Crawl - Test: Lovecraft-Wahnsinn für vier
... aber nur, wenn sie neben euch sitzen.
Ich würde sagen, ihr gebt euch mal eben diesen Trailer, bevor ihr weiterlest. Der fasst geradezu unverschämt gut zusammen, was Crawl ausmacht und an wen es sich richtet. Macht nur, ich warte unter dem Video auf euch. Versprochen.
Hi. Neben dem einen, entscheidenden Kritikpunkt, den es zu Crawl immer wieder zu hören gibt (dazu später mehr), ist das einzige Negative, was mir zu diesem Spiel einfällt, dass dieser Sprecher nicht über die komplette Länge einer Partie hinweg das Geschehen kommentiert. Und ja, das ist ein bisschen gierig von mir, denn tatsächlich gibt es mit dem Beginn eines jeden der halb- bis dreiviertelstündigen Dungeon-Crawls einen kleinen Monolog dieses dem Lovecraft'schen Tentakelwahnsinn verfallenen Betrachters aus dem Off.
Nur probeweise startete und beendete ich acht bis zehn Partien und bekam von dem um seinen Verstand ringenden Erzähler immer noch keine Dopplung zu hören. Ein schöner Bruch mit dem durchaus charmant-humorigen, aber angemessen Verwesung und Rattenpelzräude versprühenden Pixel-Look, der dieses moderne Gauntlet zu einem charakterstarken Hingucker macht. Ein Glanzstück hoher Detailverliebtheit in gekonnter Reduktion, was das nur zwei Mann starke australische Entwicklerstudio von Powerhoof - Gratulation zur Namenswahl übrigens! - hier auf die Beine gestellt hat.
Auch der Twist der Gauntlet-Formel, der dem Ganzen zu Grunde liegt, ist ein sehr kunstfertiger. Anstatt eine Viererpartie mal wieder durch dämonische Dungeons zu scheuchen, beginnt ein Match damit, dass den Abenteurern auf dem Weg in den Abgrund die Sicherungen durchbrennen und sie sich gegenseitig umbringen. Der geistig kurzzeitig umnachtete "Sieger" setzt seinen Crawl, daher der Name, alleine fort, ist nun aber dem Zorn der Geister seiner ehemaligen Wegbegleiter ausgesetzt, die ihm fortan das Leben schwermachen. Was folgt, ist eine wilde Hatz durch nach Art von Binding of Isaac prozedural aneinander gereihter Räume, in denen regelmäßig die Fetzen zwischen dem Crawler und seinen rachsüchtigen Verfolgern fliegen. Auf jeder Etage auf dem Weg nach unten verstecken sich ein Shopkeeper, verfluchte Altare, verwunschene Brunnen, Schatztruhen und allerhand andere Einmal-Events, die euch mit vorübergehenden Zuständen beglücken oder strafen.
Eure Gegner können dort, wo Pentagramme in den Boden geritzt sind, als - je nach vor dem Spiel gewählter Gottheit - eines von drei Monstern spawnen, woraufhin sich alle Türen eines Raums schließen und der "Held" sich zum Kampf stellen muss. Der erfolgt in verdammt griffiger Häckselmanier alter Arcade-Automaten mit übersichtlichem, aber stets interessantem Repertoire aus einer Standard-Kombo und einem Special-Move. Spielhallenartig und unmittelbar begreift hier jeder Mitspieler schon nach Sekunden, was Phase ist, und spielt direkt auf Augenhöhe mit. Wer den Helden erledigt, erlangt seine Menschlichkeit zurück und setzt den Crawl seinerseits fort. Es siegt, wer den Herrscher des Dungeon erledigt - eine von drei verdammt gut animierten Bosskreaturen, deren Steuerung der einzelnen Attacken ebenfalls die Geister der Gefallenen unter sich ausmachen. Bis man sich daran versuchen darf, muss man Level zehn erlangt haben und die Spieler können an den Portalen insgesamt nur drei Anläufe auf den Endgegner starten. Danach ist das Spiel aus, die Menschlichkeit zurückerlangt - oder eben der Cthulhu-artige Weltenfresser wieder auf freiem Fuß auf der Erdoberfläche unterwegs. Auch ok.
Es steckt einiges an zum Experimentieren einladenden Nuancen in Crawl. Die mannigfaltigen Waffen lösen einige exotische Bonuseffekte aus (ein Favorit ist ein Zweihandschwert mit grotesk gutem Schaden, das als kleine Nebenwirkung gewaltige Brechattacken auslöst), andere Items befähigen zu Special Moves von Ausweichrolle bis hin zu Rammattacke oder ziehen einen magischen Schild hinter euch her, der rückwärtige Angriffe abwehrt. Und dann die Zaubertränke, die die drei Werte Gesundheit, Beweglichkeit und Kraft steigern. Dass es jedes Item nur ein Mal gibt, sorgt für Neid und stachelt die Giftigkeiten unter Freunden nur noch weiter an. Schön ist, wie man niemals lange in Inventars und Ausrüstungsmenüs herumfummeln müsste, schließlich trägt man immer nur eine Waffe und ein Item. Jede Änderung ist also ein Trade-off, den ihr gut abwägen und auf den ihr euch dann zu Felde einstellen müsst. Denn auch das Bewegungsmuster und der Rhythmus eurer Attacken und eure allgemeine Taktik ändern sich bisweilen gravierend.
