Civilization: Beyond Earth: Der Stoff, aus dem die Zukunft ist
Augenfällig fremd, augenfällig ansprechend.
Will Miller hat drei Probleme: Traditionell orientierte Fans der Serie wollen ein neues Civilization 4. Science-Fiction-Enthusiasten lieber Alpha Centauri 2. Und Miller ist nicht Sid Meier. Trotzdem ist er für Civilization: Beyond Earth verantwortlich. Gemeinsam mit Ex-Kommilitone David McDonough führt er als Lead-Designer die rundenbasierte Expedition der 4X-Strategie ins Weltall.
Civ 5 ist der aktuelle Teil der großen Serie, die den Echtzeitstrategieboom der 90er-Jahre überraschend gut überstanden hat. Ars Technica zufolge besaßen bei Steam im April 5,84 Millionen Nutzer das Spiel. Auf einen sechsten werden Anhänger trotz guter Zahlen noch etwas warten müssen. Die Reise zu den Sternen hat derzeit Vorrang.
Dass sich Firaxis an ein neues Franchise heranwagt, ist löblich. Aber Beyond Earth sollte sich genug abheben, damit nicht das Gefühl, ja, die Ernüchterung aufkommt, Civ 5 im Space-Pelz vor sich zu haben; mit anderen Einheiten und ein bisschen Kosmetik. Firaxis hat bereits das rundenbasierte XCOM erfolgreich wiederbelebt - warum also nicht noch etwas tun, was sich viele gewünscht haben? Miller und McDonough hatten und haben keine leichte Aufgabe.
Gibt es Gemeinsamkeiten? Natürlich, es ist Rundenstrategie. Miller versucht zu erklären, was die Faszination von Civ ausmacht: „In seinem Kern ist Civ ein taktisches Kriegsspiel mit Wirtschaft und Diplomatie zusätzlich." Neu ist das nicht, und es wird sich auch nicht ändern.
Anders ist in Beyond Earth zunächst, dass Miller und McDonough die Spieler auf einen anderen Planeten schicken. Nicht, weil die Menschen von einer Flutwelle biblischen Ausmaßes für ihre Sünden bestraft wurden. Nicht, weil ein Atomkrieg die Erde unfruchtbar gemacht hat oder ein Virus fast alle dahingerafft hätte. Also keines der derzeit so populären Standardszenarien aus Film und Spiel. Sondern wegen eines „großen Fehlers". Jener Fehler geschieht von heute aus gesehen in etwa 20 Jahren und schickt die Menschheit in eine zwei Jahrhunderte andauernde Depression, in einen Kampf um Stabilität, in ein dunkles Zeitalter.
Am Ende sind die natürlichen Ressourcen der Erde fast erschöpft, wie auch der Planet von seinen menschlichen Bewohnern. Also geht es in den Weltraum, für Firaxis das erste Mal, seit im Jahr 1999 das hochgelobte Alpha Centauri herauskam.
„Die Erde ist in einem guten Zustand, wenn wir sie verlassen. Das war eine bewusste Entscheidung." Viele andere Entwickler dagegen geben auf die Frage nach der Zukunft fast immer die leichteste Antwort - und die heißt Zerstörung. Apokalypse verkauft sich, weil Apokalypse Action verspricht und Angst macht.
Beyond Earth ist auch als ein Kontrapunkt zu all den Szenarien gedacht, die uns suggerieren, wir seien es nicht wert, auf unserem angestammten Planeten zu leben. In der Vorstellung des Beyond-Earth-Teams geht die Erde aber eben nicht zur Hölle, trotz der Kriege, ohne die auch Civilization nicht funktionieren würde. Der Unterschied des Erzählbogens, sowohl von Civilization und aller realen bisherigen Zivilisationen: Wenn der Konflikt beigelegt ist, sind wir wieder eins. Wir sterben nicht aus.
Während in Sid Meiers Klassiker Alpha Centauri die Menschheit in einer Arche ihre Heimat verlässt, sind es in Beyond Earth mehrere Schiffe, die nach und nach auf dem neuen Planeten eintreffen. Ich bin der Pionier, meine Siedler betreten als erste die Oberfläche, auf der seltsame Farbkombinationen wie türkis-grün dominieren. Dort bewegen sich unbekannte Lebewesen, die nach terrestrischen Maßstäben als monströse Insekten durchgehen. Das vielleicht eindrucksvollste von ihnen ist der Siege Worm, ein massiger Körper, der aus dem Boden schießt und menschliche Einheiten mit seinen drei riesigen Tentakeln einfach zerquetscht. Hat irgendjemand Dune gesagt?
