Cuphead - Test
Der Look ist alt? Wartet mal, bis ihr das Gameplay seht.
Ist Cuphead ein schwieriges Spiel? Nun, das ist eine Frage der Perspektive. Nach aktuellen, normalen Mainstream-Standards, das, was die Masse ausmacht, egal ob Indie oder Triple-A: Ja, es ist schlicht brutal. Nach Maßstäben, wie die Masse der Spiele 1992 funktionierte, ist es absoluter Standard, vielleicht etwas härter in den Stages selbst. Aber da nach jedem Stage in Cuphead gespeichert wird und man diese nicht jedes Mal neu spielen muss, wenn man die Konsole wieder einschaltet, kann man sagen, dass es vor 20 oder 25 Jahren nicht weiter aufgefallen wäre, was den Schwierigkeitsgrad angeht.
Diese Spiele damals waren aber auch sehr kurz. Wenn ihr sie beherrscht habt, dauerte ein Durchgang eine Dreiviertelstunde. Um auf eine sinnvolle Spielzeit zu kommen, durfte ein Spiel nicht so einfach sein, dass man einen Level im ersten Durchgang schafft. Dieses Gefühl werdet ihr bei Cuphead sehr authentisch wiederfinden und das sage ich in aller Freundschaft: Haltet eure Pads fest. Sofern ihr nicht Super-Meatboy-Dauerzocker, Mega-Man-9-Routiniers oder Dauer-Echt-Retro-Zocker seid und euch von dem aberwitzig durchgestylten Look von Cuphead einlullen lasst, wird das Spiel mit euch den Boden aufwischen. In jedem. Einzelnem. Stage. Immer wieder.
Ich glaube, dass muss einfach vorweggeschickt werden, denn viele werden Cuphead anspielen und voller Frust nach einer halben Stunde weglegen. Dann, weil es Geld kostete, nach ein, zwei Tagen zurückkehren und es wieder erleben, wie sie Mal um Mal sterben und gnadenlos und ohne jeden Fortschritt in die Oberwelt zurückgekickt werden. Selbst in den meisten brutalen Roguelikes macht ihr mit Geduld und Beharrlichkeit Fortschritte. In Cuphead nur dann, wenn ihr einen Level schafft. Das ist wirklich Old School.
Der Weg daran vorbei ist genauso Old School: Spielt und lernt. Nichts anderes funktioniert. In Dark Souls kommt ihr mit ein wenig Grind und höheren Levels zurück zum Boss, hier kommt ihr nach zehn Runden mit Fingerreflexen, präziser Kenntnis seiner Moves und Phasen zurück. Es gab damals wie heute nur wenige Spieler, die automatisch mit dem Pad so gut sind, dass Reflexe ausreichen. Spielt, trainiert und lernt und ihr werdet weiterkommen. Wenn nicht nach zehn, dann nach 20 Anläufen. Weil Cuphead zwar gnadenlos, aber auch fair ist. Meistens.
Jetzt aber erst mal zu Cuphead selbst: Was das Artdesign angeht, es ist das erste, was jedem sofort ins Auge fällt und sicher der herausstechende Teil dieses Spiels. Das im losen 30er-Jahre-Cartoon-Stil gehaltene Artwork und die dazugehörigen Animationen sind alle spektakulär. Ob sie authentisch sind? Ja, in meiner Vorstellung davon zumindest. Es erinnert sicher vieles an die Steamboat-Willie-Phase des Zeichentricks und Cuphead fängt das Gefühl perfekt ein. Es gibt viele Anspielungen, von denen ich ehrlich gesagt nicht so viele selbst einordnen kann, weil meine Kenntnisse frühster Disneys, Averys und anderer Künstler ein wenig begrenzt sind, aber wenn selbst ich ein paar erblicke, wird es für den Connaisseur mehr als genug davon geben. Das Gute ist auch, dass sich der Stil nicht zu sehr auf einen Bereich festnageln lässt und mit viele Variationen experimentiert. Das praktisch immer erfolgreich und ihr dürft euch auf einen einzigartigen Trip freuen.
