdings langfristig.
Fast jede Katastrophe hat kurzfristig verheerende, mittelfristig aber positive Effekte auf die Felder, die sie heimsuchte. Okay, die Hänge eines Vulkans sind "atemberaubendes" Wohngebiet, das schneller wächst und nachdem die Lava abgekühlt ist und die Asche sich gelegt hat, zählt eine Fläche als fruchtbarer. Ähnliches gilt für geflutete Areale und von Sandstürmen gepeitschte Steppen. Aber im Grunde führt das dazu, dass sich Vor- und Nachteile oft zumindest ein Stück weit gegenseitig aufheben.
Natürlich muss man auf diese Gegebenheiten reagieren, zerstörte Verbesserungen und "geplünderte" Bezirke von Baumeister-Einheiten wieder herrichten lassen. Aber in erster Linie hatte ich das Gefühl, dass es besser wäre, zu Flussniederungen und aktiven Vulkanen einen angemessenen Sicherheitsabstand einzuhalten oder das Wichtigste um sie herum zu bauen, anstatt mitten rein. Hier und da leistete ich mir eine Stadt in riskanter Lage (zumal sie von Katastrophen nie ganz zerstört werden, es sei denn das Meer schluckt sie im hinteren Drittel eines Durchgangs), aber wie gesagt: Weil sich alles ein Stück weit aufhebt, könnte man auch offensiver dort siedeln und hätte vermutlich nur ein geringfügig anderes Erlebnis.
Aber - und das ist wichtig, deshalb schreibe ich es hier zum zweiten Mal - diese Phänomene bewirken, dass sich die Welten von Gathering Storm lebendiger anfühlen. Fast wie ein zusätzlicher Mitspieler. Nirgends wird das klarer als in den letzten Ären, sobald man ab dem Industriezeitalter die Industrie, den Energiebedarf der Städte und gegebenenfalls eine Kriegsmaschinerie mit fossilen Brennstoffen am Laufen halten muss. Ab dann machen sich die Folgen des erhöhten CO2-Ausstoßes bemerkbar. Küstenstädte werden geflutet, kleinere Inseln sogar komplett vom Meer verschluckt und feindselige Wetterphänomene mehren sich in ihrer Anzahl.
Das ist dann der Moment, in dem sich das Endgame schlagartig von allen anderen Spielen der Reihe abhebt, weil sich das Antlitz der Welt selbst verändert. Gathering Storm wäre natürlich keine Civ-Erweiterung, gebe es den Zivilisationen nicht entsprechende Technologien an die Hand, mit denen sowohl Vorbeugung vor dem Schlimmsten als auch Nachsorge nach dem Ernstfall möglich werden, aber das Machtgefüge wird hier schon mal ordentlich durchgeschüttelt. Erneuerbare Energien helfen ebenso bei der Einhaltung einer guten CO2-Bilanz, wie Flutbarrieren Küstenbereiche vor Überschwemmungen schützen. Das nur als Beispiel. Aber manchmal wird man eben doch zum Spielball der Natur - ein Zustand, an den sich Kontroll-Freaks erst gewöhnen werden müssen.
Sie sind es auch, die als erstes ausbaldowern werden, wie man den neuen Weltkongress in eine Richtung bewegt, die ihnen zu Gute kommt. Auch im Hinblick darauf, dem Klimawandel beizukommen - sofern man daran interessiert ist. Er stellt durchaus eine Bereicherung gegenüber Rise and Fall dar (dessen Notfall-Abstimmungen hier kurzerhand integriert wurden), auch wenn ich es ein Stück weit schade finde, nicht selbst eine Sitzung einberufen können, um über ein Thema abzustimmen, das mir unter den Nägeln brennt.
Stattdessen wird bei den regelmäßigen Treffen, bei denen man die neue Währung "Diplomatischer Einfluss" geltend machen kann, um mehr Stimmen auf einem der Resolutionsausgänge zu platzieren, immer über einen der Ära entsprechenden Beschluss abgestimmt. Ich hätte mir hier mehr Flexibilität gewünscht, etwa eine Vorrunde, bei der abgestimmt wird, welche Themen überhaupt zur Wahl gestellt werden. Aber zum Glück gibt's ja Modder.
