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Cyberpunk 2077 Phantom Liberty im Test - Der DLC, der Cyberpunk den Director's Cut verpasst

Glück ist eine Illusion, es gibt keine Abkürzungen aus Night City.

Die eigentliche Story dieses DLC ist nicht mal das Besondere, so gut sie auch sein mag. Wie CD Projekt sie in Cyberpunk einwebt und es so zu einem noch mal besseren Spiel macht, ist absolut beeindruckend.

Sorry für die Verspätung, aber ich musste mir noch zwei Enden angucken. Wobei Enden relativ ist. Es ist Cyberpunk und Cyberpunk 2077, das Spiel, das sich die Genre-Klischees mit einer Wonne auf die Fahne geschrieben hat, dass es einem manchmal fast zu viel werden kann. Zum Beispiel, dass es keine Happy Ends gibt, dass nichts je so ist, wie es scheint und es immer einen Twist mehr geben muss. Da macht Phantom Liberty jetzt keine Ausnahmen. Ein Ende ist auch hier nur eine weitere Wendung in einer nie endenden Spirale.

Immer noch an eurer Seite, bis zum bitteren Ende. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Phantom Liberty ist auch kein Umbruch des Spiels. Wer jetzt den Schwung in Richtung GTA und Sandbox erwartet hatte, wird hier nichts finden. Nicht, dass ich das in diesem Spiel brauchte, insoweit bin da völlig fein mit. Im Gegenteil, Phantom Liberty fühlt sich noch viel kompakter in seiner Erzählweise an, viel direkter und bestrebt euch auf dem Weg zu halten. Es verstolpert sich nur ein oder zwei Mal ein wenig dabei, wenn es Alibi-mäßig ein Dreier-Set aus belanglosen Nebenquests einwirft, um ein wenig eigentlich unnötige Streckung herauszuholen. Aber das sei ihm verziehen, es kann nicht alles nur Gold sein.

Wie man die Story von Phantom Liberty jetzt sieht und bewertet, da gibt es zwei Ansätze und ich beschreibe zuerst den unfairen. Ihr spielt einen fast schon klassischen Action-Film, in dem der Jet der Präsidentin über feindlichem Gebiet abstürzt und ihr geht rein, um sie zu retten. Das nimmt ein paar Wendungen hier und da und wandelt sich im Laufe der acht Stunden reiner Hauptquest – sehr viel mehr, wenn ihr Stealth spielt – zu einem Agenten-Thriller. Beides sehr kompetent, gradlinig und solide. Wirklich gutes Kino. Ihr könnt das auch genauso erleben, selbst wenn ihr noch nie Cyberpunk gespielt habt, denn das Spiel wirft euch auf Wunsch direkt mit einem solide ausgebauten Level-15-Charakter ins Geschehen.

War schon mal schick hier, früher in was jetzt Dogtown ist. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Dann verpasst ihr aber die eigentliche Tragweite und kunstvolle Einbindung in die Hauptstory des eigentlichen Spiels. Phantom Liberty ist keine eigenständige Erweiterung, auch wenn man es fast so spielen kann. Aber es ist – und das ist die zweite Sichtweise auf das, was CD Projekt hier geschaffen hat – eine Option, die man euch hinlegt. Sie haben es geschafft, in dieses unglaublich komplexe Geflecht ihrer zig Enden und Handlungsstränge eine weitere Facette einzufügen und das Spiel als Ganzes noch einmal aufzuwerten. Phantom Liberty ist dann am besten, wenn ihr nicht einen alten Charakter nehmt und diesen noch mal für eine Extra-Runde warmspielt, sondern einen neuen erstellt und die Story nun in ihrer Gesamtheit erlebt. Mit den neuen Optionen, die euch Phantom Liberty dabei gibt.

Blood and Wine war für den Witcher ein Abgesang. Eine Geschichte, die einer anderen Geschichte folgte. Da praktisch alle Enden von Cyberpunk 2077 auf die eine oder andere Art sehr final waren, hätte das hier wenig Sinn ergeben und ich fragte mich, wie sie da dann Phantom Liberty ins Spiel bringen. Nun, sie wählten den komplexesten Weg, zupften an vielen Handlungsenden und bis weit nach hinten raus kann Phantom Liberty beeinflussen, wie das Ende von Cyberpunk 2077 aussieht. Heißt das jetzt, dass ihr es noch mal spielen müsst? Aus meiner Sicht ja, denn anders kann diese Erweiterung nicht ihr volle Kraft entfalten. Das kann man als Nachteil sehen, aber dann wiederum, anders war es eigentlich nicht sinnvoll möglich. Und so macht es ein sehr gutes Spiel noch mal ein gutes Stück besser.

