Collection of Mana ist zu teuer. Hier der Grund, warum das weniger schmerzt, als es sollte
Das klaffende Loch in der Action-RPG-Historie wird endlich geschlossen.
Ich musste schon ordentlich schlucken, als ich sah, was Square Enix für die Collection of Mana auf der Nintendo Switch verlangt. Nicht, dass mich das noch überraschen würde, wenn mal wieder beinahe reflexartig das 39,99-Euro-Preisschild auf ein Switch-Spiel gepappt wird. Aber für eine Game-Boy- und zwei SNES-Emulationen - tadellos umgesetzt immerhin - wird hier doch ein wenig zu gierig die Hand aufgehalten. Trotzdem ist das Paket faszinierend, was nicht allein mit seinem historischen Wert zu tun hat.
Wenn man bedenkt, wie beliebt Secret of Mana war und ist, ist es schwer zu begreifen, warum der Nachfolger, Seiken Densetsu 3, nie im Westen herauskam. Lokalisationsaufwand und vor allem die Größe und damit der Herstellungspreis des Moduls waren schuld. Damals wohlgemerkt. Heute sind das Dinge, die keinen Hinderungsgrund mehr darstellen würden, ein Spiel von derart unbeflecktem Renommee nicht auch hierzulande fortzusetzen. Genau das passiert mit der Collection of Mana: Teil drei kommt als Trials of Mana mit 24 Jahren Verspätung auch hierzulande heraus.
Für Fans des zweiten Teils, die sich nicht durch die japanische Version rätseln wollten oder aus verständlichen Gründen unwillig waren, sich in die rechtliche Grauzone (ein sehr, sehr dunkles Grau zugegebenermaßen) eines Japan-ROMs mit Fanübersetzungs-Patch zu wagen, markiert die Collection of Mana gewissermaßen einen Feiertag. Ein Vierteljahrhundert später das Sequel eines Lieblingsspiels zu bekommen, ist einfach ein ganz besonderer Moment, gewissermaßen eine Art Videospiel-historische Ausgrabung, an der man selbst teilhaben darf.
Das Fossil, das man dabei zutage fördert, hat sich bestens gehalten: Trials of Mana hat das eine oder andere Problem, zuvorderst die Tatsache, dass man den Eindruck hat, dass es dringend fertig werden musste, bevor Squaresoft sich der 32-bit-Generation zuwenden konnte und deshalb die Geschichte beziehungsweise die Charakterarbeit eher dünn ist. Aber es macht auch heute noch eine Menge Spaß und stellt in vielerlei Hinsicht eine ambitionierte Steigerung gegenüber Secret of Mana dar. Tatsächlich war es seiner Zeit voraus. So weit, dass es heute fast zeitgemäß wirkt.
Es beginnt bei der visuellen Umsetzung, die technisch und ästhetisch zum Hübschesten gehört, was auf dem SNES zu erwarten war. Manches Mal sprengt es diese Erwartungen sogar. Der einleitende Mode-7-Flug über eine dichte Wolkendecke besticht durch Plastizität und schieres Tempo, erzeugt fast wirklich ein Gefühl vom Fliegen.
Ich war dieser Tage richtig beeindruckt, wie gut das funktionierte, unabhängig davon, dass es auf einem 30 Jahre alten Modultoaster lief. Es ist einfach ein toller Effekt. Auch die Figuren-Sprites sind so wunderbar ausdefiniert und charakterstark, dass man dieses Spiel unter Dutzenden anderen sofort wiedererkennt.
Direkt im Hauptmenü gleich der nächste "Wow"-Moment: Ihr bestimmt selbst, welcher von sechs Charakteren die Hauptfigur sein soll und bestimmt dann zwei Party-Mitglieder. Egal, wer euer Protagonist ist, zunächst spielt ihr ähnlich wie in Octopath Traveller oder Dragon Age Origins eine eigene kurze Herkunftsgeschichte durch. Deshalb verspürt man nicht nur große Lust, den Titel mehrmals anzugehen, sondern auch eine tiefere Verbundenheit zu den Figuren.
Im Verlauf der Handlung trifft man dann auf die anderen beiden Charaktere, die man wählte, und hat dank der unterschiedlichen Charakterklassen - die man bei Level 18 und 38 noch je einmal in Richtung einer "Hellen" und "Dunklen" Spezialisierung entwickeln darf, eine Menge Optionen, an wunderbaren Wechselwirkungen der Party herumzutüfteln. Hier tut sich eine Tiefe auf, die der Vorgänger schlichtweg nicht hatte - und die sich wunderbar für mehrere Durchläufe aufdrängt.
Auch die Welt selbst ist näher an modernen Gepflogenheiten als an denen typischer SNES-Titel. Ein Tag- und-Nachtwechsel zieht nicht nur unterschiedliche Lichtverhältnisse über die Welt, wen oder was man antrifft, ändert sich je nach Tageszeit natürlich auch. Und ist ein Tag herum, beginnt ein neuer auf dem Kalender, an dem ein anderes Elementar stärker ist als am letzten.
Das hier ist also unverkennbar noch ein SNES-Spiel, aber eines, dem man überdeutlich anmerkt, dass in Sachen Games gerade ein neues Zeitalter anbrach. Dazu brauchte es nicht einmal fehlgeleitete, grobschlächtige Polygon-Experimente und Steuerungsunfälle in der dritten Dimension. Die Entwickler strebten inhaltlich nach Mitteln und Wegen, die Welt und die Interaktion mit ihren Figuren reichhaltiger zu gestalten. Mit ein wenig mehr Zeit wäre das hier ein unsterblicher Klassiker geworden. So ist es "nur" eine interessante und für Fans der Reihe immens spielenswerte Exkursion in eine Vergangenheit, die wir nicht erleben durften - und ein vorausschauender Wegweiser, in welche Richtung sich Rollenspiele in den kommenden Dekaden entwickeln würden.
Und noch etwas macht der Collection-Auftritt von Trials of Mana: Gewaltig Lust auf die gereifte Version dieses Abenteuers, die Square Enix auf der E3 als aufwendiges Remake ankündigte. Was hier offenbar an Arbeit und Kunstfertigkeit aufgefahren wird, um dem Spiel im nächsten Jahr endlich die gebührende weltweite Bühne zu bieten, das wirkt beinahe wie eine Entschuldigung, die SNES-Fans einst so hängen gelassen zu haben. Dafür zahle ich dann auch gerne Vollpreis.
Entwickler/Publisher: Square-Enix - Erscheint für: Switch - Preis: ca. 40 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein