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Crytek hautnah

Blick hinter die Kulissen

Das Aquarium ist die Ruhezone des geschäftigen Studioalltags. Der breite, aber kurze Raum ist sogar für Videospiel-Redakteur-Verhältnisse bestens ausgestattet. Sofa, Widescreen-Display, ein Doppelpack Guitar Hero-Klampfen und etliche Multimedia Ausstattung verraten, dass es Unternehmen gibt, die sich weniger um die Zerstreuung ihrer Angestellten scheren. Nebenan bringt ein Fokus-Team von 25 Fachkräften Crysis Einzelteile gerade auf „Content Complete“-Status („Inhaltlich Vollständig“). „Damit sollten wir bald fertig sein. Dann kann es mit dem Bugfixing losgehen.“, so Avnis Wasserstandsmeldung.

Testen Crysis auf Herz und Nieren: die interne QA.

Nachdem man uns die eindrucksvolle, interne Multiplayer-Arena präsentiert hat, (aus der wir im Laufe unseres Aufenthaltes noch viele „Aaaaah“s, „Auuuu“s und „Uff“s vernehmen werden) spielt uns ein Toningenieur einige Schnipsel der orchestralen Musikuntermalung vor. „Die Musik wurde vom Northwest Sinfonia Orchestra in Seattle eingespielt. Wir implementieren sie gerade ins Spiel“.

“Insgesamt beschäftigen wir 150 Leute aus 27 Nationen.“ 150 Leute mit gutem Geschmack: Picard- und Data-Pappkameraden geben sich die Klinke in die Hand, Robocop und Batman bewachen die Hanauer Landstraße von ihrer Fensterbank herab und ein „The Office“-Poster verrät, dass einer der KI-Experten bei Crytek ein riesiger Ricky Gervais-Fan ist – oder gerne seine Kollegen quält. Nerd-Merchandise wie dieser bereichern die professionelle Atmosphäre um die Portion kindlichen Charme, was mich zumindest ein bisschen überrascht hat. „Die Amtssprache im Büro ist Englisch.“ und auch wenn Avni die Frage verneint, kommt man nicht darum hin zu bemerken, dass diese Multinationalität durch Frankfurt zwar nicht bedingt ist, sie aber eben doch ein bisschen reflektiert.

Unser Tourguide: Avni Yerli.

Als wir an einer Tafel vorbeikommen, an der einige wenige To-Do Karteikärtchen angebracht sind, gibt Avni erleichtert zu Protokoll: „Vor ein paar Wochen war die noch voll!“ Die unbesetzten Schreibtische hätten aber nichts damit zu tun, dass man schon soviel geschafft hätte. „Das liegt daran, dass unsere Mitarbeiter innerhalb ihrer Teams rotieren. Das stärkt die Kommunikation. Die Leute sollen sich wichtig fühlen, sich einbringen in das Projekt und Verantwortung tragen.“ Das Konzept scheint auf zugehen. Mit wem wir während unseres zweitägigen Besuches auch sprechen: Wir können einfach keinen Mitarbeiter entdecken, der nicht leuchtende Augen bekam, wenn er von Crysis sprach. Wirklich jeder scheint sich mit seiner Arbeit zu identifizieren und die gute Atmosphäre unterstreicht das.

Im vierten Stock erwartet uns mit dem hauseigenen Motion Capturing Studio samt seiner 18 Kameras noch eine besondere Überraschung. „Mit unserem Equipment können wir rund 80 % unseres Eigenbedarfs an Animationen decken. Die aufwendigeren Sachen macht die ortsansässige Firma metricminds für uns.“

Als wir – ausgehungert von der Staunerei – in der Mittagspause Bernd Diemer, Senior Game Designer von Crysis fragen, ob man in dieser heißen Entwicklungsphase denn schon die Betten neben den Schreibtischen aufschlagen müsse, entgegnete dieser nur, dass dies wohl eher nicht nötig sei. Also Birkenstock statt Bienenstock. Gelassenheit und Übersicht statt Hektik und Release-Trubel.

So langsam beginnen wir das Muster, nach dem bei Crytek gearbeitet wird, zu verstehen. Professionalität, Organisation und Kalkül sind die Maximen. In diesem Moment setzt sich Cevat Yerli zu uns an den Tisch, das unkalkulierbarste aller Mittagessen auf dem Tablett: Spaghetti Bolognese mit Parmesan und einer Frankfurter oben drauf.

Wie das Kicker-Derby in Foyer auch immer ausgegangen ist – mit ziemlicher Sicherheit war beim Ergebnis aber auch eine gute Portion Glück dabei. Das Modell Crytek hingegen macht den Eindruck, als wäre Erfolg mit Konsequenz und Leidenschaft auch in diesen Sphären noch von vorne bis hinten planbar – sozusagen das abzusehende Ergebnis eines natürlichen Prozesses. Und unter diesen Gesichtspunkten hört sich die Erfolgsgeschichte der Yerlis schon gar nicht mehr so seltsam an.

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