Es ist vertikaler im Spieldesign ausgerichtet. Wenn ihr mit dem Fahrstuhl fahren dazurechnet. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Was die Story nun angeht, wie zuvor erwähnt, die Prämisse ist ziemlich genau Flucht aus New York, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Dogtown, der neue Stadtteil, ist alles andere als die komplett anarchische Kulisse des alten Carpenter-Films. Es gibt in Dogtown eine Ordnungsmacht und Ordnung. Es ist halt nur die eines kleinen Möchtegern-Diktators und seiner zahlreichen Schergen. Das fühlt sich jetzt nicht groß anders an als der Rest von Night City, nur etwas dreckiger. Natürlich gibt es auch ein paar andere kleine Gangs als Kanonenfutter, aber die sind kein echter Faktor. Und es ist ein drastischer Unterschied, dass ihr jederzeit – oder zumindest schnell nach der ersten Mission – Dogtown verlassen könnt, wie ihr lustig seid. Ihr könnt sogar das Hauptspiel einfach weiterspielen und Phantom Liberty gänzlich sich selbst überlassen. Soll die Präsidentin ihre Probleme doch selbst lösen. Geht auch.

Agentenleben in Vollendung: Vor euch steht zweimal die gleiche Person, eine ein Konstrukt, das mit euch reden kann, ohne dass die bösen Jungs was davon mitbekommen. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Wäre aber natürlich nicht die beste Art, eure 30 investierten Euro auszunutzen. Also infiltriert ihr den einen oder anderen Wolkenkratzer und dürft erleben, was der Unterschied zwischen einem solide ausgestattet Straßensamurai und einem komplett überzogenem Militär-Spionage-Budget ist. Letztere haben echt die besseren Spielzeuge, von Mission-Impossible-Maskerade bis zum Blackwall-Hacking. Phantom Liberty ist primär ein Ausflug in die Welt eins über den Wolkenkratzern, bis zu einem Trip in den Raumflughafen der Zukunft und ihr als Möchtegern-James-Bond seid mittendrin.

Agenten kommen herum, gut, dass ihr für die Party den Frack dazu gereicht bekommt. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Ihr könnt euch dem komplett hingeben und Geheimagent für einen Tag sein oder euch als simpler Söldner gebärden. Vor allem aber müsst ihr mehrfach eure Loyalitäten überdenken und wählen. Wem ihr vertraut… Nun, es ist Cyberpunk in jeder Hinsicht, wer irgendwem wirklich vertraut, ist eh schon fast tot. Nicht nur, weil es ein paar richtig fette Shootouts mit allen Extras gibt. Also ja, nach anfänglicher Skepsis, was die oberflächlich recht schlichte Handlung von Phantom Liberty angeht, nichts als Respekt für ihre Einbindung in Cyberpunk 2077 und wie es das Spiel aufwertet.

Der neue Bezirk Dogtown dagegen… Geschmäcker sind verschieden. Es ist im Grunde Pacifica eins weiter. Die alte Glorie des Hightech und Reichtums ist noch weiter zerfallen, die Gigantomanie war noch etwas größer und liegt noch mehr in Trümmern. Das ergibt ein paar sehr schicke Setpieces, auch dank übergroßen an Art-Deco angelehnten Kunstwerken, die halb verfallen herumstehen. Die Straßen darunter sind löchrig, halb zugemüllt, was den Spaß am Fahren der immer noch mäßig steuerbaren Autos nicht erhöht. Gut, dass ich fast sofort wieder auf mein teures Motorrad zurückgreifen konnte. Zwei Räder sind immer noch die beste Art in Cyberpunk herumzukommen.

Ich vertraue auf mein Motorrad, denn die Autos in Cyberpunk... Ich nehme an, dass es besser wurde, aber gut ist das Fahren immer noch nicht. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

So schick einzelne Gebäude und Blicke auch sind, Dogtown ist klein. Es ist wahnsinnig liebevoll ausstaffiert und mit feinen Details dekoriert, mehr noch als das Hauptspiel. Wer ins Detail schauen möchte, wird viel finden. Aber als Stadtbezirk hatte ich schon nach zwei Stunden den Eindruck, dass ich alles kenne und ewig an den gleichen drei Orten vorbeikomme. Das ist auch der Hauptstory geschuldet, die definitiv das zentrale Element ist und nun mal ein paar zentrale Punkte hat. Immerhin führen euch die Nebenquests dann in die drei Straßen, die ihr vorher nicht gesehen habt.

Was die Nebenquests selbst angeht, liegt die Messlatte dank der schieren Brillanz dieser in Cyberpunk 2077 enorm hoch und Phantom Liberty kann sie ganz klar nicht reißen. Es ist nett, was hier passiert. Ich mochte die Story mit dem Boxer, der dank eines Chips ferngesteuert im richtigen Moment Kämpfe verliert und diesen Chip loswerden will. Es sind kleine, nette Episoden, aber mit den besten aus dem Hauptspiel können sie es nicht aufnehmen. Sind gut, ich werde sie alle spielen, aber ob ich mich in sechs Monaten noch an sie erinnere, das wage ich zu bezweifeln.