Vor allem hatte ich kein Problem, mich an den teilweise komplett anarchischen Wahn eines guten, ungebundenen Zeichentricks zu erfreuen. Das fehlt moderner Animation einfach oft genug: Der Wille, alles zu tun, es dann zu tun und eine Sekunde später vergessen zu haben, dass man es tat. Wenn sich Popeyes Freundin, die einen als "Zeppelin" in einem Shoot-'em-up-Level auf Trab hält plötzlich für eine Weile und danach nie wieder in eine zornige Stierwolke verwandelt, dann ist das halt so. Cuphead ist voll davon in jedem seiner vielen, vielen Stages.
Was das Spiel selbst angeht, ist es eine Hommage an eine ganze Menge inklusive genug eigener Ideen, wie das alles zu kombinieren sei. Ihr spielt die Cuphead-Brüder, deren Design alles sagt. Es sind Tassen, die einen Deal mit dem Teufel gemacht haben und nun an das Ende von Welt 4 kommen müssen, um ihre Seelen zu retten. Solche Dinge passieren, ihr kennt das ja. Hier und da ein paar Handlungsdetails, Tipps gebende NPCs und Ähnliches außen vor, ihr spielt das nicht für die Story. Hüpfen ist dabei Ehrensache, ballern tut ihr, als wäre es Contra und ein paar Tricks hat jeder Level auf Lager, von den Bossen mal ganz zu schweigen.
Der Aufbau erinnert mich persönlich dabei stark an Treasure-Spiele, da es gefühlt mehr Boss-Kämpfe als normale Stages gibt. Der erste Level, in den ich stolperte, war gleich ein Bosskampf über drei Phasen, in dem Phase drei - eine Hypno-Riesenkarotte mit telekinetischen Fertigkeiten, ist halt so - mich fünf Mal heulend nach Hause schickte, bevor ich dann einsah, dass das Angebot, den Stage auf "einfach" zu probieren, nicht ohne Grund kam. Damit waren es dann nur noch zwei Phasen und auch relativ schnell erledigt. So oder so, richtet euch auf viele, viele Bosskämpfe ein, die zwar visuell sehr kreativ sind, aber spielerisch dem Kenner der Super-Nintendo-Zeit nicht so viel Neues zu bieten haben: Weicht einem großen Boss aus, weicht seinen Schüssen aus oder kontert sie.
Wenn ihr das erste Mal beim schweinischen Händler mit der fantastischen Stimme - selten klang ein Schwein so verrucht-sexy - einkauft, dann nehmt dies als kleinen Tipp mit: Ihr wollt als erstes den zielsuchenden Schuss. Er macht euch in den ersten Stages das Leben so viel einfacher. Aber ja, es gibt Extrawaffen und nicht zu wenige. Ihr habt immer zwei verschiedene Schüsse - zumindest sobald ihr einen zweiten gekauft habt -, eine mächtige Smartbomb und eine passive Spezialfertigkeit. Diese kauft ihr mit den goldenen Münzen, die teilweise gut versteckt, teilweise nur mit speziellen Fertigkeiten erreichbar in jedem Stage versteckt sind. Da sie genau abgezählt wurde, gibt es keinen Grind, ihr müsst überlegen, was euch am wichtigsten ist, bevor ihr wieder ein paar zusammen habt, um weiter aufzurüsten. Und noch wichtiger: Alles hat auch einen Nachteil. Eines der ersten Extras, das lockt, ist eines, auf das ihr verzichten solltet. Der Extra-Lebenspunkt senkt euren Schaden für alle Waffen und das gar nicht mal so wenig. Die Bosse schluckten etwa ein Viertel mehr Kugeln, wenn ich diesen Bonus nutze. Auf der anderen Seite beendete ich genug Kämpfe auf meinem letzten Lebenspunkt, den ich nur durch dieses Extra hatte. Wie würdet ihr euch entscheiden?