Dennoch entsteht bei Gathering Storm das Bild eines Civilization, das mehr am großen Ganzen interessiert ist, als an den Nickligkeiten der Völker untereinander. Das Klima spricht ebenso dafür, wie die neuen Grievance-Punkte, die zwei Zivilisation füreinander anhäufen können, wenn man sich gegenseitig übel mitspielt. Das ist insofern clever, als dass andere Zivilisationen euch etwaige Vergeltungsschläge für Ungerechtigkeiten nicht übel nimmt und gleichzeitig früh sehr militaristisch aggressiv spielenden Völkern ein wenig den Zahn zieht. Die Welt gerät diplomatisch nie mehr so ganz aus den Fugen, und das ist gut so.
Besonders gut gelungen sind Firaxis die neuen Zivilisationen, bei denen vor allem die Maori hervorstechen. Sie starten auf See und die Agenda des Anführers Kupe ist es, möglichst viel von der Welt unangetastet zu lassen oder zumindest nicht zu verwüsten, wie nur irgend möglich, was natürlich bestens zum Motto der Erweiterung passt. Matthias Corvinus von Ungarn ist ein Experte darin, Stadtstaaten seine Kriege kämpfen zu lassen, während Kristina von Schweden vielleicht die Civ vertritt, die stärker auf einen kulturellen Sieg abzielt als alle anderen.
Eleonore von Aquitanien unterdessen ist das erste Staatsoberhaupt eines Civ, das zwei verschiedene Völker vertreten kann: Sowohl England als auch Frankreich. Sie ist Fördererin der Künste und große Werke innerhalb ihrer Städte wirken sich negativ auf die Loyalität von Nachbarstädten anderer Zivilisationen aus. Insgesamt eröffnen sich hier eine ganze Reihe interessanter neuer Spielweisen, vor allem im Wechselspiel mit der nun veränderlichen Welt, deren Städte der Zukunft unter Umständen sogar zur See erbaut werden.
Es ist eine ganze Reihe großer neuer Features und kleinerer Verbesserungen (von neuen Feldern, etwa den geothermalen Rissen, auf denen man später entsprechende Kraftwerke baut, und den neuen Spionage-Optionen habe ich noch nicht einmal angefangen), die Gathering Storm ein Stück weiter dorthin bringen, wo Civ 5 mit seinem letzten Update war: Die Userzahlen auf Steam bestätigen, dass Teil 6 auf dem richtigen Weg ist, konnte sich das neuere Spiel in Sachen Publikum doch mittlerweile klar von der alten Referenz absetzen. Ich bin nicht sicher, ob die Fans hierüber je so Feuer und Flamme werden, wie seinerzeit über das komplette 5er-Erlebnis. Aber das Spiel ist mittlerweile an einem Ort, an dem man auf seine neuen Features und maßvollen Verbesserungen nur noch schwerlich verzichten möchte.
Es stimmt schon, dass man sich anstrengen kann, wie man will, sein "Haus" klimaneutral zu halten - wenn die Nachbarn in der Mehrzahl einen feuchten Kehricht darauf geben, hilft alles nichts und man hat unter Umständen auch selbst unter den Folgen zu leiden. In einem Spiel, in dem man sich gerne schon vorher seinen Weg zu einer der vordefinierten Siegbedingungen, von kulturell, über religiös, wissenschaftlich, militärisch oder - neu! - diplomatisch ausmalt, und von diesem nur im Notfall abweicht, bringt der Klimawandel eine Variable ins Spiel, die schwieriger zu kontrollieren ist als alles andere.
Dann wiederum mag ich irgendwie sehr, wie mich die Klima-Ergänzung in der neuen Civ-Erweiterung vor allem auf die Taten und Entscheidungen anderer reagieren und Bündnisse schließen lässt, die ohne dieses neue Feature wohl nicht zustande gekommen wären. Klima ist einfach eine frische, wenngleich bedenklich realitätsnahe neue Art, die Machtgefüge auf dem virtuellen Globus neu zu sortieren. Und wenn es in Civilization im Kern um eines geht, dann doch darum, nicht wahr?
Entwickler/Publisher: Firaxis/2K - Erscheint für: PC - Preis: 39,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein
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