"Hat irgendjemand Dune gesagt?"
Die Ureinwohner in bisherigen Civ-Teilen waren immer relativ aggressiv, aber in ihrer Kampfkraft trotzdem unterlegen. Rottet der Spieler in Beyond Earth die Außerirdischen nicht aus, halten sie jedoch mit den Invasoren Schritt. Sie sind eher als eine neunte Fraktion gestaltet, nicht als lästiges Ärgernis, dem ich mich im Vorbeigehen entledigen kann. Auf Angriffslust reagieren sie mit Feindseligkeit, entsprechend verfärbt sich ihr Fraktionssymbol.
Die anderen Parteien - es gibt acht verschiedene Anführer - machen sich zwar später von der Erde auf, was dem Spieler einen zeitlichen Vorteil verschafft. Allerdings sind sie bereits weiter entwickelt, wenn sie innerhalb der ersten 50 Züge mit ihrer Siedlung Anspruch auf einen Teil des Planeten erheben.
Die Forschung verläuft nicht linear. So ist es wohl ohne Umstände möglich, auf eine bestimmte Technologie hinzuarbeiten, aber nicht entlang tatsächlicher Errungenschaften, wie es bei den geschichtsorientierten Titeln der Hauptserie geschieht. Entsprechend hat der visualisierte Baum Äste und Blätter, die von einem zentralen Punkt ausgehen und sich in alle Richtungen ausbreiten. Technische Innovationen sind mitunter schwierig ins Spiel zu übersetzen: Jeder weiß, was Schießpulver macht. Aber etwas, von dem er noch nie gehört hat? Der Baum mutet zwar riesig an, aber die Entwickler wollen den Spieler nicht überfordern, sagen sie. Also beginnt er mit Dingen wie PCs, Gen- und Raketentechnik.
„Sid Meier sagt immer: Mach die Recherche, nachdem das Spiel fertig ist", verrät Miller.
Zwar hat sich Firaxis mit möglichen technischen Entwicklungen beschäftigt, aber eigentlich ist das nicht gewollt: „Sid Meier sagt immer: Mach die Recherche, nachdem das Spiel fertig ist", verrät Miller. Meier, der Vater der Serie, agiert bei Firaxis für die zwei jungen Lead-Designer offenbar als der große Weise im Hintergrund, der ihnen ab und zu eine Dosis seiner Erfahrung verabreicht. Der Gedanke hinter diesem Hinweis: Nimm nur das, von dem du glaubst, dass die Spieler es ohnehin schon wissen. Dann fühlen sie sich klug.
Der Planet ist augenfällig fremd. Überall wabert auf den Hexfeldern grünes, stinkendes Gas, das den eigenen Einheiten Schaden zufügt. Das Miasma ist allerdings eine der Ressourcen, die ich mit neu erworbenem Wissen auch zu meinem Vorteil nutzen kann. Ein weiterer Rohstoff ist ein Supraleiter, der für künstliche Intelligenz und Supercomputer nötig ist. Dazu kommt violettes Gestein, das ich für die Produktion bestimmter Einheiten wie schwer bewaffnete, schwebende Plattformen brauche.
Vielleicht das Wichtigste an Beyond Earth ist etwas, das Strategiefans wohl nicht gerne hören werden, sie aber womöglich schon befürchten: Asymmetrie und Zufall sind ein fester Bestandteil des Spiels: „Das wollten wir unbedingt einbauen, denn das gab es bislang nicht in Civ", so Miller. „Das sind entscheidende Unterschiede." Dazu gehört die versetzte Ankunft der anderen Fraktionen genauso wie das Verhalten der Aliens auf dem neuen Planeten, die zwar grundsätzlich friedlich sind, aber trotzdem manchmal einfach angreifen. Die Umwelt und die Zukunft sind wenig berechenbar.