Hier begann mein Respekt für das Spiel weiter zu steigen und ich bleibe bei dem Treasure-Vergleich. Spielt ihr einfach mit den Standard-Waffen drauflos, lauft ihr sehr schnell komplett gegen die Mauer und das immer wieder und immer brutaler. Nehmt ihr die richtigen beiden Schüsse mit und überlegt euch auch gut, was in die anderen Slots muss, dann bekommt ihr immer noch keinen der Level und Bosse geschenkt, aber alles wird handhabbar. Fünf, sechs Anläufe, dann habt ihr schon ein brauchbares Ranking zusammen. Und das ist gut so, denn um eine Welt zu beenden und weiterziehen zu dürfen, ist das "Leicht" bei den Bossen zwar nett, aber den Freibrief für den Teufel bekommt ihr erst, wenn ihr die Endgegner auf "Normal" besiegt. Trotzdem, steigt ruhig leicht ein, ihr seht schon mal einige der Phasen eines Kampfes, könnt den Rhythmus finden und mit diesem Wissen wird "Normal" euch dann deutlich leichter fallen. Wiederum, es läuft am Ende alles auf Reflexe und Übung hinaus. Wie früher: Spielt einen Stage 20 Mal und beim 21ten Mal wisst ihr gar nicht mehr, warum ihr es nicht gleich geschafft habt. Wiederum, 1992 waren praktisch alle Spiele so, heute hat Cuphead da nicht mehr so viel Gesellschaft.
Dabei ist es natürlich wichtig, dass das Spiel fair zu euch ist. Es darf keine Stelle geben, die ohne Lebens(energie)verlust nicht zu meistern ist. Das ist in Cuphead fast immer der Fall. Technisch gesehen immer, doch an manchen Stellen variiert das Spiel leicht, wie das Timing mancher spawnender Feinde genau abläuft. Ich habe keine Stelle gesehen, die nicht schaffbar gewesen wäre, aber doch ein paar, die in dieser Sekunde fast Übermenschliches verlangten. Da ihr ein paar Lebenspunkte habt, hält sich das Drama in Grenzen, aber angesichts des sonst so eleganten wie eben unvergebenden Designs erstaunt es ein wenig. Es ist aber auch eine Frage der eigenen Ansichten. Ich bin kein Freund solcher Stellen, andere schätzen sie als Variation. Ihr wisst es erst, wo ihr in diesem Punkt steht, wenn ihr solche Situationen oft genug gespielt habt, aber das ist bei mir einer der Gründe, warum ich Ghouls 'n Ghosts nie ganz geliebt oder durchgespielt habe. Das übrigens als Spiel deutlich schwerer als Cuphead ist, um mal eine Einordnung zu treffen. So wie viele andere Games von damals auch, vor allem die, in denen ihr gar keine Lebenspunkte hattet. Zum Glück verzichtet Cuphead auf One-Hit-Kill. So stark wäre ich heute nicht mehr gewesen.
All das bringt bei einem Spiel des Run-and-Gun-Genres aber nur etwas, wenn die Steuerung sitzt. Und das tut sie. Auf den Pixel. Auch wenn das anfangs nicht immer der Fall zu sein scheint. Aber ich versichere euch: Es liegt an euch. Nicht an Cuphead. Die Grundlagen des Hüpfens und Schießens sind dabei selbstverständlich, aber, wie es sich für ein gutes "Treasure im Geiste" gehört, gibt es ein paar Eigenheiten. Das erste wäre ein Dash auf der Horizontalen, um einen Sprung zu verlängern oder durch eine paar dichtgestreute Feinde zu kommen. Dann müsst ihr aber auch immer noch gucken, wo ein Gegner oder Geschoss in pinkem Rosa daherkommt. Dieses könnt ihr per Tastendruck im Flug abpassen und dann lädt es nicht nur eure Spezialattacke schneller auf, ihr könnt auch einen kleinen Boost nach oben herausholen. Einige unmöglich wirkende Passagen verlassen sich darauf, dass ihr Dash und rosa Boost aus dem Handgelenk schütteln könnt. Wenn ihr das beherrscht, könnt ihr euch auf den Pixel exakt durch Momente manövrieren, die euch zuvor die Haare grau werden ließen.