Auf einen Blick: Dogtown ist sehr klein und kompakt, aber liebevoll ausstaffiert. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Spielerisch müsst ihr euch nicht groß umstellen. Es gibt immer die Optionen zu reden, zu schießen, zu schleichen, zu hacken oder das zu kombinieren. An diesen Dingen hat sich auch nichts geändert, nur, dass ihr jetzt noch einen kleinen Fertigkeiten-Baum mit etwa zehn neuen Perks bekommt, die ganz nett sind. Bessere Zielerkennung für mehr Schadensbonus und solche Dinge. Nichts, was alles umwirft, aber das war auch nicht zu erwarten. Schließlich musste das Balancing der alten Missionen ja gewahrt bleiben. Als Shooter-RPG mag ich damit Cyberpunk immer noch sehr viel lieber als Fallout oder Starfield. Innerhalb der Missionen muss sich Cyberpunk zwar Baldur’s Gate 3, was die schiere Zahl der Möglichkeiten angeht, geschlagen geben, aber von diesem Ausnahmespiel abgesehen ist es ist immer noch ganz weit vorn.

Man kann nicht sagen, dass es keine Facetten gäbe: Von den Trümmern Dogtowns... (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Das letzte Grafik-Update ist natürlich ein willkommener Bonus, wobei das natürlich Cyberpunk 2077 als Gesamtes betrifft. Gerade auf neuen Nvidia-Karten mit DLSS und Co. überzeugen die schicken Ray-Tracing-Effekte, weil sie auch mit soliden Framerates dargestellt werden. Wenn ihr da bei der Hardware gut aufstellt seid, dann gibt es viel zu bewundern. Bei der Xbox habe ich mich dann doch an den Perfomance-Modus gehalten, weil es gerade in sehr komplexen, wuseligen Szenen doch immer wieder mal ganz schön einknickt. Nein, nicht annähernd vergleichbar mit der PS4-Version damals. Es läuft alles selbst in den schlimmsten Momenten noch rund. Aber nach einem Blick auf die PC-Version wird schnell klar, warum Microsoft bereits an einer neuen Xbox schraubt und Cyberpunk im Gegensatz zum Witcher wohl nicht auf die alte Switch kommen wird.

...bis zum Hightech-Spaceport Night Citys bekommt ihr alle Aspekte der Zukunft in Phantom Liberty geboten. (Cyberpunk 2077 Phantom Liberty)

Cyberpunk 2077 Phantom Liberty - Fazit

Man kann Phantom Liberty nicht sinnvoll ohne Cyberpunk 2077 sehen. Beides zusammen ist der Director’s Cut eines zuvor schon herausragenden Spiels und zusammen mehr als die reine Summe der Teile. Die neue Geschichte passt sich nahtlos in die Saga von V und Johnny ein, auf eine Art, die einem echte Bewunderung für die Kunstfertigkeit von CD Projekt abringt. An den komplex verwobenen Fäden eines so verschachtelten Spiels wie Cyberpunk 2077 zu zupfen und diese neue Episode gewinnbringend für alles einzubinden, das ist schon ein Kunststück.

Sicher, wenn ihr Phantom Liberty als eigene Geschichte spielt, ist es ein solider Action-Agenten-Thriller in einem Cyberpunk-Setting. Das macht Spaß und kracht immer wieder mal richtig gut. Wenn ihr es als weitere Ausgestaltung der beiden Protagonisten nehmt, als weitere Verirrung auf ihrem Weg durch das Labyrinth der Entscheidungen, das nun auch zu neuen Enden führen kann, dann bereichert Phantom Liberty die Spielerfahrung ungemein. Weit über das hinaus, was einem eigenständig angehängten Add-on möglich gewesen wäre. CD Projekt wählte den vielleicht schwersten Weg, das brillante Cyberpunk 2077 zu erweitern und machte es zu einem insgesamt noch einmal sehr viel interessanterem Spiel. Nicht schlecht für einen DLC.

Cyberpunk 2077 Phantom Liberty
PROCONTRA
  • Cyberpunk 2077 wird um ein exzellentes Kapitel erweitert und insgesamt zu einem noch einmal besseren Spiel
  • Neuer Stadtteil, der sehr liebevoll entworfen wurde
  • Technik-Update (betrifft Cyberpunk 2077 generell)
  • Die Story von Phantom Liberty ist für sich schon gut...
  • ...aber eigentlich muss man Cyberpunk 2077 noch mal durchspielen, um es als Ganzes genießen zu können (ist jetzt aber nicht so schlimm)
  • Dogtown wirkt vor allem im Rahmen der Handlung noch einmal kleiner, als es eh schon ist
  • Autofahren macht immer noch keinen Spaß

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