Aufseiten der Geister gibt es ebenfalls einige Entscheidungen zu treffen, wenn es darum geht, auf welche Weise der menschliche Verräter zu filetieren ist. Je nach angebeteter Gottheit startet ihr mit einem anderen Satz an Monstern, die jeweils ihren eigenen, mehrstufigen Upgrade-Ast besitzen. Als Währung, um die nächste Evolutionsstufe zu erreichen, dient Zorn, der immer dann verdient wird, wenn ein menschlicher Gegenspieler um einen Level aufsteigt. Nach dem Abstieg eine Etage nach unten werden die Werte kurz aufgerechnet und jeder päppelt seine Monster auf die nächste Stufe auf. Ein schöner Mechanismus, um Chancengleichheit zu wahren. Wer sich als Mensch gut schlägt, sammelt eben keine Zornpunkte, während seine Widersacher immer stärkere Monster zu Felde schicken können. Ein allzu guter Lauf kann sich zu später Spielphase also bitterlich rächen.
Überhaupt macht es viel Spaß und es ist wundervoll spielhallenartig animiert, wie aus einer harmlos wirkenden einäugigen Fledermaus erst ein ekliges Flugbiest und schließlich ein furchterregender Beholder wird. Und dass man sich bei einer Chance von eins zu drei auf einen Spawn seines Lieblings und nur spärlich vorhandenen Punkten dafür ständig fragt, ob man sich spezialisieren oder lieber breit aufstellen sollte, ist ein weiterer Poker, der Spannung ins Spiel bringt. Ich weiß auch nicht genau warum, aber neben Gauntlet fühlte ich mich beim Spielen ständig an das Gefühl erinnert, das mir der Super-Melee-Modus von Star Control 2 bescherte. Ein Spiel, das bis heute definiert, wie ich mir gutes, asymmetrisches Gameplay vorstelle.
Optik, Musik und der Grundgedanke des Spiels gehen demnach bestens Hand in Hand mit dem geselligen Übel-Mitspiel- und Schadenfreude-Simulator, den sich Powerhoof mit dem Beginn der Early-Access-Phase auf die Fahnen schrieb. Es ist eine Freude, das alles anzuschauen und -hören, Heurmzuprobieren wirft oft genug interessante Gags und coole Powertrips ab und während im Ringen um den letzten Versuch, den Boss längs zu halbieren, die Finger immer verschwitzter werden, verlebt man mit ein, zwei oder drei Freunden zusammen eine wundervolle Zeit vor dem Bildschirm. Aber eben auch nur so - denn hier kommt der Haken: Einen Online-Modus gibt es nicht.
Klar, es wäre schöner, wenn man das Erlebnis auch über die Weiten des Webs hinweg mit seinen Freunden spielen könnte. Und das australische Duo von Powerhoof prüft gerade, ob und inwieweit das möglich sein kann. Aber es ist einfach eine naturgesetzmäßige Tatsache, dass ein Online-Modus für diese Sorte Spiel kein triviales Unterfangen ist. Ein schnelles 2D-Spiel mit pixel- und millisekundengenauer Spielerinteraktion bietet einfach nicht die "Schummel"-Möglichkeiten eines Rennspiels oder eines 3D-Shooters, die sich für Vorhersage- und Lag-Kompensierungsmechnismen anbieten. Wie gesagt: Sie arbeiten dran, aber ich würde mich nicht wundern, wenn es nie dazu käme.
Ganz im Gegensatz zu den ersten paar Crawls, die in meinem Fall allesamt in der unwillentlichen Freisetzung des undenkbaren Bösen an die Oberfläche der Erde endeten, ist das aber kein Weltuntergang. Wenn man diese 15 Euro nur für die gelegentlichen Abende investiert, an denen man einen oder mehrere Kumpel vor demselben Fernseher vereint, dann ist es das schon wert gewesen. Und dann ist da ja noch der nette Herausforderungsmodus, in dem ihr als eine beliebige der bisher freigespielten Monsterevolutionen versuchen müsst, so viele immer besser ausgerüstete Helden wie möglich zu plätten. Das Drumherum stimmt einfach, allein in der Enzyklopädie zu den bereits gefundenen Waffen, Items und Dungeon-Inventar zu blättern ist schon an und für sich nett. Nein, dass man nicht jederzeit die Gelegenheit haben wird, Crawl in Bestform zu erleben, schmälert für mich nicht die Leistung, die Powerhoof hier hingelegt hat. Wenn sie Online hinbekommen - oder zumindest den Switch-Port, über den man gerade nachdenkt und der helfen könnte, das Spiel buchstäblich in die Welt hinauszutragen -, bin ich trotzdem dankbar.
Am Ende ist das, woran ich mich erinnere, wenn ich an Crawl denke: wie fabelhaft ich den Look finde, wie gut das Konzept aufgeht und wie knackig und unmittelbar die Kämpfe ins Blut übergehen. Die treibenden Kompositionen und die verzerrten Soundeffekte, die den thematisch und stilistisch klassisch anmutenden Horror immer wieder kurz in die Moderne hineinflimmern lassen, unterstreichen, wie genau Powerhoof wusste, was für ein Flair sie hier erzeugen wollten. Zugegeben, Crawl ist ein Spezialist, der in der aktuellen Form nicht so oft zum Einsatz kommen wird, wie man sich das angesichts seiner Qualitäten wünschen würde. Aber es ist auch so ein wilder Ritt, immer wieder für eine halbe bis Dreiviertelstunde gut, wenn verspielter Besuch da ist. Es lohnt sich sogar, ihn extra hierfür einzuladen. Das ist mehr Aufwand, als man heutzutage üblicherweise für ein Spiel betreibt, schon klar. Lohnend ist er allemal.
Entwickler/Publisher: Powerhoof - Erscheint für PS4, Xbox One, PC - Preis: 14,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Englisch - Mikrotransaktionen: Nein