D4: Dark Dreams Don't Die - Test
War Deadly Premonition nur ein Glückstreffer?
Deadly Premonition gehört für mich zu den besten Videospielerfahrungen der letzten Generation. Dementsprechend gespannt war ich nach der Ankündigung des neuen Projekts von Entwickler SWERY65. Doch trotz meiner positiven Einstellung sorgte ich mich um die letztendliche Qualität von D4: Dark Dreams Don't Die. Denn die Formel von Deadly Premonition zu wiederholen, das hielt ich für fast unmöglich.
Schließlich wusste niemand, ob SWERY überhaupt verstand, was sein seltsames Spiel so großartig in den Augen vieler Fans macht. Vielleicht wollte er ursprünglich einen Titel mit wesentlich besseren Mechaniken, Animationen und Landschaften basteln. Vielleicht war Deadly Premonition nur ein glücklicher Zufall, der ganz leicht grauenhaft anstatt grauenhaft schön hätte sein können.
Nachdem ich D4s erste Staffel - bestehend aus Prolog und zwei Kapiteln - mehrfach beendet habe, kann ich die Zweifler unter euch beruhigen. Zumindest die Personen, denen Deadly Premonition ebenfalls gefiel. D4 weist zwar ähnliche Mängel auf, allerdings auch eine bescheuerte Situation nach der anderen.
Ihr übernehmt die Rolle von Protagonist David Young, der sich seit zwei Jahren auf der Suche nach dem Mörder seiner Frau befindet. Erinnerungen an den Vorfall besitzt er keine. Nur den letzten Satz seiner Frau kann er nicht vergessen: Look for D. Im Austausch gegen sein Gedächtnis erhielt David eine besondere Fähigkeit. Durch bestimmte Gegenstände, sogenannte Mementos, kann er in die Vergangenheit reisen.
Auch wenn das Spiel abseits der normalen Handlung wie ein bunter Drogentrip wirkt, ist die Story erstaunlich gut ausgearbeitet. Damit ähnelt sie natürlich sehr Deadly Premonition, dessen zentrale Thematik ebenfalls gefiel. SWERY beweist erneut ein Gespür für die richtige Mixtur aus intelligentem Krimi und abgedrehtem Surrealismus.
Obwohl die erste Staffel nur einen kleinen Einblick in das große Ganze ermöglicht, zeigen sich interessante Ansätze in Bezug auf Zeitreisen und wie genau sie in diesem Universum funktionieren. Außerdem spielt der Titel mehrfach mit den Erwartungen des Spielers. Betrachtet man die Phrase „Look for D“, fällt natürlich sofort auf, dass David selbst damit gemeint sein könnte. Ebenso ist es eine mögliche Anspielung auf die Zeitreisethematik, nämlich das vierdimensionale Betrachten der Ereignisse. Beide Theorien greift das Spiel nebenher auf und demonstriert, dass es dem Spieler stets einen Schritt voraus ist.
Denn in D4 ist es praktisch unmöglich, den nächsten Schachzug des Spiels vorherzusehen. Auf eine romantische Erinnerung mit Davids verstorbener Frau folgt plötzlich ein verrücktes Festmahl mit seinem besten Freund, der drei Hotdogs gleichzeitig in beide Hände nimmt und sie auf einmal verschlingt. Natürlich während das Duo ernste Mordfälle oder Beziehungsdramen bespricht. Und das gehört noch zu den normalsten Momenten.
Praktisch jede Figur in D4 besitzt ihre exzentrischen Eigenschaften. David selbst ist großer Eishockeyfan und lässt als solcher ständig kleinere Sportanalogien in seine Texte wandern. Später trefft ihr auf einen Modedesigner, der eine Schaufensterpuppe nach seinem Ebenbild einkleidet und als persönliche Assistentin bezeichnet. Das Höchste der Gefühle ist sicherlich Amanda. Sie besitzt den gleichen Namen wie Davids alte Katze und verhält sich genauso. Ihr seht also einer ausgewachsenen Frau dabei zu, wie sie sich nachts auf den Fernseher hockt oder in der Ecke mit der Zimmerpflanze spielt.
Alles befindet sich auf einem Level mit Deadly Premonition, ohne auch nur ansatzweise abgedroschen zu wirken. Die Charaktere sind mehr als die Summe ihrer verrückten Eigenarten und die Gegenüberstellung des visuellen Surrealismus mit normalen Dialogen oder Thematiken funktioniert perfekt. Es ist ein schmaler Grat, auf dem D4 wandert, doch es gerät dabei kaum ins Wanken.
Wie sieht es nun mit dem Gameplay aus? Immerhin war es der Knackpunkt für die meisten Spieler von Deadly Premonition. Selbst wenn einem die Dialoge und Figuren gefielen, führten die trägen Autofahrten, der langsame Ablauf oder die fummelige Schusssteuerung - gerne das Resident Evil 4 des armen Mannes genannt - schnell zur Kapitulation. Wer damals also aufgab und den Rest der Handlung auf YouTube konsumierte, darf sich dieses Mal freuen.
"Die Charaktere sind mehr als die Summe ihrer verrückten Eigenarten und die Gegenüberstellung des visuellen Surrealismus mit normalen Dialogen oder Thematiken funktioniert perfekt."