Wo ich wirklich Sorge hatte, das war die Akustik. Die Grafik und ihr Stil sind immer noch Geschmacksfrage. Sie sind irrwitzig liebevoll, kreativ und verspielt ausgearbeitet und nicht die Antwort auf die Frage, ob Spiele Kunst sein können, aber eine der schönsten Bestätigungen, dass ein Spiel eine hinreißende Hommage an Kunst sein kann. Der Sound jedoch... 30er-Jahre-Cartoon-Musik... Ich wusste es erst, als ich es hörte, aber es ist ein Traum. Nichts davon werde ich mir ohne das Spiel anhören, aber im Spiel könnt' ich mir nichts Anderes oder Besseres als diese altmodischen Trinkhallen-Pianos, spöttischen Lieder und konservativ durchgeknallten Effekte vorstellen. Cuphead ist ein in sich geschlossenes audiovisuelles Werk voller Hingabe und Liebe, die in jedem einzelnen Frame durchscheint.
Was sich als zweischneidiges Schwert entpuppte, war der Koop-Modus. Sicher, ihr habt die doppelte Feuerkraft, aber auch eine Menge mehr Kugeln und Chaos auf einem Screen, der selten weniger als drei oder vier Gegner und tödliche Geschosse mit hohem Tempo beherbergt. Der Überblick leidet einfach deutlich, wenn ihr nicht mit fast schon professioneller Disziplin und Esprit de Corps an die Sache herangeht. Ein Vorteil ist sicher, dass ihr euren Freund wiederbeleben könnt, aber nur für die paar Sekunden, in denen seine Seele davonschwebt. Dummerweise der Moment, in dem ihr hektisch in seine Richtung hüpft, um ihn rechtzeitig zu erreichen, auch euer eigener letzter. Es ist schön, dass es den Modus gibt, aber wir hatten zu zweit am Ende sehr viel weniger Spaß als jeder für sich.
Aber der Koop ist eh nur ein gutgemeinter Bonus in einem Spiel, an dem sich gern die Geister scheiden dürfen. Wohl kaum an dem Artdesign, das jeder, der es vielleicht nicht liebt - was völlig legitim ist -, respektieren muss. Muss. Ende der Diskussion. Wichtiger ist der Punkt, dass Cuphead mehr "retro" ist als praktisch alles, was sich gerade aktuell so mit diesem Attribut "schmückt". Auf seine grundlegenden Gameplay-Elemente runtergebrochen, könnte Cuphead in einer Reihe mit Gunstar Heroes oder Alien Soldier stehen und würde unter diesen nicht weiter auffallen. Der starke Fokus auf viele Bosskämpfe, der Pixel-Präzision einfordernde, relativ schnelle Run-and-Gun-Ablauf, all das ist die Blaupause von Treasure. Da Treasure einige der besten Games in der Geschichte der Videospiele überhaupt abgeliefert hat, ist ziemlich klar, wo ich in diesem Punkt bei Cuphead stehe.
Aber, und das ist mein voller Ernst: Ich kann hier weit mehr als bei fast allen anderen Spielen, die unser goldenes Siegel tragen, sofort verstehen, wenn jemand damit nichts anfangen kann und will. Wir haben hier einen Titel, der im Gameplay über 20 Jahren zurückgreift, lassen wir mal Dinge wie das Abspeichern außen vor. Es verlangt zig Wiederholungen seiner Kämpfe, es will euch an der Herausforderung wachsen sehen und sieht gar nicht ein, euch eine nette Zeit zu schenken, nur weil ihr vielleicht keine habt, um diesen Loop aus "Live, Die, Repeat" mitzumachen. Dies gebe ich euch als ehrliche Warnung mit, das zu verstehen, ist weit wichtiger als die wenigen echten Fehler, die Cuphead haben mag - wobei mir hier eigentlich auch nur die manchmal etwas zu zufällig herunterpurzelnden Gegner einfallen. Cuphead ist in dem, was es sein will, praktisch perfekt. Die Frage ist, ob es das ist, wonach euch der Sinn steht.
Entwickler/Publisher: Studio MDHR/Microsoft - Erscheint für: Xbox One, PC - Preis: ca. 20 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: Xbox One - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Nein