"Wie bei der Civ-V-Erweiterung Brave New World gibt es auch in Beyond Earth Ideologien: Harmonie, Herrschaft und Reinheit repräsentieren, grob gesagt, das Verhältnis des Spielers zum neu besiedelten Planeten."
Wie bei der Civ-V-Erweiterung Brave New World gibt es auch in Beyond Earth Ideologien: Harmonie, Herrschaft und Reinheit repräsentieren, grob gesagt, das Verhältnis des Spielers zum neu besiedelten Planeten. Harmonie zielt auf Koexistenz mit der Flora und Fauna ab, Herrschaft auf militärische Dominanz und Reinheit auf Terraforming, also darauf, das neue Zuhause der Erde so ähnlich wie möglich zu machen. Damit einher geht die Frage: Welche Art von Gesellschaft will ich formen? Die Antwort darauf beeinflusst auch den diplomatischen Teil des Spiels. So sollen Verhandlungen mit Fraktionen der gleichen Ideologie leichter sein.
Neben den altbekannten Siegbedingungen wie des militärischen Erfolgs kommen in Beyond Earth szenariospezifische hinzu: So gibt es etwa eine weitere Spezies von Außerirdischen, zu denen der Spieler Kontakt aufnehmen kann. Dann ist die Partie gewonnen. Bei „Transcendence" muss ich wie beim geistigen Vorgänger Alpha Centauri mit dem Bewusstsein des besiedelten Planeten selbst kommunizieren. Bei „Promised Land" errichte ich ein Warp-Tor, hole Siedler von der Erde in die neue Welt und beschütze sie. „Emancipation" ist das Gegenteil: Dann schicke ich Truppen in die andere Richtung, um die alte Welt zu erobern.
„Der Weltraum ist die neue Grenze, sie regt die Fantasie der Menschen an, und die wollen wir nutzen", sagt Miller. Doch abseits der Vorstellung: Wie realistisch ist die Vision von menschlichem Leben auf fremden Planeten, etwa in Form von Habitat-Projekten wie Mars One - und haben sie das Spieldesign beeinflusst?
„Ich bin kein Raketenwissenschaftler", gibt sich Miller defensiv: „Aber ich denke, dass Mars One ein bisschen zu weit geht. Die größte Inspiration für uns war vielleicht Tom Wolfes 'The Right Stuff'. Das Buch hat eine fantastische, romantische Heldenhaftigkeit in sich." Wolfes Reportage-Roman beschäftigt sich mit der amerikanischen Luft- und Raumfahrt. Die Verfilmung aus dem Jahr 1983 lief unter „Der Stoff, aus dem die Helden sind" in den deutschen Kinos. Von den Mondmissionen in den 1960er- und 1970er-Jahren ist Miller sichtlich und hörbar begeistert: „Es war eine Zeit, in der wir Risiken eingingen, wagemutig waren. Jetzt dagegen sind wir kontrollierter und gehen schrittweise vor."
Beyond Earth als Produkt dieser Inspirationsquelle funktioniert auf zwei Ebenen. Erstens das unternehmerische Wagnis: Nur weil Civ V erfolgreich war, muss es Beyond Earth nicht werden, auch wenn Miller sich überzeugt zeigt, dass es Alpha Centauri mindestens in kommerzieller Hinsicht übertreffen wird. Und zweitens spielerisch: Gemeinsamkeiten mit Civ V gibt es viele, aber einiges ist neu. Besonders die beabsichtigte Asymmetrie und der Zufall muten wie ein kontrolliertes Experiment an. Wird der Spieler genug Kontrolle über das Geschehen auf dem neuen Planeten behalten oder schlagen die Partien in Frustrunden um, weil das Gefühl von Beliebigkeit den Spielspaß raubt?
Was die Erzählung und die spielerische Konsequenz angeht, konnte Firaxis sich überall bedienen. Schließlich ist Beyond Earth eine Wette auf die Zukunft und kaum an historische Entwicklungen gebunden. Der Werbespruch des Spiels, „A new world, a new home, a new beginning - for mankind", lässt sich leicht übersetzen: ein anderer Planet statt ein altes Civilization in neuem Gewand. Ein schickes Zuhause für die seit über 10 Jahren schmachtenden Alpha-Centauri-Fans. Und vielleicht der Anfang für ein Franchise. Will Miller hat also drei Probleme - aber auch drei Chancen.