Ich bezeichne den spielerischen Ablauf von D4 gerne als eine Mischung aus The Walking Dead und Killer 7. Ihr untersucht eure Umgebung nach Hinweisen, Fundsachen oder wichtigen Gegenständen und bewegt euch dabei auf festen Linien. Okay, eigentlich sind es sogar bloß feste Positionen, von denen aus ihr in maximal vier Himmelsrichtungen blicken dürft. Es fühlt sich restriktiv an, vermittelt aber einen gewissen Charme. Außerdem begrenzt das System Frust, da die Steuerung exakt wie bei einem Adventure funktioniert und ihr keine störrischen Manövrieraktionen befürchten müsst.
Die Navigation bewältigt ihr entweder über den direkten Input an eurem Controller oder die etwas indirekte Steuerung mit Händen und Oberkörper. Beide Varianten funktionieren überaus gut und haben unterschiedliche Vorteile. Da ich den Adventure-Part des Spiels in Ruhe genießen wollte, verwendete ich dafür meinen Controller. Zwar erfolgte auch über Kinect stets die gewollte Eingabe, doch brauchte ich so meine Arme nicht unnötig für mehrere Stunden zu belasten. Für die kurzweiligen Actioneinlagen wechselte ich zur Bewegungssteuerung. Eine Änderung ist jederzeit möglich und erfolgt in wenigen Sekunden.
Jedes der gerade einmal vier Quick-Time-Events kündigt sich früh genug an und eine Leiste am unteren Bildschirmrand weist euch sogar auf kommende Manöver hin. Daher ähneln die Szenen sogar fast einem Rhythmusspiel. Die geforderten Bewegungen bestehen aus simplen Schwüngen beider Arme und nie kam es zu Problemen mit der Erkennung. Falls ihr nur eine Xbox One ohne Kinect besitzen solltet, tut es der Erfahrung jedoch keinen Abbruch. Bloß eine Stelle würde ich vermissen, bei der ihr laut brüllen müsst, um ein Megafon zu aktivieren. Es half der Immersion und brachte mich darüber hinaus zum Lachen.
"Die Navigation bewältigt ihr entweder über den direkten Input an eurem Controller oder die etwas indirekte Steuerung mit Händen und Oberkörper."
Ein Spielelement dürfte euch dagegen entweder erfreuen oder zum entnervten Augenrollen führen. Um die monotone Abfolge der Untersuchungen interessanter zu gestalten, müsst ihr drei Leisten im Auge behalten. Eure Lebensanzeige reduziert sich fast ausschließlich nur bei misslungenen Ausführungen der Quick-Time-Events. Dagegen verringert sich eure Ausdauer bei fast jeder Aktionen. Eine Couch untersuchen, einen Schluck aus der Kaffeetasse nehmen oder einen Dialog verfolgen. Alles kostet euch wertvolle Punkte, die ihr durch Essen zurückerlangt. Entweder ihr findet dazu Snacks in der Umgebung oder kauft bei Amanda beziehungsweise einer Katze die notwendigen Leckerbissen ein. Dort findet ihr auch Getränke, die euch eine nützliche Hotkey-Funktion ermöglichen und so alle manipulierbaren Objekte markieren.
Als Transaktionsmittel verwendet ihr Credits. Diese vergibt das Spiel für praktisch jede ausgeführte Aktion. Sammelt etwas auf, sprecht eine andere Figur an oder schubst sie kurz. Die für mich interessanteste Möglichkeit ist hingegen die Umgebungsbeobachtung. Haltet ihr den Cursor über eine Person oder Objekt, erscheinen Davids Gedanken. Zum einen führt dies zu teils lustigen Texten, zum anderen unterstreicht es Davids Rolle als privater Schnüffler. Das Spiel belohnt euch direkt für das richtige Verhalten als Detektiv und konditioniert euch auf eine überaus positive Art. Es stecken noch weitere solcher kleinen Designentscheidungen in D4, die es so speziell und großartig machen. Und im Gegensatz zu Deadly Premonition funktionieren sie innerhalb der durch das Genre gegebenen Restriktionen wesentlich besser als in einem Open-World-Titel.
Wieder einmal sind es die vielen kleine Dinge in D4: Dark Dreams Don't Die. Zwar ist der Titel auch übergreifend betrachtet eine gelungene Erfahrung, die wesentlich weniger Spieler als noch Deadly Premonition verschrecken sollte. Doch erst die kleinen, meist vollkommen optionalen Momente heben die Erfahrung auf eine viel höhere Ebene. Es sind die nutzlosen Informationen zum Stanley-Cup in versteckten Eishockey-Magazinen. Es sind die teils abstrusen oder manchmal sogar poetischen Glückskeksnachrichten. Es sind die plötzlichen Quizaufgaben über Flugzeuge. Und ganz besonders sind es die lauten Stöhngeräusche anderer Personen, wenn ihr sie wie ein Kleinkind zehnmal hintereinander schubst, nur um einen komischen Beat daraus zu erzeugen.
Falls die nächsten Staffeln - wann immer sie auch erscheinen mögen - das bescheuerte Niveau halten und die Handlung clever weiterführen, würde das Erlebnis für mich sogar Deadly Premonition übersteigen. So bleibt uns zuerst nur ein kurzer, wenn auch auf seine verkorkste Weise brillanter Einstieg in das wohl verrückteste Abenteuer dieser Generation.